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4. Erinnerungen

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Angrod hatte Meneas am frühen Morgen bis nahe an den westlichen Rand des Fenha­renwaldes gebracht. Meneas war ohne Pferd in den Wald eingedrungen, weil ihm die Pfade, die er kannte, ungeeignet erschienen, beritten zu werden. Sie waren oft zu eng und entweder von morastigem Untergrund oder von Wurzeln überwuchert und daher in weiten Abschnitten für ein Pferd zu gefährlich. Er hatte das Tier deswegen nicht fern vom Waldrand in einem kleinen Dorf bei einem befreundeten Bauern namens Bergel zu­rückgelassen.

Meneas und Angrod waren unweit dieses Dorfes aus dem Wald gekommen und erst einige Zeit später wurde ihm dieser Umstand zu einem Beweis dafür, dass der Morain sehr wohl davon wusste, wo er in den Fenharenwald eingedrungen war und ihn sicher erwartet hatte. Das war umso rätselhafter, da Meneas nur seine engsten Freunde über sein Vorhaben unterrichtet hatte.

Meneas hatte Bergel zwar mitgeteilt, dass er in den Fenharenwald gehen wollte. Es war auch nicht das erste Mal. Seine wahre Absicht hatte er dem Bauern aber dieses Mal verschwiegen. Er hatte ihm lediglich gesagt, dass er als Naturkundler, der er ja wirklich war und der sich unter anderem mit Pflanzenkunde beschäftigte, wieder einmal auf die Suche nach neuen Pflanzenarten begeben wollte und dieser Ausflug wahrscheinlich sogar länger dauern würde. Als Heilkundiger war Meneas ständig auf der Suche nach unbekannten Heilpflanzen. Bergel solle sich also keine Sorgen machen, wenn er in wenigen Tagen noch nicht wieder zurückgekehrt war.

„Na, dann lass dich `mal nicht von den wilden Tieren fressen“, hatte ihm der Bauer noch lachend mit auf dem Weg gegeben.

Er war zwar kein Dummkopf, aber warum Meneas ausgerechnet in dem oft dichten Unterholz des Fenharenwaldes auf der Jagd nach irgendwelchen Kräutern herumgeisterte - und das immer wieder - ging nicht in seinen Verstand. Nur selten würde jemand aus der Nähe des Fenharenwaldes tiefer in ihn eindringen. Die Gerüchte über diesen Wald waren teilweise haarsträubend, und wenn nur die Hälfte davon der Wahrheit entsprach, dann war es besser, sich von ihm fernzuhalten.

Gegen Mittag erreichte Meneas wieder das Dorf. Der Bauer war gerade dabei, den Zaun um seinen Hof herum auszubessern.

„Oh! Bist du schon wieder da?“, wunderte er sich. „So schnell hatte ich dich gar nicht zurückerwartet.“

„Ja, Bergel, ich bin wieder da“, antwortete Meneas. „Auch ich hatte nicht so bald damit gerechnet.“

„Ist etwas passiert?“, fragte Bergel.

„Es haben sich tatsächlich Dinge ereignet, die meine sofortige Rückkehr nach Everbrück erfordern“, erwiderte Meneas ausweichend.

Auch jetzt vermied er es noch, dem Bauern von seinem beabsichtigten Ausflug in die Seemark zu erzählen. Dafür gab es verschiedene Gründe. Und der fragte auch nicht danach. Er kannte Meneas gut genug, um zu wissen, dass er von seinen Erlebnissen nur berichtete, wenn er es wollte. Und das schien jetzt nicht der Fall zu sein.

„Also gut“, meinte Bergel, „holen wir dein Pferd.“

Meneas nickte und beide gingen hinüber zu den Ställen. Auf dem Hof spielten ein kleiner Junge und ein etwas älteres Mädchen. Als sie die beiden sahen, kamen sie auf sie zugelaufen.

„Tjorn, komm!“, rief das Mädchen. „Onkel Meneas ist da!“

Lachend kamen sie auf ihren Vater und Meneas zugelaufen.

„Onkel Meneas, hast du uns wieder etwas mitgebracht?“, fragte Tjorn mit erwartungsvollen Augen.

Manchmal, wenn Meneas in den Fenharenwald ging, um Pflanzen zu suchen, brachte er den Kindern Früchte mit, die sie nicht oder kaum kannten. Sie waren der Meinung, dass sein Obst viel süßer schmeckte, als alles, was sie im eigenen Garten ernten konnten.

