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Bauten und Botschaften

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Es ist die größte Projektionsfläche Berlins. Und sie hängt nicht vor der Stirnwand eines Kinos, sondern mitten in der Stadt vor einem monumentalen Neubau. Dessen erster, in den Augen seiner Initiatoren wichtigster, für viele letzten Endes einziger Zweck war es ursprünglich, eine ganz bestimmte Fassade zu tragen – die nämlich, die er heute trägt. Was sich hinter dieser Fassade abspielt, also in dem Gebäude, das entsteht, wenn eine Fassade errichtet wird, war zunächst weder klar noch schien es wirklich wichtig. Hauptsache, das Gebäude würde stehen und aufgrund seiner Kubatur und seiner Fassade die Illusion erzeugen, es stünde dort nicht wieder, sondern noch.

Denjenigen, die diese Fassade unbedingt wiedererstehen lassen wollten, schließlich auch dem Deutschen Bundestag, der dies im Sommer 2002 mit großer Mehrheit beschloss und beauftragte, war das Projekt so wichtig, dass bei der Realisierung weder Kosten noch Aufwand gescheut werden sollten – dabei gab es immer noch keine Nutzung für das Gebäude. Hauptsache, die Fassade, diese Fassade würde entstehen. Warum? Welche Botschaft geht von dieser Fassade aus, dass sie für eine einflussreiche Lobby eine derartige Bedeutung bekommen konnte? Und – ist der Plan derer, die dieses Projekt propagierten, die diese Fassade unbedingt haben wollten, aufgegangen? Welche Botschaft sendet die Fassade jetzt, da sie realisiert ist? Oder – umgekehrt – was lässt sich auf sie projizieren?

Eine Fassade, schon gar die Fassade eines besonders großen Gebäudes und erst recht die Fassade eines besonders großen, vom Staat für die Mitte seiner Hauptstadt in Auftrag gegebenen Gebäudes ist immer ein Statement, ein Zeichen, eine Botschaft. Ganz gleich, wie ein Bau definiert wird, was er sein will oder sein soll, was man gern hätte, dass er wäre – er spricht zu uns. Und das tut er in der Form, in der er da ist, unmittelbar. Er beeindruckt uns, leitet unsere Gedanken, regt unsere Phantasie an. Vielleicht manipuliert er auch unsere Gefühle. Immer löst er Assoziationen aus. Die Geschichte hinter der Fassade, die im Vorfeld womöglich geführten Diskussionen, Alternativen, geschlossenen Kompromisse, Hoffnungen, Erwartungen, Befürchtungen, die vor der Realisierung damit verbunden gewesen sein mögen, vermittelt eine Fassade nicht, sobald sie einmal realisiert ist.

In der Zeitschrift Arch+ schrieb der Kunsthistoriker Adrian von Buttlar im Dezember 2020 angesichts des fertiggestellten Humboldt Forums, ihn überkomme ein »kafkaeskes Unwohlsein« darüber, »dass der von Anbeginn höchst umstrittene Gegenbau zur einstigen politischen Hoheitsmitte der DDR letztlich wie ein UFO in unserer zunehmend verunsicherten Gegenwart gelandet ist: Nach wie vor steht die alte rhetorische Frage im Raum: Was ist das eigentlich? Wer spricht hier mit wem auf welche Weise und über was?«

Auf den folgenden Seiten geht es um Botschaften: um Botschaften, denen wir ausgesetzt sind; um Botschaften, die ausgesandt werden wollen, und solche, die ausgesandt werden sollen; aber auch um Botschaften, die ausgesandt werden, obwohl das womöglich niemand beabsichtigt hat; um Botschaften, die sich hinter dem, was Menschen tun, bisweilen verbergen; auch um Botschaften, die Menschen hinter dem, was sie sehen, vermuten. Dieser Essay ist ein Versuch über eine Fassade. Es ist nicht die Analyse eines Architekturkritikers, auch nicht das Ergebnis von Forschungen eines Historikers, es sind eher die Gedanken eines Flaneurs, der sich einem Neubau in der Mitte der deutschen Hauptstadt annähert, der durch seine Erscheinung behauptet, etwas anderes zu sein als das, was er ist. Denn das ist die erste Botschaft, die dieser Bau aussendet, wenn man ihm unvoreingenommen begegnet. Und das bleibt irritierend.

