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Die Sündflut zu Miami

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Das Zimmermädchen Alma Jahm kam in jener denkwürdigen Nacht des September 1926 etwas später als sonst nach oben. Der schreckliche Wind, der seit zwei Tagen herrschte, hatte die Schutzwand auf der Südveranda eingedrückt, ein Gast war verletzt worden, und Alma Jahm, gerade in der Nähe, hatte beim Verbinden geholfen, da zufällig beide Hotelschwestern kurz vorher durch das herabstürzende Oberlicht im Laboratorium ernstlich zu Schaden gekommen waren. Zudem sprach der junge Allan M. Firewood, den Hut in der Hand, sie in sichtlicher Aufregung an, als sie die Treppe hinaufgehen wollte, die den letzten Aufstieg bildet vom Fahrstuhl des zwölften Stocks in den Dienstbotenflur. Er nahm das Unwetter draußen als Anknüpfungspunkt und fragte sie, was um Gottes willen ein Mann von Lebenslust vor Langeweile dabei beginnen solle. Sie antwortete mehr mitleidig als spöttisch, ohne eine Spur von Dienstbarkeit übrigens dem vornehmen Herrn gegenüber, er solle das Hotel kaufen und ein Heim für arme Kinder Europas daraus machen, indem sie auf einmal phantastisch ein neues, schöneres Wirkungsfeld für sich aufdämmern sah. Er jagte im Augenblick voller Dank für die Anregung vor ihr die Berechnungen gierig durch sein Gehirn, doch mit einem schlecht gezügelten Fluch auf den teuersten Boden der Welt, der den Preisen in Wallstreet oder der Park-Avenue kaum nachstand, taumelte er an den Lift. Es war klar, daß ihm die alkoholischen Flips nicht bekamen, denen er wie alle in der Öde des Luxusbades aller Luxusbäder verfallen war, sein Gesicht war grau und verzerrt vom Nachdenken über den Sinn des Daseins, und somit rief sie hinter ihm her, aufbebend unter dem Geräusch des Sturmes, das den Treppenschacht füllte, nicht in den Spielklub zu gehen, sondern das Boot zu nehmen und hinaus damit auf die See zu steuern, das solle doch wohl eine Sache sein für einen Mann bei diesem Wetter. Danach trat sie in ihre Kammer.

Die Französin, Mitinhaberin ihrer Stube, hob den Kopf aus der Decke, wirrsträhnig, ihre Augen krallten sich angstvoll und verächtlich in Alma Jahms solides Unterzeug, das vom Luftzug flatterte, obschon diese Seite ohne Meeresaussicht war und im Windschatten lag. Mit ihrer von Erfahrung brüchigen Stimme stieß sie hervor, sie habe aus den Karten gelesen, diese Nacht werde Entsetzliches geschehen. Sie betete plötzlich laut in ihrer Muttersprache, dazwischen voller Zweifel, ob Gott in diesem verfluchten Lande französisch könne. Und dann hörten sie beide trotz des Wetters die Brandung der See, die sie so lange nie bis hierher vernommen hatten.

Alma Jahm zog sich das Laken bis ans Kinn, das ungeheure Haus schien zu schwanken, zu torkeln, wie auf sausenden Flügeln schoß es von dannen. Irgendwo erscholl es von zerberstenden Scheiben. Nun kam der Regen wieder, das irrsinnige Gießen, das wie ein Ozean sich niederließ und alles zu ertränken drohte. Aber was war zu fürchten? Dies Gebäude, vierzehn Stock hoch, Beton und Eisen, es war gebaut für Menschen, die nichts zu fürchten lieben. Florida war dies, die Küste der Welt, unermeßlich an Schönheit und Wert.

Die Französin schaltete das Licht wieder ein, beugte sich vor in ihrem seidenen Hemde und erzählte schrill zum dutzenden Male die Stunden ihrer Schande. Alma Jahm fühlte, angeekelt und gestört, dennoch in ihrer Mädchenhaftigkeit zum ersten Male etwas wie Neid. Die Gelegenheiten waren von ihr wie lästige Mücken abgescheucht worden. Nun, wo es unter ihr wie ein Schiff zu rollen und zu stampfen begann und Sturzseen wie damals im Atlantik über Deck brachen und die Worte der Pariserin, die im Tosen untergingen, wie Leuchtschrift in ihr sich fortsetzten, bekam sie Furcht, das Leben möchte zu Ende sein, bevor sie manche ungekannte Straße gewandelt sei. Und sie dachte an Allan M. Firewood, der an der Treppe gestanden hatte, den Hut in der Hand. Es ist ein Erdbeben! schrie die Französin. Die Klingeln zirpten überall, doch es war kein Dienst für sie, und sie schliefen eine Weile, denn sie waren müde vom Tag, und ein Erdbeben gibt es nicht im schönen Florida.

