Читать книгу Der große Fluss im Meer - Hans Leip - Страница 6
Biographen und Apostel Die unbewußte Lenkung · Die Arbeit der Dummen · Überschall und Golfstromtempo · Peter Martyr · Neue Welt · Wie entstand der Name Amerika? · War Waldseemüller musikalisch? · Auch Bristol will nach China · Spuk bei Florida · Juvenal und Westindien · Gold per Eilboten · Satan Soto · Der Tarzan der Konquistadoren · Das Hirtenamt · Die Ventile platzen daheim · Bartholomäus, der Schirmherr der Metzger · Der Hugenotten erste Freistatt drüben · Ein sanftes Zwischenspiel · Die erste große Protestantin · Merk auf, Europäer!
ОглавлениеWie sagte doch jemand? Dieser Italiener hat den Kuchen angeschnitten, der Amerika heißt, der ihm aber nicht bekam, indes andere fett daran wurden, bis schließlich die ganze Lebensfähigkeit Europas von der Fütterung damit abzuhängen schien.
Hiermit aber wird gesagt, daß er ein Golfstromgetriebener war und damit der erste Amerikaner. Zwei Begierden trieben ihn – so, wie Wind und Gefälle den Golfstrom antreiben –: die Sucht, sich zu kühlen, und die Sucht, sich zu verlieren, das eine am Golde, das andre in Gott. Und wie es im Liede heißt, soll dieses der Schlüssel zu Gottes Herrlichkeit sein, indes Gott das Gegenteil aller Höllen und Fegefeuer bedeutet. Der Gefahr, sich schon am Golde zu verlieren, ist selbst Kolumbus nicht entgangen, und jene, die nach ihm kamen, erst recht nicht.
Sprach nicht die erste Reklame für die Neue Welt von Gold, Weibern und einem Leben in Freiheit und Bequemlichkeit? Es ist das Ideal jenseits des Golfstroms geblieben. Mag sein, daß es sich heute mehr auf die romanische Seite beschränkt. Wie hübsch floriert doch das Geschäft der Totos, Spielbanken und Lotterien z. B. in Argentinien! Dort gibt es ein Sprichwort, das heißt: Der Kluge lebt von den Dummen, und die Dummen leben von der Arbeit.
Es bleibt ein Wunder, welche Unmenge Arbeit die „Dummen“ drüben geleistet haben, wenn auch vor allem in USA, an Wolkenkratzern, Straßen, Brüchen, Drugstores, Bibliotheken, Museen, Forschungsinstituten, Hochschulen, Kirchen, Autofabriken, Aircruisers, Auslandshilfen, inwendigen und auswärtigen Kriegen und Atombomben.
Es ist dort eine große Stetigkeit der Leistung zu beobachten, nachdem sich langsam das mitgeschleppte europäische Golfstromfieber gesetzt hat. Denn drüben liegt man jenseits der unruhigen Wirkung, dort ist das Klima geographisch normal. Zu beiden Seiten des Nordkontinents zumal baut eine kalte Strömung den kalten Wall gegen die Unruhe unnatürlicher Temperaturerhöhung. Man sagt, die Isotherme zwischen 4 und 12 Grad Celsius Jahresmittel verbinde rings um die Erde alle Zentren menschlicher Aktivität, also etwa New York, London, Paris, Hamburg, Belgrad, Tokio, S. Paulo. Wie weit die Klimaregler der Meeresströmungen dabei eine natürlich oder unnatürlich fördernde oder aber hemmende Rolle spielen, wäre der Untersuchung wert. Der Arzt hegt immer dann am meisten Bedenken, wenn der Patient eine nur leichte Abweichung von der Normaltemperatur dauernd mit sich herumschleppt. Übermaß wechselt da leicht mit Lähmung, Heißhunger mit Verzicht zu unrechter Zeit, Laune, Übertriebenheit und Stumpfheit mischen sich abrupt, und diese Unruhigen bringen sich und andere in Schwierigkeiten, so daß eine ständige Kontrolle nicht zu umgehen ist, die, wenn der Betreffende sie selber verliert, notgedrungen von andern übernommen werden muß.
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Was ist dem Fremden heute reizvoll an Spanien? Die Kulturreste der Sarazenen. Was an Westindien und Mittelamerika? Die Reste der Indianerkulturen. Warum deucht den Fremden die Gegenwart überall langweilig trotz aller Autobusse, Luxuskabinen und First Class Grand Hotels?
Du lächelst, Tlaloca! Du meinst, es liegt an den Fremden? An der Unfähigkeit, sich selber ernstzunehmen oder vielmehr, sich selbst zu durchschauen? Sie durchschauen nicht einmal einander trotz aller gegenseitigen Abneigung. Ein ungeheures Gähnen läuft um den Atlantik trotz aller Emsigkeit. Und ebenso ungeheuer ertönt die Stimme eines gigantischen Feldwebels: Eins – zwei! Eins – zei! Zack – zack! Genau im Tempo des fließenden Golfstroms, einen knappen Meter die Sekunde: im Schritt! Ein zwei – ein zwei ...
Ich weiß nicht, Tlaloca, warum das so ist. Aber es ist so. Und darum sprechen wir vorerst besser wieder über die Vergangenheit. Nur einen Augenblick wollen wir noch hinhorchen. Dort droben in den Sphärenströmen fliegen einige Großinsekten mit Überschallgeschwindigkeit. Wie bestaunen wir sie! Welche Fülle sinnreicher, gewagter und genialer Einrichtungen, Schalter und Hebel! Welch waghalsige Piloten! Fast möchte man sie Helden nennen. Sicher sind es brave Jungens. Und tüchtig. Ein – zwei! Ein – zei! Merkwürdig, auf die große Entfernung hin klingt das Düsentempo nicht schneller als das des Golfstroms. Gewiß kommen sie trotzdem rascher um den Erdball, wenn auch nicht so sicher. Manchmal klingt die Feldwebelstimme besonders schneidig. Eins – zei! Ein – zei! Aber das Echo scheint es nicht richtig aufzufassen. Was denn soll das heißen: En – zei, en – zwei? Hallt es etwa wie: Entzwei?
