Читать книгу Die getreue Windsbraut - Hans Leip - Страница 6
Überfall im Gelben Meer
ОглавлениеWährend eines Übeln Taifuns hatte der kleine deutsche Frachtdampfer ‚Eulenfels‘ die Bucht von Lio an der Küste des Gelben Meeres anlaufen müssen. Es gelang ihm, in verhältnismäßig ruhigem Wasser unter dem Schutze eines Vorgebirges Anker zu werfen, und die Mannschaft war dabei, die beim Verrutschen der Ladung Reis entstandene Schlagseite durch Umstauen wieder auszugleichen, als – es war heller Vormittag, und der Kapitän hatte sich mit dem ersten Offizier gerade zum Frühstück niedergelassen – plötzlich zwei schnellsegelnde Dschunken sich näherten und lautlos zu beiden Seiten des Dampfers anlegten. Im Nu die Ungetümen Mattensegel reffend, kletterte auch schon ein Schwarm halbnackter gelber Kerle an hinaufgeworfenen Tauen backbord wie steuerbord über die Reling, einige sogar sprangen wie die Affen hoch aus der Takelung ihrer Fahrzeuge an Deck, so daß die paar dort befindlichen Leute nicht daran denken konnten, Widerstand zu leisten, sondern dort, wo man sie erwischte, an Winschen, Stagtauen oder sonstwie angebunden wurden. Dasselbe Schicksal erfuhren der Kapitän und der erste Offizier oben auf der Brücke, wo man sie nach kurzem Kampfe an das Kompaßhaus fesselte, während man den Meßjungen, der bei Tisch aufgewartet hatte, unter Drohungen mitnahm, damit er als Führer durch die Räume diene. Inzwischen hatte sich eine Abteilung der Seeräuber wie eine schmutzige Sturzwelle in die offene Ladeluke ergossen.
Hier nun kam es durch die Unbedachtsamkeit eines Matrosen namens Pössel zum Handgemenge, indem er mit seiner Schaufel einem der Eindringlinge die Hirnschale einschlug. Der zweite Offizier, der unten die Aufsicht führte, wurde durch einen Schulterschuß verletzt, und auch sonst noch färbte sich der Rangoonreis hier und da rot, bis schließlich, da die Gelben den Zuzug ihrer Kumpane von oben erhielten, die gesamte Belegschaft in den Maschinenraum flüchtete, wo trotz der Gefahr, verbrüht zu werden, einer der Heizer ein Rohrventil öffnete, welches sonst, bei leeren Kesseln, nur zu Reinigungszwecken dient. Nunmehr aber, während er sich mit den anderen in den Kettenraum des Vorschiffes retten konnte, wo es gelang, das Schott zu schließen, füllten sich die übrigen Unterräume mit dem heißen Dampf, der nebenbei unter gehörigem Druck stand, da das Schiff schon eine Weile lag, ohne daß die Feuerung abgestoppt war, wollte man doch, so rasch es ging, weiter. Die Angreifer waren gezwungen, sich nach oben zu verziehen, und da sie fürchten mochten, das Schiff werde in die Luft fliegen, begnügten sie sich mit einer ziemlich oberflächlichen Plünderung der Offizierskabinen, wobei namentlich einige hübsche Aktzeichnungen, die der Kapitän in freien Stunden aus dem Gedächtnis anzufertigen pflegte, in ihre Hände fielen, sowie sämtliche Taschenuhren und die Trauringe, die sie in der Eile von den Fingern der Betreffenden herunterwürgen konnten, wie auch einiges Geld und eine silberne Tabaksdose; aus dem Mannschaftslogis selber aber raubten sie nur einen Ölmantel und aus der Kombüse die dem Koch gehörige „Anweisung zu sämtlichen Kartenspielen“, und das wohl wegen des Goldschnittes; er hatte sie von seiner Braut zu Weihnachten bekommen.
