Читать книгу Der große Fluss im Meer - Hans Leip - Страница 7

Die atlantische welle Das Meerwunder und die Wächter · Neben Nürnberg Augsburg · Putzpomade in Haiti · Arbeiterfrage schlicht gelöst · Karl braucht Geld · Werkspionage an Bord · El Dorado gesucht · Dalfinger, Hohermuth und Hutten · Der Ahne der Mau-Mau · Vier Fackeln lodern übers Abendland · Die erste Buße von Rang · Das Windauge als Tanzrad · Federmann kam nach Haus · Wohin mit dem Überhang? · Deutsches Blut in Übersee · Indische Kompanien · Golfstrom und Krieg · Der Neutrale lacht · Der Mühlsteinkragen weiß von nichts

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Der Wust menschlicher Unzulänglichkeiten möge für Augenblicke in die Finsternis sinken, wohin er für ewig gehörte, wäre nicht not, uns seiner zur Mahnung zum Besseren oft zu erinnern. Ein freundlicher Schein möge drüber wegstrahlen. Denn auch unendlich viel Großes und Gutes wurde angeregt vom Hauche des Golfstroms. Schon haben wir auf einige Überwinder der atlantischen Unruhe hingewiesen. Müßten wir nicht die gesamte Kunst-, Literatur- und Musikgeschichte Europas in die Waagschale werfen und die Ergebnisse aller Wissenschaften dazu? Wäre ohne die Werke der Meister allen Geistes und Gemütes Europa nicht schon längst ein einziger Höllenpfuhl?

Als ich Albrecht Dürers Kupfer „Das Meerwunder“ zum ersten Male sah, wußte ich noch nichts von der weltweiten Beziehung dieses manierlichen Götterpaares. Es gleitet majestätisch in heidnischer Nacktheit auf einem mitteldeutschen Flusse dahin, vielleicht, um dem Verbleib der Lachse nachzuspüren oder die Aalweibchen ins Meer zurückzugeleiten. Nur phantastisch, nur unvergleichlich gezeichnet und voll verkappten, bei Dürer so seltenen Humors schien mir das Blatt. Heute ahne ich, wie sehr sich darin die Fernsehnsucht des jungen Künstlers zusammenballte, nachdem er Venedig erlebt. Es ist ein Attest der Überwindung. Die Heilmittel dazu rühren weit aus der Antike her, vermählt mit altem heimischem Wassergeisterzauber. Nichts Christliches hat in solchem Zustande des Golffiebers verfangen. Und Heiterkeit der Genesung, der freiwilligen Beschränkung und Erkenntnis ist darin, die ihn zu seinem Werke zurückführte, das sich mit ungeheurem Ernst – seinem Typ entsprechend – auf die äußere und innere Figur sammeln mußte, um nicht abgelenkt zu werden im atlantischen Aufruhr des Jahrhunderts. Selbst in Antwerpen, das er als Bittsteller wegen einer im Regierungswechsel gefährdeten Jahresrente (Abzahlung für geleistete Arbeiten) aufzusuchen hatte, ist ihm derlei „Beschreyung innerster Versuchung“ nicht mehr eingefallen. Er hatte sie nicht mehr nötig. Er war auch darin zum Protestanten geworden, so sehr ihn andrerseits sein Tagebuch der Reise allseitig aufgeschlossen zeigt. Er befreundet sich an der grauen Küste mit dem Sekretär der portugiesischen Faktorei, Almado, und ließ sich eine Vorstellung dämmern von der Praxis, die neu entdeckten Ozeane und Kontinente zu bewältigen. Seine Frau war dabei. Ihr hätte sicher Vergnügen gemacht, das Rheinschiff mit einem größeren zu vertauschen und die Fahrt ins Uferlose fortzusetzen. Er aber dämpfte sich still. Sein Raum und sein Werk waren streng in ihm selber. Was für ihn noch zu erfahren war, hing an den Wänden der Paläste und Großbürgerhäuser und in den Ateliers der Kollegen und stand überall unabsehbar fordernd um ihn herum, festgehalten zu werden. Zwischen Italien und den Niederlanden war es seine Aufgabe, die europäische Schaubarkeit vom Grashalm und Eichhörnchen bis zum Gottesantlitz zu erhöhen, zu raffen, zu ordnen und zu erweitern und in ein weltgültiges Maß zu bändigen.

Es ist inmitten der Zeit ozeanischer Erschütterungen. Niemand weiß damals um die natürliche Herkunft der Nervosität. Die Angst vor dem Weltuntergang und dem Jüngsten Gericht ist weit verbreitet. Überschwang ist das Zeichen anomaler Temperatur. Es ist die Zeit der Schwarmgeister und Wiedertäufer, der Kettensprenger aller Art, der Freiheitsberauschten und Freiheitsmißbraucher, der Abenteurer und Weitfahrer in Zonen aller Grade von derber Gier bis zu subtilster Geistigkeit. Den früh alternden Meister bedrängt das „Gebrause der Sphären“ und der Taumel der Erde. Er sammelt alle seine Kraft und Vielspältigkeit in eins und schafft die vier Wächter, die Vier Apostel, stellt sie gleichsam vor die Tür seiner errungenen Ordentlichkeit. Und schenkt sie dem Rat, nicht der Kurie seiner Vaterstadt. Welche Gnade, daß die beiden gewaltigen Tafeln bis zu uns herübergerettet sind. Wir sahen sie kürzlich zu München wieder, so, als seien sie gestern gemalt. Diese Hüter europäischer Würde. Diese Menschheitshüter. Die vier großen Abendländer in antikem Gewande. Sie zu deuten, reicht das Apostolische nicht aus. Mag sein, daß Dürer seinen eigenen wachsamen und gefährdeten Typ, geteilt in den blonden Grübler Johannes und den dunkeln Rechthaber Markus, in den Vordergrund gestellt hat, sich selber zur Mahnung, indes der Seefahrer Petrus den Schlüssel demütig in die gedruckte Botschaft zurückgibt, in das Wort, das sie „sollen lassen stahn“, und der Weltreisende Paulus heilsfanatisch die Weiten mustert. Das mildblitzende Schwert des ragenden Markus sieht übrigens aus, als wolle es sich eben in einen Pilgerstab verwandeln.

