Читать книгу Reden über Gott und die Welt - Harald Lesch - Страница 8
ОглавлениеDER ANFANG VON ALLEM
Lesch: | Wir zwei treten jetzt den Gegenbeweis zu dem Vorurteil an, dass Naturwissenschaftler die Straßenseite wechseln, wenn sie Theologen begegnen und umgekehrt natürlich auch. Angeblich gönnen sich beide gegenseitig nicht einmal die Butter auf dem Brot, geschweige denn das Schwarze unterm Fingernagel. Wir zwei können uns sehr wohl aushalten und haben uns auch etwas zu sagen. Thomas, es geht um die Schöpfungsgeschichte. Was fangen wir mit einer 3000 Jahre alten Schöpfungsgeschichte an, bei der am Anfang nix ist außer Tohuwabohu? Was kann die uns heute noch sagen? |
Schwartz: | Zunächst muss man einmal festhalten, dass es in der Bibel zwei Schöpfungsberichte gibt. Beide haben uns insofern etwas zu sagen, als die Fragen, die in diesen beiden Texten gestellt werden, immer noch dieselben sind wie heute: Woher kommt der Mensch? Woher kommt die Welt? Wohin geht sie letztlich? Steckt da eine Ordnung dahinter, gibt es irgendwas oder irgendjemanden, der der Ursprung von allem ist? Gibt es ein Gesetz, das in allem wirkt? Von daher sind die Fragen, die die Menschen schon in der Frühzeit ihrer Geschichte gestellt haben, die gleichen wie heute. Ihr Astrophysiker beantwortet sie mit dem Big Bang. |
Lesch: | Moment! Wir Naturwissenschaftler reden aber nicht von Schöpfung. Wir benutzen zwar gern auch mal eure Wörter, eben auch „Schöpfung“, aber unser wissenschaftlicher Begriff dafür ist „Evolution“. Wir würden auch nicht sagen, dass am Anfang ein Tohuwabohu herrschte, ein Chaos. Wir neigen dazu zu sagen, am Anfang war Licht. Gut, wir wissen nicht so genau, wo das herkam, wir wissen nur, dass sehr viel Licht war. Die naturwissenschaftliche Art und Weise, über den Anfang der Welt nachzudenken, ist aber nicht die der Schöpfungsgeschichte. Mit Licht fing es also an. Ist das bei euch ein Symbol oder ist es physikalisch gemeint? |
Schwartz: | Im hebräischen Text heißt es: Gott sprach „Licht“. |
Lesch: | Er hat den Schalter umgelegt. |
Schwartz: | Er sprach „Licht“, und dann ist das nächste Wort: Siehe, Licht. Gott sagte also nicht, dass jetzt mal ein bisschen Licht werden soll, vielmehr war es so wie ein Anfang von allem, ein erstes Wort. |
Lesch: | War da schon jemand dabei? Hat jemand außer Gott gesehen, dass Licht da war? |
Schwartz: | Nein, das hat später ein Mensch so niedergeschrieben, um den anderen deutlich zu machen, dass es etwas gab, was Licht hervorbrachte. |
Lesch: | Aber in dem Moment war keiner außer Gott da. |
Schwartz: | Das ist aber doch schon ziemlich viel, oder? |
Lesch: | An eurer Schöpfungsgeschichte fasziniert mich am meisten, dass sie im Vergleich zu vielen anderen Schöpfungsgeschichten friedlich beginnt. Bei den anderen hauen sich die Götter die Köpfe ein: bei den Griechen, bei den Babyloniern, ein einziges Hauen und Stechen! Hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die schlicht damit beginnt, dass Gott sprach, es werde Licht. Hatte der schon alle Kämpfe hinter sich? |
Schwartz: | Das Wichtige bei dieser Schöpfungsgeschichte ist, dass der oder diejenigen, die das aufgeschrieben haben, klarmachen wollten: Es gibt keinen Götterkampf, weil es gar keine anderen Götter gibt. Gerade bei der biblischen Schöpfungsgeschichte geht es darum, dass es nur einen einzigen Gott gibt, der Ursprung von allem ist. Dieser Gott, der am Anfang steht, ist ordnend tätig. |
Lesch: | O.k., das habe ich jetzt verstanden. Soweit, so gut! Wir haben also Licht, wir haben einen Gott, der die Sache praktisch von Anfang an im Griff hat. Zumindest dem Schreiber dieser Zeilen stellt sich nicht die Frage, ob es Gott gibt. Bei dieser Schöpfungsgeschichte ist Gott von vornherein da. Wir modernen Menschen fragen uns oft, ob es Gott gibt und wie er wirkt. Ist Gott allmächtig oder eher nicht? Stichwort: Ungerechtigkeit, das Böse. Hier haben wir es mit einem Gott zu tun, der einfach da ist und jetzt sein Ding macht. Mit Licht fing es an. Welche Bedeutung hat es, dass es auf einmal Land und Meer gab? Ist das auch nur symbolisch gemeint? |
Schwartz: | Anscheinend ist es nicht selbstverständlich, dass es Land und Meer gibt. Für die Menschen damals waren Überschwemmungen ein unerklärliches, bedrohliches Naturereignis. Die Überschwemmung des Schwarzen Meers war für die abendländische und orientalische Gesellschaft ein tiefgreifendes Ereignis, das in Mythen seinen Platz gefunden hat. So auch die Sintflut … |
