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3. Eine Kultur erlischt

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Was Nestan und die übrigen Bewohner der Siedlung gesehen und erlebt hatten, waren die Auswirkungen einer ungleich größeren Katastrophe, die sich weit entfernt auf einer großen Insel zugetragen hatte, die zu dieser Zeit keinem der Einwohner Päridons und der anderen beiden Kontinente Euredor und Mauana bekannt war, da sie in einer so großen Entfernung von ihnen lag, dass sie weder mit ihren Booten erreicht noch von ihnen gesehen werden konnten. [Das Interesse an der Existenz eines weiteren, kleinen Kontinentes wäre, wenn überhaupt, auch nur bei Einwohnern vom Schlage der Seemenschen vorhanden gewesen. Für die Ureinwohner Elverans hätte sie keine Rolle gespielt. Und zu dieser Zeit waren die Ureinwohner dieser Welt noch weitaus in der Mehrheit]. Aus diesem Grunde und wegen des restlosen Unterganges der Insel, gab es keine Überlieferungen über die Ereignisse, die sich dort bis zu diesem Unglück zugetragen hatten. Einige der wenigen Dinge, die in späteren Zeiten über sie bekannt wurden, waren die Gewissheit ihrer ehemaligen Existenz und ihr Name: Ax´lûm. Doch manchem erschien selbst das noch wie eine gegenstandslose Legende.

Ungeachtet solcher Zweifel hatte die Insel eine solche Ausdehnung besessen, dass sie mit Recht ein kleiner Kontinent genannt werden konnte.

In den letzten eintausendfünfhundert Jahren ihres Daseins lebte auf Ax´lûm ein ganz besonderes Volk. Es war deutlich höher entwickelt als alle anderen Völker Elverans und nannte sich die Ax´lán. Und tatsächlich lag sein Ursprung nicht auf diesem Planeten, wie sich im Verlauf der Geschichte herausstellen sollte.

Da die noch sehr einfachen Einwohner der anderen Kontinente ihnen nichts zu bieten hatten, gab es lange Zeit keine Verbindungen zwischen ihnen. Die Ax´lán hatten sich dazu entschlossen, fern aller eingeborenen Völker zu leben und so sollte es bleiben. Bis zu dem Tag, an dem ihre Welt unterging.

Ax´lûm lag in einem Gebiet mit starker vulkanischer Tätigkeit. Vielleicht hatten die Ax´lán es versäumt, sich ihre neue Heimat sorgfältiger auszusuchen, vielleicht bot sie, obwohl sie davon wussten, bestimmte Vorteile. Jedenfalls waren Erdbeben und Vulkanausbrüche nicht selten und bis zum Untergang von Ax´lûm gab es keine Zeit, in der nicht wenigstens einer seiner Vulkane Feuer und Rauch spie. Trotzdem hatten sich die Ax´lán dort niedergelassen.

Ax´lûm hatte aber auch angenehme Seiten. Es lag auf dem Äquator und besaß damit die Vorzüge eines warmen Klimas. An Wasser herrschte kein Mangel und die Böden eigneten sich bis auf wenige Gebiete gut für die Landwirtschaft. Außerdem verfügte dieser kleine Kontinent infolge der intensiven Vulkantätigkeit über reiche Vorkommen an den verschiedensten Erzen, besonders Eisen, und Mineralen.

Die Ax´lán verfügten über alle technischen Mittel, ihre Wohnungen in einer Weise zu bauen, dass sie auch schweren Erdbeben standhalten konnten.

Größere Schwierigkeiten bereitete ihnen, die noch unterentwickelten eingeborenen Bewohner zu vertreiben, was schlichtweg deren Tod bedeutete. Das hatte weniger mit dem Widerstand der Eingeborenen zu tun, als mit der Zerstrittenheit der Ax´lán-Leute untereinander. Und so dauerte es einpaar Jahre, bis Ax´lûm dem Volk der Ax´lán allein gehörte.

Die Ax´lán waren zwar menschenähnlich, aber keine Menschen. Und sie duldeten niemand anderes neben sich. Sie entstammten einer hochentwickelten, raumfahrenden Rasse und waren durch Gründe, die außerhalb Elverans lagen, auf diesem Planeten gestrandet. Damit waren sie anfangs auf vielen Gebieten den natürlichen Völkern Elverans überlegen, die auf den anderen Kontinenten in einem vergleichsweise unterentwickelten Zustand verharrten.

So fortgeschritten die Ax´lán in allen Bereichen der Technik und der verschiedenen Wissenschaften waren, so niederträchtig und kurzsichtig waren die Handlungen derer, die auf Elveran angekommen waren.

Obwohl ihre Lage auf Ax´lûm kurz nach ihrer Landung nicht einfach war, waren sie nicht fähig dazu, ihre Streitigkeiten beizulegen, die sie bereits mitgebracht hatten und die ihr Dasein auf Elveran prägen sollten. Es gab nicht ständig Mord und Totschlag, auch wenn solche Taten nicht selten vorkamen. Überwiegend zeichneten sich die Ax´lán jedoch aus durch Arglist, Verleumdung, Betrug, Diebstahl und ein derartig krankhaftes Ehrgefühl, dass dessen tatsächliche oder empfundene Verletzung gewalttätige Handlungen bis hin zu den fortwährenden Blutfehden zwischen den einzelnen Sippen zur Folge hatte. Und selbstverständlich führten sie zuweilen auch richtige Kriege gegeneinander.

Schon wenige Monate nach ihrer Ankunft auf Elveran begannen ihre Streitigkeiten, die, wenn sie auch nur selten ihre Existenz im Ganzen gefährdeten, sich doch durch die gesamte Zeit ihrer Anwesenheit auf dem Planeten hindurchzogen und ihr Volk in mehrere feindliche Gruppen zersplitterte, die keine Gelegenheit ausließen, sich untereinander zu schaden. Sie richteten eine beträchtliche Unordnung an und vernichteten dabei einen Teil ihrer Archive, in denen die Überlieferungen von ihrer Heimatwelt aufbewahrt wurden. Dabei ging viel Wissen über ihre Herkunft, ihre Geschichte und vor allem über die Grundlagen ihrer technischen Überlegenheit verloren.

Diesen Verlust hielten sie für weniger bedauerlich, als den eines Teiles ihrer technischen Ausrüstung. Aber mit der Zerstörung ihres Wissens waren sie auch nicht mehr dazu in der Lage, ihn zu ersetzen. Und falls es anfangs vielleicht auch nicht beabsichtigt war, so war es schließlich unabwendbar, dass sie auf Ax´lûm festsaßen und keine Möglichkeit mehr hatten, Elveran zu verlassen. So waren sie auf dem Planeten gefangen und ihre spätere Geschichte sollte einen entscheidenden Einfluss auf die eingeborenen Völker haben.

Auf Ax´lûm blieben die Ax´lán etwa anderthalb Jahrtausende, und obwohl sie in ihrer Anfangszeit noch über Flugzeuge und anderes technisches Gerät verfügten und Elveran auskundschafteten, vermieden sie jegliche näheren Begegnungen mit den einheimischen Völkern auf den anderen Kontinenten. Die wiederum waren weit genug entfernt, dass keines ihrer Schiffe Ax´lûm erreichte, sie nicht einmal von der Existenz dieses Kontinentes ahnten.

Dieser Teil der elveranischen Geschichte, das Schicksal des Ax´lán-Volkes auf Ax´lûm, fand auch keinen Eingang in die sehr frühen Legenden und blieb für alle Zeit unbekannt.

In der ersten Zeit nach ihrer Ankunft sorgten sie für eine gewisse Aufregung unter den teils höher entwickelten Ureinwohnern, wenn sie mit ihren Flugzeugen am Himmel auftauchten. Natürlich waren diese Eingeborenen, zumindest die meisten von ihnen, davon überzeugt, dass nun endlich die sehnsüchtig erwarteten Götter erschienen waren, die ihnen die Legenden, oder manche wenig wohlwollenden Priester in ihrem eigenen Interesse, versprochen hatten. Und dabei würde niemand je erfahren, auf welche ungöttliche Weise die Fremden bemüht waren, Ax´lûm für sich zu erobern.

In ihrer Aufregung und Freude bauten diese Ureinwohner Anbetungs- und Opferstätten zu Ehren der »Götter«. Es wurde allerlei geopfert und viel gefeiert. Doch bald stellte sich Ernüchterung ein, als die Ureinwohner feststellten, dass die »Götter« sich um diese Ehrenbekundungen herzlich wenig kümmerten. Als dann immer noch nichts geschah, als die Eingeborenen versuchsweise die eine oder andere Opferhandlung ausfallen ließen, erkannten sie, wie sinnlos ihr Treiben war. Falls die Wesen in ihren fliegenden Dingern wirklich Götter waren, dann wahrscheinlich keine der Einwohner Elverans.

Es begann eine Zeit, in der sich die Fremden dann und wann am Himmel zeigten, sich aber nicht um das Geschehen am Boden kümmerten. So wenig, wie sie die Ehrengaben angenommen hatten, so wenig schienen sie den Menschen schaden zu wollen. Und die Einwohner Elverans erfuhren lange Zeit weder den Namen dieser himmlischen Wesen noch bekamen sie welche zu Gesicht. Als es dann Jahrhunderte später geschah, brachten sie die Fremden nicht mehr mit den angeblichen Göttern der Anfangszeit in Verbindung.

In der Zwischenzeit gerieten sie in der Erinnerung der elveranischen Bevölkerung immer mehr in Vergessenheit, und nur noch einpaar dünne Sagen kündeten von der früheren Anwesenheit der sonderbaren Erscheinungen am Himmel über ihnen.

Im Verlauf der Jahrhunderte nach ihren ersten Sichtungen wurde das Auftauchen der Flugzeuge seltener, denn die Ax´lán waren bald nicht mehr in der Lage, sie angemessen zu warten, da sie die Einrichtungen und das Wissen zerstört hatten, um die erforderlichen Austauschteile herzustellen. Somit blieben immer mehr Flugzeuge am Boden, die dann als Ersatzteillager für andere dienten.

Schließlich kam der Zeitpunkt, als das letzte ihrer Luftfahrzeuge beobachtet wurde. Und sein Abgang war durchaus spektakulär.