Zwischen 1525 und 1526 wurde dieses ergreifende Werk geschaffen. Gerade rückten die Türken gen Europa, Karl V. gen Italien, Pizarro gen Peru, die armen Weinhäuer und Ackerpflüger aber gegen ihre adligen Bedrücker. Und es ist das gleiche Jahr, da Luther seine Schriften „Wider die himmlischen Propheten“ (Sektierer) und „Wider die räuberischen und mörderischen Bauern“ richtet und überdies mit dem bloßen Bildungsideal des Humanismus und der Anschauung des Erasmus vom „freien Willen“ brach, auch in voller Loslösung von Rom die Nonne Katharina von Bora heiratete und somit das protestantische Pfarrhaus gründete, daraus soviel Segensreiches entstehen sollte. Es ist das Jahr, da klar wurde, daß aus dem volkssaftigen Ingenium des Reformators, vom Golfstromhauch erregt, das – neben dem Apostelbild – Erstaunlichste jener Zeit erblühte, nämlich das, was seitdem Deutsche Sprache heißt.

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Geist und Politik ist zweierlei: Die Tage, da ein Danziger Käptn den britischen Orlogdienst frisch aus den Riggen weg kaperte und englische Könige als Gefangene zum Bordfrühstück einlud, waren noch gar nicht lange dahin. Und eigentlich hätte man von so flotten Seelöwen wie Paul Beneke eine gewisse Anteilnahme der Hanse an den überseeischen Morgenröten erwarten sollen. Aber die einst so stolze deutsche Seegeltung zerpflückte ihre Segelflügel in kleinlichen Kompetenzreibereien. Sie verhielt sich zudem zu der Neuen Welt wie später die Kurie zur Abstammungslehre. Ihr Paradies und Weideplatz waren Ostsee und Nordsee gewesen. Daß so unbequem weit fort auch noch Land Kaufkraft und Exportmöglichkeit haben sollte, widersprach der Überlieferung und der Gemütlichkeit. Wer etwas von weitläufigeren Anschauungen genießen wollte, mußte mindestens nach Antwerpen, aber besser nach Iberien oder neuerdings mit einem Engelsmann segeln.

Nicht daß es an deutscher Anstrengung gefehlt hätte, den Anschluß an den Welthandel nach Übersee alsbald zu gewinnen. Aber es konnte nur von einzelnen Wagehälsen geschehen, die sich aus den überall wankenden Staats-, Kirchen- und Zunftbindungen zu lösen vermochten oder sich deren Ohnmacht zunutze machten. Der Großunternehmer wurde damals geboren, der Finanzkapitän, der Kaufherr, der Kaisern und Königen aushalf, wenn sie knapp bei Kasse waren, und sich dadurch Vorrechte erkaufte, die vormals nur von Gemeinschaften hatten erworben werden können.

1525 pachteten die Augsburger Großkaufleute Anton und Barthel Welser die Kupferbergwerke auf Haiti. Sie waren von dem phantastischen Schrei nach Gold, der die Tavernen und Kabinette erschüttert hatte, zum Praktischen übergegangen. Kupfer war für den täglichen Gebrauch wichtiger, und Messing, das daraus herzustellen ging, sah fast aus wie Gold und war weitaus verwendbarer, so wie die Bronze, und bedingte zugleich ein Beigeschäft in Putzpomade bei all den Beschlägen, Kesseln, Pfannen und Armringen, die auf der Kupfergrundlage hergestellt wurden.

Hinzu trat die Arbeiterfrage. Die Indianer hatten sich als ungeeignet für die Vierzehnstundenschicht, zumal unter Tag, erwiesen. Sie waren teils sowieso hingeschlachtet, soweit sie nämlich gewagt hatten aufzumucken, teils hatten sie den Selbstmord der Sklaverei vorgezogen oder waren an Entkräftung oder Grippe eingegangen. Die letzten zwei Dutzend auf Haiti standen unter Denkmalsschutz. Somit erwirkte die Firma Gebr. Welser ein Monopol auf die Einfuhr von viertausend Negersklaven jährlich. Sie verlegte ihr Kontor überdies nach Sevilla, um der neuen Sache näher zu sein.

