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5. KAPITEL
ОглавлениеWährend der Hausherr im Flur die Türen schloss, orientierte sich Knut Steele.
... Stühle an den Wänden gestapelt ... Ein Klavier in der Ecke ... Hüfthohe Schränke an
einer Wand ... Daneben ein Regal mit Druckerzeugnissen ... Mal nachschauen...
Kinderbibeln... Große Bibelausgaben... Gesangbücher... Kalender... Bilderbücher...
Broschüren ... Aufkleber ... JESUS LIEBT DICH ... Neben der Tür weitere Regale...
Poster an den Wänden ... Pinnwand mit Fotos ... Gemeindebrief ... Termine ... NICHT
VERGESSEN! ... Spendenbüchse ...
Die Tür zum Flur ging auf und Pastor Knothe kam zurück.
"Wenn sie mir bitte folgen wollen."
Knut Steele blieb ihm durch ein 40-Watt-Flur- und Treppensystem auf den Fersen. Als
Hans-Heinrich Knothe die Tür zum Wohnzimmer öffnete, dröhnte ihm der
Fernsehapparat entgegen.
'Scheint ja eine ganz normale Familie zu sein', war des Kommissars erste Reaktion.
"Stellt ihr den Apparat wohl aus!", zeterte der Pastor.
Drei Kindergesichter drehten erstaunt ihre Köpfe zur Tür.
"Was soll das denn?"
Fassungslos stemmte der Pastor die Hände in die Hüfte.
"Mami hat uns aber erlaubt, den Spielfilm zu Ende zu schauen", sagte ein kleines
Mädchen. Dem Hausherrn verschlug es die Sprache.
Entschlossen schritt er zum Fernseher und schaltete ab.
"Wo ist eure Mutter?"
Die unschuldig dreinblickenden Mädchenaugen schauten ihn verständnislos an.
"Na los, wo ist eure Mutter?", polterte ihr Vater.
"Wissen wir doch nicht, vielleicht in der Küche, vielleicht oben bei den Großen."
"Und ihr habt es euch hier schön gemütlich gemacht?"
"Warum denn nicht, wenn Mama es uns erlaubt? Möchtet ihr auch ein paar Chips?"
"Jetzt reicht es aber."
Pastor Knothe stand kurz vor Erreichen des Siedepunktes.
"Ich bringe euch sofort ins Bett ... Entschuldigen sie, Herr Kommissar, nehmen sie doch
inzwischen Platz."
"Herr Kommissar?", fragte aufgeregt eines der Mädchen.
"Geil, Papa. Ist der echt? Was will der denn bei uns?"
"Das geht dich gar nichts an, Henrike", versuchte der Hüne abzulenken.
"Außerdem verbitte ich mir dieses Straßendeutsch!
- Entschuldigen sie."
Mit einem verkniffenen Lächeln blickte er zum Kommissar.
"Setzen sie sich doch bitte."
Er zog die drei vom Sofa, bugsierte sie kopfschüttelnd durch die Tür und verschwand im
Flur.
Über die plötzliche Entschlossenheit des Familienvaters konnte der Kommissar nur stau-
nen, dann blickte er sich um.
... So sieht also heutzutage eine Pastorenwohnung aus...
Leicht antiquiertes Mobiliar ... Große, durchgesessene Sitzgelegenheiten
Häkeldeckchen auf dem Tisch ... Chipsreste ... Riesige Regalwand ... Gelsenkirchener
Barock ... Jede Menge Familien- und Ahnenfotos an den Wänden … Klavier ...
Häkeldeckchen auf den Tasten ... Darüber ein gehäkeltes Spruchband - Kreuzstich:
ÜBEN HILFT LEIDER
... Sehr sinnig ... Was plätschert denn hier so lauschig? ... Luftbefeuchter? ... Quelle im
Zimmer? ... Muss die Heizung sein ... Riecht leicht muffig ... Dicke, verbrauchte Luft...
Kein Wunder, die Kinder haben mindestens drei Stunden ferngeschaut ... Neben der
Flurtür eine Holztafel ... Noch ein Spruch:
LOBE DEN HERRN, MEINE SEELE, UND VERGISS NICHT,
WAS ER DIR GUTES GETAN HAT.
Psalm 103,2
In einem der Sessel nahm er Platz und langte zur Fernsehzeitung, die vor ihm auf dem
Tisch lag. Nachdem er sich kurz über das Abendprogramm informiert hatte - Ben Hur,
19.30 bis 24.00 Uhr - ging eine Seitentür auf und herein trippelte gedankenverloren eine
drahtige, lange, nicht unattraktive Dame mittleren Alters.