Es geschah eines frühen Morgens irgendwo an der Westküste des Kontinentes Euredor, der später ohne die Insel Ax´lûm umrunden zu müssen, auf geradem Wege von Päridon aus in östliche Richtung erreicht werden konnte.

Einige eingeborenen Fischer kehrten gerade von ihrem Frühfang in ihr Dorf zurück, als sie über dem dahinterliegenden Höhenzug plötzlich ein ungewöhnliches Geräusch vernahmen, ein Pfeifen und Knattern. Zuerst konnte sie nichts erkennen, aber dann wurde einer der »Fliegenden Fische« der Götter sichtbar - diese Art der Flugzeuge, denn es gab verschiedene, hatte seinen Namen aufgrund seiner Ähnlichkeit mit den Fischen im Meer erhalten - der entgegen seiner gewöhnlichen Erscheinung mit erstaunlich viel Rauch- und Lärmentwicklung aufs Meer hinausflog. Plötzlich verwandelte er sich in eine kleine, grelle Sonne und stürzte ins Meer. Nur eine hohe, dünne Qualmwolke stand noch für einige Zeit über der Wasseroberfläche, bis sie schließlich vom Winde verweht wurde.

Der Absturz hatte für die Fischer in unerreichbarer Ferne stattgefunden, da sie nur kleine Boote besaßen, die ihnen zwar Streifzüge entlang der Küste erlaubten, für weitere Fahrten aufs Meer aber nicht geeignet waren. Daher konnten sie auch nicht nachschauen, ob an jener Stelle noch irgendetwas zu finden war. Einige Tage lang wurde viel über dieses Ereignis gesprochen. Dann fiel keinem im Dorf mehr etwas Neues dazu ein und schließlich vergaßen sie die Sache wieder.

Dabei war dieser Unfall für die Ax´lán durchaus tragisch. Bei dem Absturz, verursacht durch ein schadhaftes Triebwerk, verloren sie ihr letztes Flugzeug. Die Mannschaft kam dabei ums Leben, versank mit dem Wrack im Meer, und da sie keinen Notruf mehr absetzen konnten, erfuhr auch niemand etwas von ihrem Schicksal.

Etwa um die gleiche Zeit, in der sie ihr letztes Flugzeug verloren, stellten die Ax´lán fest, dass sie sich in einer gefährlicheren Gegend niedergelassen hatten, als es zuerst absehbar war, denn die geologische Unruhe unter ihrer elveranischen Wahlheimat nahm spürbar zu. Die Abstände zwischen großen Vulkanausbrüchen und starken Erdbeben wurde messbar kürzer. Auch die seebebenbedingten Flutwellen traten häufiger auf als zuvor. Das alles war unangenehm, aber nicht so bedrohlich wie die Feststellung, dass sich weite Teile des Küstenkranzes rund um Ax´lûm als nicht stabil erwiesen und begannen, allmählich unter den Meeresspiegel abzusinken.

Die Ax´lán hatten sich in ihrer Anfangszeit möglichst weit entfernt von den tätigen Vulkanen angesiedelt, und da ihnen die fruchtbaren Küstengebiete am besten geeignet erschienen, waren dort auch die meisten Siedlungen entstanden. Daher wurden sie später auch weniger durch die Vulkanausbrüche gefährdet als vielmehr durch die Folgen der See- und Erdbeben.

Das alles geschah nicht kurzfristig und es dauerte einige Jahrhunderte, bis ihre Existenz ernsthaft in Gefahr geriet, doch über diesen Zeitraum mussten viele Male Siedlungen aufgegeben werden und die Einwohner in höher gelegene Gebiete ausweichen.

Schließlich gab es eine weitere Erscheinung, die den Ax´lán von ihrer Heimatwelt unbekannt war und von deren Möglichkeit sie anfangs nicht einmal etwas geahnt hatten. Sie war so heimtückisch und verheerend, dass die Siedler sie von allen Naturgefahren am meisten zu fürchten lernten, da sie unsichtbar und ohne Vorankündigung auftrat.

Es waren magnetische Wirbelstürme, die unvermittelt aus dem Boden wuchsen und alles Eiserne mit sich rissen und mit irrsinniger Geschwindigkeit durch die Luft schleuderten. Selbst kleinste Teile wurden so zu tödlichen Geschossen. Das geschah auffallend oft, auch wenn vielleicht kein Zusammenhang bestand, bei vollkommen windstillen Wetterlagen und betraf Gebiete mit einem Durchmesser bis zu einer halben Meile. Diese tückischen Erscheinungen forderten nicht selten beachtliche Zahlen an Opfern.

Die ax´lánischen Wissenschaftler fanden zwar sehr schnell heraus, dass es sich um ein Phänomen des elveranischen Magnetfeldes handelte, wie sie sagten, und diese Magnetstürme bereits unter der Erdoberfläche entstanden, ehe sie hervortraten, aber was sie verursachte, das blieb ihnen verborgen. Noch ratloser waren sie, als sie feststellten, dass diese besondere Erscheinung nur auf der Insel Ax´lûm auftrat, denn niemals fanden sie Hinweise dafür auf einem der anderen Kontinente, obwohl es in Wirklichkeit auch dort Magnetstürme gab, jedoch sehr viel seltener, schwächer und von den Ax´lán unbemerkt. Da sie keine geeigneten Geräte hatten, um die Planetenkruste unter Ax´lûm zu untersuchen, blieb ihnen nur die Vermutung, dass sie über einem geologisch einzigartigen Bereich in Elverans Innerem siedelten.

Hätten sie bei ihrer Ankunft feststellen können, wo sie im Begriff waren, sich niederzulassen, wäre ihre Wahl kaum auf diesen Kontinent gefallen, denn an dieser Stelle war die feste Erdkruste kaum halb so mächtig wie anderenorts auf dem Planeten. Darunter und nur dort befand sich ein Höhlensystem mit einer Anzahl gewaltiger Kammern, angefüllt mit flüssigem Magma, das sich langsam an die Oberfläche schmolz. Aus ihnen heraus hatten sich zahllose dünne Kanäle noch oben vorgeschoben, die die Vulkane entstehen ließen. Durch die ungleichmäßige Hitzeverteilung in der Erdkruste entstanden Spannungen zwischen drei Kontinentalplatten, die unter Ax´lûm zusammentrafen. Diese Kräfte entluden sich nicht selten in Erd- und Seebeben. Je höher die Magmakammern aufstiegen, desto mehr nahmen diese Spannungen zu.

Die Magnetstürme waren eine Folge der ungewöhnlich hohen Ansammlung flüssigen Eisens aus dem Inneren des Planeten, das mit teilweise beachtlicher Geschwindigkeit in den Magmakammern auf- und abstieg, sich im Kreis bewegte und durch die Gänge an die Oberfläche gelangte. Dabei entstanden Magnetfelder von gewaltigem Ausmaß, die wiederum die Magnetstürme erzeugten, von denen sich manche über Stunden austobten.

Diese Zusammenhänge ahnten die ax´lánischen Wissenschaftler bestenfalls, beweisen konnten sie sie nicht. Allerdings erkannten sie im Lauf der Zeit einen Umstand, der mehr und mehr durch die gemachten Beobachtungen bestätigt wurde - Ax´lûm war dem Untergang geweiht, nicht sofort, aber es würde innerhalb eines überschaubaren Zeitraums im Meer versinken. Daran gab es keine Zweifel.

Es ist erstaunlich, dass trotz dieses Wissens kein Versuch unternommen wurde, das Volk auf einen anderen Kontinent umzusiedeln, denn zu diesem Zeitpunkt hätten die Ax´lán noch ausreichend Möglichkeiten gehabt, auf die übrigen Landmassen auszuweichen. Doch es geschah nicht und am ehesten ist das damit zu erklären, dass sie in ihren Streitigkeiten die warnenden Worte der kleinen Anzahl ihrer Wissenschaftler nicht hörten oder nicht hören wollten, da sie genug damit zu tun hatten, sich untereinander das Leben schwer zu machen.

Dann, zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts nach ihrer Ankunft auf Elveran, nahm das Unheil seinen Lauf. Die erste Magmakammer war so weit aufgestiegen, dass ihr gewaltiger Druck sich an die Erdoberfläche Bahn brach. Und das geschah so unerwartet schnell, dass es zu spät war, die gesamte Bevölkerung von Ax´lûm in Sicherheit zu bringen.

Als die Erde zu beben begann, stärker als jemals zuvor, und in der Mitte des Kontinentes ein so gewaltiger Vulkan aus der Erdkruste hervorbrach, dass auf Ax´lûm kein Ort zu weit entfernt war, um ihn nicht sehen zu können, kam für die meisten Einwohner jede Hilfe zu spät. Sie starben nicht sofort, aber sie waren zu weit von den Häfen entfernt, um noch rechtzeitig die rettenden Schiffe zu erreichen, deren Anzahl ohnedies zu gering gewesen wäre, um alle Einwohner aufzunehmen.

Die wenigen Flüchtlinge, die später aufs Meer hinausfuhren, hatten kaum die Zeit, auch nur das Nötigste zusammenzupacken und die rettenden Häfen zu erreichen. Und das waren auch nur diejenigen Ax´lán, die in deren Nähe wohnten. Trotz allem hatten diese noch Glück im Unglück, denn die Katastrophe traf sie, wenn auch unvorbereitet, an einem Vormittag, zu einer Zeit also, in der sie wach und bekleidet waren und heller Tag herrschte. Hätte der Untergang von Ax´lûm in der Nacht begonnen, wäre die Zahl der Opfer ungleich höher gewesen.

Obwohl es vielen Schiffen mit Überlebenden gelang abzulegen, erreichten nicht alle von ihnen die rettende See, denn mit den Beben gingen auch plötzliche und gewaltige Meereswellen einher und weite Landstriche wurden überflutet. Manch eine dieser mächtigen Wogen schwemmte schreiende und verängstigte Ax´lán von den Kaimauern, kurz bevor sie in eins der rettenden Boote steigen konnten. Kochend heißes Meerwasser rollte dampfend an den Küsten von Ax´lûm entlang und riss ganze Hafenanlagen ein. Schiffe, deren Besatzungen sich schon in Sicherheit wähnten, versanken in Strudeln oder konnten von dem heißen, sprudelnden Wasser nicht mehr getragen werden. Doch auch die Beben selbst verursachten Tod und Verderben vieler Ax´lán, wenn sie unter herabstürzenden Trümmerteilen oder einstürzenden Mauern begraben wurden.

