Читать книгу Der Thriller um Michael Jackson - Hanspeter Künzler - Страница 10
ОглавлениеGedanken zum Fan-Sein:
Zweitens …
Die Fans, welche die Frage nach ihren liebsten Michael Jackson-Werken nicht einfach mit „alles“ beantworteten, brachten eine nicht weniger als verschiedene 49 Songs umfassende Liste von „Lieblingsliedern“ zusammen. Das ist nur schon angesichts der Kompaktheit von Michaels Lebenswerk eine beachtliche Ziffer. Sie deutet darauf hin, dass in seiner Musik eine Vielzahl von Elementen steckt, welche uns auf ganz unterschiedliche Art ansprechen können. Ein Titel ragte als Fan-Favorit heraus: „Man In The Mirror“. Knapp dahinter folgten „Heal The World“ und „Earth Song“.
„Man in the Mirror“ war keine Komposition von Michael selbst. Sie stammte aus der Feder der Soul-Sängerin Siedah Garrett und des Produzenten Glenn Ballard (er zeichnete später auch noch für Alanis Morissettes Album „Jagged Little Pill“ verantwortlich). Jacksons Version ist auf dem Album „Bad“ anzutreffen, auf welchem Garrett als Duett-Partnerin mit Michael „I Just Can’t Stop Loving You“ singt. An dem Lied fällt vor allem der prägnante Text auf. Er appelliert an unser Sozialgewissen, auch an die „kids in the street with not enough to eat“ zu denken und alles daranzusetzen, eine bessere Welt für alle zu schaffen. Zugleich gibt der Text zu bedenken, dass eine wahre gesellschaftliche Veränderung nur dann eintreten könne, wenn wir uns selbst ins Gewissen redeten und unsere eigennützigen Gewohnheiten änderten. Der Titel wurde 1987 als Single ausgekoppelt, brachte es aber nur in den USA, wo er sowohl in den Pop- als auch den R&B-Charts die Spitze erreichte, zu größeren Chart-Ehren. In Österreich schaute zwar auch noch ein Rang zehn heraus, aber in den mit Verlaub eher tonangebenden UK-Charts blieb die Single (entgegen anders lautenden Wikipedia-Angaben) auf Rang 21 hängen, in Deutschland auf 22 und in der Schweiz auf 23. Möglicherweise lässt sich gerade dadurch die außerordentliche Popularität des Liedes unter Fans erklären. Einerseits bringt es einen Stützpfeiler von Jacksons „Message“ perfekt auf den Punkt, andererseits ist es von Radio und TV noch nicht ganz bis zum Überdruss rauf- und runtergespielt worden.
„Earth Song“ teilt wie kaum ein zweiter Michael Jackson-Hit die Menschen in zwei Lager. Wieder einmal appellierte Jackson ans Gewissen seiner Zuhörer. Diesmal forderte er uns auf, besser auf unsere Erde und vor allem auch auf die Tierwelt aufzupassen. Die Message wurde in einem episch anschwellenden Arrangement serviert, das noch mit dem Gospelchor von Andrae Crouch garniert war. In den Augen der Fans war es ein Meisterwerk sensibler, tiefgängiger Songschreibekunst. In den Ohren und Augen der Feinde, von denen es zum Zeitpunkt des Erscheinens im November 1995 nur so wimmelte, war „Earth Song“ Schmalz pur und das dazugehörige Video, in welchem Jackson Posen einnahm, die frappant an bildliche Darstellungen von Jesus erinnerten, ein Meisterwerk pompöser Selbstherrlichkeit. Offenbar schlug sich Jacksons eigene Plattenfirma zumindest in den USA auf die Seite der Feinde: Die Single wurde dort nie veröffentlicht. Obwohl zu der Zeit Bill Clinton mit Vizepräsident Al Gore an seiner Seite im Weißen Haus saß, fielen umweltschützerische Botschaften in den USA auf steinigen Boden. Sie galten als Panikmache von Extremisten, die darauf aus waren, die amerikanische Industrie und damit den „Mann auf der Straße“ zu ruinieren. Es sei hier die spekulative These erlaubt, die Plattenfirma hätte befürchtet, dass Jackson nach den erst zwei Jahre zurückliegenden Anschuldigungen des Kindesmissbrauches durch Jordan Chandler eh kaum noch hitträchtig war, geschweige denn mit einem Lied, das von einem großen Teil der Bevölkerung als linke Propaganda aufgefasst werden konnte, selbst wenn die politische Botschaft mit Samthandschuhen, himmlischen Geigen und gospelhafter Inbrunst aufgetischt wurde. Anderswo teilte man die Meinung von Sony USA nicht. In Deutschland und in der Schweiz schaffte es „Earth Song“ an die Chart-Spitze, in Österreich auf Rang vier. In Großbritannien wurde sogar Michaels größter Hit aller Zeiten daraus. Über eine Million Exemplare gingen weg, sechs Wochen verbrachte die Single auf Platz eins und bewirkte, dass sich der postum erschienene Beatles-Schlager „Free As A Bird“ mit Platz zwei bescheiden musste.
In eine ähnliche textliche Kerbe haute „Heal The World“, das im November 1992 als sechste Singleauskoppelung von „Dangerous“ in die Läden kam. Rund um die Welt durfte Jackson einen weiteren Top 5-Hit verbuchen (Großbritannien Rang zwei, Deutschland drei, Schweiz vier, Österreich fünf). Nur in den USA passte die Nummer überhaupt nicht. In den Pop-Charts erreichte sie einen bescheidenen Rang 27, in den schwarzen R&B-Charts blieb sie gar auf Platz 62 stecken. Keine andere Michael Jackson-Single der Neuzeit hat seinen afroamerikanischen Fans so schlecht gefallen wie „Heal The World“.
