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Kapitel 4
Оглавление„Hallo Beate“, begrüßte Windisch seine ehemalige Mitarbeiterin und küsste sie auf die Wange. „Was gibt es Neues im Denkmalamt“, wollte er wissen und hatte deshalb dieses Treffen im Cafe Traxlmayer in Linz arrangiert. Die Angesprochene schaute ihn verunsichert an. Erst als er sich zu erkennen gab, fiel bei ihr der Groschen. „Du hast dich einigermaßen verändert, steht dir aber gut, besonders der Bart und die Frisur“.
Windisch überhörte das Lob über sein Aussehen von einer hübschen Frau, die nicht in sein Beuteschema passte. Sehr wohl aber wollte er Informationen aus seinem ehemaligen Büro erfahren. Während er in seinem Capuccino rührte und die Komplimente bei seinem Gegenüber wirkungsvoll ankamen, interessierte ihn nur eines: Wie wurde mit dem Verschwinden von Watzl umgegangen. „Er ist wie vom Erdboden verschluckt“, berichtete Beate und spitzte ihre Lippen, um vom heißen Tee zu nippen. „Vorgestern war sein Freund da, dieser David, kennst du Ihn?“, wollte sie wissen. Doch plötzlich fiel ihr ein, dass ja Windisch vorher mit Watzl zusammen war. „Der behauptet, dass er sich in Sri Lanka aufhält und nicht mehr seinen Job ausüben wolle“. Windisch mimte den völlig Überraschten und bohrte weiter: „Ja, und was sagt man in Wien über sein Verschwinden“.
Die Dame fühlte sich sichtlich wohl in ihrer Rolle als Berichterstatterin und klärte den Neugierigen auf. „Es ist eine Kündigung an seine Adresse gegangen. Wenn er sich bis Jahresende nicht meldet, brauchen wir einen neuen Chef. Wäre vielleicht etwas für Dich“ meinte sie und schaute ihn fragend an.
Windisch hielt sich sehr bedeckt, erzählte nichts von seinem jetzigen Aufgabenbereich in Enns, zuckte bloß mit den Achseln und gab den Joker zurück an Beate. „Nein, nein ,der ideale Posten für Dich. Du bringst alle Voraussetzungen mit. Ich habe mit dem Denkmalamt abgeschlossen“. Beide versprachen sich bald wieder zu einem Plausch zu treffen und verabschiedeten sich herzlich.
Windisch bereitete dieser David Sorgen. Was, wenn er weiter bohrte und womöglich zur Polizei ging. Windisch ärgerte sich jetzt, über das Grab auf dem Grundstück, welches ziemlich exponiert lag und bald, sehr bald geöffnet werden könnte. Sollte er seinen Ex-Geliebten wieder ausgraben und an einer anderen Stelle zur letzten Ruhestätte betten. Alles Gedanken, die ihn ratlos erscheinen ließen - ausgerechnet ihn, der sonst immer alles im Griff hatte. Während er zu seinem Auto im Parkhaus zurückkehrte, beschloss er, der Wohnung von Watzl einen Besuch abzustatten, um eventuelle Indizien, die ihn belasten könnten, zu entfernen.
Den Wohnungsschlüssel von Watzls Appartement hatte er seinem Liebsten bei der Trennung auf den Tisch geknallt, doch er besaß noch einen Reserveschlüssel, den er sich anfertigen ließ, als er glaubte den Schlüsselbund verloren zu haben. Er öffnete die Wohnungstür und schaute sich um. Alles kam ihm so vertraut vor, als wäre er erst gestern hier gewesen. Fast vier Jahre hatte diese Verbindung gehalten, obwohl es in den letzten Monaten vermehrt zu Unstimmigkeiten zwischen den beiden gekommen war. Lothar war es, der den Schlussstrich ziehen wollte; er musste sich unbedingt diesen David anlachen. Windisch ging ins Wohnzimmer, es war aufgeräumt, die Blumenstöcke hatten genug Wasser, ein Fenster war gekippt. David kümmert sich, dachte er und begann die Laden der Kommode zu öffnen. Wo hat er wohl seinen Reisepass aufbewahrt, überlegte Windisch, sollte er in der Wohnung gefunden werden, könnte Watzl gar nicht im Ausland sein. An diese Kleinigkeit hatte er nicht gedacht und ärgerte sich darüber. Kein Reisepass in der Wohnung, stellte er aufatmend fest und inspizierte noch die Küche. Oberhalb der Spüle hatten sie immer das Kostgeld aufbewahrt und tatsächlich fand er noch 500 Euro, die er in seine Jackentasche steckte. Plötzlich fiel eine Tür ins Schloss, Windisch erschrak dermaßen, er suchte Deckung hinter der Küchentür und horchte. Doch nichts war zu hören, absolute Stille. Nach mehreren Minuten in seinem Versteck, kroch er langsam hervor, niemand war in der Wohnung. Allerdings war sein Wohnungsschlüssel, den er angesteckt hatte, verschwunden. Hat ihn jemand beobachtet? Warum nimmt derjenige meinen Schlüssel an sich, spielten Windischs Gedanken verrückt. Er zitterte am ganzen Körper, er war schweißgebadet.