Dann jumpten sie in ihre Boote, hißten die Segel und hielten sich in respektvoller Entfernung von dem aus allen Öffnungen weißqualmenden Dampfer, dessen Untergang sie anscheinend erwarteten, um vielleicht noch dabei ihre Beutegelegenheit zu ergattern. Sie mochten sicher Witterung davon haben, daß außer dem Reis sich eine Ladung wertvollen Stückgutes an Bord befand, nämlich verschiedene Kisten sehr teurer Seidenschals, dazu auch Gegenstände aus Bronze und Porzellan, echte Museumsstücke, wie sie in Revolutionstagen eben zu haben sind und was alles sie wegen des Dampfes nicht hatten antasten können.
Übrigens war ihnen inmitten des Gerangels im Laderaum auch der Meßjunge, der ihr Führer sein sollte, abhanden gekommen, er hatte sich nämlich bis über die Haare in dem losen Reis verkrochen. Halb erstickt, mit Brandblasen an Stirn und Nacken, gewann er noch eben die Leiter und das Deck, als die Räuber es gerade in Hast verließen. Er befreite die oben befindlichen von ihren Stricken, was ungeachtet des schützenden Qualmes und aller Vorsicht zur Folge hatte, daß von den Dschunken ein lebhaftes Feuer auf jedes sich nur Bewegende eröffnet wurde; auch näherten sie sich wieder, und die Lage war höchst ungemütlich.
Aber auf einmal nahmen sie den Wind voll in ihre Lappen und machten sich Hals über Kopf davon. Auf der Höhe der Bucht, das stellte sich bald heraus, war nämlich zum Glück eines jener englischen Kanonenboote in Sicht gekommen, die in der Zeit des chinesischen Bürgerkrieges zahlreich in den Gewässern kreuzten. Der Kapitän, der schon SOS hatte funken wollen, verschmähte es nun, und der Engländer, wohl den ungetrübteren Handelsbeziehungen der Deutschen nachsinnend, verhielt sich abwartend, fuhr einen großen Bogen unter Land und verschwand, ohne daß von einer der beiden Seiten eine Verbindung angestrebt worden wäre. Immerhin waren mehrere Stunden vergangen, in denen man an Bord des Dampfers nicht müßig gewesen war. Man hatte von oben Wasser in den Heizraum gepumpt und damit die Kesselfeuer gelöscht. Aber erst gegen Abend war man soweit, daß man die in das Kettengatt Geflüchteten, mit denen man sich durch den engen Ventilator indessen schon verständigt hatte, aus ihrem dunklen, engen und heißen Gefängnis befreien konnte, und es ist ein Wunder zu nennen, daß selbst die Verwundeten sich später erholten, als man ohne weitere Belästigung endlich wieder auf der freien See schwamm. Bemerkenswert ist auch, daß die Reisladung in ihrer Oberschicht durch den Wasserdampf wohl zehn Zentimeter tief vollkommen gar gekocht war, so daß man ohne weiteres seine Mahlzeit davon nehmen konnte – was auch geschah – bis auf die vom Kampf besudelten Stellen.
Ja, wären Kannibalen an Bord gewesen, sie hätten sicher auch den Leichnam des von der Matrosenschaufel Erschlagenen, fertig gesotten, wie er war, verspeist, was nunmehr die Haifische besorgten.
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„Nun kommen Sie,“ sagte Frau Kosel zu Herrn Alwedder.
Herr Alwedder, der saubere hanseatische Typ, drückte seine Zigarette aus. Mit unbeschwerter, langsamer Stimme erklärte er trocken, das mit dem Überfall sei mehr Wind als Braut gewesen, darum müsse er notgedrungen von einer solchen erzählen; es sei von einer heimlichen, die von zweien zugleich begehrt, danach in die weite Welt gezogen sei. Blankenese bei Hamburg-Altona werde sicher jeder der Anwesenden kennen. Was aber ein Bonnet sei, habe er erst später aus einem Seefahrtswörterbuch erfahren, es sei nicht französisch auszusprechen, trotzdem es wohl von der Levante-Schifffahrt herrühre und auch kein englischer Strohhut, sondern eine Art Schönwettersegel, das in seitlicher Verlängerung der großen Rahsegel auf den Seilschiffen des vorigen Jahrhunderts bei gutem Wind zur Fahrtverbesserung gedient habe. Die Geschichte könne und solle, so niemand etwas dagegen habe, darum auch heißen: