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Die Balduinstraße scheint glatt in den Himmel zu münden, dessen Pforte ungeheuerlich aus den Werftgerüsten der andern Stromseite gegittert ist. Aber ist man die Straße zu Ende, senkt sich eine steinerne Treppe hinab, dreigängig und breit, da, wo oben Onkel Max das Frühstückslokal hat mit dicken Bogenlampen auf Backbord und wo das große Schild Exchange anzeigt, daß ein Bedürfnis, fremdes Geld umzuwechseln, bei manchen Passanten der Treppe vorauszusetzen sei, und wo auf der andern Seite auf kahler Wand zu lesen steht, daß man geeigneten Orts Butter, Käse und Eier kaufen und Torten bestellen und Wäsche waschen und plätten lassen und sich des Abends zu zeitgemäßen Preisen amüsieren kann, was teils auf Englisch wiederholt ist. Ja, von dort sieht man über die unterwärts liegende Hafenstraße weit und breit auf die ganze verzweigte Steganlage der Fähre VII. Und die Straßenbahn Linie 7 hat eine Haltestelle davor. Von da schwingt die feste Landbrücke unter eisernen Spannbögen hinab auf die beweglichen Planken, die überleiten zu den Schwebepontons, darauf spielzeugklein der lustige Krempel der Hafenpolizei-, Zoll- und Fahrkartenbauten sich erhebt.

Die Stromebene dahinter, von Möwen überflattert, war an diesem lichtgrauen Morgen im unruhigen Südwestwind aufgebrochen wie ein silberbrauner Acker. Ein paar kleinere Dampfer und einige Schlepper pflügten schäumig hin und her. Ihre tabak- und quallenfarbenen Rauchwimpel setzten über die riesigen Aufbauten des Gegenufers, die mächtigen Hellinge der Werft von Blohm & Voss, die von hier aus dem Gerippe einer urgewaltigen, entbalgten Handharmonika gleichen und fauchend und rasselnd über das wirre Jazzorchester des Hafens gesetzt sind, höher selbst als die Schlote des grauen Afrikadampfers, der da aus der Flut emporgepumpt, trocken wie ein Modell unter Glas, im Dock lag.

Mine hatte ihr Sparkassenbuch verwahrt und ihre Schürze abgelegt. Seit mehreren Jahren bewohnte sie eine kleine Sonderkammer unterm Dachboden, die zur Ladenwohnung dazu gemietet worden war, weil das große Mädchen nicht ewig mit dem kleinen Bruder zusammenschlafen konnte. Sie mochte da oben nicht gern so allein sein, sie fürchtete sich. Aber es war ja auch nur nachts, und im übrigen, zum Beispiel wegen des geheimen Abendkleides, war sie froh, ihr kleines Reich für sich zu haben.

Ritsch, ratsch war sie die Treppe hinauf und hinabgeflattert. Ihr blumiges Sommerkleid und das durch ein schmales Seidenband nur halb gebändigte Haar wehten in der dümpiligen Brise.

Der Verkäufer in der Zigarrenbude gleich an der Ecke vor der Fährbrücke steckte den Kopf hervor und griente erfreut. Mine nickte freundlich zurück.

»Richtig!« sagte sie, nahm Geld aus ihrer neuen Handtasche und kaufte ein Päckchen von Jonnys Lieblingsmarke.

Dann stand sie auf der Brücke. Tief sog sie den frischen Dunst des Wassers ein und den Geruch des Hafens, dieses großartige Gemisch aus Öl, Qualm, glühendem Eisen, Kohlen, geteerten Planken, Sackleinen, Salzfisch, Kaneel, verschwitzten Stauerhemden und unbekannter Ferne, diesen unvergleichlichen Luftsalat, der ihrer Lungen Speise war von Jugend auf und ihr heute ganz besonders aufreizend deuchte, besonders reich geladen mit dem Abhauch tropischer Gewürze und dem salzigbitteren, kühlen glashellen Duft der See.

Sie beschattete die Augen; denn eben wickelte sich die Sonne wie ein blasser Pippingapfel aus rosagrauem Wolkenpapier. Die Manhattan drüben war schon hinter dem Kuhwärderdock verschwunden, dorthin, wo die breiten Hafenschläuche und massigen Piers zwischen Tollerort und der Ellerholzschleuse sich erstrecken. Andere Dampfer brummten, aber nicht noch einmal ertönte der dunkle, schütternde Meergigantenruf, den sie so gern hörte.