Lesch: | Ach! Die Sintflut hat es wirklich gegeben? |
Schwartz: | Die gab es wahrscheinlich tatsächlich. Viele Theorien besagen, dass dieses Überschwappen des Mittelmeers ins Schwarze Meer stattgefunden hat. Der Bosporus war nicht immer eine Meeresenge, da muss wohl mal eine Landbarriere gewesen sein. |
Lesch: | Ich staune! Der Mann ist schließlich Theologe und kein Naturwissenschaftler! |
Schwartz: | Theologie schließt profanes Wissen in keiner Weise aus, lieber Harald. Also, soviel mir dazu einfällt, sind gewaltige Wassermassen ins Schwarze Meer übergeschwappt. In 30, 40 Meter Tiefe wurden Reste von Siedlungen gefunden. Das war wohl für die Menschen ein traumatisches Geschehen. Sie fragten sich nach der Ursache. Man suchte nach Erklärungsmustern. In der damaligen Zeit rechnete man eben mit Gott, nicht so wie heute, wo Gott vielfach nur als eine Idee, eine Fiktion angesehen wird. Nein, damals war Gott begreifbar und nah. Die Leute sagten: Gott hat uns bestraft, wir waren böse. Ein Mythos ist immer ein Erklärungsmuster für etwas, was Menschen bewegt. |
Lesch: | In gewisser Weise ist die Naturwissenschaft für viele Menschen heute auch ein Mythos. Es gibt naturwissenschaftliche Theorien, die versteht kein Mensch, nicht einmal ein Naturwissenschaftler. Wir können uns nur auf die Mathematik verlassen und hoffen, dass es irgendwie stimmt. Insofern sind wir von Mythen gar nicht so weit entfernt. Aber nochmal zurück: Wir haben also Meer, das habe ich jetzt verstanden. Dann hat der Schöpfer das Meer vom Land getrennt. War Land wichtig? |
Schwartz: | Natürlich! Weil auf dem Land etwas wächst. Land ist die Lebensgrundlage für Tier und Mensch. In der Geschichte von der Erschaffung des Menschen ist zu lesen, dass er nach seiner Vertreibung aus dem Paradies etwas anbauen musste. Wo kein Land ist, da kann man nur fischen. Aber der Mensch lebt nicht nur vom Fisch allein. |
Lesch: | Ein paar Vitamine braucht er schließlich auch noch. Dann hätten wir das soweit abgearbeitet. Schon beeindruckend, wie geradlinig das geht. Als ob Gott eine Checkliste gehabt hätte. |
Schwartz: | Heute machen wir mal das, dann das … |
Lesch: | … zack, zack, und was brauchen wir noch? Wir haben Land und Meer. Luft hat er nicht gemacht, oder doch? |
Schwartz: | Die Luft war von Anfang an da. Das setzt man voraus. |
Lesch: | Das finde ich aber enorm. Bei den Griechen zum Beispiel spielt Pneuma eine ganz wichtige Rolle. |
Schwartz: | Auch in der biblischen Geschichte spielt Pneuma eine wichtige Rolle. Das Problem ist allerdings, dass dieses Pneuma etwas ist, was Leben einhaucht. Der Geist Gottes schwebt über dem Urwasser. Das ist die Luft, die Voraussetzung für Leben überhaupt. |
Lesch: | Ich verstehe. Die Luft ist also schon da gewesen. Hier stellt sich die interessante Frage: Atmet Gott auch? |
Schwartz: | Er atmet zumindest aus. |
Lesch: | Wenn, dann aus, o.k., aber nicht ein. Was haben wir noch? Wasser ist eine andere Geschichte, da kommen wir noch drauf zurück. Und dann: Tiere! Für mich als Naturwissenschaftler ist es ein Faszinosum und immer noch nicht klar, wie aus unbelebter Materie lebende Materie geworden ist. Wir sind tief in die Materie eingedrungen, wir sehen Elektronen um die Atomkerne herumsausen, wir wissen um die Existenz von Molekülen. Aber wieso ist das eine Molekül anorganisch, also nicht lebendig, und das andere in Kombination mit vielen anderen Molekülen plötzlich lebendig? Da zeigt sich ein Wille, da ist ein Zweck offensichtlich, und damit ergibt sich ein Sinn. In meinen Augen ist das der entscheidende Schritt in der Schöpfungsgeschichte: Erst wird eine Kulisse gebaut und dann kommt Leben in die Bude. |
Schwartz: | Wobei diese Art von Leben noch nicht vollständig ist. Da sind Tiere, die sich zwar bewegen, sich ihrer selbst aber nicht bewusst sind. Die wissen nicht, dass sie Tiere sind. Die haben noch keinen Namen. Die Gans weiß nicht, dass sie eine Gans ist. |
Lesch: | Aber sie lebt. |
Schwartz: | Sie vegetiert. Das Tier wird erst zu einem Tier, im vom Menschen zu unterscheidenden Sinn, nachdem es von ihm einen Namen bekommen hat. Das ist eine der Grundaufgaben, die der Mensch in der Schöpfungsgeschichte, in diesem Mythos bekommen hat. Wer in der biblischen Geschichte einen Namen vergeben darf, dem gehört das Ganze dann auch. |
Lesch: | Namensgebung ist also Macht, Besitznahme. |