Als die Amerikaner im zweiten Weltkrieg bei uns landeten, fühlten sie sich als Missionare, als die Bewahrer des besseren Teils unseres europäischen Selbst, das freiheitssüchtig vormals unserer Dämonenbrutanstalt entflohen war und sich die Bocks- und Teufelshörner, Abenteuergelüste und Seelenbedrängnisse in den Weiten der Prärien abgeschliffen hatte. Sie schienen mit Behagen die Rolle der heimkehrenden weißen Götter zu spielen. Das ist die gerechte Strafe für beide Teile und zugleich die beste Basis, sich zu verständigen und das Kriegsbeil für alle Zeiten rund um den Atlantik zu begraben. Die Notwendigkeit der atlantischen Ergänzung ist heute jedem Neger klar. Aber keineswegs klar ist, daß die atlantische Lebensader nicht nur von Florida bis London, Calais, Lissabon, Cadix, Bremen, Kopenhagen, Göteborg, Tromsö, Dakar, Mogador, Barcelona, Genua, Stambul und Port Said pulst und auch von Kapstadt bis Recife, sondern auch ums Nordkap herum bis nach Nowaja Semlja.
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Alle Erkenntnisse, seien sie noch so klar, haben ihre Rückschläge. Stimmt es nicht nachdenklich, daß Kolumbus, der eben den Beweis für die Kugelgestalt der Erde erbracht hatte, später behauptete, die Erde sei wie die Brust eines Weibes gebaut, mit einer Warze darauf, das sei das Gebirge von Trinidad? Er hatte diese Insel der Dreieinigkeit gewidmet, nachdem er die Strömung in der Drachenmaul-Enge als so gefährlich erkannt, daß er sie nicht zum zweiten Male aufsuchte. Erotik, mit Gottesfurcht gepaart, hinderte die Spanier nicht, diese Insel restlos zu entvölkern. Sie war so von Verwesungsgeruch und von den Geistern der Erschlagenen erfüllt, daß kein Siedler dort aushielt. So wurde sie für eine Weile der Unterschlupf von Seeräubern. Denn an der gigantischen Klippenkante, dem Antillengürtel der Neuen Welt, brach sich der Gischt des Jahrhunderts. Hier schwemmte in der Atlantikströmung aller Auswurf Europas zusammen und verschaffte der Karibischen See den Namen des Blutmeeres.
Ein Italiener hat jene Gefilde entdeckt und die Pforte aufgestoßen für den unabsehbaren Schwall Menschheit, der sich von da an jahrhundertelang in den neuen Doppelkontinent und seine Landbrücke und Inseln ergoß.
Ein Italiener auch ist der erste Biograph der neuen Gebiete, der am Lago Maggiore geborene Pietro Martire Anshiera, gewöhnlich Peter Martyr genannt. Sechzig jährig, als Prior von Granada die beschauliche Klosterruhe mit geographischen Studien füllend, schreibt er seine berühmten Dekaden, die Chronik des Ozeans und der Neuen Welt. Er ist der erste, der den Äquatorialstrom als solchen nennt und Vermutungen über das Strömungssystem des Atlantiks und seine Ursachen anstellt, die vorgreifend Erkenntnisse äußern, wie sie nach ihm für Jahrhunderte wieder vergessen wurden und erst in neuerer Zeit sich bestätigen sollten. Er vermutet zum Beispiel, daß die Gleicherströmung, passatgetrieben, große Wassermassen an der Brasilienküste aufhäufe, die dann entweder durch irgendwelche Passagen in den Pazifik abflössen oder aber durch das Festland in den Atlantik zurückgeworfen würden, und daraus bilde sich die Ostströmung bei Florida. Und nur diese letztere Annahme, fügt er hinzu, habe Aussicht auf Anerkennung durch die Wissenschaft, weil (es war das Jahr 1518) bislang ein Durchlaß von keinem Seefahrer entdeckt worden sei. Es lohnt sich, hier die Übersetzung einer besagter Chronik voraufgegangenen Briefstelle folgen zu lassen. Sie richtet sich an den königlichen Brotgeber Ferdinand und lautet:
„... da alle spanischen Seeleute einmütig versichern, die See laufe dort von Osten nach Westen, und zwar so schnell wie ein Fluß, der von den Bergen kommt, so halte ich für angemessen, eine so merkwürdige Sache nicht ohne Erwägung zu lassen. Doch finde ich mich, indem ich dies überdenke, in nicht geringe Zweifel und Schwierigkeiten verwickelt und weiß nicht zu sagen, wo jene Gewässer, die so beständig daherfließen, eigentlich bleiben. Sie gehen dahin und kehren nicht wieder, und dennoch wird der Westen nicht von ihnen gefüllt und der Osten nicht geleert. Manche glauben, daß in dem Winkel des großen Landes, das achtmal größer ist als Italien (!), gewisse breite Durchfahrten sein müssen und daß diese Kanäle westlich der Insel Kuba liegen und alle jene Strömungen aufnehmen und in den südlichen Ozean (Pazifik) entleeren und irgendwie in den nördlichen (Atlantik) zurückführen. – Andere aber glauben, der Golf sei geschlossen, und das Land hinter Kuba rage weit nach Norden hin bis an die Gegenden, die am Nordpol von der gefrorenen See umgeben sind, und alle diese Gebiete seien als ein einziger Kontinent unter sich verbunden. Diese Leute vermuten auch, daß die besagten Meeresströmungen durch den Widerstand des Festlandes gebrochen und nach Norden herumgebogen würden, ganz so, wie Flüsse sich biegen und winden ...“
Das sind Erleuchtungen eines begnadeten Erkenners. Man bedenke, es war keine fünfundzwanzig Jahre her, seit Kolumbus das Eiland Guanahani gesichtet und es mit dem Namen des Erlösers, San Salvador, belegt hatte. Die Vorstellung von den Entdeckungen, deren Ausmaß Kolumbus nie geahnt, beruhte auf wenigen weit verstreuten Landepunkten. Es ist kein Wunder, wenn der romanische Gelehrte und Geistliche, erschreckend vor so viel Licht, an seinem Studiertische in eine Ansicht zurückfällt, die seit dem Altertum gebräuchlich war, nämlich, daß die Gewässer immerfort durch die beständigen Impulse der Sphären rund um den Globus der Erde herumgetrieben werden.
Aber näher besehen, ist diese Ansicht höchst modern. Die Erforschung der Sphären von heute hält sich allerdings an die Grenzen der Atmosphäre, aber dort hat man allerdings gewaltige Impulse festgestellt, die sogenannten Sphärenströme, deren Einfluß auf die meteorologischen Erdverhältnisse noch letzter Erforschung bedürfen. Und wenn man als höchsten „Impuls“ der ganzen Strömungssysteme, der atmosphärischen wie der ozeanischen, die Sonne annimmt, so wäre ohne Zweifel ein restloses Verständnis zwischen Peter Martyr und einem Ozeanographen der Gegenwart möglich.