Als Karl V. noch einiges Geld mehr brauchte, waren beide nicht knickerig. Der strenge Katholik romanischen Blutes, in Flandern erzogen, in Spanien beheimatet, in Deutschland beunruhigt durch den Hitzkopf Luther, sah mit der konfessionell abfallenden Küste und dem hansischen Rest keine ertragreiche Zusammenarbeit. Er hielt sich an die schwäbischen Handelshäuser, die am Warenumschlag vom Orient nach dem Norden über Venedig und Tirol reich geworden waren und nun – da die alten großen Geschäftswege über Land von den neuen Ozeanstraßen verdunkelt wurden – dicht am Fett zu bleiben gedachten. Fuhr man doch nach den Ländern der begehrten Tropengewürze sowohl ums Kap der Guten Hoffnung wie ums Kap Hoorn. Die Deutschen Hans Aleman und Hans Barge hatten davon erzählt. Sie waren mit dem gewaltigen Käptn Magellan auf der ersten Weltumsegelung gewesen. Es war nun klar, daß Kolumbus nicht Ostindien und Asien, sondern viel mehr, nämlich einen unwahrscheinlichen Zuwachs an Ausbeutungs- und Handelsmöglichkeit angesteuert hatte.

Somit begann die glorreiche und schmachvolle Zeit der Kolonialpolitik. Es war, als sei der ganze Organismus der europäischen Gestalt durch den unbeirrt weiterkreisenden Lauf des Golfstroms in Fieber geraten. Ein Wettlauf begann, voller urmenschlicher Beutegier und -lust, getarnt mit den Weisungen der Bibel, Heiden zu Christen zu machen. Bald stellte sich heraus, daß massive Gewalt nötig war, um sich an diesem Geschäft zu beteiligen. Oder aber Kapital.

Umsichtig hatte man von Augsburg Fühler vorgestreckt, so wie man heute Unternehmungen ungewisser Art „Beobachter“ beizugeben pflegt. Gelegentlich nennt man solche Beiwohnungen auch Werkspionage. So war, mit schwäbischen Reisespesen und Richtlinien wohlversorgt, schon im Jahre 1500 der deutsche Magister Johannes bei dem Portugiesen Alvarez Cabral als nautischer Berater an Bord gegangen, ausgerüstet mit den neuesten Nürnberger „Ephemeriden“ und Seekarten. Gerade war ja höchst glücklich Vasco da Gama mit dreizehn schwerbeladenen Schiffen von Kalikut zurück. Als nun Cabral – der auch nach Kalikut wollte – sich bei den Kapverdischen Inseln vom Golfstromkreis (man nannte ihn zwar noch nicht so) gen West gedrückt sah, veranlaßte der deutsche Magister ihn, die Fahrt noch eine Weile fortzusetzen. Und so gelangte man zum ersten Male an die Küste Brasiliens.

1505/06 fuhren drei große Frachtschiffe für oberdeutsche Rechnung mit der Portugalflotte nach Ostindien. Kein Hamburger, kein Lübecker und Bremer war an Bord, wohl aber sogar ein Tiroler namens Balthasar Sprenger, und der schwäbische Faktoreischreiber Hans Mayer hat Nachrichten über die Reise hinterlassen, die uns leider über das erste Brasilunternehmen fehlen.

Karl V. aber verpachtete 1528 Venezuela an die Firma Welser. Das Haus schickte alsbald auf gecharterten Schiffen rasch zusammengelesene Trupps von Bergknappen, Landwirten, Handwerkern und Verwaltungsbeamten nebst einer gehörigen „Schutztruppe“ in jenes „Klein-Venedig“, wie die romanischen Enthüller die Küste wegen der Pfahldörfer nannten, in denen die Eingeborenen hausten. Doch verlegten sich die leitenden Stellen, anstatt auf eine rechte Siedlungs- und Verwaltungsarbeit, bald auf die Suche nach dem Goldland Dorado, von dem rund um den Atlantik gemunkelt wurde.

Das Privileg von 1528 ermächtigte die Firma, „das Land einzunehmen und das Volk zu Christen zu machen, taufen zu lassen und kais. Maj. zu untertänigen; neben diesen mögen sie gegeneinander ihren besten Nutzen schnifen, doch daß allwege kais. Maj. ihren Teil mit habe“.

Ohne Zweifel waren die geeigneten Golfstromtypen auf den Plan gelangt. Da war als erster der Konstanzer Ehinger, genannt Ambrosius Dalfinger. Er hatte als Prokurist in Augsburg den eigentlichen Anstoß zu dem kolonialen Abenteuer gegeben und war als Faktor und Minenaufseher mit nach Haiti gegangen, hätte dort auch erträglich leben können, folgte aber dem Wink der Chefs gen Coro, wo er die Vorbereitung leitete für die Siedler, die im Jahre 1530 mit Pferden, Geräten und Frauen auf beachtlicher Flotte unter Führung Hans Seißenhofers eintrafen und Maracaibo gründeten – womit sie den Mixern der Bordbars bis auf heute einen Titel in die Liste der Drinks geliefert haben.

Eben sind die Leute untergebracht, da beordert Dalfinger – nunmehr Statthalter – einen Trupp der mitgelandeten Landsknechte und marschiert mit ihnen in den Urwald. Irgendwo soll dort die goldene Stadt liegen, wo Menschen ganz aus Gold oder doch immerhin völlig mit Gold bedeckt umhergehen sollen. Die schlichte Feierhandlung, die der Kazike von Guatavita im Heiligen See einmal im Jahre beging, indem er sich, vorher geölt und mit Goldstaub gepudert, gehörig abspülte, war der Anlaß einer ungeheuren Aufbauschung geworden. El Dorado, das weiter nichts heißt als „Der Vergoldete“, wurde zum Märchenland massiver Goldbarren von Zentnerstärke. Dalfinger gelangte bis an den Magdalenenstrom, wo ihn die Pfeile der gestörten Eingeborenen erledigten.