Es mochte nicht lange gewährt haben, da erwachten sie jäh, weil das Fenster zerklirrte und der Regen hereinstürzte und die brüllende Luft. Auch war die Glühbirne zerschmettert oder die Leitung entzwei, so daß es grausig war in der Finsternis. Zugleich ging das Telephon, man vernahm es kaum, und sie sollten hinunter. In den Fluren brannte das rote Nachtlicht. Wie eine Schar aufgescheuchter weißer Möven sammelten sich die Mädchen und senkten sich hinab ins Erdgeschoß, flatterten auf und stießen in die erregten Korridore. Alma Jahm blieb unten, kam in die Halle, wo sie mit Fackeln waren und wo das Wasser über die Stufen schülpte. Sie wollten wohl die Teppiche retten; die Neger wühlten dort barbeinig umher, der Hausmeister pfiff, daß es das Getöse durchschlug, von den Galerien hingen schrekkensbleiche Gesichter, und auf einmal neigte sich die Spiegelwand, über aller Aufschrei barst sie herab, eine rosenrote Wolke stand einen Wimperschlag lang im Raum, dann war es dunkel.

Alma Jahm blieb nicht stehen. Sie fühlte das Wasser um ihre Füße, und ihre Lackschuhe bedauernd, ertappte sie die Stufen. Jemand packte sie und griff an ihren Beinen hinauf. Sie schlug zu, entwand sich und wechselte die Richtung. Sie sank in Laues und Nasses, fühlte undeutlich einen Torbogen über sich, der sich aufzuzeichnen begann von einem Licht her, das näherschwang, aber kein Geschrei oder Flehen drang in die Mauer des Orkans. Doch dann war es da, ein Scheinwerfer, und das an Herrn Firewoods Boot, an Allan M. Firewoods großem Motorboot, in dem er wie ein Satan mit gesträubten Haaren stand. Schon ritt es vorbei, und eine Hauswand war beleuchtet und fiel um, als sei es vom Licht. Alma Jahm packte ohne Umschweife zu, es war der rechte Augenblick, und sie brauchte nicht um Kraft zu betteln, denn der Windstoß hob sie und warf sie in Regen und Flut gehüllt über die Bordkante hinter Allan M. Firewood nieder. Sie sah Firewoods Zähne breit leuchten. Er lachte, weiß Gott, wohl lauthals; doch wer sollte es vernehmen bei der Kanonade des Unwetters! Er zog sie mit freier Hand neben sich ans Steuer, brüllte ihr ins Ohr: das sei ein wahrhafter Gedanke gewesen, endlich sei was los in Miami, und dies Venedig sei billiger als in Palm-Beach nebenan, wo sie es mit so viel Geld und Zeit gemacht hätten.

Sie landeten unversehens an einem Stockwerk, wo Haufen zerrütteter Lebewesen sich bei einer Taschenlampe um Überreste balgten, die ein schwarzer Koch aus einem Hotel gerettet hatte. Es war eine wahnwitzige Auktion, und Firewood ergriff eine Zinnbüchse Kaviar und schlug den Nigger zu Boden. Als sie hinaus gelangten, war das Boot voll von Gestalten und Regenwasser. Es kam ein banger Psalm auf, und es war dürftig hörbar, daß es besser sei, auf Gott denn auf Sand zu bauen. Fackelschein stand hinten in der Schwärze, aber sie drangen nicht durch, da sie in dem entwurzelten Kokoshain der Westpromenade einen üblen Widerstand fanden. Flach unter Wasser, einer Sumpfschildkröte gleich, schwappten sie weiter. Firewood brüllte: „Das Wasser steigt, die Preise fallen!“ Dann starrte er wortloser vorweg in die Verwüstung, die der Scheinwerfer zuckend beleckte, bis ein Fensterflügel das dicke Glas traf und alles dunkel war. Erschrocken stieß der Motor sie ins Ungewisse, von den Böen getreten und gefoppt. Sie gerieten auf Klippen zusammengewehter Autos, ein unerwarteter Schwell hob sie wieder hinunter; der Motor schwieg, das Boot zitterte nicht mehr, sondern schwebte gelähmt in unübersichtlichen Kurven dahin.

