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Kapitel 3
ОглавлениеBei Arthur Kronhauser liefen die Geschäfte mehr als zufriedenstellend. Er hatte eine günstige Gelegenheit genützt und eine große Menge Autoreifen aus einer Konkursmasse erstanden, das Problem war allerdings die Lagermöglichkeit. Am alten Standort platzte die Firma aus allen Nähten, er war also gezwungen, Lagerhallen anzumieten, was nicht nur teuer war, sondern auch logistisch einen empfindlichen Mehraufwand bedeutete. Er griff zum Telefon, um wieder einmal das Denkmalamt zu erinnern. Die Antwort hätte er sich denken können. „Sie werden von uns zeitgerecht darüber informiert. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen“, lauteten die freundlich gesprochenen Worte einer weiblichen Stimme.
„Ist Dr. Watzl noch zuständig für uns?“, wollte Kronhauser wissen. „Ich denke schon, aber er dürfte erkrankt sein. Wie lange er weg sein wird, kann ich Ihnen leider nicht sagen“. Die Stimme klang immer noch genauso freundlich wie unverbindlich.
Kronhausers Geduld war überstrapaziert. „Jetzt hören sie mir einmal genau zu. Ich möchte mit jemandem sprechen, der mir Auskunft geben kann, wann das Denkmalamt endlich mit dieser verdammten Notgrabung beginnt“. Die letzten Worte waren mit äußerstem Nachdruck und auch nicht leise formuliert, doch es nützte wenig. „Am besten Sie sprechen mit Frau Doktor Pellegrini, unserer Chefin. Sie befindet sich aber zurzeit im Ausland. Wenn sie mir nochmals ihren Namen verraten, werden wir sie gerne zurückrufen“. Kronhauser konnte nicht mehr zuhören, er knallte den Hörer auf die Gabel, sprang auf und ging einem Raubtier gleich in seinem Büro auf und ab. Wie hatte er sich schon auf den Bau des neuen Firmengebäudes gefreut, alle Details waren durchgeplant, von der Bauplanung, der Übersiedlung bis zur großen Einweihungsfeier. All dies war inzwischen offensichtlich in weite Ferne gerückt.
„Hast du von Watzl gehört. Der sollte uns doch die Pläne für die Grabungsarbeiten liefern“, fragte Horst Schuhmann, einer enger Vertrauter Münzers. Dieser überlegte kurz, kniff dabei die Augen zu einem Schlitz zusammen und gab dann ein „Ja, sollte er… hat er aber noch nicht“ von sich. Schuhmann, er war mit seinen 62 Jahren einer der jüngeren Mitarbeiter im Museum, machte sich Hoffnungen, in überschaubarer Zeit die Stelle Münzers einnehmen zu können.
Das Telefon läutete, er übernahm das Gespräch: „Aha, das ist gut, ich werde Dr. Münzer Bescheid geben. Vielen Dank.“ Schuhmann legte auf. „Das Denkmalamt war dran. Sie schicken einen anderen Mitarbeiter, er kommt morgen zwischen 18 und 19h. Ich kann aber morgen nicht, muss ich gleich vorwegnehmen – meine Frau und ich sind eingeladen, ist unaufschiebbar.“ Münzer schaute müde auf seinen Pultkalender und machte sich eine Notiz. „ Ein sehr später Termin für mich“, murmelte er fast unhörbar. Kein Wunder, denn um diese Zeit hatte normalerweise bereits der Alkohol sein Gehirn auf Notbetrieb gestellt.
Kurz vor 19h traf er ein, der neue Mitarbeiter, der sich selbst telefonisch angemeldet hatte: Professor Windisch, stellte er sich vor. Er hätte Watzls Agenden übernommen, da dieser erkrankt sei und für längere Zeit ausfiele.
„Haben sie die Pläne dabei?“, fragte der Museumsvorstand und machte Platz auf seinem Tisch. Prof. Windisch, ein studierter Archäologe, nahm eine dicke Mappe aus seiner Aktentasche und legte sie auf den Tisch. „Wir haben die Absicht, in der Mitte dieses Areals zu graben, weil wir annehmen dort auf eine Zufahrt zum Legionslager zu stoßen und damit von einer größeren Funddichte ausgehen können“.