Schwartz: | Inbesitznahme! |
Lesch: | Am Anfang war das Wort. |
Schwartz. | Nicht ganz in diesem Sinne, aber auch nicht schlecht! Wenn der Mensch von Gott den Auftrag bekommt, alle Tiere zu benennen, dann wird ihm damit gleichzeitig gesagt: Nimm sie in Besitz, du bist der Boss. |
Lesch: | Das ist aber hochgefährlich, zum Boss ernannt zu werden. Hat dieser Titel dieselbe Bedeutung wie bei dem Boss einer Aktiengesellschaft: Gewinnmaximierung und achte auf das Preis-Leistungs-Verhältnis? Oder ist das eher die Geschichte mit der Verantwortung für die Schöpfung? Gerade diese Stelle – es gibt viele andere Stellen der Genesis, aus denen die haarsträubendsten Dinge herausgelesen worden sind –, steht da tatsächlich drin, dass der Mensch der Chef über die Natur ist? Steht das so da drin? |
Schwartz: | Es steht drin, dass er im Auftrag Gottes – und das ist wichtig – den Tieren Namen zu geben hat. Also hat der Mensch gesagt: Du bist ein Pferd, du bist ein Zebra, du bist ein Kamel. Damit hat er im Auftrag Gottes gehandelt, hinter ihm steht aber immer der Big Boss, also Gott. Ihm ist der Mensch für sein Tun Rechenschaft schuldig. |
Lesch: | Jetzt muss ich nochmal fragen, rein historisch: Waren die Menschen im späteren Heiligen Land schon Bauern? |
Schwartz: | Bauern und Nomaden, beides. |
Lesch: | Gehörten die, die das geschrieben haben, zu den Bauern oder zu den Jägern und Nomaden? |
Schwartz: | Die gehörten schon eher zu der bäuerlichen Gesellschaft in den ersten kleinen Städten, besser gesagt zu der Gesellschaft, die im Reich Davids und Salomons um 1000 vor Christus den Glauben an diesen Gott noch einmal reflektierten. Sie waren auch in Kontakt mit vielen anderen Völkerschaften, mit Ägypten, mit Assur, Klein-Babylon, Hethitern, mit den Kleinstaaten und großen Staatsgebilden, wo die Mythen mit ihren Götterkulten und dem ganzen „Göttergerangel“ herkamen … |
Lesch: | Die Ägypter hatten doch eine unglaublich erfolgreiche Religion, mit all ihren unzähligen Göttern, darunter einem, der direkt auf Erden residierte, ihrem Pharao. Was war eigentlich der Grund für die Schreiber deiner Schöpfungsgeschichte, sich etwas völlig anderes einfallen zu lassen? Was hat sie dazu veranlasst, einen – fast hätte ich gesagt, so akademischen – Schöpfungstext aufzuschreiben? |
Schwartz: | Erstens waren das tatsächlich zum Teil Akademiker, zumindest schriftgelehrte Priester – Universitäten gab es noch nicht –, also Leute, die nachgedacht haben über das, was wichtig ist. Zum Zweiten wollte man irgendwie begründen, warum man anders als die Anderen war. Ein kleines Volk sucht seine Identität. Wir müssen uns bewusst machen, dass Israel zur damaligen Zeit das Saarland des Mittleren Ostens war – der kleinste Flächenstaat. Ich habe mal im Saarland gewohnt, nix Großartiges, der sogenannte Rest der Welt. Da liegt es nahe, dass sich die Israelis fragten: Warum sind wir wichtig? Warum gibt’s uns überhaupt? |
Lesch: | Eine besondere Schöpfungsgeschichte, um sich selbst … |
Schwartz: | Um sich abzugrenzen und zusammenzuhalten, sich selbst bewusst zu machen. |
Lesch: | Donnerwetter! |
Schwartz: | Es gab Tendenzen, dass die Könige auch ganz gern Pharaonen geworden wären. Das war quasi der Gott auf Erden. |
Lesch: | Das ist aber eine andere Geschichte. Wo waren wir stehengeblieben? Genau, wir waren bei den Tieren. Jetzt fehlt noch … |
Schwartz: | … der Mensch! |
Lesch: | Ich habe dazu extra nochmal nachgelesen. Es gibt bei mir die Tendenz zum Zweitbuch. Ich habe also ein Physikbuch zuhause und die Bibel, und in dieser steht, dass Gott den Menschen geschaffen hat als Mann und Frau. Da ist von einer Rippe des Mannes nichts zu finden. |
Schwartz: | Wo nichts ist, kann auch nichts sein. Auch Eva ist ein Abbild Gottes. Wo kämen wir denn da hin! |
Lesch: | Es gibt den netten Satz: Wenn Gott nur eine 5-Tage-Woche gehabt hätte, wäre der Welt der Mensch erspart geblieben. Gott hat sich aber am sechsten Tag doch nochmal ans Werk gemacht. Warum er wohl auf diese Idee kam, bei einer Welt, die schon so gut funktionierte ohne uns? |
Schwartz: | Warum er den Menschen erschaffen hat? |
Lesch: | Ja. |