Zwei Bagger wühlten sich durch das Erdreich und rissen riesige Löcher in den lehmigen Boden. Heute war auch Prof. Windisch gekommen, nur um ein paar Stichproben zu machen, wie er den Eigentümern erklärte. Tatsächlich aber stand er genau auf Watzls Grab und hoffte insgeheim, dass dieses Stück Boden von der Baggerschaufel verschont bliebe. Vergebens. Bedrohlich nahe kam dieses Ungetüm und der Fahrer verwies den Archäologen mit energisch eindeutigen Handbewegungen von der improvisierten Grabstelle. Im nächsten Moment grub sich die Schaufel in das Erdreich und Windisch befürchtete, die Reste seines einst Geliebten in Teilen auf der Schaufel wieder zu finden. Doch nichts dergleichen passierte - keine verwesten Leichenteile, keine Gebeine oder Stoffreste. Nichts. Nur Erdreich. Auch als der Aushub bereits eine größere Fläche umfasste, war nichts als lehmige Erde zu Tage gefördert worden. Windisch stand steif wie ein Denkmal, nur seine Augen gingen von links nach rechts und wieder zurück, wie bei einem Tennismatch folgte sein Blick stetig der unermüdlichen Baggerschaufel. Er konnte es nicht fassen. Genau an dieser Stelle musste der Leichnam liegen. Vorerst war er erleichtert, dass keine Leiche zum Vorschein kam, aber dieser Zustand wehrte nur sehr kurze Zeit, denn mit einem Mal wurde ihm bitter bewusst: Jemand musste schon vorher aktiv gewesen sein und Watzls Reste ausgegraben haben. Wurde er damals, als er Lothar erschossen hatte, beobachtet? Wollte ihm ein Unbekannter einen Strick daraus drehen, ihn früher oder später damit erpressen? Wie in Trance bewegte er sich über den unwegsamen Acker zurück zur Straße. Sein Gehirn glich einem aufgescheuchten Bienenstock , er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Als er mit völlig verdreckten Schuhen bei seinem Wagen ankam, klingelte sein Handy. Er meldete sich mit seinem Namen. Eine Stimme, die er nicht identifizieren konnte, raunte: „Herr Dr. Watzl ist schon gestern ausgezogen“. Dann ertönte das Besetztzeichen. Windisch setzte sich in seinen Wagen, aber war nicht imstande wegzufahren.
Diesen Tag, es war der 2. November, würde Windisch nie mehr vergessen. Nichts war mehr wie vorher. Bei jedem Klingeln des Telefons zuckte er zusammen und vermutete einen Erpresser, der ihm eine Forderung unterbreiten würde, in jedem Passanten, der ihm folgte, vermutete er ein Spitzel. Wenn es an seiner Tür klopfte, vermutete er den anonymen Anrufer dahinter. Er war wie am Boden zerstört, unkonzentriert, fahrig, aufbrausend. Die Pistole, mit der er seinen Geliebten liquidierte, trug er von nun an immer bei sich, damit fühlte er sich zumindest ein wenig geschützt - was aber an seinem psychischen Zustand nichts änderte. Windisch, der in Linz wohnte, fühlte sich in seiner Bleibe nicht mehr sicher und suchte sich eine Mietwohnung in Enns, die er auch prompt am Hauptplatz über dem Blumengeschäft im zweiten Stock fand und sofort beziehen konnte. Er erzählte niemandem von seinem geplanten Umzug und transportierte in den folgenden Wochen, meist nachts, Einrichtungsgegenstände mit seinem Auto. Als die Wohnung in der Landeshauptstadt schließlich leer geräumt war, unternahm er noch einen Kontrollgang und wollte anschließend die Schlüssel der Hausverwaltung retournieren – da entdeckte er im Briefschlitz der Wohnungstür einen gefalteten Zettel, den er mit gemischten Gefühlen entfaltete.
„Wer anderen eine Grube gräbt…“, war darauf zu lesen. Geschrieben mit einem dicken Filzstift in roter Farbe. Jemand will mich fertigmachen, war seine fixe Überlegung. Ein Gedanke, der ihn jetzt schon eine ganze Zeit lang schwerst bedrückte. Er streckte sich auf dem nackten Holzboden aus. Liegend starrte er an die Decke des Zimmers, so als hoffe er auf eine Eingebung von oben.