Interessiert betrachtete er sie. Obwohl er sich wirklich Mühe gab, dezent räuspernd auf-
zustehen, konnte er nicht verhindern, dass die Drahtige zusammenzuckte.
"Ach, haben sie mich erschreckt."
Bedauernd stellte sich der Kommissar vor.
"Lea Knothe ist mein Name. Ach, ist das nicht schrecklich? Aber nehmen sie doch bitte
wieder Platz."
Sie schob sich bedächtig in den anderen Sessel.
"Was ist bitte schrecklich?"
Mit großen braunen Augen schaute sie ihn lange an.
"Ach, die Sache mit Herrn Paselmann. Deswegen sind sie doch wohl hier, oder? Wer
konnte so etwas nur tun, den armen Mann niederzuschlagen?"
"Wenn ich sie mal direkt fragen darf, Frau Knothe, was haben sie denn nach der
Chorprobe gemacht?"
"Ach, sie scheinen ja schon allerhand zu wissen."
"Leider noch nicht alles, sonst säße ich nicht hier. Also, was haben sie gemacht?"
"Ach, was habe ich gemacht?"
Sie lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander.
"Nach der Probe war ich mit unseren beiden großen Kindern, die natürlich auch im Chor
mitsingen, noch einige Zeit in der Küche. Morgen beginnt doch die Synode hier bei
uns."
"Synode?“
"Ach, so eine Art Treffen aller Pastoren hier im Bezirk und einiger Gemeindeglieder, die
daran teilnehmen müssen, also dürfen."
"Ich verstehe."
"Und die werden immer mit einem Stehkaffee ... Ach, kann ich ihnen etwas anbieten,
Herr Kommissar?... Ich bin noch etwas durcheinander."
"Dankeschön. Sehr freundlich."
"Danke ja oder danke nein?"
"Danke nein."
"Na gut, wie sie meinen. Also..."
"Stehkaffee", nahm der Kommissar den Faden wieder auf.
"Ja, so nennen wir das hier. Und da habe ich zusammen mit meinen Kindern noch ein-
mal die Kuchenteller, Kaffeetassen und so weiter durchgezählt, damit wir das morgen
früh nicht noch machen müssen. Solche Vorbereitungen", fuhr sie in trockenerem
Tonfall fort, "bleiben nämlich gerne an unserer Familie, beziehungsweise an mir hän-
gen."
"Und was passierte dann?"
"Ach, schrecklich! Die Kinder waren gerade in ihren Zimmern, da kam mein Mann und
rief furchtbar aufgeregt etwas von einem Verletzten und nahm mich mit in die Sakristei."
"Und die Kinder? Haben die etwas mitbekommen?"
"Ich hoffe nicht. Aber ich befürchte..."
Mit einem schlage ging die Flurtür auf und der Gatte trat ein.
"Ich bin zutiefst betrübt über unsere Jüngsten, Lea."
"Was ist denn los, Hans-Heinrich?"
"Lea! Ich komme mit dem Herrn Kommissar ins Wohnzimmer und da sitzen die drei
einträchtig vorm Fernseher."
"Ach, Hans-Heinrich, wie entsetzlich! Ich habe ihnen ausdrücklich gesagt, sie dürfen nur
bis zur Tagesschau gucken, dann müssten sie schlafen gehen. Nein, so etwas aber auch."
"Lea! Ich habe sie jetzt nach oben gebracht und ins Bett gesteckt. Das kommt mir nicht
noch einmal vor. Entschuldigen sie nochmals, Herr Steele."
Der Pastor ließ sich geräuschvoll auf dem Sofa nieder.
"Schon gut", wiegelte Steele ab.
"Kommen wir, Herr Knothe, noch einmal kurz zu dem zurück, was heute Abend gesche-
hen ist. sie haben also Arzt und Polizei verständigt, und dann?"
"Dann habe ich noch Herrn Paselmann, Helmut Paselmann, angerufen."
"Das ist der Bruder des Verletzten.
"So ist es."
"Wie hat er reagiert?"
"Er war ziemlich schockiert, hatte ich den Eindruck. Er wollte sofort zu seinem Bruder.
Aber ich hab' ihm davon abgeraten."
"Warum?"
"Weil er bewusstlos und nicht ansprechbar war."
"Herr Knothe, die entwendeten Gegenstände ..."
"Gegenstände?"
Empört richtete sich Hans-Heinrich Knothe auf.
