Читать книгу Afghanistan ade - Hans-Peter Grünebach - Страница 13

MIT EINEM BEIN IM HIMMEL

Оглавление

Alois hatte sich zu einem Nickerchen auf dem goldgrünen Zweisitzer ausgestreckt, auf die linke Seite, wie Katharina ihm stets empfahl, zur „besseren Verdauung“.

Der Kopf war auf zwei Kissen gebettet, die Prothese abgeschnallt und das gesunde Bein so abgewinkelt, dass das Knie zwangsläufig am Couchrand überstand.

Die gemusterte Wolldecke bis über die Brust hochgezogen, war Alois gerade eingeschlafen, als Katharina mit einer Tasse dampfendem Tee in der einen Hand und einem Buch in der anderen, die Sitzgruppe ansteuerte und dabei aus Unachtsamkeit das Knie ihres Mannes so touchierte, dass die abgestellte Prothese gegen den messinggerahmten Glastisch stieß und Alois von der Couch zu Boden glitt.

Alois wurde so heftig aus dem Schlaf gerissen, dass sein angegriffenes Herz einen Infarkt erlitt. Es stand still, und weder die Wiederbelebungsversuche Katharinas, noch die des herbeigerufenen Notarztes konnten Alois ins Leben zurückrufen.

Alois verließ seine sterbliche Hülle, schaute die Hinterlassenschaft noch einmal an, wie sie so auf dem Wohnzimmerteppich lag, nickte den Untröstlichen drumherum zu und machte sich auf den Weg in den Himmel.

Alois war gar nicht so unglücklich über das überraschende Ende seines irdischen Daseins, als er oben ankam.

Hatte er doch mit seiner Hülle seit dem Tag der Tage gehadert.

Der Kopf war darüber ergraut, die Prothese scheuerte ihn wund, die Hände zitterten und die Augen sahen oft nur trübe Lichtreflexe.

Er wusste Katharina gut versorgt.

Die Tantiemen seines Buches flossen ihr zu, und die Kinder waren erwachsen.

Das Vorzimmer von Petrus ließ ihn wissen, dass dieser derzeit alle Hände voll zu tun habe und der Neuankömmling warten müsse.

Alois staunte über das geschäftige Treiben vor dem Himmelstor an jenem Tag vor Weihnachten:

Da holten flinke Engel aus schimmernden Regalen bunte Päckchen und legten sie auf samtene Fließbänder.

Geschickte Himmelsboten sorgten für Brokatschleifen und andere beluden Rentierschlitten um Rentierschlitten.

Männer mit langen, weißen Bärten und Purpurmänteln lenkten die Schlitten im Höllentempo gen Erde und zurück.

Bis auf die Glöckchen der Schlitten verlief das Kommen und Gehen lautlos.

Alois war neugierig, trat näher und stieß sich den Kopf an einer unsichtbaren Wand.

Er war noch nicht willkommen.

Schließlich winkte ihn ein emanzipierter Engel mit grünen Strähnen im blonden Haar und Piercing-Ringen an den Ohrläppchen heran und führte ihn in eine goldene Halle.

Ein Prunk-Tor öffnete sich.

Alois rieb sich die Augen, stieg am Arm des Empfangsengels die Stufen hoch und trat in das Arbeitszimmer von Petrus.

Der saß an einem riesigen Mahagonischreibtisch, Aloisens Akte vor sich.

Die Wand dahinter bedeckte ein Gemälde, das Alois als den Höllensturz von Pieter Breugel dem Älteren erkannte.

Alois dachte sich, dass die gewaltsame Vertreibung für Aufsässige im Himmel sicher die passende Bestrafung sei.

Ihm wurde bei dem Gedanken kalt.

Sein Blick fiel auf den Fahnenständer, in dem ein geschneckelter Bischofsstab steckte.

Petrus hub an:

„Aha, du also, der als Bub die Hand oft gegen seinen kleinen Bruder erhoben hat.“

Tiefe Furchen standen auf des Petrus Stirn.

Alois entgegnete, ein wenig enttäuscht von den Missetaten, die hier statt Begrüßung zur Sprache kamen:

„Der hatte mir immer mein Micky Maus Heft stibitzt; ist doch längst vergessen.“

„Ist es nicht. Es steht hier geschrieben“, überraschte Petrus und fuhr fort:

„Du sollst deiner Schwester das Marzipan aus ihrem Weihnachtsteller gestohlen haben?“.

Alois hatte zwar hinsichtlich seiner Untaten als Bub stets ein schlechtes Gewissen gehabt, doch dieses Beispiel schien ihm zu banal.

„Das hat sie längst vergessen!“

Petrus ungerührt:

„Es steht hier geschrieben. Aber noch schlimmer ist, was ich hier lese: Du sollst durch Unachtsamkeit die Resopalplatte des Kühlschranks verbrannt haben, den deine Mutter von ihrem schwer verdienten Geld neu gekauft hatte?“

„Meine Mutter ist schon viele Jahre tot …“

Alois brach verzweifelt ab.

Er war nahe daran, am Verstand seines Gegenübers zu zweifeln.

Der wies ihn harsch zurecht:

„Wie kannst Du annehmen, dass eine Mutter die Missetaten des Sohnes vergisst? Besonders, wenn der törichte Filius es unterließ, den Tauchsieder nach Gebrauch auszustecken? Sie will es dir persönlich noch einmal hinter die Ohren schreiben!“

Alois wurde es warm ums Herz; er würde seine Mutter wiedersehen.

Petrus gab die väterliche Strenge, sowie sein Vorhalte-Mantra auf. Milder fuhr er fort:

„Ich springe in Deiner Akte nun bis zu dem Tag des Anschlags in Afghanistan, als du dein Bein verlorst und großes Leid über Dich und Deine Familie kam. Du durftest danach deinen Beruf nicht mehr ausüben, konntest deinen Hobbies nicht mehr nachgehen und warst lange auf Pflege angewiesen. Du hast dich denen gegenüber, die Dein Leben retteten, dankbar gezeigt und hast die Heilung an Körper und Seele zugelassen. Darüber hinaus hast Du ein Buch über das Schicksal Deiner Familie verfasst und damit anderen Mut gemacht. – Für so einen steht die Himmelstür offen! Du sollst von nun an frei von Beschwerden sein und den Namen Engel Aloisius II. tragen. Dieses Weihnachtsfest darfst Du mit Deiner Mutter verbringen!“

Petrus lächelte gütig.

Aloisius II. warf seine Prothese zur Seite und lief dem Engel mit dem Aussehen seiner Mutter geradeweg in die Arme.

Die Himmelsglocken läuteten den Heiligen Abend ein, und der gepiercte Empfangsengel verabschiedete sich artig, um in das Hosianna der himmlischen Chöre einzustimmen.

Afghanistan ade

Подняться наверх