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Ist der Evolutionsgedanke selbst metaphysisch?
ОглавлениеSchließlich könnte man der Frage nachgehen, ob die Idee der Evolution selbst eine metaphysische Idee ist.24 Wie üblich sollten wir hier unterscheiden zwischen dem Evolutionsbegriff der Biologie und einem allgemeineren Evolutionsbegriff, der auf vieles oder sogar auf alles anwendbar sein soll. KARL POPPER hat ja zeitweise sogar DARWINS Evolutionstheorie als metaphysisches Forschungsprogramm bezeichnet, weil sie nicht prüfbar, jedenfalls nicht falsifizierbar sei. Hierin hat er sich geirrt, und er hat sein Urteil, das viele als Verurteilung empfanden, ausdrücklich widerrufen.25 Das ist allerdings nur wenigen bekannt.
Anders sieht es aus, wenn wir einen allgemeinen Evolutionsbegriff verwenden. Hier seien, so heißt es, die Hypothesen nicht immer prüfbar; vielmehr trage man ein Ordnungsschema an die Beobachtungstatsachen heran. Aber was ist daran eigentlich metaphysisch? Soweit es um bestimmte Phasen der Evolution geht, um die Entwicklung von Galaxien, Sternen, Planeten oder Biomolekülen, um die Entwicklung von Kulturen, Bräuchen, Religionen oder Wissenschaften, handelt es sich in jedem Einzelfall um eine heuristische Annahme, nämlich um die Vermutung, diese Entwicklung folge ganz bestimmten Gesetzen, die es dann zu formulieren und zu prüfen gilt. Über diese Gesetze ist zunächst nur wenig bekannt; wir wissen nur, dass sie Vorgänge in der Zeit beschreiben und zudem eine bestimmte Richtung in der Zeit auszeichnen. (Sonst würden wir nämlich nicht von Evolution sprechen.) Diese Gesetze können dann ihrerseits prüfbar sein – oder auch nicht. Das aber ist in den Erfahrungswissenschaften der Normalfall! Metaphysisch wird der Evolutionsgedanke dadurch nicht.
Trotzdem kann man hier ein metaphysisches Element diagnostizieren: Es beruht auf der Vagheit des Evolutionsbegriffs. Wenn sich eine vorgeschlagene evolutionäre Theorie nicht bewährt, dann können wir immer wieder nach neuen Gesetzen und Bedingungen suchen, nach denen die vermutete Evolution ablaufen könnte. Für diese Suche haben wir einen großen Spielraum. Die Vermutung, dass es sich dabei um irgendeine Art von Evolution handelt, brauchen wir deshalb nie aufzugeben, solange wir den Evolutionsbegriff definitorisch nicht ernsthaft einschränken. Wir können diese Vermutung also auch kaum falsifizieren. Insofern ist die allgemeine Evolutionsidee tatsächlich metaphysisch. Sie ist eine metaphysische Leitidee, die sich in überraschend vielen Fällen als äußerst nützlich erwiesen hat. Daraus folgt allerdings nicht, dass sie auf alles anwendbar ist. Schon in dem frühen Kapitel 2.2 wurde klar: Alles ist in Evolution außer den Evolutionsgesetzen! Das wiederum zeigt, dass die Idee einer allgemeinen Evolution zwar nicht streng widerlegbar, aber doch wirksam kritisierbar ist. Wir dürfen sie somit zur guten Metaphysik rechnen.