Peter Martyr ist auch der erste gewesen, der den Ausdruck „Neue Welt“ für das vermeintliche Indien des Kolumbus anwandte. Diese Erkenntnis eines Begriffes sondergleichen ist schon in einem Briefe vom 1. November 1493 niedergelegt.
Der Name Amerika aber kam so zustande: Ein Strauchritter und Selbstverherrlicher namens Amerigo Vespucci, gebürtiger Florentiner, der sich eine Zeitlang als eine Art Reklamechef für Kolumbus betätigt hatte, ging 1499 selber ein wenig an Bord, um sich, nachdem die Pfade erkundet waren, in Honduras und Brasilien kräftig am Gold-, Perlen- und Menschenraub zu beteiligen. Er hielt die Neue Welt durchaus noch für Ostindien, betrieb alle Schandtaten der Eroberer nach Herzenslust mit, nannte sich „Chefpilot des Indienamtes“ und gab Schilderungen seiner Reisen in Briefen, die man fast als die ersten journalistischen Berichte bezeichnen möchte, so übel der Verfasser auch ist. Der Empfänger in Florenz sorgte für die Verbreitung. (Von Kolumbus war nur ein einziger Brief an den spanischen Hof bekannt geworden.)
Radolfzell am Bodensee hat die Ehre, der Geburtsort zu sein für den Mann, der Amerika getauft hat. Wie heute noch die Radolfzeller Jünglinge, die weiter wollen, studierte Martin Waltzemüller (um sich besser ins Lateinische übersetzen zu können, schrieb er sich auch Waldseemüller) in Freiburg im Breisgau. Die Nachricht von der Entdeckung einer neuen Welt platzte damals in die Hörsäle. Wer nur irgend den Nerv dafür hatte, warf sich auf Geographie und Kartographie. Als im nahen Lothringen am Hofe des Herzogs René II., wo man sich seit Jahrzehnten mit allerlei schönen und nützlichen Künsten befaßte und Malerei, Gesang und Gärten pflegte wie die Kenntnis der weiten Welt, eine Stelle für moderne Erdkunde frei wurde, bewarb sich der junge Gelehrte und lebte von der Zeit an in St. Dié. Hier strömte die neueste Literatur über die Entdeckungen zusammen, und auch die Auslandsberichte des Amerigo Vespucci gelangten in Abschriften in die Vogesen. Waldseemüller war äußerst angetan von den „Quattuor navigationes“, den „Vier Seereisen“, und meinte, in dem Schreiber den wahren Entdecker der „Terra firma“, des neuen Festlandes, zu begrüßen. Er fügte im Jahre 1507 seiner „Einleitung in die Weltkunde“ eine Übersetzung und die Bemerkung hinzu, daß man die Neue Welt deshalb „Amerige, gleichsam Amerigos Land oder America nennen solle; haben doch auch Europa und Asia ihre Namen aus weiblichen Formen gebildet“. Doch beschränkte er den neuen Namen auf den Südkontinent.
Er ahnte nicht, daß er, der Waldseemüller, sich in die große atlantische Mühle geschaltet und einen kleinen Irrtum, einen kleinen Blender und einen großen Undank in den ungeheuren Mahlgang geschüttet hatte.
Dennoch kann Amerika sich beglückwünschen, daß der Radolfzeller Professor musikalisch genug war, den Vornamen zu wählen. Aus dem Nachnamen hätte die Folklore womöglich Westputschia oder Wegputzia gemacht.
Erst Gerhard Kremer, der Flame, der sich in Mercator verlatinisierte, hat den Namen Amerika für beide Kontinente ab 1537 auf seine bekannten Kartenwerke gesetzt. Seine berühmteste Karte wurde die „Weltkarte zum Gebrauch der Seefahrer“ aus dem Jahre 1569. Sie bietet in ihrer „winkeltreuen Zylinderprojektion“ der Erdrundung die Möglichkeit, direkte Kurse nach ihr zu steuern, obwohl Grönland durch die Streckung der Grade darauf so groß ist wie Afrika.
Daß diese Karte nirgends an der Küste oder etwa in Antwerpen, Amsterdam, Rotterdam oder Hamburg entstanden ist, sondern in Duisburg, gibt diesem größten Flußhafen der Alten Welt eine besondere atlantische Beziehung. Die Seefahrer bedienen sich der Mercatorprojektion noch heute, aber es hat lange gedauert, bis sie ihr trauten. Seefahrt ist langsam. Wohl ist der fettige Zopf einer Zeitmode längst abgeschnitten, aber der lästige Nackenkragen, der die Uniform schützen sollte, besteht bei gewissen Marinen noch immer.
Die Angaben Waltzemüllers wurden unbesehen sogar von Leonardo da Vinci geglaubt und verliehen dem Nachtraber und Geier Vespucci die Unsterblichkeit. Sein voller Name prangt heute an einem italienischen Segelschulschiff. Vergeblich versuchte der Arzt und Freigeist Serveto die Wahrheit durchzusetzen. (Er hat übrigens einen anderen „Golfstrom“, den Lungenkreislauf, entdeckt.) Er riet auch, die kirchliche Dreifaltigkeit Gottes, die ihm heidnisch dünkte, zu ihrer kosmischen Einheit und Einzigkeit zurückzuführen. Darum mußte er vor der Inquisition aus seiner spanischen Heimat fliehen, geriet aber zu Genf in die ebenso unerbittlichen Fänge des Franzosen Jean Caulvin, der sich als Eidgenosse fühlte und Calvin nannte und den Gerechten verbrennen ließ.
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Was war nun inzwischen beim Ausbau der westindischen Entdeckungen geschehen? Da waren erst einmal wieder zwei italienische Kapitäne, die Cabots, Vater und Sohn. Sie hatten zu Bristol bei englischen Reedern angemustert und suchten in deren Auftrag seit 1490 den Seeweg nach Katai-China. Peter Martyr berichtet, John Cabot sei 1497 an der „Baccalaos-Küste“ (portugiesisch Bacalhão, englisch Cod, deutsch Kabeljau) auf eine nach Südwesten gerichtete Strömung gestoßen, die sanfter sei als die, welche die Spanier im Süden auf ihren Reisen benützten. Es handelt sich um den Ausläufer des Labradorstroms, der sich zwischen die nordamerikanische Küste und den Golfstrom schiebt und den Namen der beiden Seefahrer trägt. Daß die Cabots ab Kap Hatteras auf dem Golfstrom nach Hause segelten, wird zwar nicht erwähnt, aber es scheint allzu selbstverständlich gewesen zu sein. Leider sind die sorgfältig geführten Schiffstagebücher der beiden trefflichen Seefahrer durch Feuer vernichtet worden, ehe neugierige Wissenschaftler hineinblicken konnten.
