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Da er spät dran war, fand er zunächst keinen Parkplatz in seiner Straße. Zweimal musste er um den Block fahren, bis er Glück hatte. Zwar gab es noch Streit mit einem zweiten Anwärter, aber er war zuerst dran und setzte sich durch. Während der andere es nicht lassen konnte, ihm seine Unzufrie­denheit zu zeigen und zu ihm herüber gestikulierte, rief er vom Auto aus das Rechenzentrum an. Trimborn versicherte ihm, dass der Batchlauf für die Buchhaltung sauber zu Ende gekommen war. Wenigstens da konnte man einen Haken machen.

Kaum hatte er seine Aktentasche aus dem Kofferraum genommen und den BMW abgeschlossen, als er über eine Formulierung stolperte, die Wolfgang gestern Abend am Telefon verwendet hatte. Der Zusammen­hang war ihm entfallen, aber Wolfgang hatte von den Illusionen der Leutchen gesprochen. Leutchen - das stand immer für die anderen, denen man zeigen müsste, wo es lang geht. Die hatten natürlich Illusionen - auch so ein abgenutztes Wort. Was sollte das aussagen. Hat nicht jeder einmal in seinem Leben Vorstellungen, die sich nicht erfüllen oder bewahrheiten. Von denen man vorher einfach nicht wissen kann, ob sie aufgehen oder nicht. Und wenn einer wie Wolfgang den Leutchen Illusionen zuschreibt, dann soll das natürlich umgekehrt heißen: er selbst, ein Wolfgang, hat keine solchen Illusionen, er weiß, was richtig ist. Genauso hatte er ihn immer gekannt. Mit dieser Masche bestritt dieser Arbeiter­beglücker nun schon sein ganzes Leben. Stets und ständig sah er seine Aufgabe darin, den Leutchen ihre Illusionen zu nehmen, statt auf sein eigenes Leben zu schauen. So ein Wolfgang merkte nicht mal, wie er nicht nur sein eigenes Leben verdüsterte, sondern auch das seiner Familie. Auch das seiner Kinder.

Benito leerte den Briefkasten und öffnete die Haustür.

Wolfgang hatte erzählt - das war eindringlich gewesen - seine Tochter Frauke liege jetzt allein in der Uni-Klinik und könne von ihnen in dieser Woche nicht mehr besucht werden. Er hatte am Telefon herum gedruckst: ob nicht er - Benni, wie er ihn nannte - ob nicht er bei ihr vorbei schauen könne. Angeblich habe Frauke darum gebeten.

Während er die Treppe hinauf stieg, versuchte er die Jahre zu zählen, in denen sie keinen Kontakt hatten. Zweiundzwanzig Treppenstufen - zweiundzwanzig Jahre. Könnte in etwa hinkommen. Er schloss die Tür auf. Unwillkürlich lauschte er für einen kurzen Moment in die Wohnung hinein. Kein Geräusch, kein Lebenszeichen, allenfalls das Summen des Kühlschranks. Auch kein Kater, der ihm mauzend entgegen kam. Jutta hatte darauf bestanden, ihn mitzunehmen. Zeitweise war das ihr größter Streitpunkt gewesen. Er hatte schließlich nachgeben müssen, weil sie in gewisser Weise recht hatte, denn es wäre für ihn schwierig geworden, Sweety zu versorgen, wenn er auf Reisen war. Mal sehen - vielleicht würde er sich das Kätzchen im Urlaub hierher holen.

Die Uhr im Wohnzimmer schlug an, er schaute hinüber: halb acht. Wenn er jetzt noch ins Krankenhaus wollte, würde es sehr knapp werden. Die Tasche packen für vier Tage. Wann ging der Zug morgen früh? Sieben Uhr achtzehn. Halbe Stunde zum Bahnhof. Taxi also für viertel vor sieben. Aufstehen also viertel vor sechs. Im Zug könnte er vielleicht ein Stündchen dösen - andererseits müsste er noch die Unterlagen durchsehen; dazu war er im Laufe des Tages nicht gekommen. Irgendwie würde es schon gehen. Er würde sich einen Kaffee besorgen -

Das Telefon klingelte.

Kathrin war immer noch bei der Arbeit und klang genauso munter wie am Morgen. So - sagte sie - der Vortrag, den sie morgen Nachmittag halten werde, sei konzipiert. Ebenso ein Zimmer für zwei fürs ganze Wochenende gebucht, Nähe Potsdamer Platz. Sie freue sich auf ihn. Sie habe viele Projekte im Kopf, die sie mit ihm besprechen müsse. Und eine ganz bestimmte Frage - aber die werde sie erst stellen, wenn sie Zeit für einander hätten.

Benito versicherte, dass er sich ebenfalls freue, sie zu treffen. Und er sei natürlich gespannt, was sie ihn fragen wolle. Heute sei er nicht dazu gekommen, sich auf die Konferenz vorzubereiten, das müsse er morgen während der Fahrt erledigen. Heute Abend wolle er noch ins Krankenhaus. Eine alte Freundin besuchen – das habe er ihrem Vater versprochen.

Ob sie eifersüchtig werden müsse, wollte Kathrin wissen.

Unfug - er habe gerade die Jahre gezählt, die sie sich nicht gesehen hätten: wahrscheinlich ein Vierteljahrhundert.

Da sei sie dreizehn gewesen und noch bei den Pionieren. Aber so dringend könne der Krankenbesuch doch nicht sein, dass er nicht einmal zehn Minuten Zeit habe für seine Geliebte.

Natürlich nicht. Er wisse eigentlich gar nicht, warum Frauke ausgerechnet nach ihm gefragt habe. Ihr Vater sei ein alter Gewerkschafter, mit dem er vor Urzeiten mal etwas zu tun gehabt hätte.

Aha - verstehe, hakte Kathrin ein: einer aus deiner Sturm- und Kampfzeit.

Sozusagen.

Er wollte nicht darüber reden, jedenfalls nicht jetzt. Nicht in dieser Weise. Vielleicht am Wochenende. Sie war sofort einverstanden und entschuldigte sich, dass sie ihn mit ihren Gedanken und Visionen überfallen habe.

Sie tauschten telefonisch Küsse aus und legten auf.

Benito ließ alles stehen und liegen, nahm den Autoschlüssel und verließ seine Wohnung. Als er die Treppe hinunter tippelte, fiel ihm ein, dass er jetzt den schwer erkämpften Parkplatz aufgeben müsste. Großstadt-Schicksal.

Working Class Hero oder Frauke von damals

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