Das hielt seine Nachfolger nicht ab, die „Forschungsarbeit“ fortzusetzen. Statthalter Georg Hohermuth aus Memmingen entdeckt das Quellgebiet des Guaviare, bleibt vier Jahre im Busch und legt mit seinen Getreuen an dreitausendfünfhundert Kilometer zurück. Alle seine Mühsal ist vergebens. Die wenigen, die noch leben, kehren am Steilfuß der Kordilleren um. Bei der alsbaldigen Vorbereitung eines neuen Zuges rafft 1539 das gelbe Fieber den Mann zu Coro hin.

Einer, der mit ihm von der Partie gewesen, Philipp von Hutten, Bruder des Bischofs von Eichstätt, wurde nunmehr mit der kolonialen Leitung betraut. Nur ein Jahr hielt er den Büro- und Inspektionsdienst aus. Dann hatte er dem jungen Barthel Welser, der als Wirtschaftssekretär bei ihm arbeitete und als bester Sohn des Stammhauses galt, so viele goldene Flöhe ins Ohr gesetzt, daß kein Halten mehr war und beide mit einem ausgesuchten Haufen Hartgesottener auf Doradosuche zogen. Wie sie es volle fünf Jahre im Busch aushielten, in den tropischen Urwäldern und Gebirgswüsteneien des Hinterlandes, wird ewig ein Rätsel bleiben. Erfolglos und verzweifelt, von Moskitos zernagt, fiebergeschüttelt und zerlumpt – so sollte man annehmen – begaben sich die beiden mit den letzten noch nicht elend zugrunde gegangenen Gefährten auf den Heimweg. Es kann aber gut sein, daß in so langer Zeit sich die zähen Burschen, die dann überhaupt noch lebten, durchaus den Unbilden der Tropen angepaßt hatten. Es scheint sogar, daß sie gerade den richtigen Weg gefunden hatten, den gen Bogota aufs Hochland, den schon vor ihnen der Ulmer Federmann, allerdings vergebens, gegangen war. Dort aber waren die Spanier längst am Werke, den Raub zu bergen. Jedenfalls hatte das mißtrauische Indienkontor zu Sevilla einen Wink nach Venezuela gehen lassen, den Alemanos den Wind abzukneifen. Ein gedungener militärisch bewaffneter Trupp Wegelagerer überfiel den Rest der Expedition und schleifte die beiden Anführer vor ein Scheintribunal, wo sie der Verletzung fremder Hoheitsrechte angeklagt wurden. Der andalusische Patriotismus ergoß sich in voller Wut über die „gotischen Eindringlinge“. Und um der blauäugigen, blondbärtigen Konkurrenz die allerniedrigste Schmach anzutun, ließ man den beiden Deutschen von einem Neger die Gurgel durchschneiden.

Dieser grinsende Scharfrichter, der vom weißen Mann selbst gezüchtete Ahne aller Mau-Maus, war allerdings womöglich einer jener Sklaven, die kraft kaiserlicher, gut bezahlter Vollmachten die Augsburger Zentrale von Afrika importiert hatte. Niemand wird den deutschen Konquistadoren Tatkraft und Heldentum absprechen. Ihnen fehlte nur der staatliche Hintergrund, auf dem sich ungestraft großsündigen läßt, und also der Erfolg, der nicht erst seit Loyola die Mittel heiligt.

Hier nun eines entfernten Verwandten des unglücklichen Philipp, nämlich Ulrichs von Hutten, zu gedenken, ist keinesfalls abwegig. Übrigens scheint die ganze Familie aufs bedrohlichste in den golfischen Strudel der Zeit geraten zu sein. Ein Vetter namens Hans war hinterrücks von württembergischer Herzogshand im Walde erschlagen worden. Und Moritz, der Bischof, quälte sich mit vergeblichen Maßnahmen gegen die Reformation vorzeitig ins Grab. Ulrich aber war mit siebzehn aus dem Benediktinerkloster zu Fulda ausgerückt, betört vom Fieberwind, der vom Atlantik über Europa fuhr, die Weisheiten der Alten aus den Staubarchiven wirbelte und die Geister anheizte und die morschen Ordnungen in allen Fugen krachen ließ.

Vier bürgerliche Fackeln loderten über die bebende Jahrhundertwende: der Flame Erasmus, der Engländer More, der Deutsche Luther und der Schweizer Zwingli. Dazwischen taumelte der Ritterssohn Ulrich von Hutten wie ein in Brand geratener Helmbusch und Federwisch durch die aufgeregte Luft des Abendlandes. Nüchtern betrachtet gehören die genannten Gestalten alle dem Kaltfront-Typ an, und selbst Luthers spätere Fülligkeit darf da nicht täuschen. Sie sind keine Fernfahrer, keine Phantasten mit manischen Verzückungen und depressiven Hinfälligkeiten, sie sind unentwegte Ordner; ihr Reinlichkeitsbedürfnis, ihr Sinn für Klarheit ist aufs höchste entzündet, sie ertragen nicht mehr den Plunder und Unrat, der sich in den heimischen Belangen angehäuft hat. Sie sind keine Ausweicher und Auswanderer, sie sind – fanatischer als eine Hausfrau beim Großputz – Auskehrer und Aufräumer. Sie sind die ersten großen Aufklärer. Sie sind im Gegensatz zu den gewöhnlichen Entdeckern, die nach außen streben, die Entdecker nach innen, die Entdecker des Geistes.