Der Sohn Sebastian Cabot brachte es bis zum Commander des gesamten damaligen Seewesens Britanniens. 1555 regte er einen Ausflug der Merchant Adventurers („Abenteuernde Kaufleute“ wäre eine gemäßere Übersetzung als die gängige, „Kaufmännische Unternehmer“) gen Norden und Osten an, nachdem die Vorstöße über West keine Durchfahrt nach Asien ergeben hatten. Schon während Kolumbus noch lebte, waren seine Behauptungen, Asien angelaufen zu haben, stark kritisiert worden, und man wußte längst, was von der Entdeckung zu halten war.
Sebastian Cabot, damals schon weit über achtzig, kam mit der Handelsflotte nur bis Archangelsk und starb auf der Reise. Wie weit das eisfreie Wasser so hoch hinauf in Verbindung gebracht wurde mit der so unendlich fernen Floridasee, ist nicht überliefert. Aber zwischen England und Rußland entwickelte sich alsbald ein flottes Geschäft in Pelzen und Bauholz gegen Eisen- und Töpferwaren.
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Um Florida herum war man inzwischen auch nicht müßig gewesen. Über die Strömung dort hört man zum ersten Male durch den Spanier Ponce de Leon.
Er segelte 1513 von Puerto Rico ab, querte den Strom nördlich Kap Canaveral, das er Cabo de Corrientes, Kap der Strömungen, taufte, und wandte sich südwärts zu den Tortugas. Wir besitzen eine Stelle darüber aus dem echten Schiffstagebuch dieser Reise: „Indem wir gen Süd hielten, dabei etwas mehr von der Küste abkamen, gewahrten wir am 22. April von allen drei Schiffen aus eine Strömung, gegen welche wir nicht ankonnten, obwohl der Wind achterlich war. Es sah allerdings so aus, als kämen wir voran, wir erkannten aber bald, daß wir trotz geblähter Segel zurückgetrieben wurden und der Strom mächtiger war als der Wind. Zwei der Schiffe, die etwas näher der Küste lagen, konnten Anker werfen, aber die Strömung war so gewaltig, daß sie das Ankertau erzittern ließ. Das dritte Schiff, mehr seewärts segelnd, fand keinen Ankergrund. Es wurde fortgerissen und entschwand unserer Sicht, obwohl der Tag ruhig und hell war ...“
Der nautische Offizier des Ponce war Alaminos. Dieser tüchtige Seemann wurde in den folgenden Jahren der kenntnisreiche Lotse der spanischen Flotten in den Gewässern des mexikanischen Golfes und der Floridastraße. Er wurde auch der Obersteuermann des berühmt-berüchtigten Cortez. Und seinen Mitteilungen verdankte die spanische Marineleitung die Grundlage einer ersten „Segelanweisung“ für das neue „Mittelmeer“. Darin wird gesagt, man könne die Karibische See, mit der Strömung fahrend, der ganzen Länge nach in vier bis fünf Tagen durchsegeln. Der Rückweg aber sei so mühselig, als ob die Schiffe einen Berg hinauf und gegen die Kraft Neptuns selber ansegeln müßten.
Peter Martyr, der auch dies berichtet, war ein Weltmann jenen Grades, wie Spanien ihn hin und wieder hervorbrachte oder nährte (etwa vom Format eines Ortega y Gasset). In der Universität hörten siebentausend Studenten seine Vorlesungen über Juvenals Satiren, die allerdings geeignet waren, den abendländisch-nationalen Hochmut zu fördern und den werdenden Konquistadoren unter den Hörern das nötige moralische Rüstzeug zur Behandlung der „Heiden“ zu liefern. Der Eingang zum überfüllten Hörsaal war meistens so verstopft, daß der Professor über die Schultern der Hörer zum Katheder gelangen mußte. Die Begierde nach Wissen schwoll unaufhaltsam wie die Gier nach Gold und Macht. Alles war im Neubeginn: Erdkunde, Mathematik, Medizin, Astronomie, Philosophie und Politik. Man hatte sich zu Spanien das Feld frei gefegt, man hatte unter Zitieren der jüdischen Propheten und Psalmensänger deren Nachfahren vertrieben und ausgerottet, genau wie die Mauren, und schämte sich nicht, beider Wissen und Überlieferungen mit den römisch-griechischen zu einem schmackhaft abendländischen Brei zu verrühren. Daß der Golfstrom die nötige Mischungsflüssigkeit dazu lieferte, war keinem bewußt.
Auch nicht, als Alaminos als erster über eine Heimfahrt auf diesem geheimnisvollen Strom berichtete. Sein Flottenchef, der ehrgeizige amtliche, doch behutsame Großräuber Cortez, wünschte 1519, seine hinter Vera Cruz gemachten Goldfunde „per Eilboten“ der spanischen Majestät anzuzeigen. Bisher waren alle heimkehrenden Schiffe dem alten Kolumbuskurs zwischen Haiti und Kuba der Windward Passage gefolgt. Ungerechnet aber, daß auf den Inseln einige ausgepichte Neider des Cortez lauerten, begierig, seine Nachrichten abzufangen und zu hintertreiben, sah Alaminos eine bessere Gelegenheit. Er wagte den Vorstoß um Kuba herum durch die gefürchteten Engen der Korallenbänke an den Bahamas hin – von denen Kolumbus anscheinend hinreichend Ahnung gehabt hat, um sie wie die Pest zu meiden. Er segelte mit dem schnellsten Schiff der Flotte am denkwürdigen 26. Juli 1519 zum bekundeten ersten Male durch die Floridastraße und weiter auf dem Rücken des Golfstroms durch das „weite und endlose Meer“ (wie der spanische Geschichtsschreiber Herrera, sich auf den Augenzeugen Las Casas beziehend, äußert). Alaminos gelangte an den Azoren vorbei in zwei Monaten nach Spanien, was damals als schnelle Reise galt.
