Читать книгу Reden über Gott und die Welt - Harald Lesch - Страница 9

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WAS IST DER MENSCH?

Schwartz: Wenn ich mich, dich und all die Anderen um mich herum zwischendurch so anschaue, drängt sich mir manchmal die Kardinal-Frage auf.
Lesch: Ich wusste gar nicht, dass du so hochgesteckte Ambitionen hast.
Schwartz: Nein, nein, ich bin als einfacher Pfarrer ganz zufrieden. Ich meine die Frage, die die Denker seit jeher beschäftigt hat: Was oder wer ist der Mensch?
Lesch: Jetzt ist es raus! Wer er ist, weiß ich auch nicht. Aber was er ist, das kann ich dir sagen. Der Mensch ist Biochemie mit Überbau. Er ist eine Kohlenstoffeinheit, die zum größten Teil aus Wasser besteht, dann noch etwas Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, ein paar Spurenelemente, ein Schuss Calcium, Eisen und Phosphor dazu – tja, und das war‘s. Damit hätten wir doch das Thema eigentlich soweit abgearbeitet, oder?
Schwartz: Ja, so gesehen könnten wir Schluss machen.
Lesch: Dann brauchen wir eigentlich nichts mehr zu sagen. Das „Was“ ist geradezu griffig und heute ganz gut überschaubar. Aber …
Schwartz: … aber das reicht dir wohl genauso wenig wie mir. Diese Beschreibung trifft auch auf unsere Katzen, Hunde und Kühe zu.
Lesch: Stimmt!
Schwartz: Was unterscheidet uns dann von denen? Nur, dass wir keine Haare mehr auf dem Körper haben? Oder zumindest nicht mehr ganz so viele?
Lesch: Manchmal benehmen wir uns sogar wie Rindviecher.
Schwartz: Das ist wiederum eine andere Frage.
Lesch: In diesem biologisch-physikalischen Sinn ist übrigens auch der Außerirdische ein Mensch. Der wird sich höchstwahrscheinlich aus denselben Grundbausteinen zusammensetzen. Was also unterscheidet uns vom Tier? Oje!
Schwartz: Ganz naturwissenschaftlich betrachtet …
Lesch: … gar nix.
Schwartz: Gar nix?
Lesch: Es gibt natürlich schon gewisse Unterschiede bei der Komposition des Erbguts. Obwohl man inzwischen festgestellt hat, dass es gar nicht so viel ist, was uns vom Affen unterscheidet. Trotzdem würde man natürlich immer sagen: Der Mensch, meine Güte, der Mensch, das ist doch mehr als Bio-Matsch. Aber de facto, also von der rein materiellen Ebene aus betrachtet, ist es tatsächlich so, dass das Periodensystem der Elemente im Grunde zwingend nahelegt: Der Mensch, das ist Jod für die Schilddrüse, Fluor für die Zähne, ein bisschen Calcium, Phosphor für die Knochen, noch etwas Selen, Zink, was man halt so braucht. Ansonsten scheint es im Wesentlichen eine Frage der Verbindung zu sein. Ich könnte jetzt noch einen Schritt weitergehen und sagen, es sind nicht nur die Einzelteile, die den Menschen ausmachen, sondern wichtig ist, wie die Einzelteile miteinander verbunden sind. Sie entscheiden, ob die Kohlenstoffatome zum Diamanten oder Graphit oder zum Affen werden. Sie geben die Richtung zur Blattlaus oder zum Menschen vor. Da könnte ich schön drumherum reden, aber in diesem Sinne ist es quasi die Physik der Elektronenhüllen. Die Atome haben sich zu Molekülen zusammengebaut. Dass ich jetzt hier bin und das alles erzähle, ist im Grunde genommen eine Sache von Atomen. Diese Atome sind so gnadenlos leer, dass die Gedankenlosigkeit, der man manchmal bei sich und seinen Mitmenschen begegnet, einem als Physiker nicht besonders merkwürdig vorkommen muss.
Schwartz: „Hohlkopf“ ist da geradezu passend.