Nebst den drei einsamen Spitzenreitern „Man In The Mirror“, „Earth Song“ und „Heal The World“ wurden „Smooth Criminal“, „Dirty Diana“, „Thriller“, „Human Nature“, „Beat It“, „Billie Jean“ und „Will You Be There“ am häufigsten als Lieblingssongs genannt. „Black Or White“, „They Don’t Care About Us“, „Give In To Me“, „Wanna Be Starting Something“, „Who Is It“ und „Blood On The Dancefloor“ brachten es ebenfalls auf vielfache Nennungen. „Money“, „Break of Dawn“, „Speechless“, „Morphine“, „Is It Scary“, „ABC“, „2 Bad“ und das obskure „On The Line“ gehörten zu den vielen Stücken mit einer oder zwei Nennungen.
Schon bei den Beschreibungen der Fans, wie sie Michael Jackson für sich entdeckt hätten, fiel auf, wie oft nicht die Musik den ersten Schritt ausgelöst hatte. Auch die Aufzählung von Lieblingswerken unterstreicht die Binsenwahrheit, dass Jackson seine Fans nicht nur mit seinen Liedern zu packen wusste. Ein ganzes Dutzend Fans nannten den Mini-Film „Ghosts“ als ihr liebstes Michael Jackson-Werk. In dem humorigen, gruseligen und vor allem spektakulären 39-Minuten-Streifen (inbegriffen eine Kurzdoku über die Drehvorbereitungen, die allein schon den Eintritt wert ist) spielt Jackson einen Sonderling, den die kleinbürgerliche Nachbarschaft nicht versteht und drum aus dem Dorf vertreiben will. Mit einer gewaltigen Horror- und Tanzshow gewinnt „Jackson“ alsbald die Herzen der Kinder und – langsam, aber sicher – die ihrer Eltern für sich, um schließlich dem Rädelsführer und Bürgermeister einen derart grausigen Schrecken einzujagen, dass dieser Hals über Kopf das Weite sucht und das Dorf samt Sonderling im Frieden zurücklässt. „Ghosts“ ist bei den Fans nicht nur deswegen so beliebt, weil es eine einzige verspielte Augenweide ist, sondern auch darum, weil unschwer zu erkennen ist, dass Jackson mit diesem Appell an die Toleranz seinen großen Wunschtraum in Szene setzte. Die Fans wussten diese Botschaft natürlich zu entschlüsseln und interpretierten sie nicht zu unrecht als einen persönlichen Aufruf, Michael bei der Verwirklichung des Traumes zu helfen. Gibt es für einen Fan ein schöneres Gefühl als das, im Leben des Idols eine aktive Rolle einnehmen zu dürfen?
Auch andere Video-Clips stehen in der Fan-Gunst ganz oben: „Thriller“ selbstverständlich („Billie Jean“ hingegen nicht), „Bad“, „Black Or White“ und „Dirty Diana“, aber auch „Smooth Criminal“, „Remember The Time“, „Captain Eo“ und die Filme „Moonwalker“ sowie „This Is It“. Viele Fans genießen am liebsten weder CDs noch Video-Clips oder Filme, sondern Live-Mitschnitte von Konzerten – allen voran dem von Bukarest. Andere schätzen ganz besonders die Lektüre von „Dancing The Dream“, einer Sammlung von Märchen, Gedanken und Gedichten, die Michael im Jahr 1992 veröffentlichte. Merkwürdigerweise wurde sein Memoirenband „Moonwalk“ nur ein einziges Mal genannt. Weitere Stimmen gingen ein für die Neverland-Ranch, das Interview mit Oprah Winfrey, die Rede an der Universität Oxford, sein „Billie Jean“-Auftritt im Rahmen der Motown-Jubliläums-Show (der aus dem Popstar Michael Jackson in einem einzigen Moonwalk ein Gesamtkunstwerk für die ganze Welt machte). Ein Fan schrieb ganz simpel: „Seine Botschaft“.
Diese „Statistiken“ zeigen, dass Michael Jackson nicht einfach ein Popstar war, bei dem die Hits im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen und alles andere nur als ein Marketing-Werkzeug konzipiert war, das Produkt an den Mann zu bringen und Hits zu schaffen. Jackson schöpfte alle technischen Mittel seiner Tage aus, um einen wahren Multimedia-Künstler aus sich zu machen. Als Video-Clips in den Augen der meisten anderen Stars noch wenig mehr waren als Werbespots, in denen sie vor allem gut auszusehen hatten, erkannte Jackson, dass Videos für ihn nicht nur eine geschäftliche Notwendigkeit darstellten, sondern ihm darüber hinaus die Möglichkeit gaben, ein wesentliches Element seiner Kunst, den Tanz, einem Publikum nahezubringen, das bis dahin nie ein Ticket gekauft hätte, um ihn „live“ zu erleben. In diesem Sinne waren auch die Bücher, Gespräche und Reden wichtig. Sie erlaubten es ihm, dem Publikum seine Vision darzulegen, zu zeigen, dass es ihm in seinen Liedern nicht bloß um Ratschläge in Sachen Liebeskummer ging. Dies war vielen Popfans entgangen, die gar nicht erst hinhörten, weil sie von ihren Schlagertexten eh nichts anderes erwarteten als süße Nichtigkeiten. Das warf indessen ein Problem ganz anderer Natur auf: Jacksons manchmal ziemlich unkonventionelle Art, sich in Worten auszudrücken, konnte zu fatalen Missverständnissen, Falschinterpretationen und Pannen führen.