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4.

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15:37

Hey Paul, nein, vermutlich kennst du mich auch nicht mehr richtig.

Wäre nach vier Jahren auch verrückt.

Aber irgendwie glaube ich, dass ich im Kern noch der Alte von damals bin.

Also dein bester Freund, in den du dich mal verliebt hast.

Gesülze. Sorry. J


»Ich hab keinen Grund, nicht glücklich zu sein.« Das, was Liz vorhin am Bach gesagt hat, lässt mir einfach keine Ruhe.

»Also keinen offensichtlichen Grund«, füge ich unnötigerweise noch hinzu.

Liz wackelt neben mir her, mittlerweile ohne meine Unterstützung, und sagt erstmal nichts dazu. Sie scheint sich ganz auf ihre Schritte zu konzentrieren. Vor eineinhalb Stunden waren wir durch ein kleines Dorf gekommen, wo ich sie noch mal dazu gedrängt habe, nach einem Arzt zu fragen. Doch davon wollte sie natürlich nichts wissen. Mit der Großeltern-Weisheit ›Bewegung ist die beste Medizin‹ quatschte sie mich zu und ich habe mich wohl oder übel gefügt und verschwiegen, wie gelegen mir eine weitere Pause gekommen wäre.

Wir haben nämlich immer noch fünf Kilometer vor uns. Und meine Blasen fühlen sich nach dem kühlenden Fußbad doppelt so groß und mein Rucksack doppelt so schwer an, dafür scheinen meine ohnehin schon dünnen Sneakers-Sohlen nur noch halb so stabil zu sein. Aber wie soll ich auf meine eigenen Befindlichkeiten aufmerksam machen, ohne dabei lächerlich zu wirken, wenn es mir die ganze Zeit vorkommt, als würde ich mit einem weiblichen Captain America durch Italien wandern?

»Und was sind nicht offensichtliche Gründe?«

Ahhhhh. Ich tue erstmal so, als wäre ich von der Landschaft viel zu abgelenkt, um direkt antworten zu können. Dabei laufen wir gerade durch ein Waldstück, das zwar angenehm schattig, aber ziemlich unspektakulär ist. Zumindest unspektakulärer als alle Weingüter, Dörfer und alte Klöster zusammen, die wir heute schon gesehen haben.

Aber irgendwann wird es peinlich, wenn das Ignorieren ignoriert wird. Und Liz ist eine Meisterin im Ignorieren vom Ignorieren. Ich spüre, wie sich ihr Blick in meine Schläfe bohrt.

»Alles halt. Findest du, dass die Welt einem zurzeit viele Gründe liefert, um total grenzenlos happy zu sein?«

»Viele nicht, aber ein paar schon.«

»Und welche?«

Liz macht mit ihren Armen eine ausladende Bewegung, als ob sie jemand zuwinken will. »Das hier zum Beispiel.«

Ein bisschen enttäuscht mich die Antwort, weil das ja ungefähr so ist, wie wenn jemand auf die Frage, welche Musik hörst du gern, mit alles antwortet.

»Das meine ich aber nicht.«

»Was dann?«

»Ich mein die Sachen, die so passieren. Krankheiten, Kriege, Klima, dieser ganze apokalyptische Scheiß. Und das ist ja nur der große Rahmen. Die ganzen Rahmen in der eigenen kleinen Welt kommen ja noch dazu, die irgendwie immer mehr werden und in die man sich versucht reinzuquetschen, weil man sonst aus dem, äh, Rahmen fällt.« Ich muss unwillkürlich lachen. »Abgefahren, passt ja voll.«

Liz schmunzelt ebenfalls vor sich hin. »Das kann ich alles verstehen. Aber so ganz beantwortet das meine Frage noch immer nicht, warum du nicht glücklich bist. Du persönlich.«

Ich trotte weiter neben Liz her und denke über meine Antwort nach. Das stimmt schon alles. Manchmal fühle ich mich einfach wie eingesperrt in die ganzen Rahmen und habe trotzdem die Aufgabe, Entscheidungen fürs Leben zu treffen. Für mein Leben, an das ich und viele andere hohe Erwartungen haben. Aber ständig verschieben sich diese Rahmen. Und man muss sich neu positionieren, obwohl man eigentlich gerade eine ganz bequeme Stellung eingenommen hat. Mir ist nur nicht ganz klar, wie ich Liz das erklären kann, die in einer ganz anderen Zeit und Welt so alt war wie ich.

»Weißt du eigentlich, dass das Streamen von Netflix so viel Strom verbraucht, wie eine mittelgroße Stadt im Jahr benötigt? Das ganze Geschwafel von Umweltschutz ist also total fürn Arsch, wenn man eine Serie nach der anderen bingt.«

Liz schaut mich fragend an.

»Du weißt: Netflix, wo die Serien laufen.«

»Das ist mir auch klar, ich lebe ja nicht hinterm Mond. Ich kapiere nur nicht, was du mir damit sagen willst.«

»Na, die Rahmen eben. Ich bin voll für Umweltschutz und gucke trotzdem jede verdammte Serie. Das passt null zusammen, aber ich mach’s trotzdem. Wie alle andern auch. Das ist doch voll verlogen, findest du nicht?«

Ich sehe sie erwartungsvoll an und lasse es, als ich ihren verständnislosen Blick sehe, bleiben. Es ist der falsche Weg, ihr meine Rahmenproblematik zu erklären.

»Ach, egal, war nur so dahergesagt.«

Sie hakt sich wieder bei mir unter. Ich finde das mittlerweile kaum noch komisch, obwohl wir uns erst seit knapp 24 Stunden kennen. Und obwohl sie eine uralte Frau ist.

»Und was ist jetzt mit dem Glück? Mit deinem Glück, Nicht-Pilger Paul aus Frankfurt?«

Eine uralte neugierige Frau.

Ich bleibe kurz stehen. »Nicht jetzt. Erzähl du lieber was.«

»Was? Von den Rahmen, in die Helmut und Enzo eingequetscht waren? Die gab’s damals nämlich auch schon und ich glaube sogar, die waren teilweise viel enger und starrer, als sie es heute sind.«

»Das kann gut sein. Aber es gab insgesamt weniger, oder?«

Ich erhalte keine Antwort, stattdessen gestattet sie mir nur einen weiteren instagrammäßigen Einblick in dieses längst vergangene Leben.


Helmut wusste nicht mehr weiter. Seit dem Abend im Rheinpark tauchten die Bilder wieder häufiger auf. Regelmäßig. Auch tagsüber. Unkontrollierbar. Er verfluchte seinen Kopf dafür und wusste gleichzeitig gar nicht, ob der überhaupt schuld war. Manchmal hatte er das Gefühl, als würde sein ganzer Körper dahinterstecken. Er war verdammt nochmal ein Mann. Und es war unnatürlich, dass ein Mann von einem anderen Mann so durcheinandergebracht wurde. Das gab es einfach nicht. Das war falsch. Kriminell. Pervers.

Mit voller Wucht knallte Martins rechte Faust jetzt schon zum zweiten Mal in sein Gesicht. Ungebremst stürzte Helmut auf den harten Boden ihres provisorischen Boxrings.

»Mensch Helmi, du bist gar nicht bei der Sache.«

Helmut öffnete die Augen und musste sich in der schummrig beleuchteten Autowerkstatt von Gerdis Vater erst mal neu orientieren. Er fühlte den Schmerz in seinem Kiefer und ließ ihn knacken.

»Was ist los, Mann?« Martin stand über ihm und reichte ihm seine Hand. »Bist du verletzt? Du hast ja echt alles verlernt.«

Seit seiner Verlobung trainierte er wieder regelmäßiger mit Martin. Und es tat gut. Die Prügel, die er dabei immer kassierte, waren genau das richtige Mittel, die Bilder wenigstens für ein paar Augenblicke zu verscheuchen. Meistens klappte es, heute jedoch nicht.

»Bin unkonzentriert.«

Er ergriff Martins Hand und schmeckte gleichzeitig Blut in seinem Mund – wie damals auf der Friesenstraße.

»Wenn du dich von Marlene auch so in den Sack stecken lässt, dann gute Nacht«, lachte Martin blöd.

»Was soll das denn heißen?«

»Nichts, nichts.«

Martins Worte klangen nach, und Helmut starrte auf den blutigen Fleck auf seinem Handtuch. Er spürte, wie die Wut plötzlich in ihm hochkochte. Auch wie damals. Was war heute bloß los?

»Sag schon, hast du ein Problem? Bist du immer noch eifersüchtig auf Marlene und mich?« Er stellte sich herausfordernd vor seinen kleineren, aber doppelt so muskulösen Freund. »Wenn du ein Problem hast, dann lass es uns hier und jetzt klären.«

Martin drehte sich jedoch nur mit einer überheblichen Geste von Helmut weg. »Lass gut sein, Helmi. Ich will dir nicht noch mal wehtun.«

Aber genau darauf legte Helmut es an. Er wollte sich prügeln. Er wollte seine Wut loswerden. Darum reizte er Martin weiter.

»Dann akzeptier das mit Marlene und mir endlich. Kann ja nichts dafür, dass du keine abkriegst. Schau dich mal an. Wie war dein Spitzname früher gleich noch mal? Zwerg Nase? Wird sich echt jede Frau zweimal überlegen, ob sie mit so einem Pimpfling was anfangen …«

Mit einem Satz war Martin wieder bei Helmut und packte ihn am Hals. Schnell wie ein richtiger Boxer, sodass Helmut keine Chance hatte, sich zu wehren.

»Halt’s Maul, Helmi. Du bist eine Wurst. Du kannst Marlene rein gar nichts bieten. Weder finanziell noch körperlich. Also, werd ja nicht übermütig. Heiratet ihr mal. Die Abrechnung, wer von uns beiden eine Frau glücklich machen kann, kommt später. Verstanden?«

Martin ließ schnaubend von Helmut ab und ging sich umziehen. Helmut rieb sich seinen Hals und kam sich auf der Stelle wie ein richtiger Arsch vor, weil er diesen Kinderkram gegen seinen Freund verwendet hatte, um sich selber besser zu fühlen. Er wusste genau, wie sehr Martin unter seiner geringen Körpergröße litt.

Er prüfte schweigend seine Verletzungen im Seitenspiegel eines verbeulten Unfallwagens und wollte gerade entschuldigend einlenken, als er im Spiegel sah, wie Martin sein verschwitztes Hemd auszog. Helmut blieb wie versteinert in seiner gebückten Position stehen, vergaß seine Entschuldigung und starrte nur auf den nass glänzenden Rücken seines Freundes, auf dem sich jeder Muskel zu bewegen schien. Es war ein anderer Mann, es war eine andere Situation, aber es war wie eins der Bilder, die ihn immer und immer wieder daran erinnerten, dass irgendwas mit ihm nicht stimmte. Gern hätte er einfach losgebrüllt, um das Bild zu verscheuchen. Noch lieber wäre er weggelaufen, bis zum Rhein runter und immer weiter, damit niemand sah, schon gar nicht Martin, wie groß seine Angst in solchen Momenten war, endgültig die Kontrolle über sich zu verlieren.

»Komm, vergessen wir’s. Noch auf ein Kölsch? Geht auch auf mich.«

Das plötzliche Versöhnungsangebot von Martin riss Helmut zurück in die Realität. Er richtete sich ertappt auf und wich dem irritierten Blick seines Freundes aus.

»Ist was?«

»Nein.« Helmut stopfte das blutige Handtuch und die Boxhandschuhe in seine Tasche.