Lesch: Wie wahr! Jetzt haben wir naturwissenschaftlich wirklich alles abgearbeitet. Der Mensch ist aber offenbar doch was ganz Besonderes. Es gibt Leute, die behaupten, der Mensch stünde zwischen zwei Entwicklungsstufen der Hominiden, er sei also das Missing Link to humans, das fehlende Glied. Vielleicht sind wir Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts nur auf dem Weg zum Menschen. Aber das ist eine andere Geschichte. Wer ist der Mensch? Thomas, hilf! Ich weiß es nicht.
Schwartz: Für uns Theologen ist der Mensch zunächst einmal – das klingt jetzt wieder ziemlich abgehoben – ein Ebenbild Gottes. Gottes Ebenbild. So fängt schon die Schöpfungsgeschichte an: Gott schuf den Menschen. Nicht der Mensch schuf Gott – das würde Feuerbach sagen, Ludwig Feuerbach aus Landshut, ein Philosoph des 19. Jahrhunderts. Wir sagen: Gott schuf den Menschen nach seinem Bild als Mann und Frau, nach seinem Abbild. Da muss man natürlich gleich fragen: Worin besteht das, was den Menschen zu diesem Abbild macht? Damit kommt man vielleicht auch zu der Beantwortung oder Andeutung einer Beantwortung der Frage: Was unterscheidet den Menschen von anderen Geschöpfen?
Lesch: Einspruch, Euer Hochwürden! An dieser Stelle wird mir das Ganze zu kreationistisch. Das tönt danach, als wenn etwas aus tönerner Erde geformt wäre. Wollen wir doch erst einmal festhalten: Wir wissen ziemlich sicher, dass die Entwicklung hin zum Menschen eine außerordentlich langwierige war.
Schwartz: Und wir wissen auch als Theologen, dass ihr Naturwissenschaftler das wisst. Wir wissen das und nehmen das auch an.
Lesch: Das freut mich. Aber ich wollte das jetzt nur mal gesagt haben. Nicht, dass hier der Eindruck entsteht …
Schwartz: Nicht, dass du meinst, der liebe Gott hätte da Erde als Werkstoff genommen. Um so einen Klumpen Lehm geht’s nicht. Es ist etwas anderes, was theologisch den Begriff der Gottebenbildlichkeit auszeichnet.
Lesch: Genau das erkläre mir bitte!
Schwartz: Gottebenbildlichkeit bezeichnet theologisch zunächst einmal die Fähigkeit des Menschen, ähnlich wie Gott diese Welt zu erkennen, zu erfassen, sich in ihr zu bewegen und sie in einem gewissen Maße zu verändern. Er kann kraft seiner Vernunft Vorsorge für sein eigenes Leben und für das anderer treffen. Seine Vernunftfähigkeit ist theologisch eine der ganz wesentlichen Elemente und Ausdrucksformen der Gottebenbildlichkeit des Menschen.
Lesch: Vernunft heißt doch aber auch, dass nicht nur Glaube allein den Menschen ausmacht.
Schwartz: Glaube ist auch ein vernünftiges Geschehen. Glaube ist ein Ausdruck von Vernunft. Wir könnten gar nicht glauben, wenn wir keine Vernunft hätten. Also, die Bedingung der Möglichkeit – um es mal ein bisschen mit Immanuel Kant zu sagen, der immer gern von der Bedingung der Möglichkeit gesprochen hat –, die Bedingung der Möglichkeit für Glauben ist unsere Fähigkeit zu denken und zu reflektieren.
Lesch: Und die Bedingung der Möglichkeit, dass überhaupt Menschen da sind, ist natürlich ihre materielle Zusammensetzung. Insofern war unser Anfang gar nicht so falsch. Erst ist mal wichtig, dass überhaupt was da ist. Was da ist, das wissen wir inzwischen. Aber es bleibt immer noch die Frage nach dem rein Menschlichen, also dessen, was den Menschen als Menschen ausmacht? Jetzt sagst du, der Mensch sei ein Ebenbild Gottes.
Schwartz: In diesem Sinne, wie ich es eben gesagt habe.
Lesch: Der Mensch ist ein Ebenbild Gottes. Das ist eine unglaubliche Aussage, eine sehr mutige, fast arrogante Aussage.
Schwartz: Warum sollte das arrogant sein?