"Der Talar und die Abendmahlsgeräte sind keine normalen Gegenstände, Herr
Kommissar. Es sind sozusagen die Insignien eines richtigen Gottesdienstes, falls ihnen
das etwas sagt."
"Verzeihung. Insignien?"
"Die Kennzeichen, verstehen sie. Ohne Talar, also, da könnte ich ja gleich zu den..."
"Aber Hans-Heinrich", versuchte seine Frau einzuwerfen, "so wichtig kann ein Talar
doch nun auch wieder nicht sein."
"Nichts Hans-Heinrich, Hans-Heinrich! Sogar die Luther-Beffchen sind weg."
Tiefe Betroffenheit sprach aus seinen Worten.
"Luther-Beffchen?"
"Herr Steele, also, ich kann ihnen nicht alles erklären. Das sind die weißen, sagen wir
mal, Fähnchen am Kragen, die, wie alles in unserer Kirche, ihre unverzichtbare
Bedeutung haben."
"Ich beginne zu verstehen."
"Aber das Schlimmste ist der Verlust der Abendmahlsgeräte. Ich bin zutiefst betrübt
über meinen eigenen Leichtsinn, sie nicht sicher verschlossen zu haben. Mein Sup.....,
also mein Vorgesetzter, wird mir schwere, brüderliche Vorwürfe machen."
"Sind die... die Insignien versichert?"
Einen Augenblick zögerte der Pastor. Er schien in Verlegenheit.
"Nein."
"Das ist allerdings sehr leichtsinnig", entgegnete der Kommissar.
"Ich fühle mich, wie soll ich mich ausdrücken", Hans-Heinrich Knothe rang nach
Worten, "ich fühle mich liturgisch ... entmannt."
"Aber Hans-Heinrich!"
Seine Frau verfärbte sich.
"Wie drastisch du wieder wirst. Du nimmst das alles viel zu tragisch."
"Nein, meine liebe Lea, dies sind Dinge, die können gar nicht ernst genug genommen
werden. Dieser Anschlag auf unseren lieben Werner Paselmann galt eindeutig mir und
der SENK-Gemeinde hier am Ort. Soviel ist für mich klar."
"SENK?''
"Herr Kommissar!"
Des Pastors Nerven lagen blank.
"Herr Kommissar, auf dem Büchertisch unserer Gemeinde, den neben anderen
Aufgaben übrigens auch unser lieber Werner Paselmann betreute, liegen viele nützliche
Broschüren, die Auskunft über das unverwechselbare Profil unserer Selbstverständlich
Eigenfinanzierten-Niveauvollen Kirche geben ...Lea, bist du so freundlich, und suchst
dem Herrn einmal eine repräsentative Auswahl heraus? Sei so lieb, bitte!
Möchten sie etwas zu trinken", unterbrach er plötzlich, "ich brauche jetzt dringend ein
Bier."
"lch habe den Kommissar bereits nach seinen Wünschen gefragt, Hans-Heinrich, oder
haben sie es sich inzwischen anders überlegt?"
Sie warf einen fragenden Blick auf den Gast.
"Na gut", antwortete Steele, "ein Bierchen kann nichts schaden."
Langsam schraubte sich Frau Knothe aus ihrem Sessel hoch und begab sich in den
Nebenraum.
"Das ist ja eine interessante These, die sie da vertreten", nahm der Kommissar das
Gespräch wieder auf.
"Sie sind also der Ansicht, dass der Anschlag nicht Herrn Paselmann, sondern eigentlich
ihnen galt?"
"Davon bin ich felsenfest überzeugt."
"Herr Knothe, ich bin zwar erst am Anfang meiner Ermittlungen. Und, offen gesagt, im
kirchlichen Umfeld habe ich bisher selten ermitteln müssen, aber ich sehe schon, es
scheint recht interessant zu werden. Nachdem, was ich bisher von ihnen gehört habe,
haben sie ein wasserdichtes Alibi für die Tatzeit.“
"Verdächtigen sie etwa auch mich?" Erstaunt zog der Pastor seine Augenbrauen hoch.
"Das ist ja absurd. Ich schlage doch nicht meinen treuesten Mitarbeiter im Weinberg
Gottes nieder!"
"Sie müssen verstehen", wandte der Kommissar ein, "dass ich zunächst jeder Spur nach-
gehen und alle Beteiligten gleich behandeln muss. Wie sieht es denn mit ihren beiden
Gesprächspartnern aus? Sind sie sicher, dass die beiden Herren die ganze Zeit mit ihnen
zusammen waren? Hat nicht vielleicht doch einer der beiden für kurze Zeit ihr
Amtszimmer verlassen? Versuchen sie sich bitte genau zu erinnern. Jeder Hinweis ist für
mich wichtig."
