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Klara Buchloh

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Frau Buchloh war alleinstehend und wohnte in einem alten Haus in der Vorstadt. Sie stand kurz vor ihrem 72. Geburtstag und war schon Witwe, sie war für ihr Alter sehr gut aussehend und sehr vital. Ihr ehemaliger Mann hatte ein Lungenleiden und war letztlich daran gestorben.,das war zwei Jahre, bevor sie ihre Goldene Hochzeit gefeiert hätten.

Frau Buchloh hatte sich nach dem Tod ihres Mannes soweit eingerichtet, sie war das, was man als rüstig bezeichnen konnte und übernahm das Arbeitsquantum, das früher ihr Mann verrichtet hatte, mit. Da war vor allem der Garten, der zu pflegen war, und den ihr Mann über alles geliebt hatte. Er hatte alles im Griff, was mit dem Garten zu tun hatte, und er wusste genau, wann etwas zu düngen war, wann Kalk aufgebracht werden musste und wann Gift zu spritzen war. Denn dass Gift gegen die Pflanzenschädlinge einzusetzen war, war für ihn klar, wie sonst hätte man gegen die Schädlingsplage vorgehen sollen? Hin und wieder wurden seine Pflanzen davon befallen, und da konnten die jungen Leute wie seine Kinder reden wie sie wollten. Sicher, das E 605, das er früher eingesetzt hatte, war inzwischen verboten, weil es DDT enthielt. Er nahm Roundup, das zwar auch verboten war, er ließ es sich aber immer von seinem polnischen Nachbarn aus dessen Heimat mitbringen, denn in Polen konnte man Roundup überall problemlos kaufen. Frau Buchloh pflegte zum Umgang ihres Mannes mit dem Pflanzengift nichts zu sagen, sie mischte sich überhaupt nicht in die Gartenbelange ihres Mannes ein.

Sie war schlank und drahtig, was daran liegen mochte, dass sie ein Leben lang gearbeitet hatte. Das hatte sie von ihren Eltern, die zur Kriegsgeneration gehört hatten und, da sie selbst in bescheidenen Verhältnissen lebten, die Mark dreimal umdrehten, bevor sie sie ausgaben. Frau Buchloh hatte langes, fast weißes Haar, das sie an jedem Morgen zu einem Knoten zusammenband und unter einem Haarnetz versteckte. Sie trug über einer schlichten Bluse und einem grau-grünen Flanellrock einen Allerweltskittel, wie ihn beinahe alle Frauen in ihrem Alter trugen. Früher mochte so ein Kittel dazu gedacht sein, die Kleidung vor dem Schmutz zu schützen, der bei der Hausarbeit anfiel, heute war er eigentlich überflüssig. Wenn Frau Buchloh ihn trotzdem jeden Tag aufs Neue anzog, dann geschah das, weil sie nicht mit dem Althergebrachten brechen wollte, und mochte es noch so überholt sein. Dadurch, dass ihr Haar völlig aus dem Gesicht verschwunden war, stach die Warze, die sie auf ihrer rechten Wange trug, besonders ins Auge, und nicht genug damit, dass es die Warze nun einmal gab, saß mitten auf ihr gut sichtbar ein Haar. Die Haut an ihren Armen warf Falten und war voller Altersflecke. Aber das scherte sie nicht, sie trug einfach langärmlige Blusen, die die Flecken verdeckten. Sie war von ihrer Erscheinung her eher unscheinbar und man nahm kaum Notiz von ihr. Nur der polnische Nachbar, Herr Kuczinsky, hielt schon einmal ein Schwätzchen über den Gartenzaun und unterhielt sich mit ihr über scheinbar Belangloses wie das Wetter.

Es kam aber auch vor, dass sie ein Fachgespräch über den Anbau von Topinambur oder Melde hielten. Das waren zwei Pflanzen, die früher nur von armen Leuten angebaut und gegessen wurden, und die heute Einzug in die moderne Küche gehalten haben. Herr Kuczinsky war immer adrett gekleidet und machte einen gepflegten Eindruck. Er war ebenfalls Witwer und 3 Jahre jünger als Frau Buchloh. Er trug sein Haupthaar glatt nach hinten gekämmt, was seine an sich sanften Gesichtszüge hervortreten ließ und ihn zu einer sympathischen Erscheinung machte. Man hätte meinen können, dass zwischen Frau Buchloh und ihm eine Beziehung möglich gewesen wäre, aber dazu war es noch zu früh, der Tod von Herrn Buchloh lag erst ein Jahr zurück, und Frau Kuczinsky war erst seit 2 Jahren tot. Das Haus, in dem Frau Buchloh lebte, war verwohnt, um es einmal neutral auszudrücken, es war in Wirklichkeit heruntergekommen und musste an allen Ecken und Enden repariert werden, angefangen beim Keller bis zum Dach. Die Reparaturbedürftigkeit betraf die Wasserleitungen, die Stromleitungen, die Fenster und das Dach selbst, um nur die neuralgischsten Punkte zu nennen. Immer, wenn es durch das Dach regnete, es durch die Fenster zog, die Wasserleitungen undicht waren oder die Sicherung herausflog, holte Frau Buchloh Herrn Kuczinsky zu Hilfe, der dann eine provisorische Reparatur durchführte. Danach hielt er Frau Buchloh immer einen Vortrag darüber, wie wichtig ein dichtes Dach oder dichte Fenster wären, und Frau Buchloh hatte sich fest vorgenommen, die Großreparaturen durchführen zu lassen, soviel Erspartes hatte sie. Sie konnte das Dach eindecken und neue Fenster einbauen lassen.