Im Inland, wo von Anfang an keine Hoffnung auf Rettung für die Einwohner bestand, sah es nicht weniger übel aus. Hier starben die Leute nicht durch Wasser, sondern durch einen Regen aus Geröll und Staub. Auch sie wurden durch einbrechende Gebäude und Mauerwerke erschlagen oder erstickten durch die giftigen Gase, die aus Rissen und Spalten aus dem Erdinneren hervortraten. Das Schicksal dieses Volkes auf Ax´lûm war besiegelt.

Die ganze Katastrophe dauerte zwei Tage. Am Ende war der Kontinent in dem noch namenlosen Ozean untergegangen und hatte den größten Teil seiner Bewohner mit sich in die Tiefe gerissen. Als sich nach vielen weiteren Tagen der Sturm gelegt, der letzte Strudel aufgelöst und die letzte Dampfwolke verzogen hatte, da zeugte nur noch die schlammige Trübung des Seewassers und das endlos erscheinende Meer von Treibgut davon, dass es hier in weitem Umkreis einmal Land gegeben hatte. Nicht einmal mehr die Spitze des Vulkans, die Nestan nicht deuten konnte, war noch zu sehen. Buchstäblich alles war von der Oberfläche Elverans verschwunden. Doch zu diesem Zeitpunkt waren die Schiffe, denen die Flucht gelungen war, den rettenden Gestaden der anderen Kontinente bereits nahe.

Es waren schließlich dreiundzwanzig Schiffe, die eine Woche nach dem Untergang von Ax´lûm die Küste der Seemark erreichten. Die Ax´lán kamen dort an, wo noch vor wenigen Tagen ein kleines Fischerdorf gestanden hatte, in dem ein Mann namens Knurrhahn lebte und dessen Dorfältester Nestan genannt wurde.

Am dritten Tag, nachdem das Wasser der verheerenden Flutwelle abgelaufen war, erschienen die Schiffe am Horizont. Es war ein sonniger Vormittag und deutlich zeichneten sich die silbernen Rümpfe auf der türkisfarbigen Wasseroberfläche ab. Es waren schlanke, schnelle Schiffe und sie besaßen keine Segel. Wenn die Ax´lán auch nicht mehr die Geheimnisse des Fliegens kannten, so besaßen sie doch noch das Wissen um Antriebsarten, die ihre Schiffe schneller als den Wind machten. Allein schon die weißen, schäumenden Bugwellen der sich mit hoher Geschwindigkeit der Küste nähernden Schiffe wiesen ihren Ursprung als nichtelveranisch aus.

Kaum eine halbe Meile vor dem Land sanken die Buge sachte ins Wasser, als die Schiffe ihre Fahrt verlangsamten. Bald waren sie so nahe, dass Einzelheiten erkennbar wurden. Schon auf dem ersten Blick wäre aufgefallen, was sich vorher bereits angedeutet hatte, dass diese Schiffe niemals von einem der eingeborenen Völker Elverans gebaut worden sein konnten. Sie waren zu groß und schienen eine metallische Außenhaut aus einem Guss zu besitzen, die in der untergehenden Abendsonne wie Elektron glänzten. Die Fahrzeuge maßen an die einhundert Meter und waren gut zwanzig Meter breit. Geduckt erhoben sich auf den Oberdecks die Brücken, die fast den gesamten Aufbau der Schiffe bildeten. Rundum und in gleichmäßigen Abständen waren zahlreiche, ovale Fenster angeordnet. Die Schiffskörper waren von makelloser Gestalt ohne sichtbare Aufbauten. Auf den Decks waren keine Leute zu sehen.

Die Schiffe näherten sich bis auf wenige hundert Meter der Küste und blieben dann liegen. Ohne Anker zu werfen, verhielten sie auf der Stelle und nur die schwache Dünung verhalf ihnen zu einer kaum sichtbaren Auf- und Abbewegung, als sie wie lauernd dalagen und abwarteten.

Bei längerer Betrachtung wäre die anfangs unterschwellige Bedrohung immer deutlicher zu spüren gewesen, die von dieser ansehnlichen und merkwürdigen Flotte ausging. Doch es gab keine Betrachter.

Nichts regte sich auf den Schiffen - bis zum folgenden Morgen.

In der frühen Dämmerung öffneten sich in den Bordwänden aller Schiffe gleichzeitig zahllose Schotte, wo vorher nur die nahtlose Außenhaut zu sehen war. Jedes Schott entließ ein kleines, schwarzes Ei. Sie versanken, eine kleine Fontäne emporschleudernd, im Meer, trieben kurze Zeit darauf wieder auf und setzten sich in Richtung Festland in Bewegung.

Nur wenige Minuten später schob sich das erste Rettungsboot knirschend auf den Strand. Diese kleinen Gefährte besaßen weder sichtbare Fenster noch ließ ihre Gestalt irgendwelche Einzelheiten erkennen oder Rückschlüsse auf die Antriebsart ziehen.

Gleich nach der Landung öffneten sich die ersten Luken und die Besatzungen verließen die Boote. Jeweils zehn Wesen entstiegen einem Wasserfahrzeug. Auf den ersten Blick hätten es Menschen sein können, die da an Land gingen. Sie besaßen zwei Arme, zwei Beine und einen Rumpf, der einem menschlichen glich. Doch die Körper waren schlanker und die Gestalten hochgewachsener als durchschnittliche Menschen. Besonders auffallend war ihre Barhäuptigkeit. Den Ankömmlingen fehlte jegliche sichtbare Behaarung und die Schädel zeigten einen verlängerten Hinterkopf. Diese Merkmale zeigten sowohl die Frauen als auch die Männer, deren Geschlechtsunterschiede im Übrigen denen der Menschen glichen. Abgesehen von der Schädelform und der fehlenden Behaarung waren die Gesichter menschenähnlich mit einem Paar Augen, einer Nase und einem schmallippigen Mund. Die Ohren nahmen den üblichen Platz ein, waren aber ein wenig kleiner, als es bei Menschen der Fall ist. Die Haut der Ankömmlinge besaß eine hellviolette Tönung. Nur jemandem, der dieses Volk gut kannte, fielen die kleinen Unterschiede zwischen den einzelnen Wesen auf. Allen anderen mussten sie vollkommen gleich erscheinen.

Ihre Kleidung bestand aus Hosen, Jacken und Stiefeln in verschiedenen Ausführungen und Farben, die jedoch keine militärischen, wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Ränge erkennen ließen. So wie sie daherkamen, glichen sie eher einem Haufen heruntergekommener Freibeuter. Man sah ihnen an, dass sie schwere Zeiten durchgemacht hatten. Die Kleidung war zerschlissen und verdreckt und teilweise in Auflösung begriffen.

Es war kaum zu übersehen, dass sie auf der Flucht waren - und sie waren schnell und überstürzt geflohen. Je mehr sich von ihnen versammelten, desto öfter waren Verletzte unter ihnen zu finden, mit teilweise blutigen Verbänden, auf Krücken gestützt oder nur einfach humpelnd. Schließlich standen etwa Zweitausend dieses fremden Volkes an dem Strand. Unter den Fremden befand sich eine kleine Anzahl von zwergwüchsigen, völlig andersgearteten Wesen, die bald eine entscheidende Rolle im Schicksal der Ax´lán spielen sollten. Sie gehörten dem Volk der Amurthi an.

Einer der Ankömmlinge ging die Dünen hinauf, die das ablaufende Wasser noch übriggelassen hatte, und blickte auf das Hinterland. Seinem Gesicht war keine Regung anzusehen, als er den anderen, mit einer weiten Geste seines linken Armes, zurief:

„Das hier ist unsere neue Heimat! Entladet die Boote!“

Bisher war alles stillschweigend und ruhig vonstattengegangen. Die Ankömmlinge erschienen beinahe zögernd und ängstlich, obwohl das Land sie freundlich empfing und die gerade über dem Meer aufgehende Sonne sie mit ihren hellen Strahlen wärmte. Jetzt jedoch kam Bewegung in die Menge. Sie machten sich daran, die Rettungsboote zu entladen, in denen sie ihre letzte Habe verstaut hatten, die sie von Ax´lûm noch mitnehmen konnten.

Warum die Entscheidung fiel, in der Nähe der Küste zu bleiben und nicht weiter ins Landesinnere vorzudringen - hinter den noch dünnen Bestand des Fenharenwaldes, sollte vielen ein Rätsel bleiben, denn das Land war dort fruchtbarer und auch landschaftlich reizvoller.

So blieb diese Gruppe schließlich in der Seemark, ohne sich jemals weiter zu verbreiten.

Die ersten Wochen nutzten die neuen Siedler, um sich halbwegs einzurichten. Alle Güter, die sie bei ihrer hastigen Flucht noch retten konnten, wurden von den Schiffen an Land gebracht. Darunter waren allerlei technische Geräte, über deren Funktion man später noch rätseln würde. Mit einem davon waren sie in der Lage, einen Teil ihrer großen Schiffe, die jetzt verlassen vor der Küste lagen, an Land schweben zu lassen. Sie bildeten die erste Stadt in der Seemark. Eines dieser Schiffe wurde in ein Lazarett verwandelt, denn zu behandeln waren anfangs viele Verletzte und Erkrankte.

Dann begannen die Ax´lán damit, das Land urbar zu machen und sie standen damit vor großen Schwierigkeiten. Nicht nur, dass die handwerkliche Landwirtschaft nicht ihre Stärke war, da sie auf Ax´lûm kaum eine Arbeit ohne ihre überaus hochentwickelten Maschinen verrichtet hatten. Es gab auch nur wenig Saatgut, das von einigen weitsichtigen Flüchtlingen mitgebracht worden war, das zunächst aber kaum Pflanzen hervorbringen wollte, denn nachdem der Boden vom Meerwasser überspült und durchtränkt worden war, dauerte es Monate, bis der Regen das Salz herausgespült hatte. Erst dann verbesserte sich ihre Lage. Rechtzeitig, als die mitgebrachten Nahrungsmittelreserven zur Neige gingen, konnte die erste, noch dürftige Ernte eingebracht werden.