Schwartz: | Das haben sich die Menschen damals auch schon gefragt: Warum gibt’s uns? Ganz einfach, weil er uns erschaffen hat. Die Frage ist nicht, warum hat Gott sich das nicht erspart, sondern warum sind wir überhaupt da? Die Antwort war damals – wie übrigens heute auch noch –, na ja, weil er es halt so wollte. Er wollte etwas schaffen, das nicht nur so vor sich hinvegetiert, sondern ihm in gewisser Weise Paroli bieten kann. Gott wollte, dass einer da ist, der ihm Partner sein kann – bei aller Begrenztheit. Also eine Herausforderung für Gott. Die Altvorderen haben sich schon ganz schön wichtig genommen. |
Lesch: | Aber Moment! Hier liegt es doch auf der Hand, zu fragen, ob Gott einsam war? Brauchte er Ansprache? |
Schwartz: | Das wäre ein sehr anthropomorphes Bild, also dem Menschen gemäß. Einsam war er nicht, aber vielleicht gelangweilt. |
Lesch: | Wir sind quasi ein Pausenclown oder netter gesagt, das Salz in der göttlichen Suppe. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. |
Schwartz: | Gott meinte vielleicht, um in deinem Bild zu bleiben, dass es eine große, spannende Herausforderung sei, noch etwas zu schaffen, was sich sogar im Notfall von ihm trennen kann. |
Lesch: | Das den freien Willen hat, sich unter Umständen gegen ihn zu entscheiden. So, die fünf Tage haben wir jetzt hinter uns. Dann der Mensch: Er schuf den Menschen nach seinem Abbild. Ja, wie jetzt? Sind wir … bist du und ich und alle um uns rum, sind wir Abbilder von einem höheren Wesen, das wir als Gott verehren? |
Schwartz: | Es ist nicht so, dass Gott eine Glatze und einen Bart oder auch keinen Bart hätte, das ganz gewiss nicht. Diese Schrift, die übrigens im babylonischen Exil entstanden ist, geht zunächst davon aus, dass der Mensch zum Abbild Gottes wird, weil er sprechen kann, Vernunft und Willensfreiheit hat. Er kann sein Leben selbst gestalten. |
Lesch: | Ergo schließe ich daraus: Auch Gott spricht; Gott ist frei. Er hätte sich deshalb auch gegen den Menschen entscheiden können. |
Schwartz: | Er hätte sich sagen können: Ich mache den Menschen nicht, das lasse ich besser sein. |
Lesch: | Er hat ihn aber nach seinem Abbild geschaffen. In diesem Zusammenhang wollte ich dich schon immer mal fragen: Ist das nicht eine ungeheure Last? Wenn ich mir überlege, da sitzen welche in Babylon und Umgebung … Überhaupt – warum gerade Babylon? |
Schwartz: | Um das Jahr 587 war Jerusalem von den Babyloniern erobert worden. Die heimische Führungsschicht – soweit sie den Angriff überlebt hatte – wurde nach Babylon, der Hauptstadt der Sieger, deportiert. Für die Deportierten stellte sich nun die Frage: Wie überleben wir? |
Lesch: | “By the rivers of Babylon …” |
Schwartz: | … da saßen wir und weinten. Die Verschleppten haben sich damals wohl überlegt, was das besiegte Volk noch zusammenhält, und sie sind wieder auf Gott gekommen, eigentlich naheliegend. Nächste Überlegung: Wie ist der Mensch? Für die aufgeklärte Priesterschaft war es nicht wichtig, ob die Frau dem Manne untertan zu sein hat, sondern zunächst einmal, dass der Mensch von Gott stammt. Seine Würde bekommt er nicht dadurch, dass er eine große Stadt oder ein großes Reich besitzt, sondern dass er ein Geschöpf Gottes ist. |
Lesch: | Die Schöpfungsgeschichte sollte offenbar für alle Menschen gelten. Du hast schon gesagt, dass die priesterliche Schöpfungsgeschichte so was wie eine nationale Identität schaffen sollte. Hier wird aber nur von Menschen im Allgemeinen gesprochen: Alle Menschen auf der Welt sind Abbild Gottes. Wo bleibt da die jüdische Identität? |
Schwartz: | Langsam, Gevatter! Die jüdische Priesterschaft hat damit erst einmal ausdrücken wollen: Obwohl uns die Babylonier besiegt haben, sind sie auch nicht besser als wir. Und die Babylonier könnten daraufhin natürlich gesagt haben: Aber wir sind doch die Sieger! Damit ist ja wohl unser Marduk – so hieß ihr Gott – der stärkere Gott! Langsam, überlegt doch mal – so die israelitischen Priester –, unser Gott hat alles geschaffen. Er steht am Anfang von allem. Euer Gott ist nur ein Hirngespinst. |
Lesch: | Nur ein Abteilungsleiter oder was? |
Schwartz: | Der ist noch nicht mal Abteilungsleiter. Für die Israeliten so um 600 oder 500 vor Christus war ihr Gott alleiniger Vorstandsvorsitzender. Die ganze Geschichte ist im Grunde nur auf dieses Volk Israel konzentriert. Und deren Vordenker interpretieren ihr Exil in Babylon als Strafe für sein auserwähltes Volk. |
Lesch: | Die Sintflut kommt in der Bibel erst später. |
Schwartz: | Vor uns die Sintflut! |
