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Lezek Kuczinsky

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Lezek Kuczisnky stand in seinem Keller vor einem Regal mit Militaria und begutachtete einen alten NS-Stahlhelm, den er vor Kurzem aus dem Internet erstanden hatte, und der ihm gerade per Post zugestellt worden war. Lezek war Sammler vom Militaria und da besonders solcher aus der NS-Zeit. Das war in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: einmal war es verboten, solche alten NS-Symbole bei sich zu horten, und zum anderen sammelte er als ehemaliger Pole gerade NS-Militaria, wo doch Polen als Land ganz besonders unter der NS-Diktatur zu leiden gehabt hatte. Lezek war geradezu vernarrt in die NS-Symbole, er konnte auch nicht sagen, warum, vielleicht war es gerade, weil sein Heimatland von der NS-Diktatur so stark betroffen war.

Der Stahlhem war ein Helm der Waffen-SS gewesen, er hatte an der Seite noch die SS-Runen. Auf Relikte der Waffen-SS war Lezek besonders erpicht, weil ihnen heute noch das Authentische anhaftete. Niemand wusste von seiner heimlichen Sammelleidenschaft, wenn es bekannt geworden wäre, womit er sich in seinem Keller beschäftigte, hätte er nicht nur sein gutes Verhältnis zu seiner Nachbarin Klara abbrechen müssen, er wäre auch noch angezeigt worden und hätte eine saftige Strafe aufgebrummt bekommen. Außerdem wären alle seiner Militaria konfisziert worden. Er begab sich auch immer nur zu Zeiten in seinen Keller, in denen nicht mit Besuch zu rechnen war. Die Kellertür lag unauffällig unter der Treppe, er hatte sie mit einer nicht ins Auge stechenden braunen Decke verhängt. Sein tragbares Telefon nahm er immer mit in den Keller, für den Fall, dass jemand anrief, und er sich melden konnte. Aber sooft bekam er keinen Besuch und die Zahl der Anrufe hielt sich auch in Grenzen. Es kam höchstens vor, dass seine Schwester aus Nordwyk ihn anrief, was aber selten geschah.

Lezek hatte sich seinen Keller wohnlich eingerichtet, das hieß, dass er sich neben den ganzen Regalen, in denen er seine Sammelstücke aufbewahrte, einen Computerarbeitsplatz hergerichtet und in eine Ecke des Kellerraums, der recht groß war, eine Couch mit Couchtisch und einen Sessel gestellt hatte. Lezek verbrachte Stunde um Stunde in seinem Keller, saß am Computer und sah sich den Militaria-Markt im Internet an, oder er saß in seinem Sessel und las Fachzeitschriften oder Fachbücher. Er hatte sich die Haustürklingel nach unten gelegt, sodass er im Keller hören konnte, wenn oben jemand schellte. Dann ließ er alles stehen und liegen und rannte nach oben und danach schloss er leise die Kellertür hinter sich, damit niemand hören konnte, dass er im Keller gewesen war. Es kam auch vor, dass er sich mit Gleichgesinnten traf, die ihn besuchten, um etwas von ihm zu kaufen oder ihm zum Kauf anzubieten. Solche Besuche beschränkte er aber doch stark, damit die Nachbarschaft nichts davon mitbekam und am Ende noch über ihn redete. Im Regelfall traf er sich mit interessierten Militaria-Sammlern an einem verabredeten Ort, das war oft ein Cafe oder bei schönem Wetter auch der Park zum Beispiel in Nordwyk. Lezeks ganzer Stolz war eine Schaufensterpuppe in seinem Keller, der er die komplette Felduniform angezogen hatte. Sie trug Stiefel, Rucksack, Stahlhelm und eine MP. Er hatte sie wie zu einem Sturmangriff hingestellt.