Wirklich Neues ist von einer solchen Annäherung nicht zu erwarten. Wohl über keine Baustelle in Deutschland ist in den vergangenen drei Jahrzehnten so viel gestritten, berichtet, gesprochen und geschrieben worden wie über die, an deren Ende die Enthüllung der zur Debatte stehenden Fassade stand. Aber gerade weil sich dieser Vorgang über einen so langen Zeitraum erstreckt hat, wobei manches vielleicht in Vergessenheit geraten ist, manches womöglich auch in Vergessenheit geraten sollte, lohnt es sich, den Blick noch einmal auf einige der neuralgischen Momente der Debatten, auf ihre Geschichte, ihre Dynamik und ihre Ergebnisse zu lenken. Sind sie einmal vollendet, wird die Geschichte hinter den Gebäuden ja meistens schnell vergessen zugunsten der Botschaften, die sie dann in die Stadt und in die Welt senden. In diesem Fall sind die Diskussion um die Fassade und die Geschichte ihrer Entstehung aber ein wichtiger Bestandteil des realisierten Ergebnisses. Sie gehören zur Botschaft der Fassade und damit des Gebäudes, das diese Fassade abschließt. Vielleicht sind diese Diskussion und diese Geschichte, genau besehen, die eigentliche Botschaft – zumal die Botschaft, die diese Fassade ursprünglich aussenden sollte, als sie das erste Mal errichtet wurde, wohl niemand ernsthaft wiederholt sehen will. Oder etwa doch?

Es soll im Folgenden ausschließlich die Fassade befragt werden, nicht die Institution, die sich hinter ihr formiert, das sogenannte Humboldt Forum, das ein Konzept exekutiert, das nach anhaltenden Diskussionen für diesen monumentalen Kulturort beschlossen wurde, ein modernes Museum für die außereuropäischen Kulturen. Die Geschichte des Berliner Schlosses, das an der entsprechenden Stelle einmal stand, sowie der Institution Humboldt Forum, die an die Stelle dieses Schlosses gesetzt wurde, hat der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, einer der Gründungsintendanten eben jenes Humboldt Forums, im Jahr 2019 in einem bilanzierenden Vortrag vor dem Posener kunsthistorischen Institut nachgezeichnet (pressto.amu.edu.pl). Die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss publiziert zudem auf ihrer Website vielerlei Texte rund um das Gebäude und die Institution. Unabhängig von diesen Darstellungen und den vielfältigen Debatten, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen also nicht die Institution, die hier im Werden begriffen ist, sondern lediglich die Fassade, hinter der sich zu verbergen schon ihr Schicksal war, bevor die Idee eines Humboldt Forums überhaupt formuliert wurde.

Von Anfang an war in der Diskussion um die Fassade der ehemaligen Hohenzollern-Residenz bemängelt worden, dass deren Realisierung vollkommen unabhängig von der Nutzung eines hinter ihr entstehenden Gebäudes gefordert, forciert, schließlich erstritten wurde. Für die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes, Herrschaftsresidenz der Dynastie der Hohenzollern erst als kurfürstliches, dann als königliches, schließlich als Kaiserschloss, bestand ja offenbar kein Bedarf. Zur Eröffnung des Humboldt Forums im Dezember 2020 erinnerte der Tagesspiegel an das Befremden zweier mächtiger Berliner Kulturmanager jener Zeit, in der ein Aufbau der Fassade diskutiert wurde, die beide qua Amt in die Entscheidungen involviert waren:

»Noch 2016 stellte, im Nachhinein, Peter-Klaus Schuster, von 1999 bis 2008 Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlins, im Blick auf die Fassadenbefürworter irritiert fest: ›Keiner der Befürworter entwickelte eine überzeugende Idee, zu welchem Zwecke das von so vielen gewünschte Schloss wieder aufgebaut werden sollte (…)‹ Und Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wunderte sich: ›Niemand fragte nach dem Zweck, vielleicht ein Hotel, eine Shopping-Mall, ein Konferenzgebäude (…) es war eine hilflose Diskussion, ohne Bezug zur historischen Dimension.‹« (Gerd Appenzeller im Tagesspiegel am 1.12.2020)