»Mensch Helmi, jetzt sei nicht sauer. Du weißt, dass ich das hasse, wenn man mich klein nennt. Schon immer.«

»Ja.«

»Ihr werdet sicher richtig glücklich. Du und Marlene. Das mit der Wurst war gerade nur so aus der Wut …«

»Ja, mir tut’s auch leid.«

Martin kam auf Helmut zu und legte ihm versöhnlich eine Hand auf die Schulter. »Schon vergessen. Also noch ein Bier? Fahr dich später auch nach Hause.«

Doch Helmut wollte nur noch weg. »Ein anderes Mal, ich muss los.«

Bevor Martin protestieren konnte, schob Helmut schon das knarrende Metalltor auf und verabschiedete sich. Es war noch hell draußen und der Wind, der seit einigen Tagen aus dem Süden kam, machte die Luft angenehm warm. Und sauber. Doch sein einmaliges tiefes Durchatmen brachte ihm auch keine Erleichterung. Und schon als er mit seinem Rad aus dem Werkstatthof fuhr, wusste er, dass er wie immer nicht die kürzeste Strecke auf die linke Rheinseite nehmen würde. Er würde einen Umweg zur Hohenzollernbrücke nehmen, am Messegelände vorbeifahren, das Staatenhaus umrunden, nur um am Hintereingang der Bundesgartenschau einen schnellen Blick in den Rheinpark zu werfen.

Und für diesen verdammten Drang in sich, nur für den Bruchteil einer Sekunde Enzo mit seinem Eisfahrrad sehen zu können, hasste er sich am allermeisten.


Die Sonne steht mittlerweile schon ziemlich tief und ich bin froh, dass das Ziel unserer gemeinsamen Etappe langsam näher rückt. Und mit langsam meine ich extrem langsam. Wir laufen wie zwei Schildkröten, deren einzige Tagesaufgabe es ist, einem niemals flüchtenden Salatkopf hinterherzujagen. So langsam.

Seit einer kurzen Trinkpause, bevor es nur noch durch dichte Wälder bergab gegangen war, hinkt Liz wieder stärker. Doch sofern sie das nicht kommentiert, schweige ich auch. Sie ist schließlich alt genug, um zu wissen, was gut oder schlecht für sie ist.

Ich denke noch mal über diesen unbekannten Helmut nach. Und komme nicht zum ersten Mal zu der Erkenntnis, dass es ziemlich bescheuert ist, dass man Gefühle nicht einfach per Knopfdruck abstellen kann. Damit würden sich so viele Probleme von selbst lösen. Helmut hätte Enzo vergessen und wäre sehr wahrscheinlich mit Marlene glücklich geworden. Ich selbst hätte Jonas schon längst auf einem Stapel Erinnerungen abgelegt, ohne diesen Stapel wie einen Wäscheberg ständig wieder durchwühlen zu müssen, als wäre ich auf der Suche nach meinem Lieblingspullover.

»An wen denkst du gerade?«

Liz zieht getrocknete Apfelringe aus ihrer Hüfttasche und bietet mir welche an.

»Wieso an wen? Vielleicht denk ich ja auch an was.«

Doch schon als ich es ausspreche, merke ich, wie wenig Lust ich habe, ständig nur um den heißen Brei herumzureden. Vermutlich wird Liz’ und mein Weg sich spätestens bei unserer Ankunft in Stia trennen. Was weniger an den getrennten Unterkünften für die kommende Nacht liegen wird als vielmehr an Liz’ Verletzung, mit der sie am nächsten Tag garantiert nicht weiterlaufen kann. Und weil genau das auf natürlichem Weg zahlreiche Nachfragen verhindern wird, entschließe ich mich, ihr zum Abschied noch ein bisschen meiner Geschichte zu verraten.

»Jonas. Er heißt Jonas. Aber eigentlich hab ich gerade gar nicht so viel an ihn gedacht, sondern, dass es toll wäre, wenn wir Gefühle abstellen könnten. So auf Knopfdruck.«

»Und wegen diesem Jonas würdest du diesen Knopf drücken?«

»Vermutlich.«

»Aber was wären wir dann, wenn wir das könnten? Wären wir dann noch Menschen oder schon Maschinen?«

Ich will keinesfalls klein beigeben. »Glücklicher wären wir, weil Verletzungen schneller heilen würden zum Beispiel.«

Liz schweigt, doch ich sehe an ihren zappeligen Fingern, dass sie nachdenkt. So gut kenne ich sie immerhin schon.