Namentlich Gerhard Gerhards, der zutiefst gelehrte Humanist aus Rotterdam, der sich Desiderius Erasmus nannte und sich in ganz Europa in der Wissenschaft umgesehen und das Neue Testament für den öffentlichen Gebrauch mit kritischen Erläuterungen herausgegeben hatte, für einen persönlichen schriftstellerischen Stil eintrat und alles, was an Philosophie seit dem Altertum in erreichbaren Quellen zu finden war, untersuchte, reinigte und mit eigener Erkenntnis darlegte, alles Muffige bekämpfend, allen Dogmenzwang, alle Mißbräuche und Dummheiten, namentlich er wirkte auf den jungen Ausreißer Hutten. Auch Luther hatte sich von dem Älteren entzünden lassen, war aber dann seine eigensten, eigenbrötlerischen Wege gegangen, allzusehr ins Orkanfeld der Epoche gebannt (wie denn Rechthaberei die gefährlichste Neigung aller K-Typen ist). Über die Auslegung des vagen Begriffs „Freier Wille“ geriet er mit Erasmus ins Unvereinbare. Erasmus aber hatte sich – der Klügste seines Jahrhunderts – weislich aus dem Zyklon ins „Windauge“ gerettet, nach Basel, und der Umstand, daß dort sein Drucker Froben wohnte, war das günstige Signal des Schicksals gewesen, das zu übersehen er hätte beschränkter sein müssen. Und im „ruhigen Kern der Turbulenz“ wuchs ein anderer auf, Zwingli, steckte kurz die Nase in den scharfen Luftzug nach Wien und lernte dann in Basel das Nötige aus Altem und Neuem, um zu wissen, daß die Ahnung von Gott keine Wissenschaft, sondern Sache des Herzens ist. Der atlantischen Erregung am nächsten hatte der mit Erasmus befreundete Thomas More in London das kritische Auge auf Europa geworfen. Und da die Neue Welt auftauchte, sah er mit Sorge, wie dort der Auswurf sich breitmachte, und er schrieb mahnend und weisend das Buch von der Insel „Utopia“ (1516). Ihm hat – nicht ohne die Staatsgedanken Platos – das Gemälde eines kommunistischen Idealstaates vorgeschwebt, darin auch ein Christentum jener Art zu finden ist, die Aussicht hat, sich über die Jahrhunderte hin durch alle Fährnisse zu retten. Er selber vermochte sich nicht zu retten. Als er im engsten Umkreis Ernst mit seiner Vorstellung menschlicher Anständigkeit zu machen trachtete und seinen König Heinrich VIII. in dessen Selbstherrlichkeiten nicht zu stützen gedachte, geriet er aufs Schafott.

Ulrich von Hutten, ein kleiner, schmächtiger, blondbärtiger, scharfnäsiger Mensch, fand sich aufs höchste entflammt von den Leuchten seiner Zeit. Er hatte eigentlich das Zeug zum Lyriker, zum Minnesänger. Aber deren Tage waren verschollen. Jetzt briste es schärfer, jetzt galt es, Augiasställe zu fegen, die allzu weit im Winde stanken. So wurde er einer der schärfsten Angreifer und Spötter aller Fürstentyrannei, aller kalkigen Juristerei und des römischen Rechts, der Pfaffen und der Schulgelehrten. Und er schrieb gut deutsch, wurde ein rechter Ketzer und half den großen andern, Funken zu stieben und weiterzusengeln, und verdarb es doch schließlich mit allen. Und mit sich selber. Denn schlimmer als alle, die seines Blutes und seines Geistes waren, traf ihn die atlantische Geißel.

Vagant und Empörer, Zweifler und Fanatiker, kaltfrontempfindlicher Hasser aller Ungerechtigkeit und Gefühlskälte. Irgendwo in Italien, mittellos von Universität zu Universität irrlichternd, schließt er sich, betrunken oder nicht, der Soldateska an, die von Karls V. Gnaden irgendwelche Schandtaten zu begehen hat. Aufgerührt und angewidert von den Prahlereien einiger, die „drüben“ was mitgemacht, die Seefahrt, Neue Welt, braune Weiber, Gold, Gier, Gemetzel und Urwald gekostet, sucht er Trost hinterm Marketenderzelt, wo der Hurenwaibel regiert und kein Feldscher ahnt, daß die zierliche Schlangenbrut Westindias schon Einzug gehalten hat in die willfährigen Schöße Europas.

Man sagt, Hutten hätte – wie etwa Nietzsche – nur halb so mitreißend die moralische Peitsche zischen lassen, wenn sein Blut nicht selber gepeitscht worden wäre. Vielleicht hätte er sich genügen lassen an dem Lorbeerkranz, den des Humanisten Peutinger schöne Tochter zu Augsburg ihm geflochten und mit dem Kaiser Maximilian ihn zum Reichsdichter gekrönt. (Die Firma Fugger zahlte den Festschmaus.) Das war 1517, als an der Schloßkirche zu Wittenberg die Prosa eines neuen europäischen Hurrikans begann. Ulrich von Hutten ist unter den Geistigen und fern aller Küsten und groben Eroberungslüste eine der ersten Bußen, die Europa der Knechtung der Neuen Welt zollte. Ist es verwunderlich, daß er im Windauge der golfischen Bedrängnis, in der Schweiz, Zuflucht suchte? Huldrych Zwingli nahm ihn in Obhut und verschaffte ihm ein letztes stilles Asyl auf der Ufenau im Züricher See.