Lesch: | Apropos Abbild – um wieder darauf zurückzukommen: Ich will da nicht zu viel hineininterpretieren. Was ich weiß, ist, dass für die Autoren der Schöpfungsgeschichte Gott immer da war, das wurde nicht weiter hinterfragt. Er war für sie immer ein Wirkender, er hat einfach gemacht. Aber was steckt hinter der Geschichte mit dem Abbild? Als Lebewesen mit freiem Willen haben wir die Entscheidungsfreiheit, können uns für das Gute oder das Böse entscheiden. Damit sind wir aber eine Schöpfung, die wesentlich mehr beansprucht als nur das Resultat von ein paar Tagen zu sein. Diese Zeitspanne sollte man übrigens nicht zu wörtlich nehmen. Das gilt auch für die Geschichte mit dem englischen Bischof – Usher hieß er, glaube ich –, der in der Bibel herumrechnete und so zu dem Ergebnis kam, dass die Welt am 26. Oktober des Jahres 4098 vor Christi Geburt morgens um neun Uhr in Babylon entstanden war. Dagegen ist unsere babylonische Schöpfungsgeschichte geradezu stringent. |
Schwartz: | Sie gibt dem Ganzen eine Ordnung. |
Lesch: | Da sind wir bei der Ordnung. Der guten Ordnung halber kommt jetzt der Mensch auch als Mann und Frau vor. |
Schwartz: | Es werde und es ward auch hier. |
Lesch: | Den Menschen gibt es in zwei Varianten. In der Schrift steht nicht, dass die Frau dem Manne untertan sein soll oder nur aus einem Teil … |
Schwartz: | … der Rippe … |
Lesch: | Angeblich sei sie irgendwie aus einer Rippe des Mannes gemacht worden. Wie kommt es, dass diese beiden Schöpfungsberichte der Bibel sich in diesem Punkt so stark unterscheiden, einem so wichtigen Punkt, der immerhin die ganze Menschheitsgeschichte durchzieht? Es entsteht der Eindruck, die Frau sei zweitrangig, und vom Sündenfall wollen wir erst gar nicht sprechen. Wie kommt das? |
Schwartz: | Ich glaube, das liegt zum einen daran, dass die Texte über Jahrhunderte entstanden sind. Die Leute haben sich überhaupt keine Gedanken gemacht, ob das logisch zusammenpasst. Es sind zunächst nur Erfahrungen und Deutungen konkreter Zeitabläufe. Um die Zeit 550, 580 herum war es den Autoren der Priesterschrift wohl einfach nur wichtig, allen Menschen die gleiche Würde zuzusprechen. Das war in der damaligen Zeit völlig neu. Heutzutage sind für uns Menschenrechte, Emanzipation und so weiter selbstverständlich. Die Priesterschriften haben der Frau erstmals eine Rolle zugesprochen, die sie befähigte, in der Schöpfung quasi ihren Mann zu stehen. |
Lesch: | Das ist ein priesterlicher Schöpfungsbericht. Der soll dafür sorgen, dass die Herde zusammengehalten wird und alle wissen: Hier geht’s lang! Hätten es sich die Priester angesichts der Tatsache, dass auch in ihrem Volk natürlich gut die Hälfte weiblich ist, überhaupt leisten können, einen Schöpfungsbericht abzuliefern, in dem die Frau dem Mann untertan ist? Da hätten doch die Frauen gesagt: Wisst ihr was? Ihr habt die Pfanne heiß! So geht’s aber nicht! Schließlich sind wir dafür zuständig, dass sich dieses Volk weitervermehren kann. Ohne uns auch keine zukünftigen Helden! |
Schwartz: | Nein, nein, die hätten sich das durchaus leisten können. Im jüdischen Denken hat die Frau nämlich eine große Aufgabe. Jude wird man durch die Mutter. Erst im zweiten Schöpfungsbericht der Bibel kann man in gewisser Weise von einer Unterordnung der Frau sprechen. Beides, die besondere Bedeutung der Frau für die jüdische Identität und ihre gesellschaftliche Unterordnung, wurde nicht als Gegensatz angesehen. Im Grunde ging es aber gar nicht darum. Zunächst einmal sollte vielmehr klargestellt werden: Wir haben jetzt erst mal einen Gott, der alles hervorbringt, selbst die Frauen. Wir sind sein Abbild. Gottes Stärke gibt uns Kraft, zumindest stärkt es unser Selbstbewusstsein und macht uns zu etwas Besonderem. Auch die Frau. Interessanterweise haben die Frauen im Alten Testament immer eine große Rolle gespielt. Sie sind beileibe nicht immer unterdrückt gewesen … |
Lesch: | Bevor wir jetzt zu dem anderen Schöpfungsbericht kommen, der dich offenbar so fasziniert – du hast schon zwei Mal darauf hingewiesen –, will ich als Astronom noch etwas dazu sagen: Am Anfang war nicht nur das Licht in der Welt, sondern auch Sterne, Sonne und Mond wurden geschaffen. In urzeitlichen Kulten waren die Himmelskörper hochverehrte Götter, und das aus verständlichen Gründen: Ohne Sonne zum Beispiel liefe hier überhaupt nix, und dass der Vollmond des nächtens eine sinnvolle Leuchte ist, kann jeder Jäger bestätigen. |
Schwartz: | Und die Sterne weisen dem Kapitän den richtigen Kurs auf hoher See. |