Die Alternative hätte geheißen, das Haus zu verkaufen und in eine Mietwohnung zu ziehen, das hatte sie sich wohl überlegt. Dafür hätte gesprochen, dass sie alle Sorgen um anstehende Reparaturen los gewesen wäre und vielleicht in Kontakt zu netten Mietern hätte kommen können, dagegen die inzwischen doch sehr hohen Mieten und der Status als Nichteigentümer, der sich an die Vorgaben des Vermieters zu halten hatte. Dazu käme noch der Umzug in ein völlig neues Wohnumfeld, wo sie eine Unbekannte wäre, um die sich erst einmal niemand kümmern würde.

Zu ihrem Haus gehörte auch ein Vorgarten, in dem sie ab dem Frühling immer zu tun hatte, und jeder, der vorbeikam, grüßte sie und sie grüßte zurück. Nein, diese Vertrautheit mochte sie doch nicht missen, und da würde ihr in einer Mietwohnung doch einiges fehlen. Stavenkirchen hieß die Kleinstadt, in der sie lebte, und sie fühlte sich wohl in der norddeutschen Stadt. Ihre Kinder lebten mit ihren Enkeln am anderen Ende von Stavenkirchen, sie besaßen Autos, und so war es ein Leichtes für sie, zu Besuch zu kommen. Mindestens einmal in der Woche kamen Lotti, ihre Tochter mit Bernd, deren Mann und Leni und Felix, deren 9 und 11 Jahre alte Kinder oder Oliver, ihr Sohn und Gabi, dessen Frau mit Sascha und Dorith, deren 7 und 9 Jahre alten Kindern zu Besuch.

An ihrem Geburtstag oder an hohen Feiertagen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten waren sie natürlich alle da, und zu diesem Anlass backte Frau Buchloh dann immer eine Buttercremetorte, die ihre Kinder besonders gern aßen.

„Oma, hast Du wieder so eine leckere Torte für uns gebacken?“, fragten sie dann und Frau Buchloh antwortete:

„Ihr wisst doch, dass es zu solchen Festtagen immer eine Buttercremetorte gibt!“ Manchmal kam es vor, dass die Enkel bei der Oma schlafen durften. Das war das Größte für die Kleinen, und Frau Buchloh hatte einen Heidenspaß mit ihren Enkeln.

„Ich möchte heute oben schlafen!“, forderte Sascha dann, und er meinte den Speicher, der zwar nicht regelrecht ausgebaut war, auf dem man aber auf Matratzen, die dort ausgelegt waren, gut schlafen konnte.

„Wer möchte denn mit Sascha auf dem Speicher schlafen?“, fragte die Oma dann die Kinder, aber eigentlich kam nur Felix in Frage. Die beiden Jungen machten dann auf dem Speicher immer ordentlich Rabatz, bevor sie schliefen, und die Oma ließ sie gewähren.

„Beim nächsten Mal sind die Mädchen wieder dran, oben zu schlafen“, sagte sie und die Enkel akzeptierten, was ihnen ihre Oma sagte.