In ihren Bemühungen, sich eine neue Lebensgrundlage zu schaffen, wurden sie durch die Natur in unerwarteter Weise begünstigt. Wild aus dem Fenharenwald und den Gebieten dahinter wanderte in die Seemark ein, auf der Suche nach ertragreichen Weidegründen, und ax´lánische Jäger fanden reichlich Beute.

Für einige Zeit begann das Volk der Ax´lán zu wachsen. Nach wenigen Jahren reichten die bestehenden Unterkünfte nicht mehr aus und neue Gebäude mussten errichtet werden. Ein Teil der Siedler begann, sich über das Land auszubreiten. Anfangs hausten sie in Zelten. Bald jedoch wurden die durch feste Steinbauten ersetzt, die sie mit Hilfe ihrer verbliebenen technischen Ausstattung errichteten. Das Baumaterial, Holz und Steine, fanden sie im Norden der Seemark und am Rande des Fenharenwaldes. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt erst von einem dünnen Bestand war, drangen sie nicht weit in den Wald ein.

Mit ihrer Ausrüstung beherrschten sie die Kunst, selbst größere Felsbrocken in handliche Bausteine zu zersägen, die dann zu Mauern aufgeschichtet wurden.

Im Verlauf der folgenden Jahre und Jahrzehnte entstanden eine Reihe von Dörfern, und an Kreuzungen von Verkehrswegen gründeten sie neben ihrer Hauptstadt an der Küste zwei weitere, kleinere Städte, die für lange Zeit die Handelszentren der Seemark waren.

Der Boden des hügeligen und felsigen Nordens des Landes enthielt Erze. Dort wurden Eisen, Kupfer, Zinn und eine Reihe weiterer Metalle gewonnen und verarbeitet und es entstand eine bescheidene Industrie, während der Süden eher landwirtschaftlichen Zwecken diente.

Allmählich jedoch setzte sich eine Entwicklung fort, die bereits auf Ax´lûm zum technischen Niedergang geführt hatte, denn nach und nach, aber unaufhaltsam, verschwand selbst das Wissen um die inzwischen sehr einfach gewordenen Maschinen, die den Siedlern anfangs ihr Werk erleichterten. Ihre Wartung ließ zu wünschen übrig und Ersatzteile konnten nicht mehr in der notwendigen Genauigkeit hergestellt werden und so fielen diese Geräte immer häufiger aus, sodass die Erzgewinnung unter zunehmend schwierigen Bedingungen stattfinden musste und immer mehr Handarbeit erforderte, obwohl es auch unter diesen sich verschlechternden Umständen Hüttenführer gab, die ihr Wissen über ihr Handwerk bis zur Meisterschaft brachten.

Aber auch in allen anderen Bereichen setzte sich der Niedergang fort.

Trotz aller Widrigkeiten und Rückentwicklungen schafften die Ax´lán in dieser Kolonie es doch, einige Jahrhunderte selbständig und ohne Hilfe von außen zu bestehen. Am Anfang konnte es keine geben, da bei der ungeordneten Flucht von Ax´lûm die Gruppen ihren versinkenden Kontinent in alle möglichen Richtungen verließen, um sich vor den Auswirkungen der Katastrophe in Sicherheit zu bringen. Anschließend dauerte es einige Zeit, bis sie sich in ihren Ankunftsgebieten eingerichtet hatten und nicht alle begannen, die Fluchtziele anderer Gruppen ausfindig zu machen, so wie die Neusiedler in der Seemark.

Obwohl sie anfangs noch die Möglichkeit gehabt hätten, unternahmen sie keinen Versuch, Verbindung mit anderen Kolonien aufzunehmen. Und auf rätselhafte Weise blieben sie in der Seemark unentdeckt. Und doch waren gerade die Ereignisse in diesem Landstrich entscheidend für die Geschicke der elveranischen Urvölker. Wenn zunächst auch für eine Weile unsichtbar, wurden sie am Ende bedeutender als alle Architektur und kulturellen Einflüsse, die von den Ax´lán anderenorts hinterlassen wurden.

Die Kolonie in der Seemark war eine der kleinsten, die von diesem Volk nach dem Untergang von Ax´lûm auf den anderen Kontinenten Elverans gegründet wurden. Während die größeren es fertigbrachten, der Nachwelt beeindruckende Bauwerke zu hinterlassen, über deren Entstehung und Zweck sich Generationen von elveranischen Wissenschaftlern in späteren Zeitaltern ihre Köpfe zerbrechen und in heftige Streitigkeiten verfallen sollten, da viele von ihnen eine hochstehende Kultur vor denen, die aus den Barbarenvölkern entstanden waren, schlichtweg verleugneten - ein Gebaren, das dem Nachlass der Ax´lán-Kultur durchaus würdig war - begannen die Sitten in dieser abgelegenen Gegend Elverans zu verfallen, denn trotz all ihrer Not brachten es die Ax´lán nach ihrer Ankunft in der Seemark auch unter diesen widrigen Umständen nicht über sich, ihre ruinöse Veranlagung zu überwinden. Die gab es natürlich auch in den anderen Kolonien, aber oftmals sorgte eine straffere Führung dafür, dass die gesellschaftlichen Verfallserscheinungen für eine lange Zeit nicht so deutlich zutage traten wie in der Seemark.

Nicht nur aus diesem Grund war für das Ax´lán-Volk im Allgemeinen und für die Seemark-Kolonie im Besonderen auf Elveran ein dauerhaftes Überleben unmöglich, wie sich bereits auf dem Kontinent Ax´lûm angedeutet hatte.

Nach wenigen Jahrhunderten ihrer Anwesenheit auf Elveran, schon auf dem Kontinent Ax´lûm, setzte eine Entwicklung ein, die zunächst kaum Aufmerksamkeit erregte, wahrscheinlich, weil fast alle Ax´lán-Leute davon betroffen waren: Es zeigten sich die ersten Anzeichen für eine geistige und körperliche Zurückentwicklung, sie begannen zu degenerieren. Es war der Anfang ihres, zu dieser Zeit noch unabsehbaren, aber schließlich unabwendbaren Endes auf diesem Planeten.

[Was den ehemaligen ax´lánischen Raumfahrern auf Elveran widerfuhr, war im Grunde keine Ausnahmeerscheinung, und sie war genauso wenig unter raumfahrenden Völkern unbekannt, sondern reihte sich ein in die selbst heraufbeschworenen Schicksale vieler anderer Kolonisten auf fremden Welten. Denn nur in sehr wenigen Fällen glichen die Lebensbedingungen auf Kolonialplaneten denen auf ihren Heimatwelten, was nur selten zu einer vorteilhaften Entwicklung der Kolonisten führte. Auf Elveran kam jedoch noch ein außergewöhnlicher Faktor hinzu, der erst in der Zeit von Meneas und nur Wenigen schon früher offenbar wurde].

Das ax´lánische Volk auf der Heimatwelt der Ankömmlinge auf Elveran wurde durch eine Diktatur regiert und gesellschaftliche Stände waren unbekannt. Dort herrschte ein sogenannter Volksadministrator, der aber eher eine autokratische Macht darstellte und das Volk willkürlich führte. Daneben gab es eine mehr oder weniger fragwürdige Staatsreligion, die den jeweiligen Machthabern unverhohlen in die Hände spielte. Und diese Staatsform waltete dort schon seit Jahrhunderten. In der Folge des zunehmenden Verfalles der seemärkischen Kolonie entwickelten ihre Einwohner jedoch unerklärlicherweise feudale Strukturen mit aufkommenden und bald kaum gegenseitig durchdringbaren Gesellschaftsständen wie Bauern, Kaufleute, Krieger, den Adel und eine wachsende Zahl Unfreier.

Aus ihren ehemals zivilen, militärischen und wissenschaftlichen Eliten wurden Fürsten, Grundbesitzer, Herzöge und Priester. In den letzten Jahrhunderten ihrer Existenz wurde die Kolonie zu jeder Zeit von zumindest einem König regiert.

Das technische und wissenschaftliche Wissen geriet in Vergessenheit und das Volk verfiel dem Aberglauben und der Vielgötterei.

Bei den meisten der Ax´lán, und darin war ein Teil der neu entstandenen Priesterschaft eingeschlossen, beschleunigte sich der geistige wie auch teilweise der körperliche Verfall, seit sie den Kontinent Ax´lûm verlassen hatten. Dort war diese Entwicklung zum ersten Mal festgestellt worden. Allerdings war es zu dieser Zeit ein schleichender, unauffälliger Prozess, der wenigstens Jahrhunderte dauern und erst über viele Generationen offen zutage treten würde. Davon jedenfalls gingen die Wissenschaftler lange Zeit aus.

Naturgemäß hatten die wissenschaftlich gebildeten Ax´lán, vornehmlich die Mediziner, diese trotz ihres nur langsamen Fortschreitens besorgniserregende Erscheinung als Erste festgestellt. Ob die Ursachen für diesen Niedergang in den natürlichen Gegebenheiten ihrer neuen Umgebung lagen oder es eine Folge ihrer geringen Anzahl und damit einer eingeschränkten erblichen Vielfalt war, darüber konnte nur spekuliert werden. Beide Einflüsse kamen aber als mögliche Auslöser in Betracht. Dabei wären genauere Kenntnisse über die wirklichen Umstände viel wert gewesen, hätten sie den Ärzten doch vielleicht die Hoffnung gegeben, diese Entwicklung aufzuhalten oder sogar wieder rückgängig machen zu können. Sie fanden aber keine Möglichkeit, ihr entgegenzuwirken. Es gelang ihnen jedoch, medizinische Verfahren zu entwickeln, mit deren Hilfe die degenerativen Vorgänge verlangsamt werden konnten.

