Читать книгу Der Thriller um Michael Jackson - Hanspeter Künzler - Страница 7

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Gedanken zum Fan-Sein:

Erstens …

„Kassetten“. „Kassettenrekorder“. Wörter, die aus dem heutigen Alltagsvokabular praktisch verschwunden sind. Die Treue von einigen MJ-Fans hat nicht nur sie, die „Musicassette“, überdauert. Mit DAT (Digital Audio Tape), MiniDisc und – fast – CD sind inzwischen noch drei weitere Errungenschaften der Tonträgertechnologie gekommen und gegangen, die uns allesamt eine Weile lang als „die Zukunft der Musik“ verkauft wurden. Soeben noch brach in der ganzen westlichen Welt ein Jogging-Boom aus, weil es dank des brandneuen Kassetten-Walkmans plötzlich möglich war, eselhaftes Trotten mit munteren Klängen zu versüßen und bei sachdienlichem Einsatz von Lautstärke elf rundum coolen Musikgeschmack zu markieren. Heutzutage erntet man bloß noch ein mitleidiges Schmunzeln, wenn man mit seinem CD-Walkman im Zug hockt. Andersherum: Die jüngsten Fans haben Michael Jackson mittels MP3 und über das Internet entdeckt – zwei Arten von Technik, die es zu Zeiten von „Thriller“ – geschweige denn „I Want You Back“ – erst im Reich der Science Fiction gab, ebenso wie Handy, Gen-Modifikation und Salatbars in Schnellimbissbuden.

Das Spektrum der Geburtsjahrgänge der Fans, die sich an meiner Fragebogen- und Interview-Aktion beteiligten, ist enorm. Der älteste wurde 1947 geboren, der jüngste 1997 – eine Spanne von glatten fünf Jahrzehnten. Ein vom Alter her so breit gefächerte Fan-Gemeinde ist bemerkenswert, auch wenn der Künstler selbst über eine außergewöhnlich lange Lebensaltersspanne aktiv war. Bei seinem ersten Number-1-Hit „I Want You Back“ im Jahre 1969 war er noch so jung, dass ihn die verantwortlichen Herren von Motown Records auf der zweiten Single nochmal das Alphabet üben ließen. Dann sang Michael fünf Jahre lang mit und ohne Familienkombo Jackson 5 Fließbandlieder, die mehrheitlich und eindeutig in die ungeliebte Musikkategorie „Bubblegum“ gehörten – Lieder, die ihm von einem berechnenden Komponistenstab auf den wirbligen Leib geschrieben wurden, um für Motown Records den bis dahin unerreichbaren Markt pubertierender weiblicher Frühteenager zu erschließen (immerhin war es Fließbandware, in der durchaus Perlen beswingter Popperfektion zu finden waren). Es folgten weitere fünf Jahre als Frontmann von The Jacksons, einer soliden, aber keineswegs bahnbrechenden Soul/Funk/Disco-Band am Rand des coolen Zeitgeistes, die sich in Gewänder zu hüllen beliebte, in denen sich selbst Zsa Zsa Gabor zu laut drin vorgekommen wäre. Und dann erst, als er mit neunzehn Jahren die Rolle der Vogelscheuche in „The Wiz“ spielen durfte, einer afroamerikanischen Neuinterpretation des unter psychedelisch angehauchten Studenten und Liebhabern von „Camp“ beliebten Filmmusicals „Der Zauberer von Oz“, machte sich Michael Jackson daran, seine wahre künstlerische und wohl auch persönliche Identität richtig zu ergründen. Wie gesagt: Rein von der Dauer von Michael Jacksons Karriere her würde man unter seinen Fans große Altersunterschiede erwarten können: ältere Fans, die sich nach der Frühzeit zurücksehnen, junge Fans, die über die letzten Werke den Zugang zu ihm gefunden haben. So verhält es sich aber nicht. Die große Mehrheit der Fans, die sich hier zu Wort gemeldet haben, die 60-Jährigen wie die 15-Jährigen, beziehen sich in ihrer Passion auf die gleiche Phase in Jacksons Werdegang: auf die dreizehn Jahre zwischen „Thriller“ (1982) und „HIStory“ (1995)

