Читать книгу Zugabe! - Hans-Uwe L. Köhler - Страница 11

Ich musste lernen, mich selber zu führen – und das durch das Setzen von Zielen. Was für eine geniale und einfache Idee!

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Mich inspirierte dieser Gedanke und so formulierte ich ein Stellengesuch »Junger, ideenreicher Zahntechniker sucht …«. Und dann geschah etwas Unglaubliches: Ich bekam tatsächlich 72 Angebote. Allerdings bezog sich nur ein einziges auf das Wort »ideenreich«. Und das war der Weg. Ich lernte meinen nächsten Chef, Hans Egger, kennen. Er stellte mir folgende Aufgabe: »Ich will mit meinem Betrieb die Nummer 1 in Süddeutschland werden. Trauen Sie sich das zu?« Mir war klar, wenn ich jetzt nein sagen würde, wäre diese Chance vertan. Also habe ich ja gesagt. Nach einem zweistündigen Gespräch hatte ich den Job, ein sehr gutes Gehalt – und jede Menge Probleme!

Ich sollte diesen Betrieb und seine Leistungen verkaufen – und das unter Einsatz des gesprochenen und geschriebenen Wortes. Das war meine Chance, mit gerade mal 22 Jahren! Stellt sich nur die Frage: Wer war hier der Verrückte? Der Unternehmer, der so ein Greenhorn einstellte, oder der junge Typ, der sich den Job zutraute? Wenn ich das nicht hinkriegen würde, würde man mich sofort feuern. Doch dieses Worst-Case-Szenario hat mich weder bedrückt noch eingeengt. Ich fühlte mich nicht unter Druck. Es war Teil des Spiels.

Die neue Tätigkeit und die Probleme, die damit zusammenhingen, zwangen mich dazu, enorm viel zu lernen. Dabei stieß ich auf ein besonderes Ärgernis: In fast jeder Fortbildung saßen Vertreter aller möglichen Branchen und Berufe, sodass die jeweiligen Referenten möglichst allgemeingültig sprechen mussten. Und das empfand ich als absolut unbefriedigend.

Damit möglichst viele Mitarbeiter von den teuren Seminaren profitierten, hatten wir folgende Idee: Wer eine Fortbildung besucht hatte, musste die Inhalte des Seminars kurze Zeit später für die Kollegen zusammenfassen, damit auch sie etwas davon hatten. Dabei entdeckte ich mein Talent, komplexe Zusammenhänge in klare Strukturen zu bringen und damit das Wissen schnell für andere aufbereiten zu können.

Und es gab eine weitere Idee, mit der Eggers Marketingaktivitäten unterstützt werden sollten. Mein Redetalent wurde genutzt, um Firmenvorträge auf wissenschaftlichen Veranstaltungen zu halten. Es gab zwar kein Honorar, ich durfte bei diesen Reden aber den Firmennamen oder spezielle Verfahren nennen. Deswegen hielt ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit Vorträge rund um das Thema »Rationelle Zusammenarbeit«, so auch auf dem 1. Zahnarzthelferinnen-Kongress in Berlin. Ich sprach vor über 3500 Teilnehmern – Chefinnen und Chefs mit ihren Teams –, die zu dieser Veranstaltung gekommen waren.

Durch diesen Berliner Auftritt lernte ich Hans Breitschmidt kennen, den legendären Dentalkaufmann aus Luzern. Er fragte mich, ob ich nicht ein Marketingseminar in der Schweiz halten könnte. Mein Chef war damit einverstanden, stellte aber eine Bedingung: »Nur in der Schweiz!« Ich entwickelte ein inhaltliches Programm für eineinhalb Tage. Und das Seminar fand tatsächlich statt: mit acht Teilnehmern im Hinterzimmer eines Gasthofes, in dem noch die Faschingsgirlanden von der Decke hingen.