Dort, wo bei beginnendem Morgengrauen drei steile Häusertürme einen riesigen Kamin bildeten, auf dessen Boden sich eine Plattform inselhaft aus der Überflutung hob, fiel das totenstille Boot in einen Windtrichter, der die Geräusche emporsog, so daß auf einmal Firewoods Stimme wie in Watte verpackt aufzutönen begann. Und er schrie das Mädchen neben sich an, es sei nun sicher schon ein Kinderheim, und dies sei die Terrasse des DDC., des Teufels-Tanz-Clubs, der leider so harmlos gewesen sei wie eine Flasche Soda. Aber nun sei alles, was trocken heißt, bis auf den letzten Faden erledigt. Und er langte eine Flasche aus der Finsternis, trank und warf sie fort. Damit sauste der Luftwirbel, der in der Höhe gezögert hatte, schon wieder hernieder und stieß das Boot gegen das zerknickte Gestänge der einstigen Zeltträger. Firewood nahm den Ruck wahr. Das Mädchenbündel unterm Arm, sprang er hinüber, sich stolpernd auf dem schlüpfrigen, aufbäumenden Zeltplan haltend. „Ich rate, Ihr seid die Herzogin von Surrey!“ keuchte er. Denn es war ein Film, der in diesem Augenblick sein Gemüt erhellte.

„Ich bin Alma Jahm, Kindergärtnerin aus Deutschland!“ riß der Sturm ihre Entgegnung gen Himmel.

„So segne dich Gott, Almy, daher kam mein Urgroßvater, das Felleisen auf dem Rücken,“ schrie er.

Der Sturm hob und senkte das schwimmende Zeltkissen, das Motorboot war längst vergurgelt. Sie flüsterte, verzückt in seine triefende Jacke verklammert: „Die Sündflut! Die Sündflut!“ und fiel nieder, hingemäht vom Wind, auf den schäumenden Boden, der sich blähte wie ein Segel; und Firewood, der junge Sohn der Industrie, fiel lallend über sie, schwörend, das Erbe seines Vaters ihren unschuldigen Händen preiszugeben. Die Luft schien stillzustehen, aber die Brandung warf einen betrunkenen Polizisten zu ihnen. Über ihnen röhrte der Sturmkrater, sog sich voll und schrob sich herab. Zu ihren Häupten, hoch an der Mauerdämmerung klebte eine Palmenkrone, flachgepreßt und festgenagelt vom Luftdruck, und während die Musik Mozarts aus der A-Dur-Sonate das Herz des Kindermädchens erfüllte und die Wälder und kleinen Städte Deutschlands darin aufsangen, griff der Wirbel herab, krachend flog das Zelttuch empor, von der Gewalt des Hurrikans entführt und trug sie vereint in die Ewigkeit.

*

Das geschilderte schreckliche Erlebnis hinterließ sichtbarlich eine allgemeine Benommenheit. Nur Herr Alwedder fragte sachlich nach einigen Einzelheiten, nach den tatsächlichen Zerstörungen, ihrer Einwirkung auf die Bodenpreise und nach den neuerlichen aber weniger großen Verheerungen durch den Orkan 1928.

Der Wirt hinter der Toonbank gähnte lauthals und es hörte sich an wie das Rollen und Seufzen ferner Brandung. Alle anderen Gäste, ein paar Fischer und ein paar Matrosen hatten die Schenke schon verlassen. Virgitte, die bucklige Wirtstochter, wünschte mit ihrem schönen Munde auf bretonisch eine gute Nacht, was ihr Vater in eine Anzahl lebender Sprachen übersetzend nachrasselte.

Man zahlte, und die, welche sich schon mit spanischem Gelde versehen hatten, legten für die anderen aus, da dem abseitigen Inselwirte Poujell mit deutschem Gelde noch weniger gedient war. Man ging hinaus auf den steilen Weg und bekam ein Windlicht mit, das Herr Holbeck, der erste Maschinist, beflissen trug. Drunten blitzte das Molenfeuer, und die Lichter des erleuchteten Dampfers, auf dem der Lärm schon Feierabend hatte, schwammen heimatlich in den schwärzlich verhangenen Formen des Hafenbeckens. Herr Bermann pfiff wie verabredet nach dem Boote. Man sprach wartend hin und her über das Vernommene. Und auf einmal war es Herr Meier, der reichlich angetrunken alle übertönte, indem er das Lied von der Windsbraut aus seinem schmalen Brustkasten hervorgrub, und alle setzten so gut sie es behalten hatten mit ein, so daß man zur Verwunderung des guten Kapitäns mit ziemlichem Hallo an der Falltreppe landete, und selbst an Bord hallte es noch eine Zeitlang weiter, ja bis in die Schlafkammern hinein.

Die getreue Windsbraut

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