Lesch: Weil es den Menschen so nah an die Götter heranbringt. Die Götter – oder Gott – ist doch zunächst einmal – Oberliga, Champions League …
Schwartz. … das Unerreichbare. Aber nicht von ihm aus.
Lesch: Er kann alles erreichen.
Schwartz: Eben! Deswegen wird der Begriff der Schöpfung des Menschen, des Ursprungs des Menschen als Gottes Ebenbild, eigentlich nur verständlich, wenn man unsere Beziehung zu ihm betrachtet. Die wird aber nicht von uns aus gemacht, die kommt von ihm. Sie äußert sich in der Vernunfthaftigkeit. Kein anderes Lebewesen, das wir kennen, kann eine solche Beziehung vorweisen.
Lesch: Mein Gott, ist das schwierig! Also, die Vernunft ist die Brücke, über die man gehen muss, um zum Glauben zu kommen. Das wäre fast Kant: „… das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu haben.“ Aber das erklärt doch nicht das christliche Menschenbild, wonach der Mensch das Ebenbild Gottes ist. Genauso könnte man auch sagen: Die Welt ist das Ebenbild Gottes. Oder: Der ganze Kosmos ist das Ebenbild Gottes.
Schwartz: Es gibt Vertreter solcher Denkrichtungen, die Pantheisten, die Gott in jeder Quelle, jedem Baum oder Fels verorten …
Lesch: Gott ist überall.
Schwartz. Ja, genau. Bei uns, also in meinem christlichen Glauben, ist das so nicht der Fall. Wir haben im christlich katholischen Glauben ein durch und durch personales Gottesbild. Gott ist also nicht irgendeine All-Energie. Wir verstehen auf diese Weise auch die Offenbarung des Judentums: Gott als ein persönliches, personales Gegenüber, als ein Du, das mir gegenübertritt. Das kann ich im Grunde auch nur dann erkennen, wenn ich kraft meiner Vernunft dafür offen bin.
Lesch: Aber schau mal, was dabei rauskommt! Es ist ja alles schön und gut, was du sagst, aber das ist mir zu anthropozentrisch. Aus der Aussage, der Mensch sei das Ebenbild Gottes, würde sich folgerichtig ableiten: Er ist die Krone der Schöpfung. Nichts ist so krönend wie Gott selbst, wenn er für die Schöpfung zuständig ist. Der Mensch ist sein Ebenbild – ergo Krone der Schöpfung. Daraus leiten sich eine hervorgehobene Stellung und gewisse Rechte ab, die den Menschen über die Natur und die anderen Kreaturen erheben, ihn herauslösen. Ein Dackel oder ein Baum sind eben keine Ebenbilder Gottes, was überhaupt für alles Natürliche um uns herum gilt. Das alles ist dem Menschen untertan; wie er die Natur oder die anderen Lebewesen behandelt, liegt ganz bei ihm.
Schwartz: Du sagst behandeln, ich sage: Aus diesem Glaubensfaktum, dass man durch die Vernunfthaftigkeit in gewisser Weise Ebenbild Gottes ist, so auch die Welt erkennt und gestaltet und für sich selbst und andere Vorsorge treffen kann, leitet sich, eben kraft der Vernunft, auch die Verantwortung für diese Welt ab. Und da wären wir wieder bei Kant.
Lesch: Diese Verantwortung treibt aber nur die wenigsten Homo sapiens um und an.
Schwartz: Der Meinung bin ich nicht. Jeder Vater übernimmt für seine Kinder Verantwortung – jedenfalls in den meisten Fällen. Für Freunde und Gleichgesinnte übernimmt man Verantwortung. Für die Gemeinschaft, den Staat, in den Kirchen – überall, wo Menschen zusammenleben. Wir begreifen uns damit als Teil eines größeren Ganzen, das auch unser eigenes Leben direkt beeinflusst.
Lesch: Nein, nein, das wollte ich damit nicht bestreiten, da bin ich völlig bei dir. Lässt man diesen Aufruf wirken, entfaltet er eine unglaubliche Wucht. Man wäre für alles mitverantwortlich, was um einen herum vorgeht. Das ist ein Aufruf, sich um alles – um alle anderen – zu kümmern.
