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1.3.2 Finanzgeographie im deutschsprachigen Raum

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Die eben aufgeführten internationalen Trends spiegeln sich auch in der aktuellen Forschungslandschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz wider. Der Kreis der Human- und WirtschaftsgeographInnen, die sich mit finanzgeographischen Fragestellungen auseinandersetzen, ist hier insgesamt noch relativ überschaubar, in den letzten Jahren jedoch merklich angewachsen. Angesichts der inzwischen stark ausgeprägten internationalen Vernetzung – nicht zuletzt in einer Reihe von regelmäßigen Treffen und institutionalisierten Netzwerken (Exkurs 1) – kann dabei auch nicht mehr wirklich von einer besonderen, landestypischen Herangehensweise gesprochen werden (vgl. allgemeiner auch HESS 2009). Der Großteil der Forschung lässt sich damit den gleichen Themenkomplexen und Perspektiven wie oben unterordnen. Viele Arbeiten entstehen heute in engem Dialog mit ausländischen Partnern oder in landesübergreifenden Verbundprojekten. Entsprechend stützen sich die eben genannten internationalen Trends gerade auch auf Forschungsergebnisse und Diskussionsbeiträge der hiesigen community.

Exkurs 1: Institutionalisierung der Finanzgeographie In der zweiten Hälfte der 2000er-Jahre haben sich national und international mehrere für die Arbeit von FinanzgeographInnen sehr relevante Forschungsforen etabliert. Im internationalen Kontext seien vor allem die International Working Group on Financialisation, 2006 von Mitgliedern der Universität Manchester gegründet, und das Research Network on Geographies of Finance and Post-Socialist Transformations innerhalb der Regional Studies Association genannt. Hinzu kommen Sitzungen im Rahmen internationaler Konferenzen, wie beispielsweise den Jahrestagungen der Association of American Geographers und der britischen Royal Geographical Society oder den in mehrjährigen Abständen stattfindenden Kongressen der International Geographical Union (z.B. 2012 in Köln) und Deutscher Geographentag (etwa in Passau 2013). Mit Fokus auf Beiträge aus dem deutschsprachigen Raum werden seit 2005 auch sog. ‚Forschungswerkstätten‘ zur Finanzgeographie ausgerichtet. Diese Workshops in ca. anderthalbjährigem Abstand an verschiedenen Orten (zuletzt Osnabrück, Heidelberg und Eichstätt) richten sich besonders auch an junge Wissenschaftler und interessierte Studierende.

Besondere Schwerpunkte

Zu dieser Entwicklung kann dem Werk von Eike Schamp (geb. 1941) ein wesentlicher Beitrag zugesprochen werden. Schamp ist seit 1989 als Professor für Wirtschaftsgeographie an der Goethe-Universität Frankfurt tätig und hat seitdem und auch über die Emeritierung 2006 hinaus mit Schülern und Kollegen – häufig auch aus dem englischsprachigen Kontext – kontinuierlich wegweisende theoretische und empirische Impulse zu den jeweils zeitgenössischen Inhalten der Finanzgeographie geliefert. Dazu zählen eine frühe Auseinandersetzung mit den Veränderungen im internationalen Finanzsystem durch Liberalisierung und Deregulierung und ihren Auswirkungen für räumliche Produktionsorganisation und regionale Entwicklung (SCHAMP et al. 1993), Arbeiten über das nationale und internationale System von Finanzzentren und dabei besonders Frankfurt als zentralem deutschen Finanzplatz (SCHAMP 1999; LO und SCHAMP 2001; vgl. auch GROTE 2004) sowie Beiträge über Innovationsfinanzierungen bzw. den Wandel der räumlichen Bezüge der Finanzbeziehungen in Innovationsprozessen (z.B. THIERSTEIN und SCHAMP 2003).