Von jenem Datum an war der Golfstromweg als der bequemste Heimweg von Westindien nach Europa in Gebrauch. Obwohl die Klagen über Stürme auf dieser Strecke nicht aufhören. Und da nach wie vor der Gleicherstrom mit seinen stetigen Passatwinden an den Kanaren vorbei die beliebte Anfahrt blieb, war zum ersten Male öffentlich der atlantische Strömungskreis zur Handelsstraße erhoben. Dieser natürliche Zirkel der Schiffahrt bildete, solange Segel sich blähten, die große dienliche Route zwischen der Alten und der Neuen Welt, den Golfstromweg. Das schließt nicht aus, daß er oft wegen seiner Tücken (zumal auf der Rückfahrt) geschmäht, ja mißachtet und vergessen, doch immer wieder neu entdeckt und gepriesen wurde und bis in unsere Dampfer- und Turbinentage nie ohne Respekt genannt und noch heute selbst von den modernsten Luxusriesen bei jeder passenden Gelegenheit zur Verbesserung des Etmals, das heißt der getätigten Tagesmeilen, herangezogen wird.
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Es sei erwähnt, daß bald darauf auch die Strömungen jenseits der großen „Barre“ von den Spaniern erkannt und benutzt wurden. Andres de Urdanete wurde der erste abendländische Lotse des Stillen und des Indischen Ozeans und segelte als erster, nachdem man die Gleicherdriften gen Indien und China schon lange kannte, mit dem Japanstrom, dem Kuro-Schio, nach Amerika zurück.
Die Stromverhältnisse diesseits wurden der Seefahrt bald so vertraut, daß lange keine Worte mehr darüber verloren wurden. Daher findet man bei den Geographen, die damals wie die Maler noch „im Atelier“ arbeiteten und die Freiluft erst entdecken sollten, an die zweihundert Jahre lang kaum noch eine Erwähnung der atlantischen Strömungen. Das ganze Augenmerk ist auf die Länder, auf die Abrundung der Entdeckungen gerichtet, und jedes Jahr gelangen atemberaubende Nachrichten von neuen Unerhörtheiten auf dem Golfstromwege ins alte bebende Europa. Einer der wildesten Raubteufel namens Soto, den Ämtern daheim schier unentbehrlich, drang gierig den Mississippi aufwärts, aber er kam nicht wieder.
Ein paar Sonnenminuten südlicher kann Expeditionen das noch heute passieren. 1953 verscholl eine Gruppe Wissenschaftler von zwanzig Mann, die sicher friedlichere Absichten verfolgte als Soto, zu Guatemala im Flußlauf des Motagua spurlos. Von einer Nachsuche hat man nichts gehört. Man vermutete bei den Teilnehmern sicher keine Geheimpläne über Goldminen und Tempelschätze, wie etwa bei jenem „Mehrer der Krone“ Soto, nach dem man viele Jahre vergebens forschte. Immerhin fand man statt seiner unermeßliche Landstrecken, nichts als Land von Yukatan bis Labrador.
Schon 1559 kann der Historiker Oviedo eine erstaunliche Schilderung der ganzen nordamerikanischen Festlandküste darbieten. Von den Meeresströmungen erwähnt er keine Silbe. Und die Hydrographen behaupten – aller seemännischen Erfahrung zum Trotz –, alle Meerwässer eilten beständig vom Pol dem Äquator zu, da – wie schon Albertus Magnus bezeuge – der Norden höher sei und mehr Wasser anhäufe als der Süden, wo die Sonne viel Wasser verzehre.
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Immer hat auch die Schöne Literatur eine Rolle im Getriebe der Staatsmaschinen gespielt, ohne daß die Hebeldreher und Heizer es ahnten, so wenig sie die wahre Golfstromfeuerung ahnten. So war die eigentliche Bibel der Konquistadoren der Ritterroman „Amadis“. Im Jahre der Entdeckung Amerikas bearbeitete der Spanier Montalvo drei schon vorhandene Bücher und fügte ein viertes hinzu. Die Ursprünge liegen im Keltischen, im Schatten des Golfstroms, in der Irischen See auf der Waliser Insel Anglesey. Dort wurde der Typ des ritterlichen Liebhabers geprägt, der bis heute durch kein anderes Ideal zu ersetzen war, es sei denn etwa durch ... Tarzan, dessen Abenteuer sich ähnlich als buchgängig erwiesen wie jene des Amadis und auf ähnlicher „Gebärde“ beruhen, auf der Sucht, muskulöse Untaten mit bonbonfarbenen Flören zu kaschieren. Im Laufe des Jahrhunderts der „Landnahme“ wuchs die Bändezahl des Amadis auf vierundzwanzig und lockte als positives Ergebnis den Spott eines Cervantes in die Weltliteratur. Die Redewendungen der Militärführer und Kriegsberichterstatter seit Bernal Diaz, dem wackeren Feldwebel des Cortez, wirken, zumal wenn es sich um Dinge wie Tapferkeit, Ruhm, Ehre und Treue handelt, wie direkte Entlehnungen aus dem Amadisschwulst, der sich in zahllosen Übersetzungen über das ganze Golfstromgebiet verbreitete und bis in die heutige amtliche Journalistik hinein gespenstert.
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Obwohl die Spanier eifersüchtig ihre angemaßten Rechte auf die neuen Entdeckungen zu monopolisieren suchten und keine Gewalt scheuten, andre von den Ausbeutungen fernzuhalten, wurde der Golfstrom bald die Straße der Freibeuter aller Nationen, die Helgen für Weitfahrschiffe besaßen. Was hatte es der grausamen Saugpumpe Spanien viel genützt, sich mit den Metall- und Steinwerten der unglücklichen Kariben, Azteken, Tolteken und Mayas die Staatssäckel zu füllen? Es war alles in den Wind gegangen, vergeudet nicht einmal in Denkmalen üppiger Baukultur, sondern verschlampt im Negativsten, was es gibt, in Krieg und Massenmord.
Mag sein, daß der Golfstrom magisch die Schätze zurückgeschluckt hat, zu deren Raub er verführte.
1524 erschienen die Franzosen in Westindien selber, geschickt von Franz I., um zu sehen, was mit Liebe oder Gewalt abzubeißen sei vom vollen Tisch der Spaniolen. 1538 raubten sie Habana aus, jene nahrhafte Gründung am „Ausfall“ des Golfstroms, in der lange Zeit Diego Colon, der legitime Sohn des Entdeckers, den ererbten Titel Admiral von Indien geführt und als Statthalter und Vizekönig eine Pfründe verzehrt hatte, indem die Proviantlager, Ausbesserungswerften und Steuereinnahmen ihm unterstellt waren. Auch warfen gelegentliche Razzien in den Hafenkneipen und Bordellen der Behörde manchen Beutel geschmuggelten Goldstaubs und manches unverzollte Schmuckstück ab, das sich den skrupellosen Raubfingern der Soldateska selbst in den Totengruben der indianischen Heiligtümer und Opferstätten nicht hatte entziehen können. Diego starb, kaum fünfundvierzig Jahre alt, in einem spanischen Hospital an der Lues.