Wenn auch die Schweiz außerhalb der europäischen Stürme blieb, im Innern wühlte die Dünung ähnlich wie in den windstillen Zentren der Orkane. Noch gab es Eifersüchteleien zwischen den Kantonen: Bern war neidisch auf das aufstrebende Zürich, dem der Leuteprediger Zwingli Glanz verlieh. Die Klerikalen ruhten nicht, den Zwiespalt zu nützen. Eine Handelssperre wurde mit Gewaltakten beantwortet. Übermacht warf sich auf die kaum gerüsteten Bürger. Zwingli, den Heerhaufen waffenlos begleitend, fiel. Sein guter Geist lebt fort, überschattet leider durch die Freudlosigkeit seines „Vollenders“ zu Genf, Calvin.

Ein anderes Symptom des inneren „Schwells“ war das „Reislaufen“ der jungen Schweizer, das von der „Nabe des Tanzrades“ Sich-hinaus-schleudern-Lassen in die Wirren des Horizontes, um fremde Kriegsdienste zu nehmen. Es begann um 1500 und mußte 1859 nachdrücklichst durch Bundesbeschluß verboten werden. Die Schweizer Garde am Vatikan und Gefallene in Indochina sind ein letztes Zeugnis jener europäischen „Kernbrandung“.

Daß Schweizer auch bei den Unternehmungen der Welser in Übersee dabei gewesen sind, ist so gut wie gewiß. Man vermutet die Namenslisten noch in den Archiven. Aber mancher ging namenlos mit und starb namenlos und wurde namenlos verscharrt, wenn nicht die Geier seinen Leichnam fraßen.

Einer der wenigen Deutschen, die von dem verlustreichen Abenteuer Venezuela heil wieder heimkamen, ist der Ulmer Nikolaus Federmann. Er war nach Dalfingers Tod zur Berichterstattung nach Europa gefahren, scheint aber dann von den Chefs selber den Auftrag erhalten zu haben, die dürftigen Einkünfte aus den schlecht verwalteten Bergwerken und Plantagen durch robuste Werte zu ergänzen. Er muß eine kraftvolle Natur gewesen sein, auch Pläne mitbekommen haben, die einem Kontor von Zahlkraft auf dem Schwarzen Markt zu Sevilla oder wo immer nicht entgangen sein dürften. Jedenfalls gelangte Generalkapitän Federmann ziemlich zielsicher 1535 auf die Hochebene von Bogota, von Osten her. Es erging ihm dort allerdings wie Scott mit dem Südpol. Ein anderer war ihm zuvorgekommen, von Westen her, der Spanier Queseda (es scheint, als habe der mit dem Welserschen Schwarzmarktpreis seine Expedition finanziert), und gerade kam von Süden ein weiterer Strauchdieb heraufgekeucht. Nun, die Waffen waren ziemlich gleich verteilt, und nach einigen abschätzenden Blicken einigte man sich und zog vor, dem Zuerstgekommenen die Ausraubung und Ausrottung der weit mehr als diese Hasardeure kultivierten Chibcha allein zu überlassen.

Federmann war nun des Kolonisierens überdrüssig. Er kehrte endgültig auf dem Golfstromwege zurück. Seine Brotgeber machten ihm den Prozeß; denn der Ausflug hatte riesige Summen verschlungen. Da aber Federmann einige intimere Kenntnisse des Geschäftsgebarens zu Protokoll zu geben nicht abgeneigt schien, ließ man der Durchfechtung zur Freude der Advokaten Zeit, so daß Federmann in Ruhe zu Gent seine „Indianische Historia“ schreiben und unbehelligt im Bett sterben konnte.

Als nun trotz aller Mängel die deutschen Siedler sich eben eingerichtet hatten und dem Boden die ersten Erträge abgewannen, sagten sich die spanischen Granden, es könne womöglich sein, daß jene verschacherten Gebiete wirtlicher seien, als Karl V. angenommen. Der Kaiser, der Plage mit Türken, Franzosen und Protestanten müde und von Gicht gepeinigt, hatte sich in den Klosterfrieden zurückgezogen und erstrebte dort Wichtigeres, als Menschen auf die Schlachtbank zu führen, die Fugen eines in unkontrollierbaren Lüften wankenden Weltreiches zu kitten und Zinsen für geliehene Heereslieferungen und Beamtengehälter zu entrichten, nämlich, einen handlichen Zeitmesser für die irdische Vergänglichkeit zu konstruieren. Er hätte damit der Schiffahrt einen Dienst getan, den erst England zuwege brachte, als die spanische Seemacht schon dahin war.

Der spanische Indienrat verstärkte die Schikanen so, daß die Welser das verlustreiche Überseegeschäft aufgaben. An zweitausend Deutsche waren drüben auf Grund eines ihnen unbekannten Pulsschlages der Meere zugrunde gegangen. Was nach ihnen kam, setzte die Goldsuche und die Drangsalierung der Eingeborenen gesteigert fort, bis denn eines Tages im Mixbecher der Zeit aus Indianern, Negern und Weißen eine neue Bevölkerung zwischen Maracaibo und Caracas zurechtgeschüttelt war und das wahre Gold des Landes entdeckt wurde, das ihm einigermaßen selbständige Wohlhabenheit eintrug, das Öl.