»Ich glaube, ich wäre nicht glücklicher, wenn ich alle Verletzungen, Trennungen und Tränen einfach so beiseite hätte wischen können. Weil ich dann heute ja gar nicht genau wüsste, was Glück ist.«

»Muss man denn immer Unglück und Traurigkeit kennen, um zu kapieren, dass man zwischendurch auch mal glücklich ist? Das ist doch voll bescheuert. Geht’s denn nicht auch andersrum?«

»Das liegt ganz allein an dir. Und daran, was hier drin passiert.« Liz tippt mir auf die Brust. »Was hat dieser Jonas denn gemacht?«

»Ach«, so richtig will ich jetzt doch nicht mehr reden. »Der war einfach nicht so nett zu mir. Wir waren mal beste Freunde, dann minimal kurz so was wie verliebt und zusammen und dann sind Sachen passiert, die nicht so schön waren.«

Das muss reichen. Doch Liz wartet natürlich darauf, dass ich mehr verrate.

»Nicht so schön?«

Ich schüttele den Kopf. »Nicht so wichtig.«

»Weil es noch wehtut?«

»Ein erzwungenes Outing hört nie auf, wehzutun.«

»Das hat er getan?«

»Ja. Mit einem Video. Für alle sichtbar.«

»Shit. Warum?«

»Weil er seine kleine Schwester verloren hat. Und weil er danach alles kaputt machen musste, was irgendwie noch gut war in seinem Leben.«

Liz schüttelt ihren Kopf. »Nicht schön.«

»Sag ich ja.«

Keine Ahnung, ob sie kapiert, was es bedeutet, mit 16 nackt über den Social-Media-Schulhof gejagt zu werden. Und zwar im wahrsten Sinne nackt. Und schutzlos. Vermutlich nicht. Weil die wenigsten Menschen kapieren, was es bedeutet, an einem Tag noch der coole Typ zu sein und am anderen Tag die absolute Lachnummer. Verarscht vom besten Freund, in den man blöderweise auch noch verliebt ist, verarscht von allen anderen. Es stellt dein Leben auf den Kopf. Und es tut weh. Verdammt weh. Ganz tief drin an einem Ort, der eigentlich für schöne Gefühle reserviert sein soll.

»Wann war das?«

Ich muss nicht lang überlegen. »Vor fast vier Jahren.«

Von Liz kommt keine Reaktion und ich bin froh drüber, weil ich sonst hätte zugeben müssen, dass diese Arschlochaktion von Jonas seit vier Jahren mein Leben im Griff hat. Vier Jahre von 19, ein ziemlich mieser Schnitt.

Natürlich kann Liz selber rechnen. »Und wie lang soll das noch dauern?«

»Was?«

»Bis dein gebrochenes Herz wieder verheilt ist?«

Ich stoße einen merkwürdigen Laut aus, der ein abfälliges Lachen hätte sein sollen. Es klingt aber mehr nach einer Mischung aus Husten und Niesen, weil der Begriff gebrochenes Herz so abgedroschen ist, dass er sogar auf meiner Songtext-Worthülsen-Blacklist steht. Das Dumme ist nur, dass er in dem Fall genau den Punkt trifft.

»Keine Ahnung, wie lang so was dauert. Sag du’s mir. Du hast ja schon ein bisschen mehr Erfahrung.«

Liz humpelt voraus und ich folge ihr. Die kleine Stadt ist zum Glück schon in Sichtweite, sonst würde ich aus Solidarität vermutlich bald auch das Hinken anfangen.