Es soll hier angefügt werden, daß Fernando, der Illegitime, nichts geerbt und empfangen hatte an Würden außer dem schon im Welken begriffenen Adelstitel Don. Er hatte mit dreizehn Jahren den Vater auf der letzten Reise begleitet. Anstatt zu nehmen, sammelte er später die wahren Schätze jener Zeit, die Dokumente zur Geschichte der Entdeckungen, die er dann nicht dem Staat, sondern den Dominikanern vermachte.
Nachdem die französischen Marodeure die ganze, aus bestem Pitchpine gebaute Ansiedlung der späteren Zigarrenstadt samt allen Slips, Budiken, Werften und Zollgebäuden niedergebrannt hatten, legten sie längs der Golfstromküste eigene Raubnester und Niederlassungen an, was den Spaniern nicht wenig mißfiel, hatten sie doch immerhin ein Privileg des Papstes vorzuweisen – Kaufpreis sieben Millionen Goldpeseten – für sämtliche Landentdeckungen nördlich des Amazonas, woran sich zu halten die übrigen Nationen genau so wenig Lust zeigten wie heute in gegebenen Fällen bei den Weisungen der UNO.
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Hat das Christentum versagt? Die Frage müßte wohl lauten: Haben seine Lehrer und Verweser versagt? Der spanische Dominikaner Las Casas, einer der aufgeklärtesten Menschen seiner Zeit, dem die menschliche Kreatur erbarmenswert schien ohne Unterschied des Glaubens oder vielmehr der Glaubensformeln, sah empört, wie die Neue Welt von Raubmördern, Folterknechten, Steuereinnehmern und Sklavenhaltern besetzt wurde. Er sah auch, daß die Priester, die ihnen beigesellt wurden, allzusehr Angestellte des Staates oder zumindest des Kirchenstaates waren, um mildernd genug einzugreifen. Oft bestand ihre Hirtentätigkeit nur darin, die Zwangsvollstreckungen zu segnen und den gemarterten Delinquenten – denen weiter nichts vorzuwerfen war, als daß sie keine Goldschätze zu verraten hatten – ein Lippenbekenntnis wenigstens zur goldenen Glorie des Heilandes abzuzwängen und, wenn nicht anders, den noch zuckenden Leichnam mit Taufwasser zu besprengen, in der befriedigenden Überzeugung, dem Himmel wieder eine Seele gerettet und das Tagespensum an guten Werken absolviert zu haben. Einer der Heiden hatte, schon unter Bewachung am Taufbecken angetreten, den Mut gefunden zu fragen, ob er denn seine neuen „Freunde“ in dem ihm in Aussicht gestellten Paradies wiedertreffen würde. Auf das brusttönende „Aber gewiß doch!“ soll er vorgezogen haben, sich ungetauft schlachten zu lassen. Der schlicht menschliche Betrachter wird gern bereit sein, die christlichen Symbole zu achten, und sie jedem nach Gebühr gönnen wie auch die göttliche Gerechtigkeit, die sicher nicht verfehlen wird, jene armen Seelen aller Kolonisationsopfer beim Jüngsten Gericht geschlossen gegen ihre Peiniger samt deren Ordensassistenten auftreten zu lassen.
Die Übersättigung der karibischen Provinzen mit Priestern hat übrigens in den Jahrhunderten ihren Rückschlag erfahren. Noch heute kommt in Spanien auf je neunhundert Einwohner ein Geistlicher, etwa soviel wie in Westdeutschland. In Mittelamerika ist es einer auf fünftausend.
Indes in Übersee die Ausbeutung und Ausrottung der eigentlichen Besitzer und ihr Ersatz durch afrikanische, brutal entheimatete Neger einer ozeanischen Sättigung der so überheizten wie gedrosselten Berserkernatur des Abendländers zustrebte, barsten auch in den Mutterländern die Ventile.
Die Bartholomäusnacht zu Paris ist nur ein Beispiel dafür. Der französische Admiral Coligny hatte in spanischen Gefängnissen die Inquisition und ihre Lenker hassen gelernt. Er wurde nach seiner Flucht Kalvinist und trat an die Spitze der von der Schweiz ausgegangenen Bewegung in Frankreich. Deren Anhänger erhielten den Spottnamen „Eidgenossen“, der französisch verbalhornt wie „Ügnotten“ klingt, was man gebildet „Hugenotten“ schreibt. Die Geschichte wandelte die Beschimpfung in einen Ehrentitel.
Nun war Coligny ein Haudegen wie andere und gedachte die christliche Nächstenliebe und die Achtung vor dem Eigentum Schwächerer keineswegs in die Politik zu übernehmen. Er ermaß die Gelegenheit, dem verhaßten spanischen Nachbarn, der so wenig Vorbildliches mit den ergatterten Ländern anzufangen wußte, den Raub abzujagen und – zum Ruhme Frankreichs – die fanatischen Greuel der Kirche drüben durch kalvinistische Strenge zu ersetzen.
Gerade regierte in Frankreich eine Frau. Deutschland hat derlei nie erlebt, ohne doch besonders betrübt darüber sein zu müssen. Immer haben sich jene europäischen Herrscherinnen als wahrhaft golfische Verkörperungen erwiesen. (Als deine Inkarnation, Tlaloca.) Meistens war der Strudel der Geschichte mit gewaltigem Kochlöffel umgerührt und mit magischem Kamme durchfurcht, wo Weiber auf dem Throne saßen.
Doch ist die Frage, ob es nicht einer natürlichen Ordnung gemäß sei, Völker – wie bei den vorbildlichen Bienen – durch Königinnen zusammenzuhalten. Es scheint, daß gerade England damit gute Erfahrungen gemacht hat.
Zu Paris war es Katharina, ein Sprößling der Florentiner Bankierfamilie Medici. Sie war anfangs so begeistert von Colignys Triumphplänen wie Elisabeth zu London von Drake und wie Isabella – es war schon eine Zeit her – von Kolumbus, genannt Cristobal Colon. Doch bald ließ sie sich von ihrem Beichtvater das Fegefeuer heizen, das zu löschen kein Golfstrom reichen würde. Sie merkte nebenbei, daß der aufgeklärte Admiral auch politisch vom schweizerischen Geist genossen und dem absoluten Monarchismus keine Ewigkeitsdauer prophezeite.