Es sei noch des anderen großen Augsburger Handelshauses, der Fugger, gedacht. Sie hatten die Kriege Maximilians und die Kaiserwahl Karls bevorschußt und zogen die Zinsen aus spanischen Erzgruben. Schon 1505 handelten sie mit westindischem Pfeffer, mit Blauholz, Tabak und Mais, verlegten ihr Kontor aber von Lissabon nach Antwerpen und gründeten eine eigene Reederei als Vorläufer des Norddeutschen Lloyds und der Hapag auf immerhin fast niederdeutschem Boden. Und Antwerpen blühte auf. Bis dann auch hier der spanische Dreschflegel unter religiösem Vorwand die erste deutsche Amerikalinie gründlich und für zwei Jahrhunderte ausrottete. Immerhin haben die Fugger, die zwischen 1525 und 1535 ein Sechstel des Schiffsverkehrs dieser Route bestritten hatten, klüger und gebildeter gehandelt als die smarten Welser. Und darum blieb ihr Haus länger bestehen. Sie vermieden die Urwaldabenteuer und Doradozüge. Sie waren – um auf die Typenstreife zurückzukommen – keine ausgesprochenen W-Typen wie die Welser. Der Golfstrom hatte nicht die gleiche Schleuderwirkung auf sie. Der Rückzug aus Lissabon macht das deutlich. Sie hielten ihr Kapital zusammen und erwiesen sich als erste deutsche atlantisch durchlüftete Wohltäter, ließen einen Teil des Überhangs der Wohlfahrt, der Wissenschaft und der Kunst zukommen (wie es jenseits des Atlantiks später bei allen Großverdienern üblich wurde), indes sich die Welser allgemein ihrer „Pflicht der guten Werke“ mit Zuwendungen an die Geistlichkeit entledigten.

Die Fugger hatten auch insofern mehr Glück, als ihnen der gewesene Schweinehirt Francisco Pizarro in Peru zuvorkam und sie gar nicht erst zu investieren brauchten. Doch betreffs eines andern Pfandes, als Philipp II. sie auf Rat seiner Bankiers noch einmal heranzog, konnten sie nicht nein sagen und organisierten ihm den gesamten Gewürzhandel von den Molukken bis Macao durch ihren Augsburger Sekretär Kron. Das ostasiatische Geschäft verlief sich ohne Gewinn und Dank. Doch befanden sich 1550 an fünf Millionen Goldgulden in ihren liquiden Beständen (heute etwa eine Milliarde D-Mark). Und als der Staatskonkurs in Spanien sieben Jahre später nicht mehr aufzuhalten war, hatte sich fast das ganze bewegliche Vermögen dieses Weltreiches in Händen der Augsburger Bank- und Handelsfamilie versammelt.

Nach dem kurzen Anlauf gen Übersee aber schnitt man den Deutschen jede Möglichkeit ab, sich am Raube drüben zu beteiligen. Dennoch begann heftiger als in allen anderen europäischen Ländern das Wanderfieber in Deutschland um sich zu greifen, die alte, oft besungene, die Gemüter zerbrennende Fernsehnsucht, die ihre Erklärung – man möge es als Theorie werten wie manches, was hier frischweg geahnt und geäußert ist – im Golfstrom findet.

Es ging ihnen ähnlich wie den Iren. Nicht äußere Bedrückung allein erklärt, daß überwiegend Deutsche und Irländer den Auswandererstrom nach Nordamerika bildeten. Es war die Gelegenheit, der „Erregtheit der Warmfront“ (und den sich daraus ergebenden europäischen Übeln) auszuweichen in ein Land der „Befreitheit“. Sie gingen nach drüben als Dienende, als Handwerker, Buchdrucker, Bergleute, Landwirte, Handelskommis, Söldner und Söldnerführer. Unzählige Namen weisen in alten Faktorei-, Schiffsund Spitalslisten auf deutsches Erbblut hin, selbst heute noch auf manchem Haustür- und selbst Firmenschild zwischen Orinoko und Missouri; noch unzähligere Namen glichen sich den Amtssprachen an. So der jenes bedeutenden Wasserbaufachmannes Heinrich Martin, der hundert Jahre nach Cortez begann, den verheerenden Überschwemmungen der Regenzeit in der Stadt Mexiko zu steuern. (Der von ihm begonnene Kanal zur Entwässerung des Talbeckens wurde im Jahr 1900 vollendet.) Besagter Ingenieur trat 1620 als Dolmetscher in einem Verfahren gegen Hamburger Handwerker auf, die als Ketzer angeklagt waren. Die erhaltene Gerichtsakte äußert über ihn, auch er sei einst mit Alsterwasser getauft worden, habe das aber durch Spanisierung seines Namens in Enrico Martinez getarnt.

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Die atlantische Welle der Freiheit hatte den Niederländern die Kraft verliehen, sich von Spanien loszusagen, und da Politik und Glaube eins waren, gelang schon im Jahre der Pariser Bluthochzeit der erste Schritt dazu. Die innere Erregung fand ihr Ventil bald in der Weite der Meere, wo die Vernichtung der Armada die Wege für smarte Unternehmertypen freifegte. 1602 wurde die Holländisch-Ostindische Kompanie gegründet und Insulinde für dreihundert Jahre dem kleinen Europafleck dienstbar gemacht. 1621 wurde die Holländisch-Westindische Kompanie, die sich vor allem der Küste Brasiliens bemächtigte, der Ausdruck dafür, daß die junge Republik auch Anteil zu nehmen gedachte am atlantischen Zirkel. Ihre Werften, ihre Schiffe, ihre Reeder, Seeleute, ihre Beamten, ihre Gelehrten, ihre Maler, Musiker und Schriftsteller erwiesen sich als der neuen Aufgabe gewachsen. Der Ostinder, die Weiterentwicklung der spanischen Karavelle und Galeone zu höchster Formschönheit und Leistungsfähigkeit, wurde für lange Zeit der Inbegriff des Weltseglers und auch für die englischen Helligen Vorbild.