Münzer runzelte kurz die Stirn, diese Aussage fand er nicht kompetent. „Dort war doch keine Zufahrt“, erwiderte er schließlich mit unerschütterlicher Bestimmtheit. Windisch wendete sich ihm langsam zu, ein ironisches Funkeln in den Augen war nicht zu übersehen, und formulierte in übertrieben lässigem Tonfall: „Sie müssen immer alles besser wissen, sie Hobby-Archäologe. Auch bei früheren Fällen konnten Sie nie umhin, unsere Thesen, auch wenn sie noch so fundiert dargestellt waren, in Frage zu stellen.“
Der Angesprochene, sichtlich überrascht, überlegte lange während er Windisch missbilligend ansah. Dann versuchte er zu kontern: „Ich sehe Sie heute zum ersten Mal, Herr…äh…Professor. Was wollen Sie mit diesen Einwänden gegen mich bezwecken?“
Windisch grinste überlegen, schwang sich auf den Tisch und ließ seine Beine baumeln. Er legte seinen betont ironischen Ton nicht ab, als er sagte: „Aber Münzer, man merkt, sie wirken überfordert. Sie sollten dieses Amt in jüngere Hände legen. Es gab doch schon geeignete Kandidaten, aber keiner passte ihnen.“
Entrüstet wehrte sich der alte Mann: „Woher wollen Sie denn das wissen? Ich finde, sie nehmen sich den Mund zu voll. Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie auf der Stelle mein Büro verlassen würden. Nein, ich fordere Sie dazu auf!“ Windisch, der sich ein böses Grinsen nicht verkneifen konnte, nahm die Brille und seinen aufgeklebten Schnurrbart ab und fragte: „ Na, erkennen sie mich jetzt, sie Spiegeltrinker?“. Jetzt dämmerte es Münzer. „Sie haben sich um meinen Job beworben, aber Watzl hat mir noch rechtzeitig die Augen geöffnet“, konterte er mit lauter Stimme.
„Die Augen geöffnet?“, entgegnete Windisch. „Was er geöffnet hat, das war seine Geldbörse, das wissen Sie bestimmt noch, obwohl Sie unzweifelhaft hochgradig dement sind. Sie haben die Hälfte des Schmiergeldes bekommen. Dämmert es allmählich, Herr Doktor Münzer?“ Dieser wurde blass und musste sich setzen, Schweißperlen glänzten vereinzelt auf seiner Stirn. Doch der Professor setzte nach, „nicht genug des korrupten Verhaltens von Watzl und Ihrerseits, haben Sie beide entschieden, den Klein nicht zu nehmen. Der restliche Vorstand hat übrigens damals von meiner Bewerbung gar nichts erfahren.“
Windisch genoss diesen Moment der Überlegenheit, während Münzer mehr und mehr verfiel. „Haben sie schon einmal in Bedacht gezogen, dass diese kriminelle Handlung an die Öffentlichkeit dringen könnte? Das wäre sehr schlecht für sie und vor allem für ihren Busenfreund Watzl“. Ein letztes Aufbäumen Münzers: „Hören sie doch auf mit diesen unhaltbaren Anschuldigungen. Sie bluffen doch nur, haben keinerlei Beweise und wollen mir nur Angst einjagen“, entgegnete er mit leiser werdender Stimme.
Windisch erhob sich, packte seine Aktenmappe, steckte den Ordner hinein, der lediglich seine Bewerbungsschreiben enthielt, und wandte sich zum Gehen. „Der Beweis, lieber Münzer, der bin ich. Ich war es, der das Schmiergeld für Watzl abgeholt hat. Also behandeln Sie mich wie ein rohes Ei und teilen sie mir mit, wann ich ihren Job übernehmen darf. In Kürze melde ich mich wieder. Man sieht sich.“ Die Tür fiel ins Schloss. Zurück blieb ein von Gewissenbissen geplagter, alter Mann, dem plötzlich viele Gedanken durch den Kopf schossen.
Während Windisch zu seinem Auto ging, erschien ihm die Idee, in der Mitte des Areals- also bei Watzl’s Leiche - zu graben, doch als zu riskant. Warum jetzt die schlafenden Hunde wecken, dachte er, wo sich die Situtation für ihn doch sehr zufriedenstellend entwickelte. Allerdings gab es noch viel zu tun, um keine Verdachtsmomente um die Person Watzl aufkommen zu lassen. Zunächst musste der neue Freund, dieser David, beruhigt werden.