Am Anfang waren diese Maßnahmen für jedes Mitglied ihres Volkes vorgesehen, doch dann trafen die an der Entwicklung dieser Behandlungsmethoden beteiligten Wissenschaftler den für ihr Volk verhängnisvollen Entschluss, dass es eigentlich ausreichte, wenn sie selbst in ihren Genuss kamen, schließlich war damit offensichtlich eine Verlängerung ihres Lebens verbunden, von der sie anfangs jedoch nicht sagen konnten, wie lange sie ihre Alterung aufhalten konnten. Jetzt konnten nicht einmal die Herrscher einen Nutzen aus ihrer gesellschaftlichen Stellung ziehen.

Entscheidend für dieses Vorgehen war ein in der Zwischenzeit beschlossener Plan, in dem ihr eigenes Volk nur noch bedingt eine Rolle spielte und am Ende noch nicht einmal mehr gebraucht wurde, denn nach der Überzeugung der Forscher würde dann kaum noch etwas von ihm übrig sein, was nicht in den anderen Völkern Elverans aufgegangen war. Nicht einmal mehr das völlige Aussterben der ax´lánischen Rasse konnten sie ausschließen. Und so kam es dann ja auch. Und doch, so absurd es sich anhören mag, dieses Vorhaben diente tatsächlich allein ihrem Erhalt auf Elveran.

Mit der Verwirklichung dieses Planes konnte widersinnigerweise erst dann begonnen werden, wenn die Degeneration der Ax´lán einen fortgeschrittenen Zustand erreicht hatte, was eine erkennbare Gleichgültigkeit gegenüber den Vorgängen in ihrem Land bedeutete, denn die Wissenschaftler fürchteten den Widerstand des Volkes, wenn es erfuhr, was sie taten.

Es war ein Vorhaben, das aus diesem Grunde über viele Jahrhunderte angelegt war. Die ersten Schritte dafür wurden bereits auf dem Kontinent Ax´lûm eingeleitet, doch dann kam dessen Untergang dazwischen und hatte es zunächst auf unbestimmte Zeit verzögert.

Als sich das Schicksal des Kontinentes ankündigte, hatte die Gruppe von Wissenschaftlern, die später die Kaste der Priester bildete, was zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht in ihrer Absicht lag, und es waren nicht nur Mediziner darunter, alles, was für ihr Vorhaben wichtig war, in einem der Fluchtschiffe verstaut. Darunter befanden sich Geräte, die sie in geheimer Arbeit neu konstruiert hatten. Und als der Zeitpunkt der Flucht gekommen war, gelang es ihnen, Ax´lûm vollzählig zu verlassen und, das war tatsächlich Teil des Planes, in der Seemark anzukommen, als Flüchtlinge unter Flüchtlingen.

Doch auch die Wissenschaftler dieses Geheimbundes konnten sich dem Niedergang ihres Volkes nicht vollständig entziehen, und so schmolz ihre Anzahl im Laufe der Zeit ebenso dahin, weil sie kaum noch einen angemessenen Nachwuchs gewinnen konnten, und sie den Weg zur Unsterblichkeit noch nicht gefunden hatten. Am Schluss blieb nur noch ein kleiner Kreis aus wenigen Dutzend übrig, die sich jetzt für elitär hielten.

Während die Lebenserwartung der übrigen Mitglieder ihres Volkes gleichzeitig mit ihren geistigen Fähigkeiten zurückging, waren die des Geheimbundes bereits vor geraumer Zeit zu dem Wissen über die - ihre eigene - Lebensverlängerung gelangt. Es war sozusagen ein Nebenprodukt ihrer Forschungen über Wege, wie sie die Degeneration der Ax´lán zum Stillstand bringen konnten. Und sie verstanden es, dieses Wissen und ihre wahre Macht den Herrschern der Kolonie vorzuenthalten.

Die Einfältigkeit des Volkes nahm zu und die Wissenschaftler kamen zu der Erkenntnis, dass Priester in Zukunft mehr Einfluss haben würden als die Vertreter ihres Berufsstandes, mit dem es immer weniger anfangen konnte. Der sich ausbreitende Aberglaube und das umsichgreifende Vergessen ihrer Herkunft, verlangten jetzt nach geistlichen Führern, die den religiösen Bedürfnissen des Volkes gerecht wurden.

Dieser kleine Kreis von ax´lánischen Wissenschaftlern, der sich in jener verborgenen Gemeinschaft wiederfand und sich nach außen hin bald in die Priesterschaft verwandelte, erhielt und hütete aber weiterhin das Erbe ihrer Vorväter, dessen Ursprung sich nicht auf Elveran befand.

So verwandelten sich die verbliebenen Wissenschaftler durch umsichtiges Verhalten und Weitblick also in religiöse Führer und in dem Maße, wie die Degeneration des Volkes zunahm, verbreitete sich die Überzeugung der Leute, dass die Priester durch den Umgang mit den Göttern zwangsläufig eine höhere Lebenserwartung besaßen, denn dieser Umstand entging ihnen nicht. Wäre das geheime Wissen der Priester und ihr technischer Besitz der Allgemeinheit bekannt geworden, hätte dieser Umstand möglicherweise ausgereicht, sie selbst in den Stand von Göttern zu erheben. Aber das lag nicht in der Absicht der Priester und im Hinblick auf den zu erwartenden Ausgang der Entwicklung, konnten sie auch nicht damit rechnen, dass sie eines Tages eine gottgleiche Stellung in ihrem Volk einnehmen würden, denn es gab inzwischen keinen Zweifel mehr, dass es in nicht allzu langer Ferne kein Volk mehr geben würde. Mit seinem Niedergang verlor es auch die Kraft zum Überleben.

Als die Macht der Priester über die weltlichen Herrscher gefestigt war, brachten sie diese dazu, zu angeblichen Ehren der Götter und zum ebenso angeblichen Nutzen des Volkes verstreut über das ganze Land Tempel zu errichten, nach ihren Plänen.

Nach einigen Jahrhunderten in der Seemark hatte der weitaus größte Teil des ax´lánischen Volkes und seiner Herrscher einen Zustand erreicht, der den Priestern des Geheimbundes eine nahezu bedingungslose Gefolgschaft sicherte. Nach außen hin die unumstrittenen Bindeglieder zwischen den Ax´lán und ihren Göttern, von denen die Priester in der Zwischenzeit notwendigerweise einpaar neue in Dienst gestellt hatten, begannen sie jetzt mit der Verwirklichung ihres geheimen und furchtbaren Vorhabens. Dieses sollte jedoch nicht in den inzwischen errichteten sakralen Bauwerken stattfinden. Tatsächlich waren es nur Ablenkbauten, in denen die für das religiöse Befinden des Volkes so notwendigen Götterdienste stattfanden. Als Standort ihrer Machenschaften wurde ein burgartiges Gebäude ein Stück entfernt von der Stadt, die sie kurz nach ihrer Ankunft in der Seemark gegründet hatten, geplant, dicht an der Küste, denn für ihr Vorhaben brauchten sie die Nähe des Meeres. Und so wurde schließlich die Errichtung ihres wichtigsten Bauwerkes in Angriff genommen - der Seefestung.

Diese Festung wurde das größte Gebäude, das die Ax´lán während der Zeit ihrer Besiedlung in der Seemark errichteten. Wenn die Bauarbeiten mit dem technischen Erbe der ersten Ankömmlinge auf Elveran auch einfach und schnell hätten durchgeführt werden können, entschlossen sich die Priester dazu, das Volk einzuspannen, denn so war es in einer Weise mit den Arbeiten beschäftigt, dass es nicht daran dachte, nach dem Sinn eines so gewaltigen Bauwerkes für eine Handvoll Priester zu fragen. Selbst ihre vermeintliche Nähe zu den Göttern konnte einen solchen Aufwand nicht rechtfertigen.

Doch es gab noch einen weiteren Grund dafür, dass das Gebäude weitestgehend in Handarbeit erbaut werden musste. Durch diese Maßnahmen vermieden es die Priester, dem Volk zu zeigen, über welche technischen Möglichkeiten, die für viele an Magie grenzen musste, sie noch verfügten, während der Allgemeinheit viele dieser Geräte nur noch vom Hörensagen bekannt war. Die Priester hatten nur wenig Interesse, ihre wirkliche Macht zu zeigen. Das wäre ihrem Vorhaben abträglich gewesen. Trotz all ihrer geheimen Möglichkeiten verstanden sie es stets, die Nähe zum Volk zu wahren. So war es leicht, es zu überwachen und Stimmungen sowie Gefahren schnell zu erkennen. Und für viele der Helfer war die Teilnahme an dem »Bau der Götter« eine besondere Ehre.

Bevor jedoch die zahlreichen Arbeiter für den Bau anrückten, geschahen in jener Gegend seltsame Dinge.

Zunächst hatten die Priester dafür gesorgt, dass sich in weitem Umkreis außer ihnen niemand mehr dort aufhielt. Darüber wachten die Soldaten des Königs, deren Freistellung von ihren sonstigen Pflichten den Priestern keine Schwierigkeiten bereitete, da es sich schließlich ebenfalls um einen Dienst an den Göttern handelte. Die Priester achteten sehr genau darauf, dass die Soldaten außerhalb der Sichtweite zu dem Gebiet Posten bezogen, in dem die Festung errichtet werden sollte. Und so gelang es ihnen tatsächlich dafür zu sorgen, dass, solange das Volk der Ax´lán existierte, niemand etwas von dem erfuhr, was sich dort vor dem eigentlichen Bau ereignete.

Die Priester waren die Hüter des technischen und wissenschaftlichen Vermächtnisses des Ax´lán-Volkes, und da es nicht von Elveran stammte, war es ein sehr machtvolles Vermächtnis. Mit diesen Hilfsmitteln hoben sie in wenigen Nächten - sie waren natürlich in der Lage, bei künstlichem Licht zu arbeiten - ein gewaltiges Loch in der Erde aus. Es mutete gespenstisch an, wie seltsame Maschinen in dem wachsenden Erdloch herumkrochen und rastlos Gestein losbrachen. Wie von Geisterhand wurde das lose Erdreich von einer unsichtbaren Kraft angehoben, in mantellose Schläuche gepresst, was dann so aussah wie übergroße Würste, um anschließend, von nicht weniger unsichtbaren Förderbändern transportiert, auf Halden außerhalb der Baugrube aufgeschüttet zu werden. Diese Art der Beförderung und die Arbeit der Maschinen gingen vollkommen lautlos vonstatten. Nur das Brechen des Gesteins und dessen Knirschen und Poltern während des Transportes und der Ablagerung ließen sich nicht vermeiden.