Kinderstars und Teeniehelden im Popgeschäft schaffen es selten, eine Karriere in die Erwachsenenzeit hinüberzuretten. Britney Spears gelingt es mit Ach und Krach, dann und wann den Dämonen zu entweichen, die der frühe Erfolg in ihrer Psyche freigesetzt hat, um sich von gewieften Profis eine weitere Hitsingle maßschneidern zu lassen. Ihr stehen Dutzende von verlorenen Seelen entgegen, die in den Bars von Los Angeles der Jugend und den Träumen der Jugend nachträumen. Und diejenigen Ex-Teenie-Helden, die es tatsächlich schaffen, auch noch in fortgeschrittenem Alter in Hallen aufzutreten, in denen es mehr als einen Barkeeper braucht, sind zumeist dazu verdammt, das Hit-Repertoire von anno dazumal zu wiederholen, bis das nostalgiegebeutelte Rentnerpublikum statt feuchter Höschen nur noch gebrauchte Gebisse auf die Bühne werfen kann (ein Schicksal, das der immer noch jungen Britney durchaus noch blühen könnte). Rar sind Künstler wie (Little) Stevie Wonder, deren frühreife Show-Talente mit den Jahren zu einer künstlerischen Neugier und Vision heranwachsen, mit denen sie Werke hervorzubringen, deren innovatorische Brillanz alle früheren Karrierepeinlichkeiten vergessen lässt.

Dass Michael Jackson zu diesen Ausnahmekünstlern gehören würde, war nicht abzusehen, als er im Dezember 1979 an der Seite von Produzent Quincy Jones, den er bei den Dreharbeiten von „The Wiz“ kennengelernt hatte, das Studio betrat, um das erste Solo-Album in eigener Verantwortung einzuspielen (seine ersten vier Solo-Alben waren schon zwischen 1972 und 1975 erschienen, aber einen Einfluss auf deren Stil hätte Michael selbst dann nicht ausüben können, wenn er das gewollt hätte). Das resultierende Album erschien am 10. August 1979 und hieß „Off the Wall“. Die verantwortlichen Business-Kapitäne von der Plattenfirma Epic (ein Unterlabel von CBS Records, heute Sony) maßen dem Ereignis so wenig Bedeutung zu, dass man es zuließ, dass Michael nur zwei Monate später mit den restlichen Jacksons zur achtzig Konzerte umfassenden „Destiny“-Welttournee antreten musste, statt sich in eigener Sache einsetzen zu können. Es war eine dramatische Machtdemonstration von Vater Joseph Jackson, der den Sologelüsten von Michael mit Misstrauen gegenüberstand. Er befürchtete – zu Recht, wie es sich herausstellte –, dass ein möglicherweise eintretender Soloerfolg einen Graben zwischen Michael und seinen Brüdern aufreißen würde. Bestimmt auch wusste er, dass es die weiterhin von ihm gemanagten, mit solidem, aber nicht blendendem Talent ausgerüsteten Rest-Jacksons schwer haben würden, ohne den Talisman Michael noch Gehör zu finden.

„Off the Wall“ hielt sich sechzehn Wochen lang an der Spitze der amerikanischen „Black Music“-Charts und erreichte in den dortigen Pop-Charts Rang drei. Damit war Michael Jackson nicht nur in der amerikanischen Soul- und Funkszene als Solokünstler etabliert (der Ausdruck R&B war damals noch für den jazzig angehauchten Gospel-Blues eines Ray Charles oder Fats Domino reserviert), sondern auch in Großbritannien, Frankreich, Brasilien und Australien. Die langjährigen Fans von Soul und Funk nach angestammtem „funky“ Muster hatten Mühe, sich mit dem für ihren Geschmack zu glattpolierten Album anzufreunden. „Wer braucht schon einen einzelnen Jackson im Haus, wenn er auch die ganze Familie haben könnte?“, fragte giftig die englische „Black Music & Jazz Review“. Aber bei der nächsten Generation von Musikfans schlug das Album ein wie eine Bombe. Die elastische und subtil unterspielte Mélange aus Funk, Disco, Soul, Jazz und Pop, ganz zu schweigen von der androgynen Stimme, war neu.