An ihrem Geburtstag, der im August lag, saßen sie immer alle draußen auf der Terrasse, und die Kinder tobten im Garten herum. Besonders der Schuppen, den Herr Buchloh dort errichtet hatte, hatte es ihnen angetan, und sie durchwühlten ihn von oben bis unten. Entsprechend verdreckt kamen sie wieder zur Terrasse und wurden dort von ihren Müttern erst einmal wieder saubergemacht, sofern sich das dort regeln ließ. An Frau Buchlohs Geburtstagen war auch immer Herr Kuczinsky eingeladen, und er kam sehr gern. Er brachte für die Kinder Bonbons mit und war deshalb von ihnen besonders geschätzt, aber sie bekamen natürlich auch von Oma Buchloh Süßigkeiten. Frau Buchloh hatte eine alleinstehende Schwester, die in Hamburg lebte und immer zu ihrem Geburtstag und an Weihnachten erschien, so auch an dem 72. Geburtstag. Sie war zwei Jahre jünger als ihre Schwester und sah ihr zum Verwechseln ähnlich. Herr Kuczinsky fühlte sich durch die Anwesenheit der unwesentlich älteren Damen geradezu herausgefordert und übertraf sich beinahe selbst mit Komplimenten. Die Schwestern saßen nebeneinander und hatten sich viel zu erzählen. Gerti, die Schwester aus Hamburg, war die redseligere:

„Also, ich muss Dir unbedingt erzählen, was ich neulich bei mir in Hamburg erlebt habe...“. So fing sie an und hörte fast nicht mehr auf, wenn Klara, so der Vorname von Frau Buchloh, sie nicht regelmäßig unterbrochen hätte. Gerti hielt sich beim Kuchen nicht zurück, genau wie Herr Kuczinsky, sie nahm sich zwei Stücke Buttercremetorte und war danach pappsatt.

Natürlich hatte Klara auch noch weiteren Kuchen, eine Buttercremetorte hätte für alle sicher nicht gereicht. Die Kinder stromerten durch den Garten, während sich die Erwachsenen unterhielten, und sie nahmen sich wieder den Schuppen vor. Nachdem sie dort alles von oben nach unten geräumt hatten, kamen sie voller Dreck zur Terrasse und die Mütter wussten sich nicht anders zu helfen, als den Wasserschlauch zu nehmen, den Klara dort liegen hatte und die Kinder so lange abzuspritzen, bis sie sauber waren. Lotti und ihre Familie wohnten nicht weit von Oliver und seiner Familie am anderen Ende von Stavenkirchen, sie brauchten mit ihren Wagen eine Viertelstunde, um Klara zu besuchen. Lotti war eine Mitvierzigerin, die sich ihrer Schönheit bewusst war. Bernd arbeitete als Informatiker bei einer Computerfirma in der Nachbarstadt Nordwyk, die auch gleichzeitig Kreisstadt war. Er war das, was man einen Nerd nennen würde, wenn man ihn nicht näher kannte. Oliver war Einzelhandelskaufmann im örtlichen Baumarkt, er war vom Äußeren her rundlich und hatte auch schon ein Kränzchen. Die beiden Frauen waren Hausfrauen. Lotti und Bernd legten großen Wert auf sportliche Betätigung und das sah man auch an deren Figuren, sie waren durchtrainiert und schlank. Lotti trug langes Blondes Haar, und wenn sie in Jeans die Straße entlanglief, hätte an sie für ein junges Mädchen halten können. Bernd sah in dem Anzug, in dem er zur Arbeit ging, aus wie ein junger Mann. Bei Oliver und Gabi lag die Sache etwas anders, beide hielten sie von Sport nicht so viel, sie setzten sich nach Feierabend zusammen und tranken jeder Bier. Sie waren nicht gerade dick, aber man konnte erkennen, dass sie übergewichtig waren.

Die Kinder gingen auf die Grundschule in Stavenkirchen, nur Felix besuchte die Gesamtschule in Nordwyk. Sie verbrachten ihre Freizeit wie alle Kinder vor ihren Computern und tauschten sich mit Freunden regelmäßig in der Schule über die neuesten Spiele aus. Die jungen Familien trafen sich in lockeren Abständen mal bei dem einen und mal bei dem anderen, sie wohnten 2 Minuten zu Fuß auseinander.

Bei Klara ging es langsam auf den Abend zu, und sie hatte natürlich alle zum Abendessen eingeladen. Auch hier ließ sie sich nicht lumpen und brachte gute Sachen auf den Tisch: es gab verschiedene Fleisch- und Fischsalate, kalten Braten, selbstgemachte Sülze, die die Kinder nicht so gern mochten, viele Wurst- und Käsesorten und vor allem ausgezeichnetes Brot. Sie hatte in der Nachbarschaft einen Bäcker, dessen Spezialität ein sehr gutes Roggenbrot war, es war sehr kräftig und hatte eine knusprige Kruste. Zum Essen gab es für die Erwachsenen Bier und Wein und für die Kinder Sprudel. Meist war es so, dass eine der beiden Mütter den Fahrdienst übernahm und deshalb auch zum Sprudel griff, die drei anderen konnten trinken und hielten sich auch nicht zurück. Obwohl der Platz reichlich eng bemessen war, fuhren sie mit nur einem Wagen, sie mussten eben zusammenrücken und die Kinder auf den Schoß nehmen.