An diesem Morgen wollte Leo Blech nicht aus den Federn. Seine Startphase dauerte heute besonders lang. Erst nach der zweiten Tasse Kaffee kam einigermaßen auf Betriebstemperatur. Vielleicht lag es am Wetter, denn es regnete in Strömen. Nach diesen wunderschönen Sommertagen war der nun hereingebrochene kalte und unfreundliche Spätherbst eine einzige Zumutung. Er holte die Post, die vor der Tür abgelegt wurde und heute vor Feuchtigkeit schwammig in seiner Hand lag. Ein verknittertes Kuvert ohne Absender erregte seine Aufmerksamkeit. Er öffnete den Briefumschlag und entnahm ein Stück Papier, welches aus einem Papierkorb hätte stammen können; darauf standen die Worte „Römerfund beim Leichengrund“ mit rotem Filzstift in Blockschrift geschrieben. Aha, ein Dichter, waren seine ersten Gedanken, doch dann überlegte er ernsthaft. „Was will mir der Absender sagen? Ist er bei Grabungen auf einen Römerfund gestoßen?“. Er verwarf diese These, denn in einem solchen Fall wäre es kaum anonym geschehen. Außerdem wäre da eher das Museum der richtige Ansprechpartner. Er griff zum Telefon. Seinen Freund, Kommissar Martin Kurz würde es eventuell interessieren, dachte er. Er schilderte die Fakten und lud den Kriminalinspektor nach Enns ein. „Langsam, mein Freund, ein Römerfund muss nicht unbedingt ein Skelett sein“, lenkte der erfahrene Kommissar ein. „ Vielleicht handelt es sich um Grabbeigaben, Amphoren, Münzen, Schmuck. Dafür wäre aber das Museum zuständig. Wenn der Römerfund tatsächlich entdeckt worden ist und es sollte sich um ein menschliches Skelett handeln, kannst du mich ja noch einmal anrufen, dann komme ich und freue mich auf deine Einladung zum Abendessen. Also auf bald“. Dann auf ins Museum, dachte Blech, nahm Regenmantel und Schirm und wagte sich mutig durch einen Platzregen quer über den Hauptplatz.
Als Windisch von diesem Fund erfuhr, schwante ihm nichts Gutes. Das wird er sein, der Lothar Watzl, dachte er. Weit mehr aber interessierte den Museumsdirektor, wer den sein Begleiter war. Einer, der großes Interesse hatte, ihm zu schaden, der den Mord beobachtete, vor dem er sich in Acht nehmen müsse und den er so schnell wie möglich ausfindig machen sollte. Horst Schuhmann störte seine Gedanken, in dem er seinem Chef mitteilte: „Wir haben das Skelett gefunden. Es lag ganz nahe an der Friedhofsmauer, hinter der Basilika“. Windisch überkam ein leichtes Schwindelgefühl, als er sich vom Stuhl erhob. „Na gut, dann schauen wir uns den Römer an“, versuchte er betont locker zu wirken.
Inspektor Martin Kurz und sein Mitarbeiter Oktavius Brenner waren mit dem Team der Spurensucher nach Enns gekommen. Der Fundort wurde großräumig abgesperrt und die Experten begannen ihre Arbeit. „Wie schaut es aus“, fragte Kurz seinen Kollegen von der Spurensicherung, der mit einem Oberschenkelknochen vor ihm stand. „Männliche Leiche, oder was davon übrig ist, aber mit Sicherheit kein Römer und vielleicht ein halbes Jahr unter der Erde. Außerdem wurde er mindestens einmal umgebettet. An den meisten Knochen haftet lehmige Erde, während es hier dunklen, humusreichen Boden gibt“. Kurz heftete seinen Blick auf die Basilika, während er überlegte. „Was ist mit Fußspuren“, wollte er wissen. Der Ermittler hatte den Knochen an einen Mitarbeiter weitergereicht und zeigte dem Kommissar eigenartige Abdrücke im weichen Boden. „Es schaut aus wie ein Schneeschuh“ und er zeigte auf die netzartigen Spuren. „Vielleicht der Yeti“, witzelte Kurz, wurde aber gleich wieder sachlich. „Irgendwelche Stich- oder Schussspuren an Schädel oder Knochen?“ fragte sein Mitarbeiter Oktavius, erhielt aber keine aufschlussreiche Antwort. „Wird noch etwas dauern, bis wir das Programm durchgezogen haben, sie hören dann von uns“, meinte der Mann im weißen Overal und verabschiedete sich.
Die beiden Kriminalisten entfernten sich und begaben sich zum Wagen. „Zunächst lassen Sie prüfen, wer in den letzten sechs Monaten als abgängig gemeldet worden ist. Vielleicht können wir mit der DNA etwas anfangen“, instruierte Kurz seinen Mitarbeiter und verabschiedete sich. „Sie können den Wagen nehmen, ich treffe mich noch mit meinem Freund hier in der Stadt. Wir sehen uns spätestens morgen im Büro“. Er klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und ging durch den Friedhof in Richtung Stadtzentrum. Eigentlich ist immer was los in diesem Enns, ließ er seine Gedanken kreisen, und er erinnerte sich an die letzten Fälle, die er nicht alle mit Bravour lösen konnte.