In den USA hatte die Disco-Welle den Graben zwischen „schwarzer“ und „weißer“ Musikkultur, der sich nach dem Verblassen des rassenblinden Motown-Sounds der Sixties nur noch breiter aufgetan hatte, zwischenzeitlich zugeschüttet. Da passte „Off the Wall“ eh perfekt ins Klima. In Großbritannien, wohl auch in Frankreich, sprach das Album der Jugend aus dem Mund, auch wenn es für den amerikanischen Markt konzipiert worden war. Die erste Generation von Secondos – Kinder von Immigranten aus Jamaika und vom indischen Subkontinent – hatte in den Schulen die Oberstufe erreicht. In den urbanen Schulen waren die Klassen kulturell durchmischt wie noch nie. Ungeachtet der Hautfarbe der Schüler und der Musik, welche deren Eltern daheim erklingen ließen, waren diese nicht entweder mit Pop, Rock, Soul, Reggae oder Afrobeat aufgewachsen, sondern mit all diesen Musikformen zusammen. Es konnte durchaus sein, dass sie selbst auf Chic standen und Queen und Bob Marley grässlich fanden – aber ob sie es wollten oder nicht, auch Queen und Bob Marley gehörten zur Klangkulisse ihres Aufwachsens. Eine Popmusik, die ihnen aus dem Herzen sprach, musste denn zumindest die Möglichkeit offenlassen, dass Spurenelemente all dieser anderen Musikstile darin zu orten waren. In einer Zeit, in der besonders die jungen britischen Reggae-Bands arg dagegen anzukämpfen hatten, dass Reggae mit Einflüssen, die nicht aus dem Ghetto von Kingston kamen, weit herum als „unauthentisch“ oder gar „verweichlicht“ abgetan wurde, setzte „Off the Wall“ ein kühnes Zeichen: Das Album zeigte, dass es möglich war, das Stildiktat festgefahrener Genre-Konventionen zu ignorieren und gerade dank einer Stilsynthese aus dem Reagenzglas des Studios zu einer neuen Authentizität durchzufinden. Vor kurzem wurde der erfolgreiche New Yorker Rapper und Business-Kapitän Jay-Z (Jahrgang 1969) gefragt, welches sein Lieblingsalbum von Michael Jackson sei. Er nannte „Off the Wall“: „Es ist zeitlos, es passt in kein Genre, es hat keine Hautfarbe. Ob man es genießen kann, hängt nicht vom Alter ab. Meine Mutter hat es gehört, ich habe es gehört. Und trotzdem war es einfach cool.“

Nur ein einziger Fan aus dem deutschen Sprachraum hat im Gespräch oder auf dem Fragebogen „Off the Wall“ – wie ich es getan hätte – als Ausgangspunkt seines Fan-Seins angegeben. „Bad“ entpuppt sich als das Album, das die meisten neuen Fans anlockte, gefolgt von „Thriller“ und „Dangerous“. 5 Prozent gaben gar an, erst mit seinem Tod auf die Freuden von Michael Jacksons Muse gestoßen zu sein. Einige wurden durch das Fernsehgespräch mit Oprah Winfrey oder gar durch das Interview mit Diane Sawyer an der Seite seiner kurzzeitigen Ehefrau Lisa Marie Presley auf ihn aufmerksam. Es gibt Bewunderer, die sich vor lauter Ungerechtigkeitsgefühl anlässlich der Kindsmissbrauchsanschuldigungen von 1993 oder gar 2003 zum Fan-Sein bekannten (der Eindruck wird bestätigt vom Fanklub jackson.ch, der vor allem 1993 einen großen Zulauf neuer Mitglieder verzeichnete). Allerhand Video-Clips („Heal the World“, „Earth Song“, „Give In To Me“, „Thriller“), Konzertübertragungen und -DVDs (allen voran Bukarest) brachten ebenfalls eine beachtliche Anzahl neuer Fans ins Haus. Aber nur für einen einsamen Fan kam der große Aha-Moment mit einem Song von „Off the Wall“: „Don’t Stop Till You Get Enough“. Und kein einziges Mal wurde „Off the Wall“, das Album, mit dem Michael Jackson die höchsten musikalischen – im Gegensatz zu visuellen – Mauern niederriss, als Lieblingsalbum genannt.

Verschwindend wenige heutige Michael Jackson-Fans aus dem deutschen Sprachraum können ihre Bewunderung bis „I Want You Back“ und „ABC“ zurückverfolgen. Die meisten bleibenden Fans – auch solche, die sich vom Alter her durchaus an „I Want You Back“ zurückzuerinnern könnten, wenn ihnen das Lied je gefallen hätte – sind zwischen „Bad“ (1987) und „HIStory“ dazugestoßen. Ein Großteil von diesen wurde zuerst nicht von der Musik gepackt, sondern von einem Video-Clip, einem Tanzschritt, einer Pose oder auch nur einem Fotoporträt.