Herr Kuczinsky sah sich immer genötigt, eine kurze Rede zu halten und er stand dazu auf:

„Liebe Frau Buchloh, wir freuen uns alle, heute mit Ihnen Ihren 72. Geburtstag feiern zu dürfen. Wir wünschen Ihnen alles Gute und noch viele weitere Lebensjahre!“ Daraufhin erhob er sein Bierglas und prostete mit allen anderen Klara zu, die sich sichtlich gerührt über die netten Worte freute.

„Lieber Lezek“, fing sie mit einem Male an, „wir beide kennen uns nun schon so lange, ich biete Dir hiermit das Du an!“ Herr Kuczinsky wusste im ersten Moment gar nichts zu entgegnen und sagte schließlich:

„Ich heiße Lezek“ und Frau Buchloh:

„Und ich Klara“.

Die beiden sahen sich an, hakten sich unter und gaben sich eine Kuss auf die Wangen. Die anderen brachen in lautes zustimmendes Gegröle aus und freuten sich darüber, dass sich die beiden Alten endlich duzten. Gegen 21.00 h machte Klara Schluss, die Kinder mussten ins Bett, am nächsten Tag mussten sie früh aufstehen, um in die Schule zu gehen, und Felix musste mit dem Bus fahren. Ihre Väter mussten noch früher hoch, um zur Arbeit zu gehen und zu fahren.

Gerti blieb noch bei Klara und würde erst am nächsten Tag den Zug zurück nach Hamburg nehmen. Lezek wünschte den jungen Familien eine angenehme Rückfahrt und bedankte sich bei Klara für das schöne Geburtstagsfest, danach ging er nach nebenan zu sich. Klara und Gerti saßen noch eine Zeit draußen am Tisch und unterhielten sich.

„Was empfindest Du eigentlich für Lezek?“, fragte Gerti ihre Schwester und Klara antwortete:

„Ich finde, dass Lezek ein sehr entgegenkommender Mensch ist, der mir jeden Gefallen tut, er hat mir über die schwere Zeit nach dem Tod meines Mannes hinweggeholfen. Ich weiß nicht, wie ich diese schwere Zeit sonst hätte überstehen sollen. Wenn Du aber darauf abhebst, dass sich da eine Beziehung zwischen ihm und mir anbahnt, muss ich Dich enttäuschen, für eine neue Beziehung ist es noch zu früh.“

Gerti fuhr am nächsten Tag gegen Mittag wieder nach Hamburg zurück, Klara hatte sie zum Bahnhof begleitet. Sie stand bei der Abfahrt des Zuges auf dem Bahnsteig und winkte, bis von Gerti nichts mehr zu sehen war. Gerti schloss das Zugfenster und setzte sich auf ihren reservierten Platz. Sie dachte an das Exorzistentreffen, das an diesem Abend bei ihr stattfinden sollte. Es trafen sich mit ihr zusammen immer fünf Frauen abwechselnd, mal bei der einen, mal bei der anderen, dieses Mal bei Gerti, in lockerer Runde. Es ging gar nicht erst immer um exorzistische Gespräche oder Handlungen, sondern man saß einfach beieinander und fühlte sich wohl. Diejenige, bei der das jeweilige Treffen stattfand, musste sich um Speisen und Getränke kümmern und die musste Gerti noch besorgen, sobald sie zu Hause bei sich angekommen war.

Es kamen Lydia, Gerda, Helene und Doris zu ihr, und alle hatten sie in etwa das Alter von Gerti, nur Helene war etwas älter. Es wurde bei ihren Zusammenkünften immer gut gegessen und getrunken, und manchmal kam es sogar vor, dass sie so betrunken waren, dass niemand mehr zu sich nach Hause gefunden hätte. Sie mussten dann bei der betreffenden Einladenden übernachten. An die Durchführung ihres exorzistischen Rituals war dann natürlich kein Denken mehr, und sie ließen es einfach ausfallen. Sie hatten sich schon einen Namen als die exorzierenden Frauen erarbeitet und es in ihrem näheren Wohnumfeld in Hamburg zu einiger Bekanntheit gebracht. Dennoch wusste Klara nichts von den exorzistischen Umtrieben ihrer Schwester, und sie hätte mit Sicherheit alles getan, um sie von diesem Übel abzubringen. Gerti, deren Mann vor mehr als zehn Jahren gestorben war, war schon kurz nach seinem Tod zu ihren exorzistischen Freundinnen gestoßen, und ihr Erfolg, wenn auch noch sehr bescheiden, beflügelte sie.

Morde und Leben - Kerger und Richter

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