Die konsequente Trennung von Fassade und Gebäude mag ungewöhnlich erscheinen, ist aber im vorliegenden Fall Teil des Programms und führt auf die Spur der Besonderheiten dieses Bauprojekts und seiner Geschichte. Der Standort, an dem es erst erträumt, dann debattiert, dann entworfen, schließlich realisiert wurde, ist offenbar mit derart komplexen und widerstreitenden Botschaften aufgeladen, Projektionsfläche für so viele, so unterschiedliche Visionen, dass das Ergebnis ein Kompromiss geworden ist, den manche feiern, eben weil es ein Kompromiss ist, und der andere aus demselben Grund verstört oder auch empört. Denn die Botschaft, die von diesem Kompromiss ausgeht, variiert extrem, je nachdem wer die Empfängerin ist oder der Empfänger. Wie diese Botschaft ausfällt, hat nicht nur damit zu tun, welche gesellschaftlichen, politischen, weltanschaulichen Positionen eine oder einer vertritt, sondern auch damit, was und wie viel man über die Geschichte der Fassade weiß. Deswegen lohnt sich ein Blick zurück in die Zeit, in der diese Fassade von einer einflussreichen Gruppe offenbar als die angemessene Antwort auf eine historische, gesellschaftliche und städtebauliche Herausforderung für die Zukunft erschien: die Gestaltung der Mitte der gerade erst wiedervereinigten Hauptstadt des gerade erst vereinigten Deutschland.

Im Folgenden geht es um die Rekonstruktion einer Fassade als Rekonstruktion der Idee, die sie verkörpern soll. Es geht nicht um Polemik. Aber es geht schon um die Frage, was die treibende Kraft war und woraus sich die enorme Sicherheit, das überbordende Selbstbewusstsein und die Entschiedenheit der Beteiligten speiste, die dieses Projekt einer gigantischen Projektionsfläche als neuer Mitte einer wiedervereinigten Stadt vorangetrieben haben. Seine Rechtfertigung bezieht das Projekt nun daraus, dass es realisiert worden ist. Das heißt aber keineswegs, dass die Entscheidungen, die zu seiner Realisierung geführt haben, alle zwingend waren oder einleuchtend sein müssten oder auch nur für alle heute noch nachvollziehbar. Mit diesem Gebäude und dieser Fassade wurde künftigen Generationen eine andere als diese Gestaltung von Berlins Stadtmitte buchstäblich verbaut, sehenden Auges, denn auf diesen Aspekt des Projekts ist in der damaligen Diskussion immer wieder hingewiesen worden. Aber ganz offenbar war das das Ziel: eine Botschaft, die sich aus der Vergangenheit speist, soll in die Zukunft transportiert werden.

Ich bin kein Kunsthistoriker. Ich bin Historiker und Philologe. Daraus folgt ein Unterschied in der Betrachtungsweise der Dinge, schematisch gesprochen. Naturgemäß gibt es ungezählte Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die eine solche Unterscheidung in der Praxis obsolet machen. Aber sie kann vielleicht helfen, unterschiedliche Herangehensweisen zu charakterisieren. Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker nehmen demnach in der Regel die Objekte in den Blick, die sie zunächst analysieren, an und für sich betrachten und dann, mehr oder weniger weit zurücktretend, in Zusammenhänge einordnen. Sie sind im Interesse der Erkenntnis Objektfetischistinnen und Objektfetischisten, deswegen erreichen sie im Umgang mit den Objekten oft eine enorme Tiefe und finden über die Objekte viel heraus, im doppelten Sinne: über das jeweilige Objekt als Gegenstand, aber auch weit über das Objekt hinausgehend über die Welt. Philologinnen und Philologen dagegen denken in Strukturen, in die sie Objekte, Ereignisse, aber auch Ideen einordnen. Das kann eine Sprache sein, ein Text, aber auch ein anderer Zusammenhang, eine andere Struktur, eine Stadt zum Beispiel, eine Gesellschaft, die Geschichte. Sie sind eher Strukturalistinnen, Strukturalisten als objektorientiert. Das einzelne Bild, im konkreten Fall die Fassade der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss (so der offizielle Name der Institution), entwickelt sein Potenzial als Untersuchungsgegenstand für philologisch geschulte Betrachterinnen und Betrachter erst als Teil von Zusammenhängen, also zum Beispiel als Moment in der Geschichte seiner Entstehung, als Baustein einer Mystifizierung, als politische Metapher, im Kontext der sich wandelnden Stadt oder der sich verändernden politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse oder auch als Projektionsfläche einer Illusion.

Die große Illusion

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