Durch Schamps Arbeiten zieht sich ein konzeptioneller Zugang, der vor allem von der Neuen Institutionenökonomik, später auch der Evolutionsökonomie inspiriert ist. Institutionen – also formale und informelle Regeln, die das Verhalten und Handeln von Individuen und Gruppen bei wirtschaftlichen Austauschbeziehungen konditionieren – und die kontextspezifischen Prozesse ihrer Entstehung, Reproduktion und Veränderung stehen entsprechend regelmäßig im Mittelpunkt seiner Analysen. Auch andere Forschungen von bzw. unter Mitwirkung von hierzulande ansässigen GeographInnen folgen solch einem vornehmlich institutionenorientierten Ansatz. Davon seien an dieser Stelle Untersuchungen über die Internationalisierung des Bankwesens in Osteuropa und Japan vor dem Hintergrund der jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen und ihren Veränderungen (KLAGGE 1997; GROTE und KLAGGE 2001) und vergleichende Studien im internationalen Verbund über Venture Capital-Finanzierung und -politik in Großbritannien und Deutschland (MARTIN et al. 2003, KLAGGE 2003) als ebenfalls noch frühe Beiträge herausgestellt.

Fokus Unternehmensfinanzierung/Finanzbeziehungen

Neben der Prominenz der institutionellen Perspektive ist die vergleichsweise intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen der Unternehmensfinanzierung eine zweite Besonderheit der Arbeit im deutschsprachigen Kontext. Diesem Feld, vor gut zehn Jahren noch als „still very much in its infancy“ (MARTIN 1999, S. 5) bezeichnet, lässt sich letztlich der größte Teil der jüngeren hierzulande erarbeiteten Forschung zuschlagen. Aufmerksamkeit erfahren zum einen die speziellen Charakteristika und Entwicklungen der hiesigen Finanzsysteme, wie etwa die starke Bankenorientierung und die dezentrale Organisation des Börsensystems in Deutschland (KLAGGE und MARTIN 2005; HAAS und ZADEMACH 2005; für die Schweiz siehe KRUSE 2005) oder der Strukturwandel des deutschen Finanzwesens im Zuge internationaler Konsolidierungsprozesse und zunehmender Kapitalmarktorientierung (z.B. KLAGGE 1995, 2004; ZADEMACH 2006). Zum anderen stehen bestimmte Finanzierungsformen – Kreditfinanzierungen durch die Hausbank, Beteiligungsfinanzierungen durch Risikokapitalgesellschaften, Business Angels und internationale Finanzinvestoren – bzw. genauer die daraus resultierenden Beziehungen zwischen Kapitalgebern und -nehmern in ihren räumlichen Bezügen und in ihrem Zusammenspiel mit regionalen Disparitäten, Agglomerationseffekten etc. im Mittelpunkt (z.B. GÄRTNER 2008; KLAGGE und PETER 2009; HANDKE 2009, 2011; WALLISCH 2009; ZADEMACH 2009a, 2011; SCHEUPLEIN 2012).

Erträge der kritischen und kulturellen Geographien

GeographInnen aus dem deutschsprachigen Raum haben die internationale Forschungslandschaft der Finanzgeographie daneben mit Beiträgen bereichert, die sich stärker in die Tradition der oben ausgeführten progressiven Arbeitsrichtung einreihen. Stellvertretend dafür seien hier Studien über die Konsequenzen der Liberalisierung der Finanz- und Immobilienmärkte auf die bauliche Entwicklung in Städten anhand Frankfurts und Bostons (HEEG und DÖRRY 2009; HEEG 2010) und verschiedene kritische Auseinandersetzungen mit der zunehmenden Dominanz des Finanzkapitals (z.B. ZELLER 2003, 2008) angeführt. Ähnlich werden Arbeiten aus sozialtheoretisch-revidierter, konstruktivistischer Position international wahrgenommen, wie insbesondere der Entwurf einer kulturgeographischen Konzeption der Ökonomie, die (Finanz-)Märkte nicht mehr als gegeben und selbstverständlich vorgängig hinnimmt, sondern danach fragt, wie sie zum Beispiel von Börsenmaklern performativ hergestellt, gestaltet und stabilisiert werden (BERNDT und BOECKLER 2009, 2011; vgl. auch HALL 2011). Insgesamt stellt sich die hiesige Finanzgeographie damit ähnlich pluralistisch und offen dar wie auf der internationalen Ebene.

1 Wie noch ausführlicher dargestellt (Kap. 1.3.2) haben GeographInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die internationale Diskussion auch schon früher bereichert, dann allerdings in Form englischsprachiger Beiträge.

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