Nirgends gab es Arbeiter und nur selten ging ein Priester am Rand der Vertiefung entlang, um sich vom Fortgang der Arbeiten zu überzeugen.

Dann kam der wichtigste Abschnitt für dieses geheimnisvolle Unternehmen, der in völliger Dunkelheit stattfinden musste. Um sicherzugehen, dass wirklich niemand Zeuge des nun folgenden Ereignisses wurde, blieben in dieser Nacht die Lichter aus. Trotz der eindeutigen Befehle konnten sich die Priester nicht sicher sein, ob sich nicht doch der eine oder andere Soldat, von übermächtiger Neugier getrieben, heranschlich, um die Vorgänge zu beobachten.

Die Priester hatten sich aus diesem Grund für ihr Vorhaben eine mondlose Nacht ausgesucht, die auf Elveran wegen seiner zwei Monde selten waren. Die Sterne schienen klar vom Himmel und der Wind des Tages hatte sich gelegt. Es herrschte eine fast gespenstische Stille über der Baustelle, als sich lautlos vom Meer her ein schwarzer Schatten näherte. Zuerst nur für jemanden erkennbar, der wusste, was da auf ihn zukam und aus welcher Richtung, wurde die Silhouette immer größer und die Zahl der verdeckten Sterne nahm zu. Das Ding kam schnell näher und schließlich schwebte es genau über dem Erdloch. Jetzt war unverkennbar, dass es sich um den gewaltigen Rumpf eines der Schiffe handelte, mit dem die Ax´lán vor vielen Hundert Jahren die Seemark erreicht hatten.

Zu diesem Zeitpunkt war nur noch wenig über den Verbleib der Schiffe bekannt. Nachdem sie ihre Kolonie gegründet hatten, hatten sie so viel mit der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu tun, dass kein besonderes Interesse mehr an der Seefahrt bestand. So wurden die Schiffe vernachlässigt und begannen zu verwahrlosen. Nur selten kam das eine oder andere wieder in Gebrauch, als es in der neugegründeten Stadt nicht mehr benötigt wurde.

In den folgenden Jahrzehnten verloren die Ax´lán einen Teil ihrer Schiffe in Stürmen. Andere wurden bei Auseinandersetzungen widerstreitender Scharen versenkt. Widerständler besetzten zwei Schiffe, stachen mit ihnen in See - und wurden nie wieder gesehen. Schließlich schienen sie alle ihre Schiffe verloren zu haben. Nur die Priesterschaft wusste von einem letzten Schiff, das sie frühzeitig in Sicherheit gebracht hatte und das immer noch heil und betriebsfähig war. Und es waren die Priester, die damaligen Wissenschaftler, gewesen, die es heimlich mit technischen Dingen aus den anderen Schiffen ergänzt hatten. Schließlich bauten sie es tauchfähig um und setzten es wenige Meilen vor der Küste an einer flachen Stelle auf Grund. Hier wartete es, bis der Zeitpunkt gekommen war, es wieder an die Oberfläche zu holen.

Doch lag das Schiff nicht einfach auf dem Boden des Meeres. Es war ständig von einer kleinen Besatzung aus Priestern bemannt, die für die Instandhaltung sorgten und Schaden von ihm fernhielten. Von Anfang an war das Schiff dafür vorgesehen, der Mittelpunkt ihrer geheimen Tätigkeiten zu werden. Doch bis es an Land gebracht werden konnte, sollten noch viele Jahre vergehen. Während dieser Zeit fanden die Maßnahmen in ihm statt, um die späteren Arbeiten vorzubereiten.

In dieser Nacht war es endlich so weit. Das Schiff sollte seinen endgültigen Liegeplatz erhalten.

Langsam senkte sich der schwarze Schatten in die Erdgrube, bis er in deren dunklem Schlund verschwunden war. Anschließend begannen unsichtbare Kräfte damit, den Aushub zu bewegen und die Grube wieder aufzufüllen. Der Schiffskörper wurde mit Erde überschüttet, bis - im Licht des Tages - nichts mehr von ihm zu sehen war. Die Grube wurde bis zur Höhe des gewachsenen Bodens angefüllt. Was an Aushub übrig blieb, erhob sich wie von Geisterhand getragen und schwebte hinaus aufs Meer. Dort versank er im Wasser.

Als es Tag wurde, waren alle Erdhaufen und Maschinen verschwunden und dort, wo bald der Bau der Festung beginnen sollte, schien ein Riese alles glattgescharrt zu haben. So ähnlich dachten die Arbeiter, von den spärlichen Äußerungen der Priester zu dieser Vermutung ermuntert, denn es war bekannt, dass es Riesen auf Elveran gab. Und nun wussten sie auch, warum das Gebiet abgesperrt worden war. In ihrer Weisheit hatten die Priester dafür gesorgt, dass die Riesen, woher sie auch immer gekommen und wohin sie gegangen sein mochten, während ihrer Vorarbeiten keinen der Arbeiter gefährden konnten. Und sie hatten ihnen viel Arbeit abgenommen.

Trotzdem gab es in den folgenden drei Jahren noch genug für sie zu tun. Die Priester vermieden es von nun an, technische Hilfsmittel einzusetzen, von denen das Volk nichts mehr wusste. Das hätte unnötiges Aufsehen verursacht und vielleicht den einen oder anderen noch nicht ganz so zurückentwickelten Nachfahren der Siedler Nachforschungen darüber anstellen lassen, was die Priester noch alles an »Altertümern« besaßen. Das mussten sie verhindern. Sie wollten weiter als Mittler zwischen den Ax´lán und ihren Göttern gelten, Gottesdienste abhalten und die Opfergaben entgegennehmen, von denen sich vortrefflich leben ließ. Ihre wirklichen Machenschaften mussten sie selbst vor ihrem eigenen Volk geheimhalten.

Der Bau des oberirdischen und sichtbaren Teiles der Festung erfolgte also wieder mit der Hilfe und vor den Augen des Volkes. Da er nahe der Küste, in einem Gebiet mit wenig Baumaterial, stattfand, mussten die Steine dafür aus dem nördlichen Hügelland herangebracht werden. Sie wurden in mühseliger Handarbeit aus dem Felsen gebrochen und bearbeitet. Die Zeit der selbst angetriebenen Fahrzeuge war lange vorbei. Nur noch wenige Schrottruinen zeugten davon. Daher mussten die Baumaterialien mit Lastkutschen bis zur Baustelle gefahren werden.

Auf Elveran gab es sowohl Pferde als auch Rinder, trotzdem war das bevorzugte Last- und Zugtier das Lambwa. Lambwas sahen aus wie Kreuzungen aus Nilpferd und Tapir und überragten einen Menschen um wenigstens Kopfeslänge. Dabei waren sie - meistens - gutmütig und besaßen eine außergewöhnliche Kraft. Allerdings bewegten sie sich selten schnell und mit ihrem kurzen tapirartigen Rüssel erschienen sie albern und tollpatschig. Immerhin konnten sie die doppelte Last ziehen wie ein Pferd oder wie selbst ein Rind. Durch diese einfache und gemächliche Art der Lastenbeförderung dauerte es seine Zeit, bis die Steine die Baustelle erreichten, doch die Priester hatten keine Eile.

Es wurde - jedenfalls in der Seemark - das größte Bauwerk der Ax´lán seit ihrer Flucht von Ax´lûm, und es blieb dort das Einzige von wirklicher Bedeutung, wenn auch nur wenigen der Grund dafür bekannt war.

Die Seefestung wurde im dritten Jahrhundert vor dem Aussterben der Ax´lán gebaut und einzig für die ehrgeizigen Ziele der Wissenschaftler. Da zu diesem Zeitpunkt der Niedergang des Volkes bereits weit fortgeschritten und die Kolonie in der Seemark anderen Niederlassungen der Ax´lán auf Päridon unbekannt war, gelangten keine Nachrichten über dieses Bauwerk in die Welt. Und auch die heimliche Aneignung weniger anderer verborgener Forschungsstationen in anderen Teilen Päridons fand in Unkenntnis selbst der ax´lánischen Herrschern und Priester statt, die in jenen Gebieten ihr ausklingendes Dasein fristeten. Wissenschaftliche Arbeiten fanden an diesen Orten schon seit einiger Zeit nicht mehr statt, und so fiel es den Priestern der Seemark nicht schwer, diese Einrichtungen ohne Wissen der dortigen Anwohner für ihre Zwecke nutzbar zu machen.

Die eingeweihten Priester hatten die Festung sehr großzügig bemessen. Der Grundriss maß etwa einhundertfünfzig Schritte in der Länge und einhundert Schritte in der Breite. Die Hälfte der Grundfläche nahm der Innenhof ein, der durch nur ein einziges Tor betreten werden konnte. Die Räume erhielten Fenster in der Außenmauer und zum Innenhof. Da die Festung trotz ihres Namens keinen kriegerischen Zwecken diente, konnten die Priester es sich erlauben, die Außenseiten für die Fenster zu durchbrechen. Dafür setzten sie Scheiben aus einer Glasart ein, die Treffern kleinerer Geschosse standhalten und andererseits mögliche Ausbruchsversuche verhindern konnten, falls das notwendig sein sollte. Das Bauwerk erhielt drei übereinanderliegende Stockwerke.

Die Priester achteten darauf, dass keiner der Baumeister den vollständigen Bauplan zu Gesicht bekam. Sie erhielten stets nur die Zeichnung für den Teilabschnitt, an dem sie gerade arbeiteten. War dieser fertig, bekamen sie einen neuen zugeteilt, der mit dem vorangegangenen nicht im Zusammenhang stand. So kam es, dass nach der Fertigstellung der Festung außer die Priester selbst, keiner eine umfassende Vorstellung von den Einzelheiten des gesamten Bauwerks besaß. [Dabei hatten die an diesem Bau beteiligten Baumeister noch Glück, denn sie überlebten seine Fertigstellung. Zu anderen Zeiten und unter anderen Herrschern wurde der eine oder andere Baumeister auch schon einmal beseitigt, damit er sein Wissen nicht preisgeben oder seine Fähigkeiten anderen Auftraggebern nicht mehr zur Verfügung stellen konnte. Das geschah zuweilen auch noch unter der Regentschaft von Herrschern der späteren »neuen« Menschheit auf Elveran].