Lesch: | In diesem Schöpfungsbericht werden die Himmelskörper ganz nüchtern quasi auf die Erde zurückgeholt. Das kommt mir als Naturwissenschaftler eigentlich sehr entgegen. Die Autoren müssen klare Ziele vor Augen gehabt haben, völlig unbeeindruckt und losgelöst von all den Einflüssen, denen sie ausgesetzt waren. Sie haben wahrscheinlich in Babylon einen klaren und verständlichen Schöpfungsbericht abgefasst mit einem gestaltenden Gott, der sagt: Es werde das und das und das. Und es ward. Ein echter Macher! |
Schwartz: | Noch mal! Sie wollten im Grunde sagen: Unser Gott ist der Größte! Die Kräfte, die ihr so sehr verehrt, die euch im Moment als vermeintlich Stärkere erscheinen lassen, stehen auf tönernen Füßen. Euer großer Fehler ist, dass ihr die Sterne mit einer Macht verwechselt, die euer Schicksal bestimmt; ihr verwechselt die Sonne mit einem Gott, dabei ist sie nur ein Zeichen des Lichts, das von Gott ausgeht. Ihr macht sogar aus der Geschlechteraufteilung etwas Göttliches. Damit kritisierten die Autoren die bei den Babyloniern übliche kultische Prostitution, in der die Frau als Ausdruck der Fruchtbarkeit des Göttlichen galt. In der Schöpfungsgeschichte wird aber ganz klar gemacht, dass das für Gott unerheblich ist. Gott schafft alles und gibt jedem seinen Platz. Der Mensch hat nur deshalb eine Rolle, weil er von Gott als sein Abbild gemacht ist, also die Fokussierung auf diesen einen Gott. Das ist wirklich eine tolle Leistung, die man damals um 600 vor Christus mit diesem Bericht vollbracht hat. |
Lesch: | Das war mir so nicht bewusst. Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Bericht von dieser Klarheit … |
Schwartz: | … soziologisch so durchdacht … |
Lesch: | … wie ein ausgetüftelter Plan. |
Schwartz: | Genau das war er. Seine Urheber wollten darstellen, dass die ganze Geschichte einen Plan hat. Dazu gehört auch, dass sie jetzt in der Verbannung im Zweistromland saßen. Das wollten sie ihrem Volk ausdrücklich klar machen. |
Lesch: | Thomas, wir haben die priesterliche Variante des Schöpfungsberichtes hinter uns, fast hätte ich gesagt die Technokraten-Variante, weil die alles beinah wie nach einer Checkliste abgearbeitet haben. Es gibt aber noch einen zweiten Aspekt. Der heißt nicht „Die Erschaffung der Welt“, sondern „Die Erschaffung des Menschen“. Die berührt uns viel mehr, weil es da um die menschlichen Dinge wie die Vertreibung aus dem Paradies geht. Ich habe gelesen, dass das die jahwistische Variante ist. Wieso heißt die „jahwistisch“? |
Schwartz: | Das bezieht sich auf den Autor, der diese Schrift verfasst hat. Er schreibt, wenn er von Gott spricht, immer von Jahwe. Das sind die vier Buchstaben im Griechischen, die das Tetragramm bezeichnen, vier Buchstaben, die für den Gottesnamen gebraucht werden – JHWE. Es gibt im Alten Testament noch ein paar andere Gottesnamen, zum Beispiel Elohim. Das ist eine ältere Form und bedeutet eigentlich „Götter“ oder „die Gott“ im Plural. |
Lesch: | Hat der nicht mehrere verschluckt? |
Schwartz: | Der hat einige Götter verschluckt oder vereinnahmt. Der Jahwist sagt: Gott ist der, der er ist. Ich bin der, der ich bin oder als der ich mich erweise – man weiß nicht genau, wie man es übersetzen soll. In der alttestamentlichen Wissenschaft macht man es sich manchmal ein bisschen einfacher, indem man sagt: Elohist ist der, der den Begriff „Elohin“ gebraucht. |
Lesch: | Der Bericht ist maßgerecht auf den Menschen zugeschnitten. Die Schaffung der Schöpfung drumherum – also Wasser, Land und die sonstige Ausstattung – das geht ganz schnell, wird schnell abgehakt. Dann kommt zum ersten Mal ein Name. Du hast mir vorhin erklärt, dass die Namensgebung viel mit Macht zu tun hat. |
Schwartz: | In der Tat. |
Lesch: | Lass uns von Adam sprechen. War Adam irgendein besonderer Mann oder Mensch oder steht er als Synonym für alle Menschen. Wie ist das zu verstehen? |
Schwartz: | Der Name „Adam“ heißt übersetzt „der Mensch“. Im allgemeinen Verständnis heißt der erste Mensch schon immer Adam, doch tatsächlich verkörpert er den Menschen an sich. |
Lesch: | Er ist also nicht der erste Mensch, da können schon vorher welche gewesen sein. |
Schwartz: | Das interessiert den Theologen nicht. Alle Aussagen über Adam sind Aussagen über den Menschen als solchen. |
Lesch: | Wie alt ist der jahwistische Text? |
Schwartz: | So um die 3000 Jahre. Er ist um 1000 vor Christus entstanden. |