Wo Fortschritt in der Luft spukt, sprießen die Gegner wie Löwenzahn. Katharina hatte einen Sohn von mäßiger Begabung. Und der Sohn hatte einen Freund, den Herzog von Guise, einen Ehrgeizling, der rein aus Gegensatz zu dem Marinegünstling für Spanien schwärmte. Der unbedarfte Jüngling schwärmte mit und ließ sich das alleinseligmachende Gottesgnadentum wie Honig um den kaum keimenden Bart wischen. Er war erst dreizehn Jahre alt.
Coligny aber nahm den Dauphin beiseite und gewann sichtlich Einfluß, indem er von den Meeren der Welt, vom Segeln im Passat und von den Wundern der fernen Inseln erzählte, die der leuchtenden Grande Nation viel besser in die Embleme passen würden als dem Finsterling Philipp.
Fast wäre ganz Frankreich protestantisch geworden.
Aber Katharina fand inzwischen den kalvinistischen Gottesdienst reichlich schmucklos, war auch nicht sicher, ob sie, wegen einiger mediceischer Schandtaten nicht ganz reinen Gewissens, auf die Liste der auserwählten Himmelsanwärter und prädestinierten Gnadenempfänger gehören würde. Die römische Kirche war darin großzügiger als die „Eidgenossen“. Somit nahm auch sie den Knaben beiseite. Es war mitten in den Hochzeitsvorbereitungen für seine Schwester, die ausgerechnet einen Protestanten heiraten wollte. Ein Wagen nach dem andern mit den besten Familien des Landes (alles Reformierte) war schon in der Hauptstadt eingetroffen. Die Hotels waren überfüllt, und auch privat blieb kein Bett unbelegt. Gerade trat der Beichtpater ein und legte stillschweigend die Liste der Angekommenen auf den Tisch. Säuberlich war hinter jedem die Anschrift verzeichnet, die ja zugleich den Namen der ebenfalls „abtrünnigen“ Gastgeber enthielt.
Katharina zögerte. Sie ließ die prächtige Feier verstreichen. Gut so! lächelte der Pater. Jetzt sind alle in Sicherheit gewiegt. Keiner will Paris verlassen, ehe die Woche der Feste zu Ende ist.
Genügt nicht der eine? fragte Katharina schaudernd.
Der Admiral? Vielleicht.
Aber Coligny war auf der Hut. Er erledigte die gedungenen Mordbuben und begab sich mit ihren abgeschnittenen Zungen zur Königin. Er warf die blutigen Fetzen vor ihr auf den Tisch, lachte verbindlich, sagte, er wolle den Frieden und keinen Aufruhr, und er wolle stumm sein wie diese Schurkenzungen, solange die Paraden und Feuerwerke und Tanzmusiken währten. Wenn aber nur das Geringste an Anschlag noch einmal passiere, werde er das Nötige veranlassen.
Katharina faßte sich, dankte ihm, daß er schweigen wolle, tat im übrigen, als wisse sie von nichts, versprach jede Nachforschung und Genugtuung, ließ die Zungen abräumen und begab sich zu ihrem Sohne, den sie schon fast umgestimmt fand, in wohlwollendem Geplauder mit dem Guiser Herzog. Es war nicht schwer, den Knaben davon zu überzeugen, daß man einer Dame nicht derartige Geschmacklosigkeiten auf den Tisch werfen dürfe und auch, daß der Hof in höchster Gefahr stehe.
So kam es zur Bluthochzeit, sechs Tage nach der glorreichen Vermählung – in der Nacht nach St. Bartholomäus, der nicht nur Patron der Fischer ist und in jenem sagenhaften Indien, um dessen Schätze es letzten Endes ging, lebendig gehäutet wurde, sondern auch Patron der Metzger. Jeder gute Katholik war verständigt und wurde in jener Nacht zum 24. August 1572 zum rasenden SS-Mann. Es war eine Vorübung für die Septembermorde runde zweihundert Jahre später. Die Pariser Bevölkerung zeigte, was sie vermochte, wenn es galt, amtlich sanktioniert im Blute zu wühlen. Was die spanische Inquisition mehr auf Schleichwegen betrieb, das wurde hier auf einen Hieb geleistet. An die zweitausend Hugenotten mußten auf scheußlichste Weise daran glauben. Und wie ein golfisches Feuer fraß die Mordlust um sich. In wenigen Tagen häuften sich zwanzigtausend zerfetzte Leichname in den Straßen der Provinzen. Wie bezeichnend für den europäischen Geist „jener Zeit“ ist die schlichte Bemerkung des „Brockhaus“ zu dieser Sache: „In der katholischen Welt rief die Bartholomäusnacht großen Jubel hervor.“
Immerhin wurde durch diesen Jubel La France in die Schmach und den Wahnsinn eines jahrhundertlangen Bürgerkrieges gestürzt, dem seine besten Geister zum Opfer fielen. Und so ähnlich war es überall im golfstromgeheizten Europa, wo man Sprechen und Schreiben nur dazu gelernt zu haben schien, um giftig aneinander vorbei zu pamphletisieren und sich um bloßer Worte willen die Schädel einzuschlagen, obwohl derselbe Begriff dahinter stand, der des armseligen Menschen und seines Hochmuts. Ein Grad zuviel an Temperatur brachte das Blut zum Sieden und die Scheiterhaufen zum Entflammen, und keine Gemeinheit, Folterei und Henkersroheit war zu höllisch, um nicht die Rechthaberei glorios zu krönen, hie wie da mit dem Schein höherer Weisung und Belohnung. Wenn nach Grillparzer ein gerader Weg vom Nationalismus zum Bestialismus führt, so nicht minder vom Konfessionalismus jeder Art. Der bohrende K-Typ Luther hatte die Morschheit des Jahrhunderts erkannt, und das Fegefeuer war schon auf Erden über alle gekommen, und kein atlantischer Hauch brachte Kühlung, so sehr die Sehnsucht wuchs, sich an ihm zu erquicken.
Coligny, dem gekrönten Weibe nie ganz trauend, hatte schon 1562 seinen Kapitän Ribault an die nordamerikanische Küste geschickt, um dort Siedlungsmöglichkeiten für eine Hugenottenkolonie zu erkunden. Und Ribault segelte als erster einen ungewöhnlich geraden Kurs von Le Havre über die Azoren und die Bermudasinseln, was vermuten läßt, daß der Golfstrom damals weniger geschlossen und fühlbar ihm entgegentrat, sondern sich weit ausgebreitet hatte und in breiter, sachter Front ganz Europa umspülte. Der Kapitän erreichte ohne Schwierigkeiten die Gegend nördlich Florida, die er flugs Neufrankreich taufte. Von Kap St. Roman segelte er dann auf dem Golfstrom heim.