Klein ging sie weiter zwischen den schwarzen Tragbögen hin über die hohl tönenden Brückenplanken, die vom Ufer in die Stromschlucht stoßen. Sie sah durch das Geländer auf hochbeladene Heu-Ewer, Kohlenschuten und wartende Schleppdampfer.

Bei der steilen langen Treppe, die steuerbords hinunterführt auf den tiefliegenden Ponton der Taxibarkassen, wo an den Dückdalben das weithin lesbare Plakat die Wasserdroschken anpreist, die zu jeder Tag- und Nachtzeit fahrbereit sind und jedem gewünschten Ort des Hafens, dort blieb sie einen Augenblick stehen. Dort unten saßen ein paar Männ der vor einer bescheidenen Holzbude, und sie hoben den Kopf, als sei ein Fahrgast zu erwittern.

Mine lächelte. Oho, sie lächelte ein wenig spöttisch, und die Männer tippten an die Mütze und lächelten ein »Ach so« zurück und senkten die Köpfe und sogen weiter an ihren Bröseln oder Zigarren.

»Hallo, wohl nichts zu tun?« flötete Mine hinunter. Sie konnte zu Zeiten ein wenig boshaft sein.

»Laß du dir man nichts tun!« echote einer der Männer zurück. Er wußte, daß Mine Thormann die Braut von Jollenführer Wack sei. Es deuchte ihm kein Grund, auf Jonny neidisch zu sein; außerdem trug Jonny Wack eine kräftige Handschuhnummer.

Mine lächelte versöhnlich. Das da unten waren selbstständige Männer, und die Boote waren deren Eigentum. Und doch, dachte sie, es ist gut, daß mein Jonny nicht so ein eigenmächtiger Wasserdroschkenkutscher ist, der auf das Gelgenheitsgeschäft lauern muß, und manchmal glückt es, und manchmal bleibt es aus. Mein Jonny aber hat sein Gehalt, und wenn er seinen Kahn auch leer fährt wie einen alten Gummischuh.

Nun war sie auf den schrägen Eisenplanken, wo es auf die saalgroßen Schwimmstege geht, die im Wechsel von Flut und Ebbe auf und ab schwingen und immer gleich hoch sind den Bordkanten der Fährboote gemäß, so daß der Verkehr sich ungehindert abwickeln kann.

Der Zollbeamte, der vor dem Eingang des Zollschuppens aufpaßt auf alles, was von und an Land geht, grüßte lächelnd und sagte: »Tag, Fräulein Thormann!« Und der rundliche nette Hafenpolizeiwachtmeister sagte: »Ei, ei, das blonde Obst!«

Wie gut tat es, so überall von Lächeln umfangen zu sein. Mines Schuhe drückten nun nicht mehr.

»Hätte auch noch einen andern kriegen können als so’n mageren Jollenhupfer«, meinte der Zöllner und trommelte mit der linken sachte in der Luft umher, als spiele er Klavier.

»Na«, entgegnete der Polizeimann: »So mager ist Wack ja nicht.«

»Aber mächtig pünktlich«, lächelte der Zollbeamte:

»Dem ist die Liebe nicht im Wege.«

Jawohl, gerade fuhr die Jolle ab.

»Jonny!« rief Mine der tuckernden, grünen Barkasse nach.

Jonny Wack drehte sich ein wenig um. Behäbig und stramm ragte er auf seinem erhöhten Führerstand. Aber kein ablenkender Ruck ging durch seine Hände, die das Steuerrad hielten. Nur sein Gesicht geriet in Bewegung. Sein breiter Mund klappte zurück von den starken gelben Zähnen, seine grauen Augen schlossen sich fast vor Freude. Nein, die Abfahrtsminute mußte innegehalten werden, und wenn es Engel regnete. Und schon wandte er seine ganze Aufmerksamkeit wieder dem Fahrwasser zu.

»Komm bald wieder!« rief Mine durch die hohlen Hände. Sie wußte, der ganze Steg hörte zu. Sie wollte es Jonny gönnen. Jedermann sollte ahnen, wie gut es der habe, der nun mal das Rennen gewonnen.

