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Das kleine Bonnet

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Wir saßen bei von Appen in Blankenese, hinten in der gemütlichen Ecke, ähnlich wie hier im Fröhlichen Haifisch, nur, daß es an der Elbe war. Da fragte einer, ob jemand ein Schifferklavier zu bändigen verstehe? – „Julus von Dalben!“ – „Der? Seit wann?“ – „Ich hab es selber gehört,“ sagte ich.

Julus stand auf, weiß im Gesicht. Er war aus Blankenese, begütert und nicht alt. „Schweig von dem kleinen Bonnet, verflucht, du und sie!“ lachte er unsicher und ging davon.

Also gut. Ich erzählte nichts, und wir tanzten nach den unpersönlichen Platten. Aber nun, da er sich anderweitig verheiratet hat, ist es besser, alles klarzustellen.

Julus hatte sich nämlich damals verknallt in eine der Gondefros. Die Gondefroschen Töchter sind, nehmen wir an, alle blond wie Manilahanf und schlank wie Schilf. Und wie Schilf ist auch, daß man sich manchmal fürchterlich dabei schneidet. Sie sind große Familie, uralte Segelreederei, Salpeter, Zement, vormals Tee- und Sklavenhandel, die Gondefros.

Julus war nur Mitbesitzer einer netten Fischräucherei. Aber er pochte auf sein „von“. Alle Blankeneser heißen mehr oder weniger „von“. Es ist ein gewöhnliches Bauern- und Fischer-Von. Doch Herr von Dalben hielt seines für ungewöhnlicher. Er ließ ein Wappen in seine Briefbogen pressen (nicht auf die Umschläge, um sich nicht bei der Post zu blamieren). Und danach lud er „sie“ schriftlich zum Segeln ein.

Man muß es ihm lassen, er ist ein ausgeluvter Segler, der gute Julus, und seine Sloop ist eine der gelecktesten zwischen Hamburg und Helgoland. Aber eines hätte er wissen müssen, man tauft sein Boot nicht von einem Tag zum andern um; es bringt kein Glück. „Nasser Kater“ ist ein annehmbarer Name für ein Boot. Aber als die schneeigen Schuhe der Gondefro übers Schanddeck ins Cockpit schritten, da stand am Spiegel mit frischer Farbe „Alwel“. Und so hieß sie. Sie haben sonderbare Namen, die Gondefros. Ihr Bruder beispielsweise hieß Pipp. Sie hatte ihn kurzerhand mitgebracht. Er war zwölf Jahre. Mir war er gleich.

Was ich dabei sollte? Ich sollte die Fock bedienen und so, damit er sich ausgiebiger ihrem Anblick widmen könne; denn von Unterhaltung kann bei Julus nicht viel die Rede sein, was er wohl wußte; darum gedachte er, mich als Spaßmacher zu verbrauchen. Auch sollte ich, er sagte es mir hinter der Hand, und hinter der Hand sag ich es wieder, ich sollte bei Gelegenheit eine kleine Empfehlung seiner Person mit einfließen lassen.

Es war ein hübscher, heißer Tag, es briste sanft achterlich, und wir rutschten mit der letzten Ebbe elbabwärts und kamen nach Glückstadt, als der Wind schralte und von Nord uns anhustete. Da zeigten wir, was wir konnten, hüpften über den Schwell und kratzten mit drei Schlägen in den Hafen. Aber als Julus auf den Streckbug über Stag ging, da klang mir sein „Ree!“ weiß der Teufel zu schnauzig, und ich sah, wie sich Fräulein Alwels angenehmer Mund leicht spöttisch gegen mich hob. Somit fierte ich die Fockschot ein wenig spät, und wir schrapten um Fingerbreite an der Mole längs und nahmen ein dickes Stück Wasser über. Nun, an Julus schwappte es leider vorbei, der Knabe Pipp hatte sowieso nichts an, da er für ein zu erwartendes Indianerfest „röten“ wollte, aber Alwel Gondefros herrliche Beine, die traf es.

