Читать книгу Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810 - Harald Rockstuhl - Страница 5
Zum Geleit
ОглавлениеAls mir die Urschrift dieses Buches zuerst in die Hand kam – ein schweinslederner Foliant von über achthundert engbeschriebenen Seiten – überraschten mich schon beim flüchtigen Durchblättern der lebendige Stil, die unterhaltsame Reichhaltigkeit des Inhalts – wie ich mehr und mehr mich hineinlas, nahm die bezwingende Wahrhaftigkeit dieser menschlichen Urkunde mich ganz gefangen.
Rein äußerlich betrachtet, ist die schöne, klare Handschrift schon bezeichnend für den Mann, der im April 1859, im Alter von 72 Jahren, den Entschluß faßt, die Geschichte seiner Entwicklungs- und Wanderjahre für Kinder und Enkel aufzuzeichnen. Sorgfältig bewahrte Tagebücher und ein geradezu erstaunliches Gedächtnis unterstützen ihn bei dieser großen Arbeit, zu der ihn keinerlei lehrhafte oder moralische Nebenabsicht, nein, einzig nur die ihm angeborene Erzählerfreude drängt. Er möchte seinen Nachfahren ein Bleibendes hinterlassen, das mit ihnen von seines Lebens Erleben plaudern soll, wenn sein Mund es nicht mehr kann – und wahrlich! das ist ihm gelungen.
Ein erfrischender Mutterwitz, eine Unmittelbarkeit und Treffsicherheit des Ausdrucks, eine Bildhaftigkeit der Darstellung sind ihm eigen, die hier und da an Goethesche Art gemahnen. Soviel Gestalten auch vorüberziehen – alle sind von Fleisch und Blut. Mit ein paar Sätzen, oft ein paar Worten nur, stellt er einen Menschen und sein Wesen greifbar hin; seine eigenen, wohlerkannten, Tugenden und Schwächen zeichnet der Schreiber manchmal mit leisem Spott, stets aber frei von eitler Selbstgefälligkeit wie von heuchlerischer Bemäntelung.
Ein leises Schalkslächeln in den Augen, die so tief in Menschliches hineingesehen, schaut er von der Höhe eines friedlichen Alters hinab in das sonnige Tal seiner Jugend – die sorglosen Kinderjahre, der Frieden eines gut protestantischen Elternhauses, das Auf und Ab der Landstraße, vielverschlungene Wanderwege mit ihren Schönheiten, Schrecknissen und Abenteuern, eigene und fremde Schicksale, nicht zuletzt die Irrungen eines für Frauenreiz sehr empfänglichen Herzens – alles das drängt sich, aufs neue lebendig, vor den Sinnenden hin und getreulich hält seine Feder es fest. Schreibend wird er, der allzeit offenen Auges seine Straße gegangen, unmerklich auch zum Chronisten seiner Umwelt und so stellt diese Niederschrift, als Ganzes betrachtet, einen höchst fesselnden Ausschnitt aus dem Kulturbild jener Zeit dar.
Uns Heutige mag es wenig erbauen, daß er, der Kursachse, dem Preußen fast fremder gegenübersteht als dem Franzosen, dessen Sprache und Art er bewundert; ja, wir können es geradezu als Mangel empfinden, daß sich der junge Schwärmer nie von Deutschlands innerer und äußerer Not im Tiefsten erschüttert, nie zu befreienden Taten hingerissen zeigt – doch entspricht dies durchaus dem Charakter einer Zeit, die Deutsche an der Seite Napoleons gegen Deutsche kämpfen sah, entspricht vor allem auch dem Wesen des damaligen Kleinbürgers, dem es ziemlich gleichgültig war, wer oben regierte, wenn nur das eigene Sein und Behagen unangetastet blieb. Nichts kann die natürliche Wahrhaftigkeit des Verfassers besser kennzeichnen als die Tatsache, daß er in seinem Erinnerungsbuche niemals den leisesten Versuch macht, die Denkart seiner Jünglingsjahre in deutschem Sinne umzufärben, obwohl er inzwischen den Niederbruch Frankreichs und den Wiederaufstieg deutschen Geistes erlebt hat. –
Christian Wilhelm Bechstedt starb im Jahre 1867 zu Langensalza als Bäckermeister in dem Hause, worin schon sein Urgroßvater (geb. 1674, gest. 1747) das gleiche Handwerk betrieb und heute noch ein Enkel es fortsetzt. Von einem Gedrucktwerden seiner Aufzeichnungen hat sich der ehrsame Handwerksmeister wohl nie träumen lassen; dafür spricht schon der rückhaltlose Freimut, womit er über seine mannigfachen Liebesabenteuer berichtet. –
Erst nach langem Zögern haben seine Nachfahren den dankenswerten Entschluß gefaßt, den sorglich gehüteten Familienschatz der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Sie gingen dabei mit Recht von der Erwägung aus, daß es um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts in Adels- und vornehmen Bürgerkreisen der Memoirenschreiber genug gab, die von ihrer Denk- und Lebensweise Kunde wahrten, dagegen handschriftliche Zeugnisse aus der Welt des kleinen Mannes höchst spärlich vorhanden sind. Wo sonst hätte ein wandernder Handwerksbursche viele Jahre hindurch ein Tagebuch geführt und es später zu solchem Erinnerungswerk ausgebaut, wie es hier vorliegt?!
Eine gewisse Gunst der Umstände ermöglichte es diesem lebhaften und liebenswürdigen, stets aufnahmebereiten und mitteilsamen Geiste, sich eine Bildung zu erwerben, die weit über seinen Stand hinausging – die aber Voraussetzung war für die Abfassung einer solchen Schrift. Der Schreiber selbst ist sich seiner erhöhten Genuß- und Urteilskraft mit Genugtuung, doch ohne Überheblichkeit bewußt; stets spricht aus seinen Aufzeichnungen der im Grunde schlichte Mann, der das vererbte und erlernte Handwerk mit Lust und Liebe ausübt und fest in dem Boden wurzelt, worauf er steht. Schade, wenn die einzigartige Urkunde, die er hinterließ, im Familienschrein vermodert wäre! –
Meine Aufgabe war es, die breite Behaglichkeit der Erzählung hier und da zum Vorteil des Ganzen zu kürzen, ohne Wesentliches auszuschalten. Die alte, unser Auge störende Rechtschreibung habe ich durchgängig nicht übernommen; die Echtheit des Buches ist so unzweifelhaft, daß sie durch solche Äußerlichkeiten nicht bewiesen zu werden braucht.
Potsdam, im März 1925 Charlotte Francke-Roesing
Langensalza, April 1859
Heute nehme ich mir vor, für meine Kinder
und Enkel die Erlebnisse meiner Wander-
jahre aufzuschreiben. Ich werde alles, worauf
ich mich noch besinnen kann, so genau wie
möglich angeben. Man hat ja nicht immer
Lust zum Schreiben; wenn mir aber der liebe
Gott noch eine Reihe Jahre das Leben
schenkt, so wird dies Buch wohl fertig
werden.
C. W. Bechstedt
Kartenausschnitt: Die Königreiche von Sachsen und Westphalen 1808. (Reprint im Verlag Rockstuhl).
Langensalza gehörte damals zu Sachsen. Nach der Frage, woher er komme, sagte Christian Wilhelm Bechstedt immer: „Ich komme aus Langensalza in Sachsen“. Mit der Neugliederung der preußischen Monarchie nach Napoleons Niederlage kam Langensalza 1816 zu Preußen.