Ein Grund für diese späte Hinwendung zu Michael ist wohl im deutschen Musikgeschmack und den damit verbundenen Wertvorstellungen in den Sixties und Seventies zu suchen. Abgesehen von einigen Oasen in der Umgebung amerikanischer Armeestützpunkte stieß die schwarze amerikanische Popmusik hier weitgehend auf Unverständnis. Motown, die Hitfabrik in Detroit, die unter der kaltschnäuzigen Führung von Berry Gordy Jr. aus Elementen von Soul, Gospel, Doo Wop und Rhythm & Blues einen Pop-Sound hervorbrachte, der in den USA und in Großbritannien über die ganzen Sixties hinweg schwarze und weiße Popfans in Tanz-Ekstase versetzte, blieb hier ein Kultphänomen. In den Worten eines der befragten Fans: „Motown, das hörte hier doch keiner, mit all den Kleidern und den blöden Tänzchen war das doch Kindermusik!“

Als Motown und die Jackson 5 im Zenit ihrer Karrieren standen, wurden die deutschen Charts von deutschen Schlagern und deutschen Übersetzungen englischsprachiger Hits geprägt. Dazu kamen britische Singles, deren Ruf vorab über das populäre Radio Luxemburg und die Piratensender in der Nordsee Verbreitung fand. Die amerikanische Armee-Radiokette American Forces Network (AFN) sorgte immerhin dafür, dass das kontinentaleuropäische Publikum doch noch einen Draht – einen dünnen Draht zwar, aber immerhin – zur fernen US-Hitparade hatte. Aber in den konventionellen Medien musste die Popmusik unten durch. Es herrschte sogar ein weit verbreitetes Vorurteil gegen sie, selbst wenn es um Neuerer wie die Beatles ging. „Yeah yeah“-Musik war das klangliche Pendant zum Schundheft. Wenn sie noch halbwegs toleriert wurde, war laute Musik nach dem bürgerlichen Konsens eine adoleszente Verirrung, die sich mit der psychischen Reife in eine Vorliebe für gesittete Klassik, stramme Blasmusik oder James Last verwandeln würde. Die in dieser Haltung verwurzelte Radiopolitik hatte zur Folge, dass die Hitparade selten von Liedern beseelt wurde, die nicht in den mitteleuropäischen Mainstream passten. The Supremes („Love Child“, 1969), The Edwin Hawkins Singers („Oh Happy Day“, 1969), Otis Redding („Sittin’ on the Dock of the Bay“, 1968 – es war für Reddings Hit-Chancen von Vorteil, dass sein Flugzeug im Dezember 1967 in den Lake Monona gestürzt war und ihn an der Seite seiner Begleitgruppe Bar-Kays in den Tod gerissen hatte) und Ike & Tina Turner („Nutbush City Limits“, 1973) gehörten zu den wenigen schwarzen US-Künstlern, die es in unserer Popwelt dennoch zu Ruhm brachten. Es war nicht genug, um ein breites Publikum für die Freuden von James Brown oder gar die Jacksons zu gewinnen. In der Rockszene, die sich ernst nahm, beziehungsweise im „Underground“, hatte Motown, Soul und Funk eh einen schweren Stand. Auch hier galt Popmusik wenig. Die immer waghalsigeren Experimente der Beatles, der Rolling Stones und „progressiverer“ Bands à la Nice, Pink Floyd, Cream und The Jimi Hendrix Experience hatten mächtig den Appetit auf komplexere und ausgefallenere Rockkost angeheizt. Gerade in dieser Szene machte sich eine neue Version der alten Zweiteilung zwischen Kunstmusik und Populärmusik breit. Ketzerisch vertrat man hier die Meinung, dass Rockmusik „die neue Klassik“ sei, indem sie nämlich zu einer Erweiterung des Horizonts und zur Bereicherung des Intellekts führe. Popsongs nach dem klassischen Drei-Minuten-zwanzig-Schema galten als geistloses kommerzielles Produkt, besonders wenn man dazu auch noch tanzen konnte. Darüber hinaus waren die abenteuerlustigeren deutschen Musiker mit der eigenen Suche beschäftigt, welche sie genau in die Gegenrichtung trieb. Im Bestreben, eine neue Musik zu schaffen, die in der hiesigen Kultur und nicht an der Carnaby Street oder gar in den Baumwollfeldern von Mississippi verwurzelt war, versuchte man unter anderem mit neuartigen, manchmal selbstgebauten elektronischen Instrumenten eine Musik zu schaffen, die sich nicht mehr am Blues orientierte. Die Briten schufen für diese Bemühungen alsbald den zuerst despektierlich, bald aber bewundernd gemeinten Kosenamen „Krautrock“.