Julus war sehr in Kragen, Schlips und Jacke. Sie zog die Schuhe über die bloßen Beine. Auf halbem Wege zum Essen meinte er, ob ich nicht lieber den ganzen Lunch ins Boot besorgen könne. Und man sah ihm an, daß er aus seiner puren Auffassung von Vornehmheit ihre mangelnden Strümpfe bedachte. Ich sagte ruhig und plump genug, wir sollten uns freuen, daß alle Leute uns mit einer Gondefro in bloßen Beinen zu sehen kriegten, die hübscher seien als der teuerste Strumpf.

Er wollte mich übertrumpfen und verglich sie mit der Fortuna, die oben auf der goldenen Kirchturmskugel statt des Gockels steht, und ich beneidete ihn schon, da aber entgegnete sie kühl, er verwechsele es hoffentlich nicht mit seinem Wappen. (Auf demselben war nämlich eine Dückdalbe, ein Anlegepfahl, und eine Möve darauf sitzend.) Und die Dame dort oben habe eine zu unmoderne Figur, obwohl sie gerade Tennis mit dem Morgenstern zu spielen scheine, und überdies hießen nach Morgenstern alle Möwen höchstens Emma.

Nach soviel Geist und Schnippigkeit verstummten wir ein bißchen. Und nur der gute Junge Pipp half uns beim Essen darüber hinweg, indem wir uns in ein nachhaltiges Gespräch verwickelten über die in Indianerreservaten bevorzugten Automobilmarken.

Julus war in sich gekehrt. Ich sagte, um Luft zu schaffen, wir würden, wenngleich schmerzlich, so doch es begreifen, wenn Fräulein Gondefro mit der Bahn anstatt mit unserer schmutzigen Kuff nach Hause fahren werde.

Julus sprang wie ein harpunierter Schweinsfisch in die Höhe. Aber die unendlich kühle und schöne Alwel winkte lässig ab. Sie denke gar nicht daran, wir und das süße Boot, das mache ihr wirklich Spaß.

Somit eilten wir elbauf zurück, und Julus überließ mir gnädig die Pinne, um dem ungerührten Segelweiß der Angebeteten die Grundlagen seiner Existenz zu unterbreiten. Ihre Hautschatten waren bronzen wie die Tönung kantonesischer Glocken, ihre Augen weit und silbergrau wie die Nordseekimm bei Westernwind. Die Sonne durchleuchtete ihre Gobbymütze und ihre dicken Schläfenhaare. Es war ein milder Tag voll Ausflugdampfermusik und voll der großmächtigen Bässe abgesalzener Überseer aus aller Welt.

Aber unser Wind wurde flauer, und knups, schlief er ein. Pipp, der unverblümte Knabe, ritt auf der Großbaumnock seiner Vollendung als Rothaut entgegen, klimperte an der Dirk und flötete nach Taifun und Hurrikan.

Noch schob uns die Flut. Ich sah abwechselnd auf das verschämt killende Achterliek und auf Alwel, die verträumt dasaß, während Julus still und vergeblich nach Worten rang. Auf einmal schrie er: „Wir wollen Wein trinken, Wein, ich weiß ein molliges Lokal. Höher an den Wind, mein Gott, wir kriechen ja wie im Sirup!“ Damit war sein erkünstelter Überschwang auch schon verpufft, und er kratzte belämmert am Mast, mein Segeltalent in Zweifel ziehend.

„Hissen Sie ein kleines Bonnet!“ lächelte Alwel. „Die Gondefroschen Kapitäne auf den Teeklippen Anno dazumal haben gute Erfahrungen mit kleinen Bonnets gemacht.“

„Hiß ein kleines Bonnet!“ grunzte Julus mich an, seine Verständnislosigkeit mit dem Brustton eines Hapagkommodores verdeckend.

„Ay, ay!“ erwiderte ich, ergriff, um etwas zu ergreifen, – denn ich hatte auch keine Ahnung, – die seidenen Strümpfe, die noch immer auf dem Kajütsdach lagen, obwohl längst trocken, und schor sie an die Flaggleine.