Lesch: | Damit sind wir wieder am Ausgangspunkt unseres Gesprächs. Es stimmt also nicht, dass dieser Text, nur weil er so alt ist, uns nichts mehr zu sagen hat. Adam, das sind alle Menschen, die waren, die sind und die noch sein werden. Kann man das so verstehen? |
Schwartz: | Das kann ich besser formulieren – obwohl du gar nicht schlecht darin bist. Bei dieser Geschichte geht es darum, dass über den Menschen eine Aussage gemacht wird. Sie liefert eine Antwort auf die Frage, woher wir kommen. Der Mensch, ich, du. Das war die Frage, die sich auch damals schon stellte. Es wird postuliert: Wir sind von Gott geschaffen. Woher? Woraus? Aus dem Ackerboden, dem Lehm und Staub, etwas sehr Materiellem. |
Lesch: | Hat der Name „Adam“ auch etwas damit zu tun, wo wir herkommen? Ich meine, mal so was gelesen zu haben. Aber ich will das jetzt nicht zu weit treiben … |
Schwartz: | Adamáh ist hebräisch und bedeutet „Ackerboden“. Hier hast du deine Erde, aber der Name sagt eigentlich, dass der Mensch nichts anderes ist als alle anderen Elemente der Schöpfung. Dass bei ihm etwas Besonderes hinzukommt, darüber haben wir ja vorhin schon mal gesprochen. Der Ruach Gottes, der Lebensatem wird ihm eingehaucht. Übrigens nur dem Mann, von Eva … |
Lesch: | Ja, ja – das ist das Thema! Also, der Mann, der Adam, ist jetzt da, samt Lebensatem. Warum bekommt er eine Gefährtin? |
Schwartz: | Weil es dem Manne, also dem Menschen im Unterschied zu Gott, saumäßig langweilig ist. Außerdem ist er scheinbar etwas überfordert. Ihm wird also eine Hilfe zur Seite gestellt, „die ihm gemäß ist“ – Zitat! Der Mensch – eine wichtige Aussage dieses Textes – kann nicht allein leben. |
Lesch: | Er ist ein soziales Wesen. |
Schwartz: | Und er ist auch ein geschlechtliches Wesen. Er braucht etwas, was ihm gemäß ist, mit dem er sich messen kann, mit dem er eine soziale Konversation führen kann, sinngemäß: mit dem er sich paaren kann. |
Lesch: | Paaren als soziale Kommunikation? Ja, sauber, sag‘ ich. Aber so weit, so gut. Der Mensch ist ein soziales Wesen, ein Homo politicus und so weiter. Warum aber um alles in der Welt wird in dieser Geschichte erzählt, dass die Frau aus einem Teil des Mannes gemacht worden ist? Dieser Teil der Bibel hat zu so viel Leid und unnötigen Auseinandersetzungen geführt. Es hätte doch auch gereicht: hier der Mensch, Abbild Gottes, Mann und Frau. Aus, Ende, alles wunderbar! |
Schwartz: | Das wäre zu schön und einfach, um wahr zu sein. Aber man wollte damals damit etwas anderes aussagen: Wenn Gott jetzt wieder etwas aus dem Ackerboden genommen hätte – also wieder ein bisschen Lehm oder Staub –, dann hätte dieses Wesen eigentlich nichts mit dem Menschen, mit Adam zu tun gehabt, es wäre etwas Neues gewesen. So aber wird ein Teil vom Menschen genommen. Also: Bein von meinem Bein. Fleisch von meinem Fleisch. Es wird etwas vom Menschen genommen und damit klargestellt, dass die Frau, das Frau-Sein, etwas zutiefst Menschliches ist, das nicht von außen auf den Mann, den Menschen zukommt. Sie ist ihm so wirklich gemäß. |
Lesch: | Also, das wäre ja auch noch schöner gewesen, ausgerechnet die Frau soll weniger … |
Schwartz: | Nein, nein. Es ging nicht um die Gender roles. |
Lesch: | Was heißt Gender role? |
Schwartz: | Die Geschlechterrolle. Das kommt später. |
Lesch: | Nein, nein, darum geht es eben doch! Es wäre doch hilfreich gewesen, wenn es an dieser Stelle des Berichtes einen klaren Hinweis gegeben hätte, dass sich aus der Tatsache, dass die Frau dasselbe ist wie der Mann, eine Geschlechterdifferenz eben nicht ableiten lässt. Und das meine ich jetzt ganz ungeschlechtlich. Man hätte doch klipp und klar sagen können, dass die beiden wirklich gleich sind. Gleichberechtigt! |
Schwartz: | Die Altvorderen waren das aber nicht. Das hatten die so nicht im Kopf. Du hast mich gefragt, was an der Schöpfungsgeschichte für uns heute wichtig ist. Heute haben wir eine andere Sichtweise. Wir sehen die Elemente, die im Text stecken, aus einem anderen Blickwinkel. Das steht uns auch zu, denn der Text ist für Interpretationen offen. Für die Menschen vor 3000 Jahren war es zwar wichtig, dass die Frau aus dem Fleisch des Mannes, also Rippe und so weiter, geschaffen wurde, aber das hat nichts daran geändert, dass es kulturelle, soziale Schichtungen, Hierarchien gab, die sich auch in diesem Text deutlich wiederfinden. |
Lesch: | Die Frau stand in der Hierarchie unter dem Manne? Klar geordnete Verhältnisse? |
