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2. KAPITEL

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... Ich hasse Spätschichten ... Ich hasse Spätschichten … Ich hasse Spätschichten …

Immer wieder leierte Kommissar Knut Steele diesen Satz herunter, während er lustlos

Daten in seinen PC einspeicherte.

Das Kommissariat lag im zweiten Stock des Polizeigebäudes von Bad Emstadt. Ein

Altbau, der erst vor einem Jahr generalsaniert wurde. Moderne Stahlschränke, elegante

Schreibtische, ergonomisch konstruierte Stühle, neueste Telefon- und Computeranlagen

ergaben im Zusammenspiel mit hohen, hellen Räumen und zum Teil noch stuckbelas-

senen Decken eine gelungene Verbindung von Alt und Neu.

Knut Steele bediente seine Tastatur und biss gelegentlich ein Stück vom Schokoriegel

ab.


Mitte fünfzig, verheiratet, eine Tochter im Studium, angegrautes Haar, halbwegs trai-

nierte Figur trotz Bauchansatz, war er erst vor einem halben Jahr auf eigenen Wunsch

auf diese Dienststelle versetzt worden. Aufgewachsen in einem kleinen norddeutschen

Dorf, zog er mit seinen Eltern zweimal in andere Bundesländer um, sammelte lange

Jahre in einer Großstadt kriminalistische Erfahrungen, wenn auch eher am

Büroschreibtisch als auf dem heißen Asphalt, und suchte dann nach einer Möglichkeit,

seine Dienstzeit in etwas beschaulicherer Umgebung ausklingen zu lassen. Es hatte sich

als schwierig herausgestellt, eine Stelle in einem kleineren Kommissariat zu ergattern.

Fast zwei Jahre lang versuchte Steele vergeblich, sich versetzen zu lassen. Der

Dienstweg war lang, unübersichtlich und hindernisreich, immer wieder fanden sich

Gründe, seine Anträge abzulehnen. Der letzte war endlich positiv beschieden worden.


Seine erste, allerdings harmlose, Bewährungsprobe an neuer Wirkungsstätte hatte er vor

einigen Wochen bestanden, als sich in verschiedenen größeren und kleineren Orten der

Umgebung Karnevalszüge durch die engen Straßen quälten. Viele Aktivisten und

Schaulustige konnten dem hohen Erwartungsdruck und den niedrigen Temperaturen nur

mit mehr oder weniger, meistens mehr, Alkohol standhalten. Das Ergebnis war zwar

nicht Mord und Totschlag, aber einige Schnapsleichen, versuchte Vergewaltigungen und

Kneipenschlägereien mit Körperverletzungen hatten bei den Ordnungshütern für ein

unruhiges Wochenende gesorgt. Nun wusste Knut Steele auch, wo sich die

Ausnüchterungszellen befanden.


... Warum können nicht ein paar Sekretärinnen mehr eingestellt werden? ... Dieser

ewige Bürokram! ... Wenn ich mir vorstelle, dass andere seit Stunden Feierabend haben

und vor der Glotze hocken! ... Na ja, Dienst ist Dienst ... Ich hasse Spätschichten ... Es

gibt doch Sinnvolleres, als die Zeit mit Berichten und Statistiken totzuschlagen? ... Da

steckt doch System dahinter! ... Pass auf, Knut, du...

"Du bist doch evangelisch, oder?"

Er zuckte zusammen.

Hinter ihm stand sein Chef Theo Flachkötter und blies ihm eine Zigarettenwolke in den

Nacken.

"Seit wann interessierst du dich für meine Konfession?", stotterte Steele und drehte sich

um.

"Es könnte für deinen nächsten Fall von Bedeutung sein, oder gehst du nicht mehr in die

Kirche?"

"Na ja, ... sagen wir`s mal so ..."

"Keine Ausflüchte, bitte. Machen wir`s kurz", unterbrach Flachkötter, "wir haben eben

einen Anruf von den Kollegen aus Groß-Vortstein bekommen."

"Groß-Vortstein?"

"Netter, kleiner Ort, wirst du bald kennenlernen. In der Sakristei einer evangelischen

Kirche ist ein Schwerverletzter gefunden worden ..."

"Moment, Sakristei?", versuchte Steele einzuwerfen.

"Was das ist, wirst du bei deinem Intelligenzquotienten schon rauskriegen."

"Sehr witzig, weißt es wohl selber nicht, was?"

"Lass mich bitte ausreden, Knut. Es sieht nach versuchtem Mord oder Raubmord aus.

Die Kollegen bitten daher uns um Amtshilfe. Sie nehmen dich dort in Empfang. Stell'

den PC ab und kümmere dich mal um die Sache."

"Kann das wirklich kein anderer übernehmen?"

"Red' dich nicht raus. Klostermann bleibt hier, macht die Stallwache."

Knut Steele schluckte.

"Wo soll es sein?"

"In Groß-Vortstein."

"Das habe ich bereits mitgekriegt. Aber wo da?"

Der Chef schien kurz angebunden und sog hastig an seiner Zigarette.

"Hier ist die Anschrift."

Flachkötter drückte seinem Untergebenen einen Zettel in die Hand und verschwand so

schnell wie er gekommen war Richtung Tür.

"Gute Fahrt und halte mich auf dem Laufenden."

Weg war er.


... Ich hasse Spätschichten! Entweder ist gar nichts los oder es wird sofort hektisch...

Steele schaute auf den Zettel: SENK, Krümelkämpe 7, Groß-Vortstein.

... Was ist das denn für ein Verein? ...

Verwirrt schaltete er den PC aus, zog seinen Mantel über, schob den Rest vom

Schokoriegel in den Mund und ging zu seinem Dienstwagen in der Tiefgarage.

... Volltreffer ... Da haben sie den Bock zum Gärtner gemacht! ... Nur, weil ich evange-

lisch bin, bin ich dran? ... Dass ich nicht lache! ... Alles Vorwände! ... Nur, weil ich

Spätschicht habe, bin ich dran! ... Sind die etwa alle katholisch? ... Die gehen bestimmt

nicht häufiger zur Kirche als ich ... Ich wüsste nicht, dass ich jemals in kirchlichen

Kreisen ermittelt hätte ... Kann mich beim besten Willen nicht erinnern ... Dass so etwas

überhaupt in diesen Kreisen vorkommt: Gewalttaten, Verletzte, Tote!? ... Die Kirche ist

doch immer erst nach Mord und Totschlag an der Reihe, nicht vorher! ... Das ist schon

ziemlich ungewöhnlich ... Andererseits sind es auch nur Menschen wie du und ich, ob

nun evangelisch oder katholisch.... Lass dich überraschen, Knut... Und behalt 'nen kla-

ren Kopf ...



Talare klaut man nicht

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