Das Bauwerk erhielt keine Türme. Dafür gab es einen Rundgang hinter der obersten Abschlussmauer, von wo ein weiter Blick über das flache Land und die See möglich war. Solange die Festung bestand, taten niemals Soldaten als Wachen Dienst auf der Mauer.

Nach fast drei Jahren war es dann endlich so weit. Viele Tausend Arbeiter hatten einen Bau fertiggestellt, der in der Seemark zwar seinesgleichen suchte, der aber kaum als sehenswert bezeichnet werden konnte. Eher ähnelte er einem übergroßen Gefängnis. Allerdings hatten die Priester auch nie die Absicht, ein schönes Gebäude errichten zu lassen. Es würde seinen Zweck erfüllen und nur das zählte.

Die Bauarbeiter und Baumeister wurden großzügig entlohnt und mit dem priesterlichen Versprechen entlassen, für sie in ihren eigenen Angelegenheiten ein gutes Wort bei den Göttern einzulegen. Zuvor veranstalteten die Priester eine aufwendige Zeremonie, die der Götterverehrung diente, mit zahlreichen Opfern, bei der sie sich einen großen Teil der ausgezahlten Löhne wieder zurückholten. Trotzdem zogen die Bauleute zufrieden wieder in ihre Heimatorte.

Dann, nachdem alle bis auf die Priester die Umgebung der Festung verlassen hatten, begann für sie die eigentliche Arbeit. In Zukunft würde es nur noch ihnen erlaubt sein, das Innere der Burg zu betreten. Selbst die seltenen Jungpriester erhielten dazu erst die Erlaubnis, nachdem sie sich in einer langjährigen Ausbildung als würdig erwiesen hatten.

Zunächst bauten die Priester jedoch wirkungsvolle Waffen unsichtbar in die Außenmauern ein, sodass sie alles andere als wehrlos waren. Diese Waffen waren weniger gegen Angreifer von der See her gerichtet als vielmehr gegen das eigene Volk im Landesinneren. Die Priester fürchteten nicht ohne Grund den Zorn der Ax´lán, würden sie erfahren, was hinter den Mauer getrieben wurde. Doch es gab noch einen weiteren Grund, der zu diesem Zeitpunkt noch in weiter Ferne lag. Die Priester dieses Geheimbundes, die inzwischen wieder zu Wissenschaftlern geworden waren, konnten sich nicht sicher sein, ob sich die Erzeugnisse ihrer Machenschaften nicht eines Tages gegen sie wenden würden. Und für diesen Fall wollten sie vorbereitet sein.

Anschließend richteten die Priester ihr Augenmerk auf die Schaffung eines Zuganges zu dem unter dem Bauwerk versteckten Schiff. Diese Aufgabe war für sie weniger mühselig, als der Bau der Festung für die Arbeiter, denn nun nahmen sie wieder ihre Maschinen zur Hilfe. Damit dauerte es nicht lange, bis zwei Stollen bis zum Rumpf des Schiffes getrieben worden waren. Die Wände der Stollen wurden durch die Bestrahlung mit großer Hitze glasiert und auf diese Weise einsturzsicher gemacht. Eine breite Treppe in jedem Zugang ermöglichte einen bequemen Abstieg zum Schiff und einen ebenso bequemen Aufstieg.

Die Priester öffneten die vorgesehenen Zugänge im Schiffsrumpf und nahmen einige Geräte und die Kraftwerke, die drei Jahre lang abgeschaltet gewesen waren, wieder in Betrieb. Die Decken der beiden Tunnel wurden mit elektrischen Lampen versehen, die ihren Strom aus dem Schiff erhielten. Sie leuchteten von selbst auf, wenn jemand den Tunnel betrat, und erloschen, wenn der Tunnel wieder verlassen war.

Die Festung selbst erhielt einen Anschluss an das Schiff, sodass auch oben Forschungsgeräte und Licht betrieben und die Wohnräume der Priester beleuchtet und beheizt werden konnten.

Schließlich packten die Priester die eingelagerten Geräte und Apparaturen aus und verteilten sie zweckmäßig in den Räumen des Schiffes und der Festung. Das war der Beginn einer Tätigkeit, die verabscheuungswürdiger und verwerflicher nicht sein konnte und deren erste Folgen erst nach Jahrzehnten erkennbar werden sollten. Es waren Dinge, deren Zusammenhang mit den Ax´lán sogar erst nach Jahrhunderten herausgefunden wurden. Es war der gleiche sträfliche Missbrauch einer anderen Technik, wie die, die vor langer Zeit zum Untergang des Kontinents Ax´lûm beigetragen hatte. Und doch war sie aus der Sicht der Wissenschaftler, als die sie sich stets betrachteten, folgerichtig.

Die Priester wussten, dass das Volk der Ax´lán dem Untergang geweiht war. Es war ihnen schon als Wissenschaftler auf Ax´lûm klar geworden, dass sie auf Elveran nicht dauerhaft würden überleben können. Aber ihr Volk sollte nach ihrem Willen nicht vollkommen von Elveran verschwinden und so begannen sie, aus dem Erbgut der Eingeborenen und ihres eigenen neue Menschenrassen zu züchten, die sich über den Planeten verbreiten sollten, als Nachfahren der Ax´lán.

Doch nichts davon drang nach draußen und niemand erfuhr etwas darüber. Die Priester verstanden es, dafür zu sorgen, dass die nähere Umgebung der Festung nicht besiedelt wurde. Sie pflanzten einen kleinen, dichten Wald um das Gebäude, der bald bis an das Meer heranreichte. Durch ihn hindurch legten sie einen kleinen Pfad an, der vom Tor zum Innenhof geradewegs zu einem Bootsanleger am Strand führte.

Dort legten in den folgenden Jahren häufig kleine, schnelle Schiffe an, die überschaubare Gruppen entließen, anfänglich von Tieren, später auch von eingeborenen Menschen. Nachdem sie in die Festung geführt waren, kamen andere Gruppen heraus, die dann auf die Schiffe verladen wurden und mit ihnen die Seemark verließen. Diese Vorgänge ereigneten sich ausschließlich im Schutz nächtlicher Dunkelheit, da die Priester nicht wollten, dass sie beobachtet wurden. Und trotzdem kam es einige, wenige Male vor, dass es einem zufällig Vorübergehenden auffiel, der daraufhin auf unerklärliche Weise verschwand und nie wieder auftauchte.

Draußen im Land nahmen unterdessen die Dinge ihren unguten Lauf. Das Leben wurde einfacher, mühseliger und gefährlicher, denn es gab laufend irgendwelche Unruhen im Volk. Aus den ursprünglich so hochstehenden, wenn auch sittlich zweifelhaften Ax´lán, deren Dasein durch die Verwendung verschiedener technischer Einrichtungen und Geräte so einfach gewesen war, wurde ein einfaches Bauernvolk mit einer mehr oder weniger gutgemeinten Führung eines Adels bis hin zu einem König. Der Alltag war bestimmt von Auseinandersetzungen und harter Arbeit, und in den letzten ein oder zwei Jahrhunderten vor ihrem Aussterben kamen mehr Leute durch Krankheiten und bei Kämpfen ums Leben, als Kinder geboren wurden, die am Ende völlig ausblieben.

Zu dieser Zeit hatten sich die Priester schon weitestgehend von dem Volk abgewandt. Götterdienste wurden nur selten abgehalten und waren dann nur noch eine blasse Nachahmung früherer Veranstaltungen. Nicht einmal im Hintergrund mehr zogen sie ihre Fäden und übten ihre Macht aus. Sie widmeten sich ganz ihren wahnsinnigen Zielen und überließen das Volk sich selbst.

Ohne diese Hüter der Ordnung begann sich das Gefüge der ax´lánischen Gesellschaft vollends aufzulösen und manche mutigen Nachfahren der früheren Siedler wagten plötzlich doch ihre ersten Vorstöße in die Welt jenseits der Seemark, um den Bedrohungen ihrer Umgebung zu entkommen.

Gerade als sie anfingen, sich in den mittlerweile dichten und weitreichenden Fenharenwald hinein auszudehnen, der schon zur damaligen Zeit den elveranischen Urmenschen unheimlich war, stellten sich ihnen dort unerwartete Gefahren entgegen. Wilde, fremdartige Tiere fielen über sie her, die bis dahin noch niemals beobachtet worden waren. Aber vor der Seemark zeigten sie eine unerwartete Furcht, denn sie drangen selten weit in sie ein.

Noch gefährlicher waren die bisher unbekannten Lebewesen, deren Erscheinung zwischen den eingeborenen Urmenschen und den Ax´lán-Leuten schwankte. Sie waren wohl schwächer und langsamer als die Tiere, aber sie bekämpften die Siedler mit ihrem Verstand, stellten Fallen und legten Hinterhalte. Aus einem unerfindlichen Grund schienen sie einen angeborenen Hass auf alle Nachkommen der Ax´lán in sich zu vereinen. Sie nannten sich einfach die »Menschen«.

[Urvölker hatten sich in einfacher Form lange vor diesen Ereignissen entwickelt. Sie hausten inzwischen aber nicht mehr in Höhlen oder Wäldern, sondern hatten angefangen, gesellschaftliche Strukturen und einfache handwerkliche Fähigkeiten zu entwickeln und lebten in künstlichen, aber einfachen Behausungen. Nestan, Knurrhahn und die anderen Dorfbewohner gehörten allerdings nicht zu ihnen. Ihr Ursprung war sogar noch rätselhafter als die der anderen »neuen« Menschen, zu denen sie zu rechnen waren, aber bei ihnen spielte die Zeit eine bedeutende Rolle. Die »neuen« Menschen, wie sie jetzt auftraten, besaßen einen auffallend lichteren Verstand. Sie standen um einige Entwicklungsstufen über den Eingeborenen].

