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Vorspiel auf dem Theater

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Wäre jemand nach hundertjährigem Dornröschenschlaf zu jenem Zeitpunkt wieder aufgewacht, zu dem dieser Essay erscheint, sie oder er hätte wahrscheinlich nicht schlecht gestaunt über die sogenannte Berliner Republik des Jahres 2021: Das Schloss und der Prozess. Als habe Franz Kafka Pate gestanden, erhitzten, neben anderen, zwei Debatten die Gemüter, in denen es am Ende, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise und aus jeweils ganz anders gelagerten Gründen, aber dann eben doch um die Hohenzollern ging, die ehemalige deutsche Herrscherdynastie.

Da ist die mit enormem Aufwand nachgeschaffene Fassade einer Hohenzollern-Residenz als städtebauliche Kernaussage des wichtigsten Kulturprojekts der demokratischen Bundesrepublik; da ist ein Historikerinnen- und Historikerstreit, in dem die Vorzüge des deutschen Kaiserreichs gegen die Warnungen vor einer heiklen Diskursverschiebung ins Feld geführt werden, die nationalistischen Tendenzen in die Hände spielen würde; und da ist ein über lange Zeit diskret bis geheim behandelter drohender Rechtsstreit: die Republik gegen die ehemalige Herrscherdynastie, beziehungsweise umgekehrt – oder, wie es Jan Böhmermann in einer legendär gewordenen Folge seiner Sendung Neo Magazin Royale im Jahr 2020 formuliert hat:

»Unter uns – so schrecklich das Gebiss von Alexander Gauland ist, das ist nicht das größte Verbrechen, das wir Deutschen in unserer Geschichte begangen haben. Wer ein bisschen im Geschichtsunterricht aufgepasst hat oder nachts mal bei n-tv hängengeblieben ist oder bei Phoenix, dann kennt man das: Krieg hier, Völkermord da, na ja. Deutschland halt. Wir haben halt, historisch, wir haben ein bisschen Scheiße gebaut, um es mal wissenschaftlich auszudrücken. Wir haben Scheiße gebaut. Verständlich, dass heutzutage viele sagen: Ey Deutschland, du hast Scheiße gebaut! Wir wollen entschädigt werden. Die Juden, Sinti und Roma, die Länder Polen und Griechenland, das Volk der Herero aus der ehemaligen deutschen Kolonie ›Deutsch Südwest Afrika‹ – der erste Völkermord Deutschlands, an den Herero! Das war unser erster Völkermord, noch unter dem Kaiser. Alle wollen entschädigt werden. Die Liste ist unglaublich lang. Und die deutsche Haltung ist meistens von offiziellen Stellen: Hmm, interessant. Ist natürlich sehr schrecklich. Können wir nachvollziehen, aber Ihr kriegt natürlich gar nichts. Also Ihr nicht, Ihr Opfer Deutschlands! Aber ein Mann, der gibt nicht auf. Der will entschädigt werden. Gut, der ist jetzt nicht unbedingt ein Opfer, aber trotzdem: Er will entschädigt werden von Deutschland und geht deswegen dahin, wo es wehtut. Denn er hat – Eier aus Stahl! Es geht um Dich: Georg Friedrich Prinz von Preußen.«

Es geht um ein Gesetz aus dem Jahr 1994, das festschreibt, dass Enteignungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter der sowjetischen Besatzung des Territoriums der späteren DDR in der Zeit von 1945 bis 1949 vollzogen wurden, nicht rückgängig gemacht, wohl aber zu einem späteren Zeitpunkt entschädigt werden sollten; bewegliche Güter seien zurückzugeben. Tatsächlich durften die Hohenzollern nach ihrer Absetzung eine große Zahl an Wertgegenständen und Immobilien als Privateigentum behalten. Dieser ausgesprochen milde Umgang der Juristen im Innenministerium der Weimarer Republik könnte damit zu tun haben, dass sich die entsprechenden Verhandlungen lang hinzogen, bis 1926. Da war das Vertrauen in die Institution der noch jungen Republik schon im Schwinden begriffen. Abgesehen davon, dass man im Berliner Innenministerium der Jahre 1918 bis 1926 mit einiger Wahrscheinlichkeit noch den einen oder anderen Monarchisten angetroffen haben dürfte.

Die im Einigungsvertrag in Aussicht gestellten Entschädigungen werden auf Antrag hin fällig. Es ist also durchaus eine politische, gesellschaftliche und nicht zuletzt historische Entscheidung, keineswegs eine Selbstverständlichkeit, wenn die Familie Hohenzollern sich hier als Erbin wertvoller Immobilien und Kunstgegenstände versteht, die ihr die Republik einst überlassen hat. Das ist durchaus von gesellschaftlicher Bedeutung, da die Restitutions-Regelung eine Klausel enthält, der zufolge der entsprechende Anspruch auf Entschädigung nicht geltend gemacht werden kann, wenn der damalige Eigentümer dem Nationalsozialismus »erheblich Vorschub geleistet« hat. Für die Auffassung aber, dass führende Mitglieder der Familie Hohenzollern dem Nationalsozialismus durchaus Vorschub geleistet haben, gibt es unter Historikerinnen und Historikern Argumente. Für die gegenteilige Auffassung auch. Hierzu verfasste Gutachten von vier Historikern wurden in der bereits erwähnten Folge von Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale geleakt und sind seitdem auf der Website Hohenzollern.lol einsehbar.