»Zur Manhattan!« ertönte es über seine breite Schulter zurück. Seine Stimme war scharf und klar. Ja, ihr Jonny, der verstand seinen Beruf! Wie sicher und flitzig legte er die Barkasse über den Hafenschwell. Er hatte ein paar eilige Gäste an Bord, denen der Fährdampfer zu lange dauerte mit seinen verschiedenen Anlegestationen, und die sich das höhere Fahrgeld nicht reuen ließen.

Jetzt erst, da Jonnys Rückenfläche und seine blaue Mütze keine Neigung mehr zeigten zu beidrehender Veränderung, sah Mine auf seine Passagiere. Es waren ein paar Damen, ein paar Herren, ein Hafenoffizier. Sie tat es mit dem gleichen schätzenden Blick, wie etwa über den Marktwagen voll Gemüse, den sie dreimal die Woche in die Balduinstraße vor den elterlichen Laden lenkte.

»Dem einen sein Kohlkopp ist dem andern sein Fahrgast!« hatte Käptn Bauz im Vergleich der beiden Beschäftigungen gestern auf der Geburtstags-Verlobungsfeier gesagt.

Mine wollte sich gerade der Betrachtung des übrigen Fährsteges zuwenden, da bückte sich drüben in der Jollenführerbarkasse ein dicker Weißfuchskragen. Vielleicht war eine Handtasche entglitten oder ein Strumpf drohte eine Masche zu verlieren. Jedenfalls war da plötzlich eine Lücke und darin erschien die graue Melone von vordem. Ohne Zweifel war es der Artist, zu dem sie gehörte. Jetzt sah sie ihn deutlich. Er saß auf der Gegenbank, still in sich zusammengeduckt, und überdeutlich plötzlich fühlte sie wieder den dunklen saugenden Blick.

Sie blies es von sich ab, drehte sich auf den Hacken um. Das glaub ich, sagte sie sich wohlgefällig, da sind noch andere, die bedauern wohl auch, daß es nun zu spät ist.

Sie blickte vor den engen Drehkreuztüren der Landungszugänge nach den Gästen des Fährdampfers. Die Männer an den Schaltern bogen sich ein wenig heraus, um Mine Thormann anzusehen. Ja, wer kannte sie nicht, das blonde Hafenküken, das nun mündig und Braut geworden war? Ihr Geburtstagstisch war unter Blumen zu einer bunten Brandung emporgewachsen, die auf Kommode, Schrank und Fensterbänke bis in den Laden überschäumte. Und sie lächelte alle der Reihe nach an und sagte: »Herzlichen Dank!« Und in ihrer singigen silbrigen Stimme lag eingeschlossen der Dank an die ganze Schöpfung.

Auf dem langen Fährsteg längseits des hohen Zollgitters waren schon allerlei Leute versammelt, zumeist junge und ältere Mädchen, Hafenbräute der zu erwartenden Manhattan-Mannschaft, hoch aufgeputzt, reichfarbig, der neuesten Sommermode übermäßig gewiß, nicht ohne im Badarfsfalle die besten Stücke der Wintergarderobe hinzugezogen zu haben, aber auch Händler, Hotelburschen und Lokalbesitzer, Waschfrauen, Tallymänner, Geldwechsler und Kontorangestellte. Es war ein freudig-dumpfes, von beruflicher Eifersucht nicht ungetrübtes Gemengsel der Erwartung. Nicht gar so abseits hatten sich auch zwei Beamte des Fahnungsdienstes in Zivil aufgebaut.

Mine hielt sich vom Schwarm abseits. Die Jollenführer legten nicht so weit nach Altona hin an wie die eigentlichen Fährboote, sondern diesseits der Schalterbuden. Sie spähte über den Strom, wo sie noch die blauweiß karierte kleine steife Flagge am Bug von Jonnys Barkasse erkennen konnte, die Flagge N des Signalbuches, die Jollenführerflagge, die auch auf den im Strom liegenden Schiffen gesetzt wird, wenn von dort jemand an Land geholt zu werden wünscht.

»Hallo, Hein und Fietje,

wat stoht ji und teuwt?

Wi wüllt mol’n beeten reuwer

no Kohwarderheuft.«

sang Mine vor sich hin in der breiten Sprache dieser Gegend.