Die Wirkung war, daß wir uns allesamt mit Julus verkrachten; denn er versteht betreffs korrekter Haltung keinen Scherz. Indessen machten wir wieder Fahrt, obgleich achteraus, da der Strom gekentert hatte. Und im Nu saßen wir fest auf Meiers Sand, das nette Hochgebirge Blankeneses vor der Nase.

Wir hatten rund zehn Stunden Zeit. Es wurde Nacht. Alwel Gondefro wollte nicht im Boot bleiben. Sie ruderte mit ihrem Bruder auf die grasbüschlige Sandhöhe. (Nein, nach Hause fuhr sie nicht.) Sie nahm alle unsere Decken und Kissen mit und wollte baden.

„Fahr’ hinüber und sprich mit ihr!“ sagte Julus endlich.

„Dir ist wohl flau!“ entgegnete ich. „Und du willst mich wohl als ein kleines Bonnet für dein Lebensschiff mißbrauchen!“ Aber dann pfiff ich Pipp und das Beiboot blieb danach drüben.

Wir lagen still auf dem Rücken, nicht weit voneinander, sie und ich, und blickten in die Sterne und die Stromlichter. Pipp schlief. Aber Julus schlief nicht. Was er nie im Beisein anderer fertiggebracht hätte, er hatte eine Ziehharmonika hervorgezogen und spielte herzzerreißend die ganze Nacht. Daher eben weiß ich es.

Eine Handharmonika in einer lauen Nacht überm Wasser bei Schiffslichtern, die vorüber in die unbekannte Ferne gleiten, das ist nicht ungefährlich für ein junges Mädchen. Ich hörte es wohl, wie Alwel schwerer zu atmen begann. Oho, Julus war doch ein raffinierter Hund.

Ob ich sie fragte? Natürlich! Jedoch der Mensch ist ein böses Tier von Jugend auf. Ich fragte sie, wie es sei mit ihr und – mir. Und daß ich, an der Flaggleine meines Daseins ihre kleinen seidenen Sachen in Ewigkeit als Nationale zu führen, als mein Ziel ansehe und verrückt sei wie ein entseelter Hering ...

Sie weinte ein wenig an meinem Halse, das schöne Kind. Es sei dies der Abschied von uns allen, sagte sie. Denn die andere Woche, da fahre sie nach Makassar. Und ich solle es auch Herrn von Dalben mitteilen, daß nämlich die Gondefros nicht gern in Hamburg-Altona und Blankenese heiraten, sondern lieber in der weiten Welt.

*

„Der Wind hat seine Rolle bei dem kleinen Bonnet gespielt, wenngleich mehr durch Abwesenheit,“ bemerkte Herr Sotteig.

Alle sahen von dem blonden, beherrschten und reinlich geformten Gesicht des Hamburgers auf das düster lebhafte, zerfurchte und zonenerfahrene des Konsuls.

„Ich will nun mal berichten,“ fuhr er fort, „wo ich den Wind in seiner furchtbarsten Gestalt kennengelernt habe. Es war Gott sei Dank nicht auf See oder wie eben hübsch bei Haus, sondern an der Küste Floridas. Und zur Abwechslung stammt die Dame, die darin vorkommt, nicht aus höheren Kreisen; wenigstens war sie damals nichts als Stubenmädchen in einem Hotel und auch in Deutschland war sie, soviel ich weiß, nur Kindergärtnerin gewesen.“

Hier schrak Fräulein Siebenstern peinlich zusammen. Aber Konsul Sotteig sprach weiter: „Ein Beruf übrigens, der für die Erziehung der Menschheit und die Entwicklung der Kultur eine bisher noch lange nicht genug untersuchte Einwirkung und Aufgabe hat, da gerade die Kindheit vor dem schulpflichtigen Alter ihre später bestimmenden Eindrücke empfängt, was Herr Doktor Kosel als Arzt mir bestätigen wird. Aber davon abgesehen, Diese Geschichte hat mit Kindern weniger zu tun. Wir dachten wahrhaftig, der Jüngste Tag sei hereingebrochen und mit ihm

Die getreue Windsbraut

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