Als „Off the Wall“ in die Läden der Länder kam, die im Musikgeschäft GAS-Länder genannt werden (Germany, Austria, Switzerland), war dort das breite Publikum schlicht nicht in der Lage, dessen Brillanz zu erfassen. Das Album gelangte zwar in die Charts, musste sich in Deutschland aber mit einer eher diskreten Höchstplatzierung auf Rang 25 begnügen.

Als am 30. November 1982 „Thriller“ in die Läden kam, traf das Album veränderte Umstände an. Die Vorurteile gegen Popmusik waren abgeflaut. Im Fernsehen kam deutlich mehr Pop, es wurde eine deutlich breitere geschmackliche Palette abgedeckt. Zum Beispiel hatte man inzwischen Bob Marley und seine Wailers entdeckt und überhaupt ein Interesse an schwarzer Musik entwickelt, das über die verschlagerten Disco-Knüller von Boney M. hinausging. Dennoch war es nicht so selbstverständlich, dass „Thriller“ auch hier an die Chart-Spitze gelangen würde, wie es der überwältigende Erfolg in den USA wohl hätte erwarten lassen. Der US-Erfolg war zu einem großen Grad einem geschickten Schachzug von CBS-Präsident Walter Yetnikoff zu verdanken.

Am 1. August 1981 war mit MTV der erste Musik-TV-Sender fürs Satellitenfernsehzeitalter aufgeschaltet worden. Als Zielpublikum für den Sender wurde unumwunden ein weißes Rockpublikum ins Auge gefasst. Dahinter standen keine rassistisch motivierten Verschwörungen, sondern kaltschnäuzige finanzielle Überlegungen. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass weiße (College-)Kids mehr Geld in der Tasche hatten als die jungen schwarzen Bewohner der urbanen „Projects“. Walter Yetnikoff war überzeugt, dass „Thriller“ über den angestammten Stilschubladen im amerikanischen Musikgeschäftdenken stand. Er drohte, der noch so jungen Firma MTV künftig den Zugang zu allen anderen CBS-Videos zu verweigern, wenn sie den spektakulären – und spektakulär teuren – Clip für die erste Single-Auskoppelung von „Thriller“, „Billie Jean“, weiterhin boykottierte. MTV lenkte bald ein. Das Videozeitalter war damit erst richtig angebrochen – genauso wie die Karriere von Michael Jackson als Star, der über allen anderen Stars seiner Generation wachte.

MTV blieb vorerst ein amerikanisches Vergnügen. MTV Networks Europe wurde erst 1987 in London lanciert. Zuvor war ebenfalls in London der Konkurrenzsender „Music Box“ gestartet worden, aber das war bloß drei Jahre vorher – also zu spät für den Rummel um „Thriller“. So verbreitete sich die „Message“ von Michael Jackson immer noch hauptsächlich über die herkömmlichen Pop-Medien, vor allem die Teenie-Presse. Entsprechend galt Jackson in den GAS-Ländern vorerst als Teenie-Phänomen. Ja, im Gegensatz zu Deutschland schaffte es „Thriller“ in Österreich nur auf Rang drei. In der Schweiz resultierte Rang vier – und dies erst im November 1983, ein geschlagenes Jahr nach dem Erscheinen des Albums. Immerhin blieb „Thriller“ auch in der Schweiz 51 Wochen in der Hitparade, um dann dank der Neuauflage „Thriller 25“ im Frühjahr 2008 doch noch den Chart-Gipfel zu erklimmen.

Mit dem Erscheinen von „Bad“ machte Michael Jackson zumindest auf internationaler Ebene wiederum einen Quantensprung. Zum ersten Mal tourte er solo durch die Welt und bereiste im Frühjahr und Sommer 1988 auch Europa. Der Kontinent stand unterdessen im MTV-Fieber. Endlich war man auch hier bereit, das Gesamtpaket Michael Jackson in all seiner multimedialen Glorie zu verstehen und zu würdigen. Es war just der Moment, wo in Großbritannien und in den USA dicke und düstere Wolken über seiner Karriere aufzogen. Wo die gnadenlose Lawine von Sensations- und Horrorstorys Michael Jackson, den Künstler, in „Wacko Jacko“, den Freak, verwandelte.

Der Thriller um Michael Jackson

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