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Bahnhof- und Reiseatmosphäre im Wandel der Zeit

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Wer also fahrplanmässig reist, muss zu diesem Zweck zunächst einmal fahrplanmässig warten – und sich fahrplanmässig vorbereiten. Der Ort dieses für kurze oder längere Zeit erzwungenen Nichtstuns und Abgefertigtwerdens heisst Bahnhof. «Der Bahnhof»! Er ist Hauptdarsteller in vielen Filmen, atmosphärischer Schauplatz von Abreisen und Empfängen; Ort des Zurücklassens von Sorgen und Siebensachen zu Hause, Ort von Freude, Abschiedstrauer, Sehnsüchten und Ängsten. Die Dampflokomotiven mit ihrem «taktmässigen Gang der Maschinen und das Pfeifen und Schnauben des ausgelassenen Dampfes», wie Christian Andersen sich schon 1843 begeistert über die Bahnhofathmosphäre äusserte, dürfen nicht fehlen. In den ersten Jahren des Eisenbahnbetriebs ist der mittelgrosse Bahnhof eine hofförmige Anlage, ein «Sammelplatz für Waaren und Reisende», auf dem insbesondere die Reisenden mit einer gewissen Feierlichkeit empfangen und abgefertigt werden. Die Personenbahnhofbauten werden dementsprechend Abfertigungs-, Aufnahme- oder Empfangsgebäude genannt. Nach dem Abfertigen und Warten wird dann endlich der erwartete Zug angekündigt, durch den Klang der Bahnhofglocke. Schon die erste schweizerische Bahn stellt im Juni 1847 ein Reglement für Glockentöne auf. Die Reisenden werden noch lange über Glockentöne informiert: zehn Minuten vor Zugsabfahrt erfolgt ein erster Glockenschlag, der Lokführer muss sich abfahrbereit machen, der Kondukteur und der Bahnhofvorstand öffnen die Wartsaal- und Wagentüren. Mit zwei Glockenschlägen muss der ganze Zug mit den Reisenden und dem Gepäck fünf Minuten vor Abfahrt abgefertigt sein. Bei Abteilwagen schliesst der Kondukteur jede Tür einzeln mit einem Schlüssel von Hand ab. Ab 1902 allerdings dienen Glockentöne nur noch dienstlichen Nachrichten, und auch die letzten drei Bahnhofglockenschläge gelten nicht mehr als Abfahrsignal; der Zugführer muss darauf achten, dass die Reisenden alle Türen vor der Abfahrt geschlossen haben.

Der Zug fährt leise ab. Andersens Bahnreise beginnt 1843 mit dem Pfiff der Lokomotive: «Sie klingt nicht hübsch, sie hat viel Ähnlichkeit mit dem Schwanengesang des Schweins, wenn ihm das Messer in den Hals dringt … der Conducteur schliesst den Schlag und nimmt den Schlüssel zu sich, aber wir können die Fenster herunterlassen.»88 Unabhängig vom Streckenzustand und vom Komfort des Rollmaterials kann das Reisen ein geruhsames Vergnügen sein. Die Aussicht kann wie vorbeiflitzende Postkartenmotive erscheinen und die Lust des Fahrens zum Glückszustand erhöhen. Gewährleistet bleibt in der Bahn die Bewegungsfreiheit, man kann sich unterhalten, Bücher studieren. Zum Missvergnügen kann die Fahrt werden, wenn man von unangenehmen Umständen begleitet wird: ausgesetzt der Kälte oder Hitze, dem Durchzug oder Staub, inmitten von Gerüchen nach Abort, Ausdünstungen oder Zigarettenrauch. Der Leib scheint zum lebendigen Stückgut zu werden: Wie lange dauert es noch? Übelkeit, Verdauungsstörungen – ist es Reisekrankheit, die Aufregung, wegzufahren? Man sehnt das Ende der Reise herbei und sitzt ungeduldig in der erzwungenen Untätigkeit, sucht vielleicht den Anblick von Mitreisenden oder weicht dem gaffenden Blick anderer Mitreisenden aus. Man vertieft sich in die Reiselektüre und kommt endlich an.

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