Die Augenbrauen hatten wieder Normalstellung erreicht, denn Hans-Heinrich Knothe
dachte nach.
"Ja. Jetzt, wo sie es ansprechen, da erinnere ich mich. Herr Leisesang ist mal kurz auf
die Toilette gegangen."
"Kurz?"
"Ja, ja. Aber fragen sie ihn doch selbst", entgegnete der Pastor irritiert.
"Und der andere?"
"Herr Kussow? Also, da bin ich mir ganz sicher, der war die ganze Zeit mit mir zusamm-
men. Herr Kommissar, morgen Vormittag können sie alles überprüfen. Die beiden
kommen auch zum Gottesdienst."
"Die Gelegenheit werde ich wohl wahrnehmen", erwiderte Steele, "denn einige der
Chorsänger muss ich noch sprechen. Könnten sie mir sagen, welche als Letzte die Probe
verlassen haben?"
Hans-Heinrich Knothe grübelte.
"Soweit ich mich erinnere, waren das unser Chorleiter..."
"Name?"
"Herr Wedelhand ... Dann Frau Ackermann, Frau Holzner, die beiden bringt Herr
Wedelhand immer nach Hause - Herr Leisesang und Herr Kussow waren bei mir - und
unsere Familie, aber das wissen sie ja schon."
"Schreiben sie mir bitte die Namen, Anschriften und Telefonnummern der Personen
auf!", bat der Kommissar, der gerade aufstehen wollte, als die Flurtür aufging und Frau
Knothe mit einem Tablett voller Gläser und Getränke hereintrat. Unter dem Arm hatte
sie eine Sammlung von Broschüren eingeklemmt, die sie wortlos auf die Häkeldecke
legte, dann verteilte sie die Gläser und schenkte das Bier ein.
"Danke, Lea, wenn du mir bitte noch eben das Adressbuch aus dem Flur bringen könn-
test. Es liegt neben dem Telefon."
Schweigend entfernte sie sich.
"Das", der Pastor deutete auf die Schriftwerke, "können sie sich mal in einer ruhigen
Minute durchlesen, Herr Steele, dann sind sie über die Eigentümlichkeiten unserer Kirche bestens informiert."
Die beiden Herren erhoben die Gläser. Frau Knothe erschien mit dem Adressbuch; ließ
es vor ihrem Mann auf den Tisch fallen, schritt zum Barfach und genehmigte sich einen
Likör.
Hans-Heinrich Knothe suchte nach einer Schreibmöglichkeit.
"Lea, du stehst gerade. Gib mir doch bitte Papier und einen Kuli aus der Schublade."
Seine Frau reichte es ihm, und er begann zu schreiben.
"Herr Kommissar, trinken sie, lassen sie sich nicht stören."
Nach einem kräftigen Schluck stellte Steele das Glas auf den Tisch.
"Wann kann ich morgen kommen, Herr Knothe?"
"Tja, wann können sie morgen kommen?"
Der Pastor knipste sinnierend an seinem Kugelschreiber.
"Die Chorsänger sollen um 9.15 Uhr hier sein", begann Frau Knothe, "und um 10 Uhr
beginnt der Gottesdienst und dauert etwa bis 11 Uhr", setzte ihr Gatte fort.
"Hans-Heinrich, mit Heiligem Abendmahl dauert er bestimmt länger", gab seine Frau zu
bedenken.
"Na gut, sagen wir bis 11.15 Uhr. Dann ist ein kurzer Imbiss vorgesehen, Vortrag,
Mittagspause. Am besten kommen sie so um 11 Uhr. Sie können sich auch noch in die
Kirche setzen. Die hinteren Bankreihen sind allerdings meistens belegt. Oder sie gehen
auf die Empore. Da sind immer Plätze frei."
"Empore? So wie im Theater?", rutschte es dem Kommissar heraus.
Verzweifelt ließ der Pastor den Kuli sinken.
"Herr Steele, die Kirche ist kein Theater. Auf einer Empore steht die Orgel. Sie waren
wohl lange nicht mehr in einem Gottesdienst, was?"
Ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen, gab er es zu.
"Um eines muss ich sie aber dringend bitten, Herr Kommissar."
"Ich ahne es bereits."
"Lassen sie äußerste Diskretion walten. In der Gemeinde und unter den Synodalen darf
nichts von dem Vorfall bekannt werden, sonst ist unsere Kirche ruiniert und ich kann
meinen Hut nehmen."