„Heute leider nicht“, musste Meneas die beiden Kinder enttäuschen und fügte lächelnd hinzu: „Aber ich verspreche euch, dass ich das nächste Mal wieder welche dabeihaben werde.“

„Kinder, lasst Meneas in Ruhe“, mahnte Bergel mit milder Stimme. „Er ist in Eile.“

Nur wenig enttäuscht und schon wieder lachend, liefen Tjorn und seine Schwester, sie hieß Alara, zu ihrem Spiel zurück.

Im Stall sattelte Meneas sein Pferd und der Bauer half ihm dabei. Meneas zahlte ihm die vereinbarte Miete und beide gingen wieder hinaus. Bevor Meneas aufstieg, fragte er Bergel:

„Hast du den Namen Angrod schon einmal gehört, oder kennst du einen Morain-Menschen mit diesem Namen?“

„Angrod“, wiederholte Bergel nachdenklich und blickte auf den Boden. „Nein“, er schüttelte den Kopf. „Ich kenne nur sehr wenige Morain und einer dieses Namens ist nicht darunter.“

„Na ja, macht nichts“, meinte Meneas. „Es hätte ja sein können“.

„Schlussfolgere ich richtig, dass du diesen Morain getroffen hast und er der Grund für deine - unvorhergesehen schnelle - Abreise ist?“, fragte Bergel listig.

Meneas lächelte und erwiderte:

„Alter Fuchs. Ja, es stimmt, aber die Ursache für meine Heimreise ist er nicht. Falls du etwas über ihn hören solltest, dann lass es mich wissen. Vielleicht hast du ja die Möglichkeit, unauffällig Nachforschungen anzustellen.“

Meneas dachte, ein wenig mehr über seinen Retter zu wissen könnte nicht schaden.

„Ich will sehen, was sich machen lässt“, meinte Bergel. „Aber mache dir keine allzu großen Hoffnungen. Unser Dorf hat nur wenige Einwohner und Morain-Menschen sind hier selten.“

Schwungvoll sprang Meneas auf den Rücken seines Pferdes. Dann wandte er sich noch einmal dem Bauern zu:

„Es ist ja auch nur für den Fall, dass du etwas hörst. Lebe wohl und grüß´ deine Frau von mir.“

„Lebe auch du wohl und bleib gesund“, sagte Bergel zum Abschied.

Meneas hob noch einmal die Hand zum Gruß, wendete sein Pferd und ritt langsam auf das Tor zu. Er winkte auch den beiden Kindern zum Abschied und beide winkten lebhaft zurück. Erst außerhalb des Grundstückes beschleunigte er sein Pferd und wandte sich in Richtung Westen, den Hügeln von Moraion zu.

„Angrod“, flüsterte Bergel in Gedanken, als er Meneas hinterher blickte. Er ahnte, dass die plötzliche Rückkehr und Abreise seines Freundes mit der Begegnung mit diesem Morain-Menschen mehr zu tun hatte, als Meneas zugeben wollte. Dann ging der Bauer wieder zurück an seine Arbeit.

Es war ein freundlicher Frühlingstag und die Sonne Nephys schien mild aus einem wolkenlosen Himmel. Es war nur schwer vorstellbar, dass auf der anderen Seite des Fenharenwaldes in dieser Jahreszeit ein so harsches Wetter herrschen sollte. Die vergangene Nacht war allerdings auch tatsächlich eine der seltenen, wirklich kalten Ausnahmen in diesem Monat gewesen.

Dieser Teil Päridons lag etwas nördlich des Äquators und damit in der wärmsten Zone des Kontinentes, aber vor der Küste der Seemark verlief eine kalte Meeresströmung aus dem Südpolarmeer nach Norden. Bei bestimmten Wetterlagen kam dann noch eine recht kühle Luftströmung aus dem Süden dazu. Deshalb konnte es selbst im Sommer in der Seemark an manchen Tagen ziemlich frisch werden. Auch ohne die Unzugänglichkeit und die Schrecken der Telerin, von der jenseits des Waldes nur wenige etwas wussten, wären diese Umstände wahrscheinlich ein Grund gewesen, eine Besiedlung dieses Landstriches zu erschweren.

Meneas war nicht nur Pflanzenkundler. Wenn es seine Lebensumstände auch nicht erforderlich machten, so verdiente er sich doch einen Teil seines Unterhaltes als Heiler. Diesem Beruf ging er allerdings sehr unregelmäßig nach. Jedoch war sein Wissen über die Heilwirkungen von Pflanzen von großem Wert und er war in seiner Heimatstadt Everbrück bekannt genug, dass sich immer wieder Heilsuchende zu ihm verliefen.