Schwartz: Es ist ein Aufruf, die Welt realistisch zu betrachten und seine Stimme zu erheben, wenn es notwendig ist. Das gehört zur Vernünftigkeit dazu. Dieser Gott, dessen Abbild wir sind, hat das auch getan. Damit ist aber gleichzeitig auch noch etwas anderes gesagt, nämlich dass der Mensch, der Abbild Gottes ist, auch Vorsorge für die Welt zu treffen hat. Er muss tatsächlich in dieser Welt aktiv sein und sie mitgestalten, allerdings eben verantwortlich, verantwortungsvoll.
Lesch: Jetzt sind wir der Antwort auf unsere Ausgangsfrage schon etwas näher gekommen – „Wer ist der Mensch?“ Wir haben einen rationalen Menschen. Wir haben einen sozialen Menschen. Wir fassen zusammen: Der Mensch ist ein verantwortlicher, vernünftiger, sich sorgender Mitgestalter.
Schwartz: Da hat uns Gott im Grunde genommen eine große Würde zuteilwerden lassen, die wir allerdings mitunter auch als Bürde wahrnehmen.
Lesch: Wir müssen dankbar sein für unser Talent, die Bürde, die mit dieser gottähnlichen Würde verbunden ist, verdrängen zu können. Stell dir mal vor, du würdest dich pausenlos dieser Forderung der Gottebenbildlichkeit stellen. Das hält doch der stärkste Pfarrer nicht durch.
Schwartz: Du brauchst dich nicht pausenlos bewusst dieser Forderung zu stellen. Du erfüllst sie in gewisser Weise schon allein dadurch, dass du in der Regel deine Vernunft gebrauchst. Ich laufe auch nicht als Pfarrer mit Lehramt den ganzen Tag durch meine Gemeinde oder durch die Uni in Augsburg und rufe: Ich bin ein Ebenbild Gottes, hurra! Ich hab‘ Verantwortung! Das wird niemand von mir erwarten. Ab und zu denke ich aber daran und die Verantwortung wird mir bewusst, sie wird mir nah und geläufig. Aber ich muss es nicht rumerzählen oder mir darüber große Gedanken machen. Es gehört einfach zu meinem Dasein, zu meinem Menschsein dazu. Das ist etwas, was mir zumindest immer mal wieder die Möglichkeit gibt zu sagen: Hör mal, aufgrund des Verständnisses davon, was der Mensch eigentlich ist, können wir nicht zulassen, dass diese Verantwortung, die wir für uns, für die Mitmenschen und für die Welt haben, verloren geht. Und da habe ich manchmal die Befürchtung, dass besonders Leute aus dem Bereich der Wissenschaften, genauer der Naturwissenschaften, diese Dimension aus den Augen verlieren. Das eigentlich gute, zweckfreie Fragen und Forschen des Menschen wird mitunter missbraucht und bekommt damit äußerst negative Nebenwirkungen.
Lesch: Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Was soll ich dazu jetzt sagen?
Schwartz. Diese Gefahr sollte zumindest jeden verantwortlichen Akademiker umtreiben.
Lesch: Der Naturwissenschaftler ist quasi auch nur ein Mensch und außerdem ist das natürlich auch nicht einfach. Ich meine, wie überall so auch bei uns gibt es dieses fortlaufende, sich ständig entwickelnde, zeitweilig auch sehr beruhigende, sehr befriedigende Tun. Das läuft einfach so: Da werden irgendwelche Ergebnisse „abgesondert“, also publiziert, diese werden bestenfalls in Technologie und somit in Erfolg umgesetzt. Dieser treibt weitere Forschungen an. Das ist ein Wechselspiel, das immer weiter und weiter geht.
Schwartz: Vorsorge treffen heißt, ein bisschen weiterdenken.
Lesch: Sich mal überlegen, was das bedeutet.
Schwartz. Weiterdenken: Was ist die Folge dessen, was ich tue? Was kann sich daraus entwickeln? Das sind Gedanken, die sich Wissenschaftler wie Oppenheimer und Einstein später gemacht haben, später, nachdem sie den Bau der Atombombe befürwortet und mitgetragen hatten.