Noch in der Nacht schrieb Windisch einen Brief in Watzl’s Namen an seinen David. Darin erklärte er sein überraschendes Verschwinden, ein plötzlich aufgetretene Krankheit, das Sichanvertrauen eines Heilers, der in Sri Lanka eine Berühmtheit ist und die richtigen und vor allem wirksamen Schritte gegen seine Depression kennt. Natürlich fehle ihm die neue große Liebe sehr, doch diese Therapie verlange ein momentanes Leben in absoluter Abgeschiedenheit. Die Dauer der Behandlung dürfte nach Aussagen des Heilers bei mehreren Monaten liegen. Seinen Job beim Denkmalamt wolle er aufgeben, denn dieses ständige Wühlen in der Vergangenheit habe seinen Krankheitszustand wahrscheinlich mit ausgelöst, zumindest nicht unwesentlich dazu beigetragen. Er bittet David regelmäßig nach seiner Post zu schauen und eventuelle wichtige Zahlungen für ihn vorzunehmen. Ja, die Blumen nicht vergessen zu gießen. Abschließend erklärt er David noch, dass der Brief einem Wiener Patienten mitgegeben werden konnte, der die Weiterleitung nach Linz versprach. Damit, hoffte Windisch, den Lover zunächst ruhig gestellt haben.
Für 9. September hatte Dr. Münzer zu einer außerordentlichen Hauptversammlung geladen. Die Mitglieder des Vorstandes rätselten, um welches außergewöhnliche Ereignis es sich wohl handelte. Am Abend des besagten Termins war der Saal brechend voll, was bei Veranstaltungen des Museums eher selten vorkam. Münzer eröffnete diese Sitzung, er wirkte müde. „Ich lege meine Funktion als Obmann des Museums Lauriacum mit sofortiger Wirkung zurück“. Erstaunen und Verwunderung machte sich unter den Zuhörern breit. Alles hatten sie erwartet, nur diese Entscheidung nicht. Nicht wenige Gäste waren darunter, denen man die Erleichterung über diesen Entschluss ansehen konnte.
„Mein Nachfolger soll Prof. Windisch werden“ und er zeigte auf die Person in der ersten Reihe. Windisch, der sein Äußeres verändert hatte und jetzt Oberlippenbart und Brille trug, erhob sich, ging zum Rednerpult und trug ein emphatisches Loblied auf Münzer vor. Dieser saß mit gesenktem Kopf und ließ dieses Geschwafel über sich ergehen, wohl wissend, dass keine Silbe aus Windischs Mund in irgendeiner Weise ehrlich gemeint war.
Professor Windisch jedoch ( seinen richtigen Namen, Klein, hatte er inzwischen verschwinden lassen und den Mädchennamen seiner Mutter angenommen), genoss diese Aufmerksamkeit. Selbst der Bürgermeister gratulierte und meinte: “ Wenn unser Dr. Münzer eine Empfehlung abgibt, dann wissen wir, es ist ein Mann mit Kompetenz. Ich gratuliere Ihnen und freue mich auf eine gedeihliche Zusammenarbeit“.
Windisch strahlte und nippte zufrieden an dem Sektglas, welches ihm gereicht wurde. Horst Schuhmann, der Unterlegene, was die Nachfolge betraf, tastete sich heran und stellte sich mit einem perfekt aufgesetzten Lächeln vor. „Ich war die rechte Hand von Münzer - gratuliere herzlichst zu ihrer Bestellung“. Windisch dankte, verhielt sich aber reserviert. Alles was mit Münzer zu tun hatte, war ihm suspekt. „Ich freue mich über jeden freiwilligen Mitarbeiter, der mithilft, den verrosteten Karren wieder in Schwung zu bringen“, versuchte er eine humorige Floskel und klopfte Schuhmann dabei jovial die Schulter. Dieser blickte betreten in die Runde, denn er hatte spontan keine passende Antwort parat und empfahl sich. Der neue Museumchef war mit diesem Einstand mehr als zufrieden. Nach zahlreichen Gesprächen mit Ennser Bürgern und einer Reihe von Mitarbeitern des Museums verließ er die Kulturstätte und quartierte sich im Hotel in der Wienerstraße ein.
Leo Blech ging gemächlich über den Hauptplatz und fächelte sich mit der aktuellen Ausgabe des Lokalblattes frische Luft ins Gesicht, um die spätsommerliche Hitze etwas zu lindern. Auf dem Parkplatz vor der Volksbank quälte sich Dr. Münzer soeben in seinen uralten Mercedes. Er tat sich schon etwas schwer beim Einsteigen.