In der Sendung Kulturfragen im Deutschlandfunk hat der Historiker Eckart Conze im Interview seine Sicht der Dinge so dargelegt: »Wilhelm von Preußen, der Kronprinz, (…) war sehr erheblich verstrickt mit dem aufsteigenden Nationalsozialismus bereits vor 1933, aber auch dann nach dem 30. Januar 1933. (…) Das ist das Urteil des Historikers. Juristen folgen in diesen Dingen einer eigenen, einer juristischen Logik, der ich nicht vorgreifen kann. Aber man muss doch schon feststellen, dass die historische Logik, die historische Analyse überhaupt keinen Zweifel an der Tatsache zulässt, dass Kronprinz Wilhelm, aber im Übrigen auch sein jüngerer Bruder August Wilhelm, dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet haben.« (www.deutschlandfunk.de)

Conze ordnet den Umgang der Bundesrepublik Deutschland mit der Herrscherdynastie des Deutschen Reichs bis 1918 in eine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas ein: »Dass die Hohenzollern derzeit so selbstbewusst und zum Teil auch offensiv ihre Forderungen erheben, hat auch etwas zu tun mit einem veränderten oder in Veränderung befindlichen geschichtspolitischen Klima, in dem die Geschichte dieses ersten deutschen Nationalstaats, des Kaiserreichs, doch in ein weicheres Licht getaucht wird seit einigen Jahren, in dem nicht die Kriegsgeburt dieses Reiches im Krieg gegen Frankreich, dieser aggressive Charakter des Nationalstaates, dann erst recht nach 1890 im Wilhelminischen Zeitalter, aber auch die autoritären Strukturen dieses Systems im Mittelpunkt stehen, sondern wo es Kräfte gibt (…), ein weicheres Bild zu zeichnen und dieses Kaiserreich als Nationalstaat anschlussfähig zu machen auch für die Bundesrepublik, des neuen Nationalstaats seit 1990.«

Die Rechtsprofessorin Sophie Schönberger bilanzierte Ende 2019 in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung: »Die Gespräche mit den Hohenzollern verstetigen einen Geburtsfehler der Republik. (…) Dieses zombiehafte Fortleben der Monarchie weit nach ihrem Untergang zeigt an, wie sehr die deutsche Republik bis heute daran leidet, dass sie bei ihrer Gründung nicht konsequent mit ihrem monarchischen Erbe gebrochen hat.«

Auf Deutschlandfunk Kultur ergänzte sie: »Die Verhandlungen mit den Hohenzollern zeigen am Ende, dass die Bundesrepublik in gewisser Weise noch ein ungeklärtes Verhältnis zur Monarchie hat.« Und sie sagte: »Der Schlossbau in Berlin ist ein hochsymbolischer Akt, der diese ganzen ungewöhnlichen Konflikte, dieses ganze Thema der Monarchie wieder ins Zentrum Berlins rückt, und zwar städtebaulich, aber auch höchst symbolisch. Die Idee kommt ja aus den neunziger Jahren aus einer Zeit, als die Monarchie oder zumindest der Glanz der Monarchie noch ein gewisses Revival erlebt hat in der Bundesrepublik. Diese Zeiten sind jetzt vorbei, und trotzdem wird gerade jetzt das Schloss in dieser Form neu aufgebaut. Das ist eine symbolische Entscheidung, eine große symbolische Entscheidung mit Strahlkraft, die man nicht alleine auf eine städtebauliche Entscheidung reduzieren kann, sondern die Monarchie wird auf einmal höchst symbolisch als neu erschaffenes Gebäude ins Zentrum der neuen Republik gerückt.«

Pünktlich zum 150. Jahrestag der Reichsgründung von 1871 im Januar 2021 ist diese Fassade fertig geworden. 50 Jahre zuvor, anlässlich der 100. Wiederkehr des Jahrestags der Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles im Januar 1971, gedachte SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein des Deutschen Reichs in einem Kommentar. Im Sommer 1970 war die Ostpolitik der SPD im Bundestag angenommen worden, im Dezember war Willy Brandt in Warschau auf die Knie gefallen. Im Januar 1971 schrieb Rudolf Augstein im SPIEGEL: »Mir scheint, das Deutsche Reich, 1870/71 gegründet, ist 1970/71 gestorben. Es war schon längst untergegangen, aber was in den Wünschen und Herzen der Menschen lebt, ist nicht tot. Seit eine frei gewählte deutsche Regierung Deutschlands Ostgrenzen und den zweiten deutschen Staat anerkannt hat, ist alle Luft aus den Illusionen heraus. 100 Jahre sollst du leben! Das Bismarck-Reich erst als Realität, dann als Reise in die Vergangenheit, dann als Illusion ist genau 100 Jahre alt geworden. Im Jahr 1970 ist es dahingeschieden.«

Im Jahr 2021 nun ist die repräsentative Mitte dieses Deutschen Reichs als architektonische Illusion wiedererstanden. Es hatte zahlreiche Bauverzögerungen gegeben, also könnte man von einem Zufall sprechen. – Aber kennt die Geschichte die Kategorie des Zufalls?

Festzuhalten ist, dass die Debatte um die Restitution von Kulturgütern an die Familie Hohenzollern ebenso wie die Debatte um vermeintliche oder tatsächliche Renationalisierungstendenzen in der Gesellschaft der Berliner Republik vor der monumentalen Kulisse einer frisch wiedererrichteten Hohenzollern-Fassade in der Mitte der deutschen Hauptstadt zur Aufführung kamen.

Wie konnte es dazu kommen?

Die große Illusion

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