»Du musst rausfinden, was dein Herz nicht heilen lässt.«

»Äh, vielleicht der Vertrauensmissbrauch? Das Lachen der anderen? Dass alles kacke läuft seither? Dass ich Jonas mit ’nem anderen Typen gesehen habe, gerade als ich bereit war, uns noch mal eine Chance zu geben. Das alles?«

»Das kapiere ich jetzt nicht.«

Liz bleibt stehen und blitzt mich unangenehm durchdringend an. Man kann dieser Frau einfach nichts vormachen.

»Was?« Ich will nur noch meinen Rucksack abnehmen, duschen und mich aufs Bett legen. Ohne reden zu müssen.

»Das mit der zweiten Chance.«

Ohne mit der Wimper zu zucken, hat sie den Knackpunkt meiner Geschichte entdeckt, weil ich selber nicht mehr genau weiß, warum ich vor einigen Wochen nach Köln gefahren bin und mich dadurch noch verletzlicher gemacht habe.

Meine Schultern sinken nach unten und schleifen wie bei einer Comicfigur auf dem Boden hinter mir her. So fühlt es sich jedenfalls an. Es ist einfach alles eine verquirlte Scheiße. Und es ist noch beschissener, dass diese Scheiße ausgerechnet hier in Italien von dieser fremden Person als Scheiße identifiziert wird.

»Du bist doch hierhergekommen, um es zu verstehen. Oder?«

Liz nimmt meine Hände in ihre und ich lasse es zu. Vermutlich sieht es aus, als würde ich ihr oder sie mir einen Heiratsantrag machen, aber im Augenblick ist mir selbst das egal.

»Jeder, der so einen Weg geht, will etwas verstehen. Auch wenn er sich selbst als Nicht-Pilger bezeichnet. Das sind nur Worte, das macht keinen Unterschied.«

Aus irgendeinem Grund schießen mir Tränen in die Augen. Tränen, obwohl ich heute jeden Tropfen Körperflüssigkeit ausgeschwitzt habe. Tränen, obwohl ich die seit damals so gut es geht unterdrücke. Zum Glück bleiben sie im Auge und laufen mir nicht total peinlich über die Wange. Eine 19-jährige Heulsuse zu sein, das fehlt mir gerade noch zu meinem Glück.

Aber natürlich werden sie von Liz bemerkt. Und ich merke, dass sie es bemerkt, weil sie meine Hände fester drückt.

»Ich bin hierhergekommen, um rauszufinden, was ich mit meiner Zukunft anfangen soll«, antworte ich trotzig und nur halb ehrlich, »sonst nichts.«

Und das in Ruhe, denke ich mir noch dazu, spreche es aber nicht aus.

»Aber wie soll das denn funktionieren, wenn du vor so vielen Dingen, die dich ausmachen, davonläufst. Tu das nicht. Stell dich ihnen, erst dann kann es nach vorne gehen. In deine Zukunft.«

Mir schwirrt der Kopf. Liz hat scheinbar den Beschleunigungshebel meines Gedankenkarussells gefunden, das jetzt dabei ist, mit unkontrollierbarer Geschwindigkeit komplett aus der Verankerung zu fliegen. Und eins ist mir auch in diesem Zustand klar: Wenn ich nicht sofort die Notbremse reinhaue, durchlöchern die durch die Gegend schießenden Schrauben meine Schädeldecke. Ich lasse ihre Hände los und blinzle meine Tränen weg.

»Darum meinte ich ja das mit dem Knopf. Wäre doch alles viel einfacher, wenn ich den jetzt drücken könnte.«

Sie nimmt den letzten Schluck Wasser aus ihrer Trinkflasche und schaut mich nachdenklich an. Stumm nachdenklich, was jetzt nicht gerade zu meiner Beruhigung beiträgt, weil ich ahne, dass gleich wieder was kommt.

Um ihr zuvorzukommen, versuche ich, meine These weiter zu untermauern. »Meinst du nicht, dass Helmut den in seiner Situation auch benutzt hätte?«

Liz verstaut ihre Flasche und strafft sich für den Endspurt.

»Hat er gemacht. Und leider mehr als einmal.«

Mut. Machen. Liebe

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