Schwartz: | Man muss sich vorstellen, dass das damals eine Zeit war, die den Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat reflektierte – der sich ein paar Tausende Jahre früher vollzogen hat. In den Mythen wurde das nochmals zum Ausdruck gebracht. Kommt es vielleicht daher, dass in dieser Geschichte die Frau dem Mann untertan ist? |
Lesch: | Das kam daher. |
Schwartz: | Das ist eine typische mythologische Denkweise: Du hast etwas, was jetzt ist, und du fragst, woher es kommt? Durch einen Mythos setzt du das an den Anfang der Geschichte – das nennt man übrigens „Ätiologie“. |
Lesch: | Ätzio…? |
Schwartz: | Ja, das ist manchmal schon ätzend, was dabei rauskommt, aber damit hat das nichts zu tun. |
Lesch: | An der Stelle müssen wir also eines nochmal ganz klarmachen: Wenn wir über diese alten Geschichten sprechen, dann vergessen wir oft die Zeit, die vor dem Aufschreiben dieser Berichte schon vergangen ist. Da kommen schnell mal einige Hundert Jahre zusammen, in denen auch schon Menschen gewirkt haben. |
Schwartz: | Mythen sind in Worte gefasste Menschheitsgeschichte, Gedanken, die in einer Geschichte kondensieren. |
Lesch: | Ein großer Teil dieser Geschichte kondensiert in einem Apfel. Da gibt’s doch diesen Baum der Erkenntnis in der Mitte des Paradiesgartens. |
Schwartz: | Zwei Bäume. |
Lesch: | Zwei? Wieso zwei? |
Schwartz: | Da stehen der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. |
Lesch: | Das war nicht derselbe? |
Schwartz: | Nein. Da stehen zwei, das wird extra betont, also deutlich getrennt. Essen durften der Mann und die Frau nicht vom Baum der Erkenntnis. Am Baum des Lebens durften sie sich nach Herzenslust bedienen. Deswegen haben die beiden Paradieskinder auch so zeit- und schwerelos gelebt. |
Lesch: | Paradiesische Zustände eben. Die beiden haben sich auch nicht geschämt. Sie waren ja immerhin nackt, keine Designer-Klamotten! Sie konnten schön miteinander … |
Schwartz:: | … leben. |
Lesch: | Konversation betreiben! Eine unschuldige Leichtigkeit des Seins, auf die Dauer vielleicht ein bisschen fad. Aber da stand dieser Erkenntnisbaum in der Mitte, für den ein Verbot galt. Der Anfang vom Ende der Unschuld. Ich habe von dir gerade gelernt, dass beide Bäume so was waren wie eine Verbindung zwischen der Welt da oben und der Welt hier unten. Wenn der Mensch verbotenerweise von einem dieser Bäume etwas pflückt, eignet er sich etwas an, das ihm nicht gebührt, das ihm nicht zusteht. |
Schwartz: | Ich würde eher sagen, dass man es als den Nabel des Menschen bezeichnen könnte. Das, was den Menschen zum Menschen macht, ist doch die Erkenntnis von Gut und Böse. Er ist nicht nur ein soziales und geschlechtliches, sondern auch ein ethisches Wesen. Er macht sich Gedanken darüber, was richtig und was in seinem Leben falsch ist. Wo werde ich schuldig, wo mache ich was richtig? Das macht ihn in besonderer Weise zum Abbild Gottes. |
Lesch: | Unsere zwei Paradiesvögel – Adam und seine ihm gemäße Begleiterin – vergreifen sich schließlich am Baum der Erkenntnis. Ich habe übrigens nirgendwo gelesen, dass die Frau den Mann in Versuchung gebracht hätte, sie hat vielmehr den Apfel schon in der Hand gehabt und gesagt: Hier, iss! Er hat gegessen. Einer von den beiden musste schließlich der Erste sein, der einen Apfel nimmt. Die Geschichte mit der Versuchung durch Eva würde ich komplett löschen. Wie auch immer, der Sündenfall war passiert. Was geschieht jetzt? Die beiden Blumenkinder müssen ihren Garten verlassen. Die Anweisung des Erzengels ist unmissverständlich. War das eigentlich eine gerechte Strafe von ganz oben? |
Schwartz: | Wenn du diesen Text genau liest, dann steht in Genesis 2, dass Gott die zwei ersten Menschen nicht rausschmeißt. Es steht im Grunde nur drin: Jetzt ist alles nicht mehr so, wie es war. Der Mensch erkennt plötzlich Gut und Böse. Er erkennt und sieht sich nackt und bloß. Ihm wird auch schlagartig klar, dass er gegenüber Gott klein ist, dass er vor ihm nichts verstecken kann, aber eigentlich was verstecken müsste – meint er jedenfalls. Schuld und Scham schleichen sich an. Der Mensch versteckt sich vor Gott. Das ursprünglich ungebrochene, vertraute Verhältnis des Menschen zu Gott ist zerbrochen. |
Lesch: | Jetzt muss der Mensch allein schauen, wie er klarkommt. „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du arbeiten …“ |
Schwartz: | Der Mensch trennt sich von Gott und ab da muss er sich allein durchschlagen. |