Damals habe ich mir eines geschworen: Nie wieder würde ich an einem so trostlosen Ort auftreten! Ich wollte unbedingt, allein schon durch die Wahl des Veranstaltungsorts, die Besonderheit meines Seminares unterstreichen. Das nächste Seminar fand dann auf der Hotellerie Rigi Kaltbad statt. Eine super Location. Es kamen über 60 Teilnehmer!

Etwa zur gleichen Zeit kauften wir in München ein weiteres Labor, das ich als verantwortlicher Geschäftsführer leitete. Meine Aufgabe: Ich sollte den total verschuldeten Betrieb sanieren. Nach 18 Monaten war das Projekt erfolgreich abgeschlossen. Alle Schulden bezahlt – die schwarze Null!

Im Januar 1977 wurde mir das Betriebsergebnis ausgehändigt. Ich sah die positiven Zahlen und überlegte mir, ob ich nicht als Ausdruck des Erfolges mein Münchner Büro mit einem schönen Teppichboden auslegen lassen sollte. Und wissen Sie, was dann geschah? Der Gedanke war kaum gedacht, als ich schon meinen Chef anrief und sofort um einen Termin bat. Den bekam ich noch am Abend desselben Tages. Aber es ging dabei schon längst nicht mehr um einen neuen Teppichboden. Stattdessen hatte ich einen weitreichenden Entschluss gefasst: Ich kündigte! Meine Motivation hatte sich in Luft aufgelöst. Ich wusste einfach nicht, was ich in diesem Unternehmen und in dieser Position noch machen sollte. Und ein »Immer weiter so« war völlig ausgeschlossen. Einen Plan B hatte ich jedoch nicht zur Hand. Meine Kündigung erfolgte ganz spontan.

In den folgenden Wochen »erfand« ich meinen neuen Beruf. Ich wollte in jedem Fall selbstständig arbeiten, ohne Mitarbeiter – denn das kannte ich ja schon. Ich wollte als Marketingreferent tätig werden. Marketing war schließlich meine Kernkompetenz. Mein Ärger über die Seminare mit gemischten Teilnehmern, bei denen letztendlich keiner auf seine Kosten kam, führte zu dem Entschluss, dass ich entweder firmeninterne Seminare anbieten würde oder öffentliche für nur eine Berufsgruppe.

Als ich mich am 1. Oktober 1977 mit 29 Jahren selbstständig machte, bezeichnete ich mich in meinem ersten Seminarprospekt als Referent – vom Trainer fehlte noch jede Spur. Und tatsächlich saß in meinem ersten Seminar »Marketing für das Dental-Labor« ein Teilnehmer. Ein einziger! Hätten Sie das Seminar durchgeführt?

Mir war aufgefallen, dass in vielen Seminarankündigungen nur die Stadt, aber kein Hotel angegeben war. Das machte mich skeptisch. Tatsächlich ist es wohl so, dass man erst einmal schaute, ob sich überhaupt Teilnehmer für ein Seminar gewinnen ließen, um dann ein Hotel zu buchen. Ich hatte eine andere Entscheidung getroffen: Angekündigte Veranstaltungen werden in jedem Fall durchgeführt. In vierzig Jahren musste ich nur ein einziges Mal von diesem Grundsatz abrücken.

Hin und wieder habe ich mit verschiedenen Menschen meinen Lebensweg besprochen, manchmal auch, um die Frage zu klären, ob heute noch ein solcher Weg möglich wäre. Die meisten halten das für unwahrscheinlich. Insgesamt sei das Ausbildungsniveau doch enorm gestiegen. Das trifft bestimmt zu. Doch wie ist das mit der Verteilung von Begabungen und Talenten?

Ich befürchte, dass wir viel zu sehr auf die schulische und berufliche Ausbildung fokussiert sind und dabei womöglich wichtige Talente übersehen. Wir können uns gar nicht mehr vorstellen, welche vielfältigen Begabungen und höchst unterschiedliche Menschen es in dieser Welt gibt.

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