Читать книгу Talare klaut man nicht - Hans-Otto Kaufmann - Страница 6
4. KAPITEL
Оглавление"Ich bin zutiefst betrübt."
„Herr..."
"Knothe ist mein Name, Hans-Heinrich Knothe."
Der Zwei-Meter-Riese passte genau in den Türrahmen. Mit wirrem Haar, offenem
Kragenknopf, verwegen baumelnder Krawatte und ausgebeulten Hosen sah er nicht sehr
vertrauenerweckend aus. Er wirkte gestresst.
"Seit über fünfzehn Jahren bin ich Pastor dieser Gemeinde, aber so etwas Gottloses ist
mir noch nicht zugestoßen. Ich bin zutiefst betrübt."
"Ich bin Kommissar Steele von der Mordkommission."
"Herr Kommissar, ich bin noch ganz fassungslos."
Sein schlapper Händedruck war Ausdruck einer bedenklichen geistig-körperlichen
Verfassung.
"Das kann ich verstehen, Herr Knothe. Trotzdem muss ich ihnen ein paar Fragen stel-
len. Mich interessiert, was sie genau gesehen haben. Wenn es ihnen nichts ausmacht,
dann erzählen sie doch bitte möglichst der Reihe nach."
Der Pastor versuchte seinen Atem zu kontrollieren und zu innerer Sammlung zurückzu-
finden.
"Heute Abend hatten wir unsere Chorprobe. Wir üben für den morgigen Gottesdienst,
müssen sie wissen. Nach der Probe..."
"Entschuldigen sie, wenn ich gleich unterbreche: Wann war die ungefähr zu Ende?"
"Na, so gegen halb zehn."
"Und weiter?"
"Nach der Probe sind alle nach Hause gefahren, ich bin noch mit zwei Sängern zu einer
kurzen Besprechung in mein Amtszimmer gegangen, und Herr Paselmann wollte in der
Kirche die Lieder anstecken und alles für den Gottesdienst vorbereiten."
"Wie heißen die beiden Sänger?"
"Herr Leisesang und Herr Kussow, bewährte Mitarbeiter der Gemeinde."
"Wie lange hat die Besprechung gedauert?"
"Fünfzehn bis zwanzig Minuten."
"Und was ist dann passiert?"
"Ich habe die beiden Herren zur Tür gebracht und sie verabschiedet. Vor der Tür sah ich
Herrn Paselmanns Auto im Dunkeln stehn und mir fiel ein, dass er noch in der Kirche
sein musste."
"Herr Knothe, wenn ich sie also richtig verstehe, dann haben sie vor ihrer Besprechung
die Außentür nicht abgeschlossen?"
"Nein. Das heißt: Ja. Das ist ja das Traurige. Als ich abschließen wollte…“
"Das heißt also", warf Knut Steele ein, "es konnten fremde Leute ungehindert herein-
kommen."
"Ich bin zutiefst betrübt über meinen Leichtsinn."
"Also auch schon während der Chorprobe?"
"So ist es."
"Und weiter?"
"Ja, als ich nach ihm schauen wollte und an der Sakristei vorbeikam, da..."
Der Pastor geriet ins Stottern.
"Da ... da sah ich ihn auf dem Boden liegen. Ein schrecklicher Anblick."
Erschauernd schüttelte er sein Haupt.
"Können sie mir zeigen, wie er lag?"
Hans-Heinrich Knothe machte einen Schritt in den Raum.
"Dort", er deutete mit der Hand auf den Fußboden, "zwischen Spüle und Flurtür lag er
zusammengekrümmt und rührte sich nicht. Ich bin natürlich sofort zum Telefon gelau-
fen und habe den Notarzt angerufen."
"Von wo aus haben sie telefoniert?"
"Von meinem Amtszimmer."
"Wann ist er eingetroffen?"
"Sehr schnell. Nach fünf Minuten war er hier."
"Und was haben sie nach dem Anruf gemacht?"
„Ich war völlig kopflos, bin hier auf- und abgelaufen, habe sofort meine Frau aus der
Küche geholt... Sie wird wohl auch gleich kommen. Ach, ich bin zutiefst betrübt."
"'Was hat der Arzt festgestellt?"
"Kopfverletzungen."
"Kopfverletzungen?"
"Die wohl nicht nur vom Sturz herrühren, sagte der Arzt."
"Hm ... Und da hat er ihnen geraten, auch die Polizei einzuschalten."
"So ist es."
Tief atmete der Pastor durch.
"Wann haben sie denn festgestellt, dass etwas fehlte?"
"Als der Arzt da war. Mir fiel gleich auf, dass der Talar nicht mehr an seinem Platz hing.
Hier ist nur noch der Bügel."
Er deutete auf die Wand neben dem lächelnden Mann.
"Warum bewahren sie ihn nicht in einem Schrank auf? So staubt er doch ein?"
"Ach, Herr Kommissar, ich weiß, es ist Nachlässigkeit, aber ich habe ihn lieber immer
griffbereit da hängen. "
"Und die Abendmahlsgeräte?"
"Ja, dort, schauen sie nur, der Schrank steht noch offen. Erst dachte ich, Herr Paselmann
hat die Geräte schon in der Kirche auf den Altar gestellt. Aber dort waren sie nicht. Ach,
es ist entsetzlich, Herr Kommissar."
Mit der Hand fuhr er sich durchs wirre Haar.
"Lassen sie uns in unsere Wohnung gehen und uns setzen."
"Hab' nichts dagegen. Es wird langsam kalt hier. Schließen sie bitte jetzt draußen ab."
Sie gingen in den Gemeinderaum.