"Ach, Hans-Heinrich, ist das nicht ein bisschen weltfremd? Wie soll der Kommissar das
denn anstellen?"
"Wie er das anstellen kann, Lea?"
Entgeistert schaute er seine Gefährtin an.
"Er übernimmt einfach die Rolle von Werner Paselmann, der ist doch neben Herrn
Wedelhand der zweite Vertreter unserer Gemeinde bei der Synode. Aus den anderen
Gemeinden kennt ihn als Neuling niemand und Herrn Wedelhand werde ich schon
instruieren. Das ist gar kein Problem."
"Herr Knothe", intervenierte der Kommissar, "überlassen sie die Einzelheiten bitte mir.
Wenn sie so großen Wert auf Diskretion legen, dann helfen sie mir, die Chorsänger zu
identifizieren, die heute die Probe zuletzt verlassen haben. Sonst muss ich mich morgen
durchfragen."
Die Eheleute wechselten entsetzte Blicke.
"Das dürfen sie auf keinen Fall, Herr Steele."
"Hans-Heinrich, haben wir nicht vor kurzer Zeit erst ein Chorfoto gemacht?", fragte, von
einem Geistesblitz getroffen, die Pfarrfrau.
"Genau. Lea, du bist ein Schatz. Das muss dort noch im Schrank liegen. Sei so gut..."
"Ich steh ja schon."
Sie machte einen Schritt am Wandschrank entlang, öffnete eine Schublade, wühlte in ihr
herum und kam mit einem Foto an den Tisch zurück.
"Es müssten fast alle Chorsänger drauf sein. Hier zum Beispiel Herr Kussow".
Als sie sich über Steeles Schulter beugte, kam er einer Mischung von Birnenlikör und
Deo gefährlich nahe.
"Kann ich das Foto behalten?"
"Ach, selbstverständlich. "
Andächtig blickte Frau Knothe ihn an.
"Dann macht es ihnen nichts aus, wenn ich mit dem Kugelschreiber die betreffenden
Leute kennzeichne?"
Die Drahtige schüttelte den Kopf. Dann half sie ihm dezent beim Identifizieren der
Personen.
Nachdem der Kommissar die Gesichter umkringelt hatte, nahm er erneut einen kräftigen
Schluck aus seinem Glas und sah, dass der Pastor mit seiner Schreibarbeit fertig war.
Mit sorgenvollem Gesicht blickte er auf den Zettel.
"Herr Steele, hier sind die Adressen. Aber ich bitte sie nochmals um äußerste
Diskretion."
"Diskretion hin, Diskretion her, Herr Knothe, ich muss mit meinen Ermittlungen weiter-
kommen. Versprechen kann ich ihnen da nichts. Wenn sie Pech haben, wissen es mor-
gen alle Leute."
Die Hände faltend holte der Pastor tief Luft. Langsam bekam er Atemnot.
Steele wollte zum Schluss kommen.
"Herr Knothe, erinnern sie sich vielleicht, ob in letzter Zeit in ihrer Gegend schon ein-
mal Geg... also ich meine Insignien aus Kirchen gestohlen worden sind?"
Gedankenverloren schüttelte der Pastor den Kopf.
"Nicht, dass ich wüsste."
"Ach, Hans-Heinrich", warf seine Frau ein, "ist nicht einmal das Altarkreuz aus der
katholischen Kirche gestohlen worden?"
Überrascht wandte er sich seiner Frau zu.
"Lea, du hast Recht."
"Wie lange ist das ungefähr her?"
"Ein halbes Jahr etwa. Aber das war auch ein relativ wertvolles Kruzifix, mit Edelsteinen
besetzt. Unsere Kelche sind eher schlicht."
"Man hat es aber bald wiedergefunden", berichtete Frau Knothe, "und den Übeltäter, der
sie gestohlen hat, hat man auch geschnappt."
"Die Amtsbrüder von St. Katharinen waren sehr froh darüber. Wenn ich mich recht
erinnere, wurde das Kreuz sogar neu geweiht."
"Jedenfalls ging die Geschichte tagelang durch die Presse, was . . .“
"... wir unbedingt vermeiden müssen, Herr Kommissar", ergänzte Herr Knothe.
"Ich bitte sie also nochmals um äußerste Diskretion."
Für Steele war das das Signal zum Aufbruch.
"Ich muss jetzt gehen, der Computer und mein Chef warten auf meinen Bericht. Bis mor-
gen also. Schönen Dank für das Bier. Auf Wiedersehen."
Er gab den Eheleuten die Hand und verließ, vom Pastor eskortiert, die Pfarrwohnung.