Lesch: Jetzt muss ich mal persönlich werden: Mir wird es bei manchen wissenschaftlichen Berührungen mit der Natur ganz merkwürdig zumute, zum Beispiel, wenn Atome gespalten werden oder auch bei anderen Kernphysik-Kunststücken. Da wird in etwas eingegriffen, das schon Milliarden Jahre alt ist. Die Atome sind in Sternen entstanden, nach einem ganz alten Rezept der Natur, gewisse Strukturen zu bilden. Heutzutage ist es jedoch weniger die Kernphysik, die uns umtreibt, sondern eher die Biotechnologie. Auch da beschleicht mich dieses Gefühl: Au Backe! Ich will gar nicht sagen, dass das mit Angst zu tun hat, es ist vielmehr die Überzeugung, dass wir etwas berühren, das im Grunde genommen gar nicht für einen Eingriff vorgesehen ist. Wir schrauben fröhlich an molekularen Prozessen herum und sind einerseits alle sehr dankbar, wenn dabei die entsprechenden medizinischen Erfolge herauskommen, andererseits wissen wir aber nicht so genau, was das eigentlich für Konsequenzen hat. Was sind die Konsequenzen, wenn wir die Natur so frisch und frei manipulieren, wenn wir die Bedingungen, unter denen etwas passiert, nicht mehr der Natur überlassen und damit dem Zufall Tür und Tor öffnen?
Schwartz: Der Mensch wird zwar so immer noch nicht zum Schöpfer, obwohl er es gern wäre, aber Mitschöpfer ist er schon längst geworden. Das bist du schon, wenn du ein Kind zeugst, dann bist du in einer gewissen Weise Mitschöpfer, in einem übertragenen Sinne. Schöpfer ist einer, so sehen wir Theologen es, der bei allem, was er schafft, Freiheit und Entwicklungsmöglichkeiten mitgibt. Mir scheint die heutige Wissenschaft eher in die Rolle des Produktionsmanagements oder des Producers hineingeschlüpft zu sein. Das hat mit dem eigentlichen Schöpfer und damit auch mit dem gottesebenbildlichen Geschöpf, das der Mensch ursprünglich sein soll, gar nichts mehr zu tun; das entspricht nicht mehr dem Gottesbegriff. Manchmal will die Wissenschaft so werden wie Gott. Warum wollen diese Wissenschaftler nicht erst einmal Menschen werden? Das ist doch die naheliegende Aufgabe. Auch stellt sich die Frage, was für ein Gottesbild und was für ein Menschenbild sich da herausschält. Ist da nicht so was Mechanistisches dahinter, zu dem es keine emotionale Verbindung und damit auch keine ethische Verantwortlichkeit gibt?
Lesch: Ja, hier wird es natürlich immer sehr schwierig. Was ist der Mensch? Die Diskussionen um diese Fragestellung teilen sich im Grunde genommen in diese klassischen drei Fragen von Kant auf: Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Was soll ich tun? Die letzte Frage nenne ich eine „Spiegelfrage“. Ihr muss sich jeder Wissenschaftler, egal welcher Disziplin er nun angehört, vor seinem inneren Spiegel stellen. Diesem Blick kann man sehr gut ausweichen, indem man nichts anderes macht, als einfach seine Forschung zu betreiben. Augen zu – und durch!
Schwartz. Damit weicht man der Frage nach der Verantwortung als Mensch geschickt aus. Und erst recht findet sich damit keine Antwort auf die Frage: Was bin ich als Mensch?
Lesch: Was die Wissenschaft betrifft – die eine Art von Produktionsprozess darstellt –, bin ich völlig bei dir. Da ist sehr viel verloren gegangen von dem, was früher mit den freien Künsten verbunden war. Die Wissenschaft war ein Raum, in dem die Leute kreativ werden konnten. Heutzutage heißt es vielmehr: Ich gehe jetzt einen winzig kleinen Schritt nach vorne auf den Wegen, die sowieso schon vorgetrampelt worden sind. Ein mutiger Schritt in eine völlig neue Richtung ist schon die ganz große Ausnahme.