„Morgen Herr Doktor, ziemlich warm heute, was?“, versuchte Blech mit Münzer ins Gespräch zu kommen. „Verdammt warm, nichts für kranke Leute“, bemerkte er und kurbelte die Fensterscheibe hinunter. „Waren Sie im Museum? Es ist vermutlich nicht leicht, so plötzlich nicht mehr gebraucht zu werden“, kam es fragend und nicht ganz unprovokant vom Journalisten. Münzer machte eine abwehrende Handbewegung. „Diese Zeit ist vorbei, für immer!“, antwortete er Blech, dann ruckelte er mit seinem angejährten Fahrzeug davon. Er sollte recht behalten, denn vier Wochen später verstarb Dr. Münzer an Nierenversagen. Betroffenheit bei vielen Ennsern, Freude hingegen beim neuen Leiter des Museums, nahm er doch ein Geheimnis mit ins Grab.
Auch bei Kronhauser und Grabner war die Nachricht angekommen, das Museum hat einen neuen Chef. Als die beiden zum vereinbarten Gesprächstermin im Museum erschienen, lehnte Prof. Windisch am Pult des Info-Schalters und schäkerte mit der Dame vom Tourismusverein. „Jetzt gibt es Arbeit, so leid es mir tut, ich muss sie jetzt verlassen“, lachte er und wandte sich den beiden Herren zu. „Guten Morgen, kommen sie, wir gehen zu mir ins Büro“.
Grabner wollte eigentlich gleich mit schwerem Geschütz auffahren und dem Neuen zeigen, dass sich er und Kronhauser die bisherigen Vorgangsweisen nicht mehr bieten ließen, stellte aber sehr rasch fest: dieser Windisch ist ein junger, nicht unsympathischer Typ. „Ich nehme an, es betrifft den Baugrund vor dem ehemaligen Legionslager und die damit verbundene Notgrabung“, eröffnete er das Gespräch. Die beiden Herren nickten, während Windisch den Lageplan aus seiner Mappe herausnahm. „Nach mehr als vier Monaten ist noch immer nichts passiert“, bemerkte Kronhauser. „Und laut dem lieben Herrn Münzer wurde die Notgrabung angeblich bis auf Weiteres ausgesetzt“, ergänzte Ferdinand Grabner in ungewohnt gemäßigtem Ton. „Ja, die in Wien sind sehr empfindlich und reagieren sofort auf Beleidigungen oder Unterstellungen“. Aber noch bevor Grabner in üblicher Manier loslegen konnte, fuhr Windisch fort, „Dazu kam noch der Herr Münzer, Gott hab ihn selig, der sich ja vor denen mehr oder weniger niedergekniet hat. Aber ich werde das schon hinbiegen. In den nächsten vier Wochen werden sie einen positiven Bescheid erhalten“. Kronhauser und Grabner schauten sich an, unterdrückten aber eine Jubelgeste und verabschiedeten sich hoch zufrieden.
Auch Windisch lächelte, den er hatte bereits eine Nachricht über das Linzer Büro erhalten:“ Auf diesem Grundstück könne auf eine Notgrabung verzichtet werden, da dieses Areal eindeutig außerhalb des Legionslager liege.“ Wichtig für die Beiden ist die Nachricht, dass sie mit baulichen Tätigkeiten starten können und dieses Ergebnis haben sie mir und ausschließlich meiner Wenigkeit zu verdanken. Dafür sollten sie sich mit einer angemessenen, also durchaus großzügigen Spende revanchieren, rechnete der neue Museumschef und kalkulierte bereits, wie viel davon in seine eigene Tasche fließen würde.
Zwei Wochen später hielten Kronhauser und Grabner tatsächlich die schriftliche Bestätigung des Museums in Hände: Darin wurde der sofortige Baubeginn genehmigt und der Verzicht des Denkmalamtes auf eine Notgrabung bestätigt. Im Gegenzug fühlten sich beide Herren zu einer Geldspende von jeweils 20000.- Euro in bar verpflichtet, gedacht als finanzielle Unterstützung für das Museum. Über die Höhe der Beträge hatte ihnen der Museumschef bereitwillig und selbstlos Hilfestellung geleistet. Windisch, der das Geld entgegen nahm, dankte überschwenglich im Namen des Museum Lauriacum und versprach, die Herren Kronhauser und Grabner in der nächsten Ausgabe der“ Museumsinformationen“ lobend zu erwähnen. Die Hälfte des Betrages verlor sich in Windischs eigener Tasche, während der Rest des Geldes tatsächlich den Weg ins Museum fand.