Lezek stand oft neben der Puppe und schaute sie bewundernd an. Der Soldat, den sie verkörperte, war der gleiche, der am 01.09.1939 am Polenfeldzug teilgenommen hatte, bei dem seine Tante und sein Onkel ums Leben gekommen waren. Er hatte sie allerdings nie kennen gelernt, denn er war ja ein Nachkriegskind. Er war bei seinen Eltern in Warschau aufgewachsen und hatte die erbärmlichen Nachkriegsjahre miterlebt. Bis er früh in den 60er Jahren mit seinen Eltern und seiner Schwester über Skandinavien nach Deutschland geflohen war. Umso erstaunlicher war seine Liebe zu NS-Militaria, aber darum machte er ja ein großes Geheimnis, und bislang hatte auch noch niemand etwas davon mitbekommen. Sein Kellerraum barst schon beinahe über vor Sammlerstücken, aber Lezek dachte nicht daran, das Sammeln einzustellen. Er überlegte stattdessen, noch einen weiteren Kellerraum herzurichten. So ziemlich alles, was man an NS-Militaria sammeln konnte, hatte er eigentlich, es fehlten ihm nur einige Stücke aus dem Bereich „HJ“ und da ganz besonders der Dolch mit der Aufschrift „Blut und Ehre“. Lezek wusste, dass man NS-Militaria nur auf dem Schwarzmarkt über das schwarze Internet (Darknet) bekommen konnte. Aber das war für ihn kein Problem, er hatte die Software TOR („The onion router“) installiert und auf diese Weise Zugang zum Darknet. Eines Tages verabredete er sich mit einem Herrn Börger im Park in Nordwyk, um ihm einen „HJ“-Dolch abzukaufen.

Es war der Originaldolch, und Herr Börger hatte ihn auf einem Foto im Darknet angeboten, man konnte deutlich die Schrift „Blut und Ehre“ erkennen. Lezek war ganz wild geworden, es packte ihn das Sammelfieber, so wie es alle gepackt hätte, die seiner Sammelleidenschaft erlegen wären. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr zur vereinbarten Zeit in den Park in Nordwyk, parkte auf dem Parkplatz, der zum Park gehörte und lief angespannt zu der Stelle am Ententeich, an der er Herrn Börger treffen wollte. Dort setzte er sich erwartungsvoll auf eine Bank und schaute gebannt in die Richtung, aus der Herr Börger kommen würde. Es dauerte eine kurze Weile, bis sich eine Person näherte, sehr langsam und mühevoll, ein Mann in fortgeschrittenem Alter. Als der alte Mann an seiner Bank ankam, machte Lezek das Zeichen, das sie verabredet hatten, und an dem sie sich erkennen wollten: er hob die Hand und formte aus Mittelfinger und Daumen einen Kreis. Der Mann machte die gleiche Geste und damit war der Kontakt hergestellt. Er setzte sich schwer atmend neben Lezek auf die Bank und stellte sich als Herr Börger vor, auch Lezek nannte seinen Namen.

„Herr Börger, wenn ich gewusst hätte, dass sie solche Schwierigkeiten mit dem Laufen haben, hätten wir uns doch auch bei Ihnen zu Hause treffen können“, sagte Lezek.

„Ah, lassen Sie mal, ich muss mich nur langsam bewegen, dann klappt das schon. Wenn Sie einmal 90 Jahre alt sein werden, haben Sie vielleicht ähnliche Schwierigkeiten!“, antwortete Herr Börger.

„Haben Sie den „HJ“-Dolch bei sich?“, fragte Lezek und Herr Börger knöpfte seine Jacke auf und förderte das Messer zutage. Es war in einwandfreiem Zustand und befand sich in der dazugehörigen Scheide. Lezek nahm es in die Hand und bekam glänzende Augen. Er zog es aus der Scheide und konnte auf der Schneide die Aufschrift „Blut und Ehre“ lesen. Es hatte am Griffende eine halbe Parierstange, der Griff bestand aus zwei Kunststoffschalen, in die das Hakenkreuzsymbol eingelassen war. Es hatte eine Länge von 255 mm mit Scheide, die Klinge allein war 140 mm lang. Der „HJ“-Dolch wurde vom Berechtigten in einem Tragegeschirr auf der hinteren linken Hüfte getragen. Die RZM-Nummer (Reichszeugmeisterei) war M 7/10 und verwies auf den Hersteller J.A. Henckels, besser bekannt unter dem Firmennamen „Zwilling“/Solingen.