Nun kam der nächste Fährdampfer, gebaut wie ein chinesischer Pavillon und grün wie eine Gartenbank. Ehe sich die Schlucht zwischen seiner Wallschiene und dem Ponton schloß, sprangen schon mit waghalsigem Satze die eiligsten Fahrgäste an Land; ein paar landfeine Stewards, auch ein paar junge amerikanische Steuerleute in Uniform waren schon dabei, weiß der Teufel, wie sie es so schnell ermöglicht hatten. Einige Hafenbräute gurrten auf, der frohe Schrei des Wiedersehens flatterte hier und da in die dampfige Luft, der Knäuel löste sich und spulte sich durch die Ausgänge und an den Zöllnern vorbei, die ihres Amtes walteten, die Handtaschen öffnen ließen, in Koffer und Aktenmappen Einsicht nahmen und hin und wieder Verdächtiges in die langen Schuppen verwiesen, wo im bedrückungsstillen Innern hinter dem breiten, blechbeschlagenen Tresen dies und jenes zumeist geringfügige Stück »Andenken« mit sorgfältiger Wägung, Messung und Bescheinigung abgefertigt wurde.

Auch der Handlungsgehilfe Emil Weber war unter den Fahrgästen. Sein kontorfarbenes Gesicht war ernst und in sich gekehrt, und die Würde des Kaufmannsstandes fand ihren Ausdruck darin. Er grüße Mine, indem er den mausfarbenen geknifften Hut gemessen mit Daumen und Zeigefinger von oben herab anfaßte und ihn einen Atemzug lang handhoch über dem einwandfreien Scheitel lüftete, ganz ähnlich wie man es von seinem Chef gewohnt war. Emil Webers Haar war unbesonders, sein Kragen etwas zu hoch, seine Haltung tadellos. Oft kam er bei Thormanns vorbei und kaufte dann regelmäßig ein Pfund australischer Äpfel. Er war Clark bei Mollmöller & Co., Im- und Export, und hatte derzeit Außendienst. Er mußte frisch angekommene Fracht beaugenscheinigen.

Ein netter junger Mann, dachte Mine, indem sie sich einer gelegentlichen Äußerung ihrer Mutter anschloß.

Mine tänzelte wortend hin und her, klönte ein wenig mit den Schalterleuten und ließ sich eine Weile nicht lang werden. Es konnte im ganzen höchstens eine halbe Stunde dauern. Das Jollenführerboot muß die Hafenschläuche, die ihm zugeteilt sind, sorgfältig durchrutschen, so wie etwas ein Mop alle Zimmerecken, und spähen, ob jemand an Land will. Damit kann die Zeit hingehen.

Doch unerwartet früh schon hüpfte Jonny Wacks Barkasse wieder heran. Das konnte man wahrhaftig eine rasche Fahrt nennen. Wie fröhlich strahlte sein wetterverbranntes Gesicht!

Er brachte nur zwei Fahrgäste mit. Der eine war der Artist mit der grauen Melone, der andere ein großer, schlanker, älterer Herr, der sehr hell angezogen war und steif und zurückhaltend aussah.

Mine wollte nur ihren Jonny, sie hatte keine Lust, den ungeputzt saugenden Messingaugen des Melonenmenschen zu begegnen. Sie sprang, kaum, daß die Barkasse den Stegrand anglitt — so sachte verstand Jonny anzulegen — gewandt auf die Heckfläche und hinunter auf die Bank und ins Boot und lief am Motor vorbei auf den Führerstand zu, den Jonny verlassen hatte, um das Boot festzumachen.

Aus den Augenwinkeln nur sah sie, wie die beiden Herren an Land stiegen. Herr Paduzek schien in diesem Augenblick keine Neigung zu haben, sich um sie zu bekümmern, sondern nur darauf bedacht zu sein, einen weitgereist aussehenden schweinsledernen Handkoffer gut von dannen zu bringen.

Der große, sozusagen vornehme Herr am Ponton aber hielt ihn zurück, blieb stehen und strich sich mit spitzem Zeigefinger unter einem rostbraunen englisch-kurzen Schnurrbart entlang. Er wartete, bis der Jollenführer die Leine um den Poller gelegt hatte, was ungemein rasch ging. Schon stand Jonny Wack neben seiner Mine, und während er mit seiner langsamen Zunge nach »gut geschlafen« und dergleichen fragte, hörte sie deutlich, wie der feine Herr auf die Melone neben sich hinab knarrte: »Schmissiger Fisch!«

Fähre VII

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