Wirklich kamen dort in der Neuen Welt die ersten Freistätten der Verfolgten zustande. Aber Admiral Menendez sah nicht lange untätig zu und vernichtete bald zu Ehren der Jungfrau Maria und der spanischen Finanz die ganze Anstrengung.
*
Beschließen wir den Blick auf die europäische Innerlichkeit und Innenpolitik jener Tage mit einem Intermezzo freundlicher Art. Es mutet an wie eine samtene Golfstromnacht zwischen zwei Orkanen querab Blackbeards Island. Die blutige Katharina Medici soll ein paar Jahre nach jener Schreckensnacht an der Seine ein paar Bußpsalmen bestellt haben. Die Medicis hatten schon immer eine Ahnung gehabt von der Reinigungskraft der Kunst. Als Komponist kam selbstredend nur der zu seiner Zeit berühmteste in Betracht, Orlando di Lasso. Und wenn auch kein Engelschor und kein Orgelspiel der heiligen Cäcilie selber das von zweiundzwanzigtausend Ermordeten befleckte Gemüt der Grande Dame rein zu waschen imstande gewesen wären, so entstanden doch sieben Psalmvertonungen, die – als gebe es dennoch einen Ausgleich aller Missetat durch das schöpferische Genie – „sieben granitene Gipfelwerke ewiger Tonkunst“ darstellen (so sagt der Musikkenner Hans Joachim Moser).
Dieser Meister di Lasso hieß, bevor Kaiser Maximilian ihn geadelt hatte und er Münchener Hofkapellmeister geworden, Roland Lass und war geborener Flame. In Rom – alle Musikstudenten strebten damals nach Rom – wurde der junge Musiker von einem Kapellmeister und französischen Geheimagenten dazu beschwatzt, sein hübsches Talent in den Dienst einer diplomatischen Aufgabe zu stellen. Er reiste mit ihm nach London, wo denn Lassus – jetzt hieß er schon Lassus – eine wunderbare Komposition mit Gesang und Orchester bis zu den Ohren der Königin Maria weitergereicht sah. Leider ist sie nicht erhalten. Sie soll eine machtvolle Anklage gegen Philipp den Finsterling aufs eingängigste zu vertonen gewußt haben. Durch die Macht der Töne sollte nämlich eine drohende Angelegenheit hintertrieben werden: die Heirat der – ebenfalls – finsteren Maria (sie hatte gerade dreihundert Protestanten auf den Scheiterhaufen geschickt) mit dem spanischen Infanten.
Die Antihymne aber zündete nicht. Die beiden Hochzeitsentbitter mußten froh sein, sich von einigen musikliebenden Lords ohne Kommentar nach Antwerpen verfrachtet zu sehen. Dort widmete der Tonmeister seinen verschmähten Erstling, wahrscheinlich mit leichter Textänderung, dem Staatssekretär Kaiser Karls V., Granvella, späterem Ministerpräsidenten Philipps II. Denn alle Kunst ist politisch blind und lebt, so sie wirklich Kunst ist, auch unter geändertem Vorzeichen fort, wie etwa die Eroica Beethovens, die später nicht mehr Napoleon gewidmet war.
Die nicht verhinderte Fusion der beiden Golfstrommächte Spanien und England, der welkenden und der werdenden See- und Kolonialmacht, währte nur vier Jahre. Maria starb erbenlos. Ihre Nachfolgerin in England war Elisabeth, die erste große Protestantin Europas, die, gestützt auf die freizügigen Handelsinteressen ihrer Hafenstädte und ihnen hold und von ihnen finanziert, Nebenbuhlerinnen geringeren Horizontes umbringen ließ, die Admiräle erzog und sie belohnte oder erledigte, je nach Verdienst, und die große Golfstromepoche Englands einleitete, die Zeit des englischen Empire, deren Strömungssystem die Welt umfassen sollte.
*
Merk auf, Europäer!
Sieh dein Gesicht
im Spiegel der Geschichte,
erschrick und geh in dich
und geh dann heraus aus dir als ein andrer,
als einer, der weiß und der darum
nachdenkt
und sein Handeln mißtrauisch
und lenkend besser beachtet
von nun an!
Daß Mächte unwägbarer Kraft
dein Maß seit je dir überfüllen,
das wisse!
So sieh deine Aufgabe,
schwerer ist sie als sonst in der Welt,
den Einfluß zu dämmen,
der unsichtbar ist!
Auch dies ist Hypothese?
Vielleicht.
Denn das Gültige fließt
und ist schwer zu fassen.
Sieh sie dir an, die großen Europäer,
wenn dir dein Antlitz zu unbedeutend dünkt:
den Griechen Platon,
den Juden Paulus,
den Italiener Dante,
den Portugiesen Camöes,
den Spanier Cervantes,
den Engländer Shakespeare,
den Franzosen Voltaire,
den Deutschen Goethe,
den Russen Dostojewskij,
den Schweizer Burckhardt,
den Flamen Maeterlinck,
den Dänen Kierkegaard,
den Schweden Strindberg,
den Norweger Fridtjof Nansen,
den Iren Shaw ...
– nur einige sind genannt derer,
die das geheimnisvoll Kränkelnde unserer Breiten,
das Anomale erlitten und meisterten
und darüber auszusagen wußten,
uns zur Erleuchtung.
Getriebene waren sie alle,
kultiviert von atlantischer Feuchte,
die mit golfischer Zunge
unsere Küsten beleckt
und hinreicht mit ihrem Atem
bis zum Olymp und Libanon.
Merk auf, Europäer!
Wem gleicht dein Gesicht?
Ah! Sind’s nicht die andern,
die Bösewichte und Drangsalisten,
die Massenmörder, die Usurpatoren,
die Erzbombasten und Schlachtenmetzger,
die Brüller und Prahler und Ruhmjongleure,
die Kikerikis der Unmenschlichkeit,
die Tamerlane jedweder Sorte –
o Seele, vergiß ihre schmutzigen Namen! –
Sind denn nicht auch sie
getrieben im gleichen Frühbeet?
Merk auf, Europäer!
Erkenn deinen Motor!
Eingefügt bist du
in die weitreichend tiefgreifende,
von keinem ozeanischen Anatom
je bis ins letzte bloßzulegende
Adernverzweigung
kosmischen Saftes.
Nutz ihn zum Guten!