„Der Dolch ist ja in einem ausgezeichneten Zustand, wie sind Sie denn an den gekommen, wenn ich fragen darf?“, fragte Lezek.

„Es ist mein eigener Dolch!“, antwortete Herr Börger, immer noch schwer atmend und mit stockender Stimme.

„Ich war damals „HJ“-Mitglied und habe den Dolch mit 14 Jahren überreicht bekommen.“

Das Sprechen fiel Herrn Börger sehr schwer und Lezek schaute ihn an, er saß da, kerzengerade, den Blick nach vorn gerichtet, die Hände neben sich auf der Bank liegend.

„Herr Börger, fehlt Ihnen etwas, kann ich etwas für Sie tun?“, fragte Lezek und sah Herrn Börger dabei an. Der sagte aber nichts und sah weiter geradeaus.

„Herr Börger!“, rief Lezek und fasste seinen Arm, doch Herr Börger war bereits tot. Er hatte wohl einen Herzinfarkt erlitten und verharrte in der Sitzposition, die er anfangs eingenommen hatte. Lezek blickte sich zunächst Hilfe suchend um, er sah aber niemanden, den er hätte ansprechen können, und nach einer Weile fasste er einen unglaublichen Entschluss: er ließ Herrn Börger auf der Bank sitzen, nahm den „HJ“-Dolch und stahl sich davon. Für die Leute, die Herrn Börger auf der Bank finden würden, war er ein alter Mann, der an einem Herzinfarkt gestorben war. Auf ihn würde niemand kommen, er hatte auch niemanden gesehen, der sich vielleicht an ihn erinnern könnte. Er fuhr mit dem Dolch nach Hause, schloss die Haustür auf und ging in seinen Keller. Dort setzte er sich in den Sessel und begutachtete seine Neuanschaffung von allen Seiten. Eigentlich hatte er den Dolch ja gestohlen, denn er hatte Herrn Börger keinen Cent dafür gegeben und ihn einfach an sich genommen. Aber darüber machte sich Lezek keine Gedanken. Warum hatte er sich nicht um Herrn Börger gekümmert und einen Notarzt angerufen? Er konnte es nicht sagen, vielleicht fürchtete er Scherereien wegen des „HJ“-Dolches. Er sah sich in seinem Kellerraum um und beschloss, noch eine Schaufensterpuppe zu besorgen und ihr die „HJ“-Uniform anzuziehen, die er jetzt komplett hatte, er hatte auch das Tragegeschirr für den Dolch und würde es an der Puppe anbringen. Lezek hielt immer noch im Darknet Ausschau nach Militaria, obwohl er schon sehr gut sortiert war. Er war quasi besessen von seiner Sammelleidenschaft, hielt aber alles im Verborgenen. Einmal schellte es bei ihm und er stürmte aus dem Keller zur Haustür. Er hatte ganz vergessen, das Koppelschloss das er gerade erworben hatte, aus der Hand zu legen. Klara, die vor der Tür stand und ihn bitten wollte, doch einmal bei ihrer Wasserleitung nachzusehen, die an einer Stelle tropfte, fragte:

„Was willst Du denn mit dem verrosteten Stück Eisenblech?“ Und Lezek, der erst in diesem Augenblick gewahr wurde, was er da in seiner Hand hielt, antwortete:

„Das wollte ich gerade in den Müll werfen“, ging zur Mülltonne und warf das Koppelschloss hinein. Nachdem Klara ihm gesagt hatte, warum sie zu ihm gekommen wäre, entgegnete er:

„Ich komme gleich zu Dir, sagen wir in zehn Minuten.“ Als Klara wieder nach Hause gegangen war, lief er zur Mülltonne und holte das Koppelschloss wieder heraus, brachte es in den Keller und ging zu Klara rüber. Sie hatte die übliche Beschädigung an der Wasserleitung, alles müsste eigentlich herausgerissen und ersetzt werden. Lezek flickte aber den Schaden noch einmal mit Dichtband. Klara dankte ihm und wollte ihm eine Tasse Kaffee anbieten, Lezek lehnte aber höflich ab und ging wieder zu sich in seinen Keller.