Die Lage Bremens und Hamburgs, wohlbefestigt und möglichst neutral inmitten der Wirren, wird trefflich beleuchtet durch den Vertrag, den die beiden Hansestädte 1614 für acht Jahre mit Holland abschlossen „wider die Könige von Spanien und Dänemark, ingleichen wider den Papst defensive zu agieren, und sollte, vermöge dieses Bundes, jeder Teil 1200 Mann zu Roß und 8000 Mann zu Fuß nebst 20 Orlogschiffen halten“.

Der Dreißigjährige Krieg war die europäische Kulmination verzwickter Golfstromeinflüsse. (Ich weiß, Tlaloca, mancher ernsthafte Mann wird auf den Tisch hauen und nach Beweisen verlangen. Wir können es ihm nicht verübeln. Vielleicht weiß jemand wirklich bessere Erklärungen. Bislang haben wir noch von keiner gehört.) Und indes die meisten der europäischen Nationen sich bis zur Blutleere zerhackt hatten, sogen die Niederlande Kraft aus der Erschöpfung anderer und nutzten den golfischen Druck und Drang zu Positivem, ähnlich wie die Freie und Hansestadt Hamburg. Die Generalstaaten wurden damals das reichste Land der Welt. 1634 zählte ihre Handelsflotte fünfunddreißigtausend Schiffe. Die Bankiers zu Amsterdam buchten am Tage des Friedens zu Münster und Osnabrück, als der Herzog von Sachsen überlegen mußte, ob er sich eine Bratwurst zum Frühstück leisten könne, einen Bestand von dreihundert Millionen Goldgulden an Werten. Getragen von der Anteilnahme des ganzen Volkes und – so wie die Kanäle und Grachten geordnet sind – immer bestrebt, ordentlich zu denken, zu leben und zu handeln und die unbewußten Beunruhigungen, die von See hereinspuken, saftig ins Vorteilhafte zu leiten, haben die Niederländer Glanz und Würde bis in die Gegenwart bewahrt, auch in ihrer Kolonialpolitik und obwohl die Nachbarn jederzeit bereit waren und oft versucht haben, diese wackeren Golfstrombändiger auszuplündern und zu erledigen, bis sie sich begnügten, letzten Endes, sich an der scheinbar nicht wirtschaftlichen, nicht zu gewalttätigem Neid anstachelnden Seite des Herren–Staaten–Reichtums zu beteiligen: an der Freude schöpferischer Hochleistungen und dem Weitervertrieb von Kunstwerken, am Kunsthandel mit den Bildern der Maler Memling, Rembrandt, Hals, Rubens, Brueghel, Steen, Ostade, Potter, Ruysdael, Terborch, Hobbema und wie sie alle heißen. Wie denn die niederländische Musik Grundlage wurde für die Erneuerung der deutschen, für die Meister Buxtehude, Schütz, Telemann und Bach.

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Wir müssen noch ein wenig zurückschalten. Den Spaniern gelang es zur Hugenottenzeit noch einmal, sich in Westindien und an der Küste zu halten. Sie hatten immerhin eingesehen, daß man nicht nur ernten kann. Ihre Pflanzer hatten begonnen, Zuckerrohr, Baumwolle, Mais, Kaffee und Tabak anzubauen, und zu deren Schutz wie zu ihrem eignen ließ die Marine befestigte Plätze bis hinauf zur Chesapeake-Bay errichten, von wo überall ihre Polizeischaluppen den großen Schiffahrtsweg, den Golfstrom, unter Auge nahmen.

Damals wurde der fähige Admiral Menendez Statthalter von Kuba und Florida, baute Habana neu und erwies sich als der rechte Wachhund für das Gibraltar Westindiens, die Engen der Floridastraße. Er war aber, mehr als das, ein guter Nautiker und Geograph und beschrieb die erforschten Küsten neu. In den erhaltenen Auszügen steht keine Silbe von den Meeresströmungen. Die navigatorischen Finessen zu deren Beherrschung hielt man anscheinend geheim. Den Lotsendienst besorgten vereidigte Beamte, denen jedes Geplausche über die Tücken des Fahrwassers Kopf und Kragen gekostet hätte. „Kragen“ war derzeit nicht nur der Hals, sondern wahrhaft das Zeichen spanischer Amtsstellung.

Jener gefältelte Mühlstein, der Schrecken aller Plätterinnen, verbreitete sich übrigens über ganz Europa nebst Kolonien, überall, wo Würde zu betonen war und die Gesellschaft auf Mode hielt; die hansischen Ratsherren haben bis ins 20. Jahrhundert diese Last getragen, und heute steht sie noch dem Lordmayor von London und den Hamburger Geistlichen gut zu Talar und Gesicht und auch den Leichenträgern erster Klasse „im Stile spanischer Reiterdiener“, wie der Prospekt der Beerdigungsunternehmer empfiehlt.

Der große Fluss im Meer

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