Schwartz. Halt! Bei deinem Lamentieren war etwas dabei, was den Menschen wirklich auszeichnet. Er ist ein kreatives Lebewesen. Das unterscheidet ihn von vielen anderen Zwei-, Vier- und Vielbeinern. Einige von denen benutzen zwar auch Instrumente – wie Schimpansen, die mit kleinen Stöckchen Ameisen aus ihrem Bau locken. Der Mensch aber kann mit seiner Kreativität die Welt erfassen und gestalten und mit der Technik, die Ausdruck seiner Kreativität ist, manchmal sogar ganz neu zusammenbauen.
Lesch: Deshalb kann er eben auch Neues schaffen!
Schwartz: Wenn man sich in diesem Zusammenhang wieder das Gottesbild in Erinnerung ruft, macht ihn das in einer gewissen Weise doch wieder zum Ebenbild Gottes. Er kann Neues schaffen – das aber wiederum nicht aus dem Nichts.
Lesch: Es muss schon etwas da sein, worauf man aufbauen kann.
Schwartz: Dinge, die – einzeln betrachtet – zumindest zunächst nicht zwingend etwas miteinander zu tun haben müssen, können zu etwas Neuem verbunden werden.
Lesch: Es gehört beides dazu. Das Handeln und das Stehenbleiben im wahrsten Sinne des Wortes, das Reflektieren. Dazu noch jede Menge Gottvertrauen darauf, dass das Neue schon irgendwie klappen wird. Auch die äußeren Umstände müssen passen, die Inspiration, die Idee oder die Motivation. Betreib doch mal Physik mit Zahnweh – du bist einfach nicht gut dabei. Der Geistesblitz, der möglicherweise bei guter Laune sofort bei dir eingeschlagen hätte, wird beim Toben dieses blöden Weisheitszahns oben rechts voll daneben gehen.
Schwartz: Keine bahnbrechende Entdeckung!
Lesch: Genau! Wenn Gott in seiner sechstägigen, arbeitsreichen Woche Zahnschmerzen gehabt hätte, wäre es wohl nichts geworden mit unserer schönen Welt.
Schwartz: Aber offensichtlich ist es doch ganz gut gelaufen.
Lesch: Er hatte eben kein Zahnweh. Zurück zu unserer Eingangsfrage – was ist der Mensch? Die Antwort kann nicht eindimensional sein, sondern es zeigen sich verschiedene Schichten, wie bei einer dicken Sahne-Torte, denen unterschiedliche Bedeutungen zukommen.
Schwartz: Du kannst das auch Perspektiven nennen, also Hinsichten. Es kommt darauf an, wo ich gerade genauer hinschaue. Schaue ich auf das Feld der Biochemie, dann wird das …
Lesch: … dann kommt nur der Atom-Brei durch, aus dem wir zusammengesetzt sind.
Schwartz: Schaue ich aber auf das Feld der Vernunft, da erscheinen die verschiedensten menschlichen Möglichkeiten des Denkens und Forschens, die Philosophie wie auch Naturwissenschaften und die Theologie. Schauen wir auf die Kreativität des Menschen, die Welt zu gestalten, dann erkennen wir eben nicht nur Handwerk, sondern auch Kunst, auch Musik. Zur Charakterisierung des Menschseins gehört ebenfalls, dass er ein animal transcendentale ist. Das bedeutet, dass der Mensch in der Lage ist, über sich selbst und die Welt zu reflektieren und dabei Bezüge zu einem Größeren als er selbst, nennen wir es der Einfachheit halber „Gott“, herzustellen. Er ist also einer, der über sich hinaus noch weiterfragen kann. Allein schon die Frage: „Was ist der Mensch?“, ist eine transzendentale Frage.
Lesch: Es ist keine Frage, die zur sinnlich erfassbaren Welt gehört.
Schwartz: Zu dieser Frage ist der Mensch nur deshalb befähigt, weil er tatsächlich mehr ist als eine Kohlenstoffeinheit.