In Nordwyk hatten Spaziergänger im Park den toten Herrn Börger gefunden und die Polizei verständigt. Nachdem die Polizei dort eingetroffen war, veranlasste sie die notwendigen Schritte und die Leiche von Herrn Börger wurde in die Rechtsmedizin gebracht. Anhand seiner Ausweispapiere hatte die Polzei die Adresse von Herrn Börger festgestellt und seine Wohnung inspiziert. Die Wohnung quoll sehr zur Verwunderung der Beamten beinahe über mit Militaria aller Art, besonders solcher aus der NS-Zeit. Sie verständigten die Staatsanwaltschaft und die ließ alles, dessen Besitz verboten war, einsammeln und konfiszierte es. Die Sachen kamen in eine Asservatenkammer und wurden dort zusammen mit weiteren NS-Militaria, die ebenfalls dort lagerten, aufbewahrt. Herr Börger wurde beerdigt, und es kamen nicht viele zu seinem Begräbnis, Verwandte hatte er keine.

Nachdem Lezek wieder Stunden in seinem Keller verbracht hatte, ging er nach oben und rief Klara an:

„Ich habe mir überlegt, Dich auf ein Plätzchen und eine Tasse Kaffee zu mir einzuladen, hast Du nicht Lust, rüber zu kommen?“ Klara war ganz perplex über Lezeks Angebot, weil es so etwas noch nie vorher gegeben hatte. Sie zierte sich aber nicht und ging zu Lezek, voller Neugier, was ihn wohl getrieben hatte, eine solche Einladung auszusprechen. Sie schellte bei Lezek und der öffnete die Tür, sichtlich erfreut, seine Nachbarin vor sich zu sehen.

„Wir haben uns zwar erst vor vier Stunden gesehen“, sagte Klara, „aber wenn Du mich so herzlich einlädst, komme ich natürlich!“ Lezek nahm Klara mit in sein Wohnzimmer, wo er Kaffeegeschirr und Plätzchen auf dem Couchtisch postiert hatte, und er bat Klara, sich zu setzen.

„Jetzt wohnen wir schon so lange nebeneinander, und es ist das erste Mal, dass ich in Deinem Wohnzimmer bin!“, sagte Klara.

„Von heute an wird das öfter geschehen!“, entgegnete Lezek.

„Wir können uns doch mit den Einladungen abwechseln, das nächste Mal bin ich wieder dran!“, sagte Klara.

„Damit bin ich einverstanden“, entgegnete Lezek, „aber Klara, Du musst langsam einmal daran denken, Dein Haus auf Vordermann bringen zu lassen!“

„Ich weiß, und ich habe auch schon einmal darüber nachgedacht, eine Firma anzurufen“, entgegnete sie. „Lass uns das doch Morgen gemeinsam machen, da musst Du einmal in den sauren Apfel beißen und mit dem Dreck, den die Arbeiter in Deinem Haus hinterlassen, zurechtkommen, ich denke, dass das alles in allem höchstens eine Woche lang dauern wird“, sagte Lezek.

„Das machen wir, komm doch Morgen früh einfach zu mir, und ich tätige die Anrufe, erst das Dach, dann der Strom und zum Schluss das Wasser“, freute sich Klara.

„Du kannst in der Zeit, in der bei Dir gearbeitet wird, gerne bei mir wohnen und Dich hier wie bei Dir zu Hause fühlen“, bot Lezek ihr an.

„Das ist sehr lieb von Dir, dass Du mir das anbietest, ich werde darauf zurückkommen“, antwortete Klara.

„Wie Du Dich sicher erinnerst, habe ich mein Dach vor fünf Jahren eindecken lassen, nach einem Tag waren die Dachdecker damit fertig“, sagte Lezek.

„Ich glaube, auf meinem Dach liegen immer noch die ersten Pfannen, es wird Zeit, dass das Dach einmal neu gedeckt wird!“, sagte Klara.

„Die benutzen heutzutage Betonpfannen, bis die kaputtgehen, bist Du längst unter der Erde!“, sagte Lezek.

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