Diese Umstände führten dazu, dass der Versuch der Ax´lán, über ihre Landesgrenzen hinaus zu wandern, bald scheiterte und wieder aufgegeben wurde.

Zu allem Unglück für dieses Volk setzte eine weitere unerwartete Entwicklung ein, die nur bedingt als ihre Schuld betrachtet werden kann, ihnen aber schweren Schaden zufügte.

Auf ihrem Heimatplaneten und in einigen anderen Kolonien auf fernen Planeten bedienten sich die Ax´lán des Volkes der Amurthi als Hilfskräfte. Diese stammten nicht von der Welt Ax´lûm, der Heimatwelt der gestrandeten Raumfahrer, nach der sie ihren Kontinent auf Elveran benannt hatten, und dessen Name schließlich in der Erinnerung der elveranischen Völker einging. Die Amurthi waren eine zwergenähnliche Lebensform. Einige dieser Wesen waren, zunächst unerkannt von den Ax´lán, mit den Sträflingsschiffen nach Elveran gekommen. Niemand konnte erklären, wie sie sich auf die Raumschiffe hatten stehlen können oder ob sie von irgendwem absichtlich mitgenommen worden waren.

Wie es schon auf anderen Welten ihr Schicksal war, mussten sie auch jetzt wieder für die Ax´lán arbeiten, solange, bis mit ihnen eines Tages, und es war nicht lange nach ihrer Ankunft in der Seemark, eine sonderbare Veränderung vor sich ging. Sie entwickelten die Fähigkeit, wie Geister feste Substanz zu durchdringen, womit sie sich bald der Gewalt der Ax´lán entziehen konnten. Durch welche Umstände sie diese Eigenschaft so plötzlich erhielten, blieb den Ax´lán bis zu ihrem Aussterben ein Rätsel.

Die Amurthi versagten den Ax´lán fortan nicht nur ihren Dienst, sondern verschwanden zunächst für lange Zeit an einen unbekannten Ort, wo sie sich vermehrten. Aber schließlich war der Zeitpunkt gekommen, für ihre Unterdrückung furchtbare Rache zu nehmen. Aus der Erde, durch Hauswände oder einem Felsen traten sie unvermittelt hervor, schlugen zu und verschwanden wieder dorthin, wo sie hergekommen waren, ohne dass die Ax´lán sie verfolgen konnten. So wuchs die Furcht vor ihnen ins Maßlose.

Die »neuen« Amurthi nannten sich Ogmari, doch die Abstammung ihres Namens blieb erkennbar. Sie hielten sich mehr nicht lange in der Seemark auf und begannen, nachdem sie unter den Ax´lán für Angst und Schrecken gesorgt hatten, ihre Wanderung über den Kontinent, bis sie schließlich im späteren Land Ogmatuum im Südwesten Päridons ihre neue Heimat fanden.

Schließlich vollendete sich die Entwicklung, die sich über lange Zeiträume angekündigt hatte. Die Ax´lán starben aus. Vielleicht wäre dieses Schicksal mit keinen Mitteln aufzuhalten gewesen, aber ohne Zweifel stellte es das unrühmliche Ende eines Teiles eines hochstehenden, raumfahrenden Volkes dar, der sich angeschickt hatte, einen neuen Planeten für sich zu erobern, und größtenteils an sich selbst gescheitert war.

Doch nicht nur die kleine Kolonie in der Seemark erlitt dieses Schicksal, wenn es sie auch als eine der Ersten traf. Nach und nach teilten es alle Gruppen, die einst von Ax´lûm fliehen mussten, als dessen Untergang besiegelt war. Und niemals mehr erreichten sie die kulturelle Höhe wie einst auf ihrem Kontinent.

Es mag sein, dass die Ax´lán mit ihrer Abhängigkeit von der Technik ihre natürlichen Lebenskräfte verloren hatten. Es mag auch sein, dass die Umwelt Elverans einfach nicht ihren Ansprüchen entsprach und die Zeit für eine körperliche und geistige Anpassung nicht ausreichte. Wesentlich zu ihrem Untergang trug aber ihr zerstörerisches Wesen bei.

Doch das Volk der Ax´lán verschwand nicht spurlos. Es hinterließ gewaltige Bauwerke, die anderenorts die Seefestung bei weitem übertrafen - Pyramiden, Städte, die als Ansammlung von Tempeln und religiösen Stätten missdeutet wurden, mächtige unterirdische Anlagen, von denen einzelne von den Priestern der Seemark heimliche für ihre Zwecke übernommen worden waren und die, wenn sie später überhaupt entdeckt wurden, großen Streit über ihren Zweck und ihre Erbauer unter den sogenannten Gelehrten verursachten. Als wäre es eine Laune der Natur, folgten den Ax´lán neue, bis dahin unbekannte Völker, deren Ursprünge sich im Dunkel der Vergangenheit verbargen.

Die Priester in der Seefestung überlebten den letzten Bewohner in ihrer Kolonie. Zwar waren es nicht mehr die gleichen Wissenschaftler, die einst von Ax´lûm kommend dort an Land gegangen waren, doch sie hatten weniger Generationen erlebt. Die Nähe zu ihrem Volk war verlorengegangen. Nicht nur, weil sie als Einzelwesen stetig älter wurden als die gewöhnlichen Siedler. Auch ihre geheime Arbeit ließ sie allmählich immer weniger an den Ereignissen in der äußeren Welt teilnehmen. So empfanden sie nur wenig Bedauern über das Verschwinden ihres Volkes.

Doch schmerzlich erkannten die Priester, dass auch sie selbst über kurz oder lang aussterben mussten. Sie waren zwar fähig, ihr körperliches Dasein beträchtlich zu verlängern, die Enträtselung des Geheimnisses der Unsterblichkeit war aber auch ihnen nicht gelungen.

Wenn es auch nicht oft geschehen war, so hatten sie doch gelegentlich Novizen aus dem eigenen Volk aufgenommen, Ax´lán mit besonderen Fähigkeiten, die sie sorgfältig ausgesucht und geschult hatten. Diese Quelle der Erneuerung war ihnen nun genommen. Die Möglichkeit, Nachfolger in anderen Völkern, die ihnen in ihrer Abstammung näher standen, zu suchen, zogen sie nicht in Erwägung. Die Ax´lán-Priester hatten zwar einige von ihnen in ihren Diensten, aber diese durften nur niedere Arbeiten verrichten.

So sannen sie auf einen Weg, ihr Erbe auf ewig zu hüten. Körperlich gab es dafür keine Aussicht, das wussten sie. So blieb ihnen nur, ihre unsterblichen Seelen von den Leibern zu trennen und sie an diesen Ort zu binden. Und vielleicht gelang es ihnen auch, als Geister, Eindringlinge wirksam zu vertreiben. Die Hoffnung der Priester war, dass, falls vielleicht eines Tages doch Raumschiffe ihres Volkes auf Elveran landeten, sich neue Körper für sie finden lassen würden, angemessenere als die, die sie aufgeben wollten. Dass ihr Plan völlig abwegig war, weil sie im Verlauf der Zeit dem Wahnsinn verfallen würden, kam ihnen nicht in den Sinn. Und so richteten sie eines Tages ihre Arbeit ganz auf dieses Ziel aus, denn alles andere war zu diesem Zeitpunkt vollendet.

Und doch dauerte es noch geraume Zeit, bis sie einen Weg fanden, dieses Ziel zu erreichen, und bis dahin kam es nicht selten zu bedauerlichen Unfällen, die nicht nur einigen Versuchslebewesen ihre körperliche Existenz kostete, ohne die gewünschten Ergebnisse zu erreichen. Auch einige Priesterseelen verschwanden spurlos. Und schließlich blieben nur acht Priester übrig, die als Geister von nun an in der Nähe der Seefestung ihr Unwesen trieben und Eindringlinge von diesem Ort fernzuhalten verstanden. Sie wurden als Telerin bekannt und waren bald die Ursache dafür, dass die Seemark als Furcht einflößendes, weil von bösen Geistern bewohntes Gebiet galt.

Bevor die Priester sich von ihren Körpern trennten, leerten sie die Räume der Seefestung von jeglicher Einrichtung und verstauten sie in dem Rumpf des Schiffes. Dazu, das Gleiche in ihren anderen Forschungsstationen zu tun, kamen sie nicht mehr, und das hatte Folgen. Hier jedenfalls sollten niemals Rückschlüsse auf ihre verwerfliche Arbeit gezogen werden können, falls es doch jemandem gelang, trotz ihrer Wache in die Festung einzudringen, obwohl derartige Rückschlüsse für jeden Eindringling zwar aufschlussreich gewesen wären, aber die Urheber dieser Taten nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Auch die Waffen in den Mauern wurden entfernt und alles im Rumpf des Schiffes versiegelt. Lediglich ein naher unterirdischer Raum enthielt noch Dinge, die Aufschluss auf die Machenschaften der ax´lánischen Priester geben konnten.

Es war ein Lagerraum der Priester aus der Zeit vor dem Bau der Seefestung und aus kaum zu glaubenden Gründen von ihnen vergessen worden. Im Laufe des Bestehens der Priesterkaste hatte sich in ihr eine ausgeprägte Hierarchie entwickelt. Unter den Dingen, die dort unterirdisch versteckt worden waren, gab es einiges, das als so geheim angesehen wurde, dass es nicht allen Priestern zugänglich war, daher wusste nur eine kleine Anzahl der höchsten Priester von diesem Raum. Doch ehe sie diese Geheimnisse weitergeben konnten, starben sie, denn auch in der Priesterschaft gab es Ränkespiele, an denen die Weitergabe manchen Wissens gelegentlich scheiterte.

Wenn die Telerin auch in der Lage waren, Eindringlinge zu verscheuchen, so hatten sie doch - eigentlich selbstverständlich - die Fähigkeit verloren, die Festung instandzuhalten. Daher mussten sie in den folgenden Jahrhunderten hilflos mitansehen, wie sie zerfiel, bis sie schließlich in einer Ruine dalag, umgeben von einem mächtigen Wald, der sie überragte.

Es war jener Wald, den zu finden sich Meneas aufgemacht hatte und der es wieder versuchen wollte.

Das Erbe der Ax´lán

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