Viel mehr Zeit wandte er auf für seine hochgeschätzte Altertumsforschung. Mit einem kleinen Kreis enger Freunde hatte er sich zusammengefunden, die uralten Bauwerke in seinem und den Ländern der anderen Völker, von denen es jedoch nur eine geringe Anzahl auf Päridon gab, zu untersuchen. Viele von diesen Bauten hatten eines gemeinsam: Sie wurden von unbekannten Baumeistern errichtet und waren von unbekanntem Alter. Da gab es scheinbare Festungen, Sternwarten, Tempel - oder was man dafür hielt, und selbst auf rätselhafte unterirdische Anlagen waren sie im Laufe der Zeit gestoßen.

Meneas war sicher, dass bei weitem noch nicht alles entdeckt war, was es zu entdecken gab. Er und seine Freunde hatten bereits eine ganze Reihe dieser teilweise erstaunlich ausgedehnten Anlagen untersucht. Sie konnten mit Stolz von sich behaupten, dass sie sogar im Dschungel des Landes Azuran zwei Pyramiden und eine kleine unterirdische Stadt entdeckt hatten. Mit großer Begeisterung dachte Meneas an einige abenteuerliche Fahrten zurück.

Keine ihrer Reisen hatte jedoch solche weitreichenden Folgen gehabt wie die letzte. Sie hatte sie wieder einmal in den Urwald Azurans geführt. Dort waren sie nach langer, beschwerlicher Suche auf ein Bauwerk gestoßen, dass sich als eine Hinterlassenschaft eines außerirdischen Volkes herausstellte. Doch das allein war noch nicht das Aufregendste an der Entdeckung gewesen. Meneas vermutete es bei einer kleineren Anzahl von Bauwerken, die sie gefunden hatten, ebenfalls. In diesen Fällen war der Baustil für keines der elveranischen Völker üblich und die Art des Baumaterials häufig nicht herauszufinden.

Und schließlich wurden in einigen historischen Quellen mehrmals Wesen und Völker erwähnt, die angeblich von außen nach Elveran gekommen waren und dort vor langer Zeit ihr Unwesen getrieben hatten. Außer aus den mehr oder weniger zuverlässigen Schriften und den von Meneas und seinen Freunden gesammelten mündlichen Überlieferungen gab es jedoch keine weiteren Zeugnisse darüber und wer immer sich auf Elveran niedergelassen hatte, der war ausgestorben. Da lag die Vermutung nahe, dass es sich um das geheimnisumwitterte Volk der Ax´lán handelte, das möglicherweise nicht nur in der Seemark ansässig war. Aus den bekanntgewordenen Bruchstücken ging jedenfalls nicht hervor, was die Gründe für die Anwesenheit der Fremden auf Elveran gewesen sein mochten.

Das war ihr Wissen, als sie die rätselhafte Urwaldpyramide fanden. Zu ihrem Erstaunen stießen sie dort auf lebende Wesen, die ursprünglich nicht von Elveran stammten. Niemals zuvor hatten Meneas und seine Freunde eine solch sensationelle Entdeckung gemacht und es bestätigte nicht nur ihre Vermutungen über den Ursprung einiger Bauwerke auf Elveran, sondern hier ergab sich für sie die einmalige Gelegenheit, mehr über die Fremden zu erfahren. Das erhofften sie sich von dieser Begegnung.

Bis dahin kannten sie jedoch nur das Volk der Ax´lán mit seinem Namen und glaubten schon, dass sie doch nicht ganz ausgestorben waren. Damals war ihnen noch nicht klar, dass sie in der Folge in einen Strudel von Ereignissen geraten sollten, die ihr ganzes Leben verändern würde.

Diese Wesen, sie nannten sich Sinaraner, wie sie dann erfuhren, und doch hatte ihre Anwesenheit auf Elveran unmittelbar mit den Ax´lán zu tun, waren in Not. Und nur diesem Umstand hatten sie es zu verdanken, dass diese Außerirdischen mit ihnen in Verbindung getreten waren. Sie benötigten ihre Hilfe, denn ihr körperlicher Zustand ließ ein Handeln auf Elveran nur in einem sehr eingeschränkten Umfang zu. Meneas und seine Freunde waren von ihnen auf eine Suche geschickt worden. Es war die Suche nach sieben Fragmenten eines Kristalles, den zusammengesetzt sie benötigten, um wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. Überhaupt war alles so gekommen, weil Angrod ihre Begegnung überhaupt erst ermöglicht hatte. Meneas kam zu dem Schluss, dass dieser rätselhafte Morain im Hintergrund einige Fäden zog, und er war weit davon entfernt, das Spiel zu durchschauen.

Während Meneas auf der Straße entlang ritt, stiegen die Ereignisse wieder klar und deutlich aus seiner Erinnerung auf. Er ließ seinem Pferd freien Lauf und versank in Gedanken.

Das Erbe der Ax´lán

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