Lesch: Da scheint etwas wirklich Zauberhaftes dahinterzustecken. Zum einen unterhalten wir uns über Theologie und Wissenschaften und Naturgesetze und vieles mehr. Zum andern: Wenn ich einen Außerirdischen treffe und fest davon überzeugt bin, dass die Naturgesetze, die ich kenne, überall im Universum die gleichen sind, dann rede ich doch mit dem nicht über Physik. Die Sachen kenne ich ja schon. Ich will wissen: Was für eine Musik hast du? Welche Bilder malst du? An welche Götter glaubst du? Diese sogenannten weichen Wissenschaften, die sind bei einem solchen Gespräch sehr wichtig. Auf der anderen Seite kann der Mensch sich aber auch so blöde Fragen stellen, wie Kant das tut – schon wieder der alte Immanuel: „Was ist der Mensch?“ Das ist so schön knapp und schlicht formuliert, aber unsere Vernunft weiß von vornherein, dass sich das so einfach nicht beantworten lässt. Gehört das mit dazu, wenn man Gottes Ebenbild ist? Verweist es auf etwas jenseits der Möglichkeiten unserer Erkenntnis?
Schwartz: Dass der Mensch die Frage stellen kann, ja. Er denkt, da muss es doch noch etwas geben, was mich toppt. Diese Fähigkeit, so etwas zu fragen, die ja auch Reflexion bedeutet, die macht ihn doch noch deutlicher zum Menschen und unterstreicht seine Sonderstellung in der uns bekannten Welt.
Lesch: Man könnte natürlich an dieser Stelle die These wagen, dass das alles nur möglich ist, weil wir nein sagen können, weil wir eben etwas negieren können: Nein, das ist nicht die Grenze, da ist noch was davor. Du kannst mir mit irgendeinem Schöpfungs-Anfang kommen und ich sag‘ nein, da ist noch was davor, da ist noch was außerhalb. Es muss etwas jenseits dieser Welt geben, weil wir nein dazu sagen können.
Schwartz: Da landen wir dann irgendwann bei den rationalen Argumentationsketten, die wirklich zu nix mehr führen.
Lesch: Genau, das kann es nicht sein! Aber das Irre ist doch, dass wir als ein Ebenbild Gottes – nehmen wir das mal so hin, wie du es sagst – uns pausenlos damit beschäftigen, die eigene Existenz zu begründen. Auf der anderen Seite stellen wir aber auch Fragen, die von vornherein ins Jenseits unseres Erkenntnishorizonts zielen. Das kommt mir so vor, als ob man in einer Blase drinsteckt, zappelt und gegen die Wände boxt: Wie komme ich hier raus?
Schwartz: Wie das Kind in der Fruchtblase! Aber wenn es dann rauskommt …
Lesch: … dann kriegt es erst mal eins auf den Hintern.
Schwartz. Aber es lebt nun! Das ist übrigens einer der philosophischen Versuche, den Sündenfall zu erklären. Der Mensch als Ebenbild Gottes muss sich emanzipieren. Gottes Hand loslassen ist Emanzipation. Wir lassen also Gottes Hand los und greifen selbst nach der Welt. Insofern ist der Mensch gerade dann Ebenbild Gottes, wenn er zur Emanzipation in der Lage ist. Dazu zählt auch das Neinsagen: Nein, ich will jetzt nicht glauben, ich brauche den Gedanken an Gott nicht. Auch darin zeigt sich die Gottebenbildlichkeit. Für den Christen, für den Theologen, zeigt der Mensch gerade damit seine Fähigkeit, er zeigt das Geschenk der Ebenbildlichkeit mit Gott. Er hat die Möglichkeit, nein zu sagen. Ein Hund kann das nicht. Der kann nur mit dem Schwanz wedeln oder knurren.
Lesch: Stimmt. Fassen wir zusammen!
Schwartz: Der Mensch ist ein Neinsager, fähig zum Neinsagen. Er ist darüber hinaus kreativ und transzendent, denn er kann sich selbst „übersteigen“, indem er über sich und die Welt und manchmal über Gott nachdenkt.
Lesch: Er kann sich aber auch selbst überschätzen. Welches lateinische Wort haben wir für die Überschätzung?
Schwartz: Superbia – man könnte auch Hochmut sagen. Der Mensch ist darüber hinaus ein rationales Wesen, ein Wesen, das seine Vernunft gebrauchen soll, die aber zugleich immer auf Verantwortung ausgelegt ist.
Lesch: Als Schlusswort möchte ich sagen: Der Mensch ist eine Mischung aus gesundem Menschenverstand und hoffentlich Gottvertrauen.
Schwartz: Das klingt doch gut.
Reden über Gott und die Welt

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