Читать книгу Die Gefangene des Königs - Harry Voß - Страница 5
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1. Dezember
Lisa, Timo und Florian, der von seinen Freunden nur Flo genannt wurde, gingen in dieselbe Klasse im vierten Schuljahr und sie wohnten in derselben Straße. Darum warteten sie jeden Morgen um halb acht in ihrer Straße aufeinander, bis jeder von ihnen aus dem Haus gekommen war.
Um kurz vor halb acht kam Lisa aus dem Haus und wartete auf die anderen beiden. Lisa war nicht nur die älteste von den dreien, sondern auch die pünktlichste. Sie war schon zehn Jahre alt, während Flo und Timo gerade erst neun geworden waren. Lisa war immer top modern gekleidet und trug mit Stolz ihren neuen coolen Schulranzen. Um halb acht kam Flo dazu.
Zuletzt kam Timo in wilder Hektik aus dem Haus gestürzt.
Die drei gingen los und mussten sich ab jetzt beeilen.
„Was war in eurem Adventskalender drin?“, fragte Flo, während sie gemeinsam die Straße entlang gingen.
„Ein pinkes Regenbogen-Einhorn“, antwortete Lisa.
„Bei mir war ein Internet-Code im Adventskalender, mit dem ich bei einem Gewinnspiel für einen neuen PC mitmachen kann“, erzählte Timo. „Und was war in deinem, Flo?“
„Eine Ente. Aus Schokolade natürlich.“ Bis eben gerade hatte Flo sich noch darüber gefreut. Aber jetzt kam es ihm so vor, als hätte er den langweiligsten Adventskalender der Welt.
Plötzlich blieb Flo stehen und schaute sich um: „Hat hier gerade jemand gegen eine Fensterscheibe geklopft?“
Lisa und Timo sahen sich ebenfalls um. „Ich habe nichts gehört.“
„Doch, doch.“ Die drei Kinder drehten sich nach allen Seiten um.
Es klopfte wieder. Jetzt hörten es auch die anderen.
Aber an keinem der Fenster stand jemand, um ihnen zu winken oder etwas anderes mitzuteilen.
„Es kommt von oben!“, rief Lisa.
Alle schauten hoch. Sie standen gerade vor dem Haus von Herrn König. Herr König war ein mürrischer alter Mann, der ganz allein in einem großen Haus wohnte. Sein Haus grenzte zwar mit einer Wand direkt an den Gehweg, doch der kleine Hof neben dem Haus war durch einen zwei Meter hohen Bretterzaun so abgeriegelt, dass niemand hinein schauen konnte. Die Haustür befand sich an der seitlichen Hauswand und war nur durch den Innenhof zu betreten. Das große Hoftor war immer verschlossen. Letztes Jahr hatten Flo und seine Freunde einmal beim Fußballspielen aus Versehen einen Ball über den Zaun geschossen. Den hatte Herr König mehrere Wochen lang nicht rausgerückt. Eigentlich sah man Herrn König nur, wenn er seine Mülltonnen an den Straßenrand stellte.
Aber heute hatte es eindeutig am oberen Fenster seines Hauses geklopft. Als Lisa, Timo und Flo nach oben schauten, gerieten sie ins Staunen. Hinter dem Fenster stand … ein Mädchen! Vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Das Mädchen hatte beide Hände an die Scheibe gedrückt. Anscheinend stand es schon sehr lange da. Die Scheibe war von seinem Atem völlig beschlagen. Als das Mädchen merkte, dass die drei hier unten sie entdeckt hatten, riss es aufgeregt seine Augen auf und rief irgendetwas hinter dem verschlossenen Fenster. Es bewegte eindeutig die Lippen.
„Verstehst du, was sie ruft?“, fragte Lisa.
„Nö.“ Timo schüttelte den Kopf.
„Wenn man sich die Bewegung der Lippen anschaut, könnte es ‚Hilfe!‘ heißen“, riet Flo.
Lisa und Timo schauten ihn erschrocken an. „Meinst du wirklich?“
„Ist natürlich nur eine Vermutung“, sagte Flo. „Aber seht euch doch mal an, wie die guckt! Total verzweifelt!“
„Schaut mal“, bemerkte Lisa, „jetzt schreibt sie was mit den Fingern an die Scheibe!“
Alle starrten nach oben.
„Das erste ist ein H“, erkannte Flo. „Jetzt macht sie einen Strich, wie ein I!“
„Könnte auch ein anderer Buchstabe sein“, fand Lisa.
„Das nächste ist aber ein L!“, schrie Flo. „Es wird das Wort Hilfe! Seht ihr? Sie hat Hilfe geschrieben!“
Timo kratzte sich an seiner grünen Bommelmütze. „Warum schreibt sie ‚Hilfe‘?“
„Das finden wir heraus“, sagte Flo. „Kommt, wir klingeln bei Herrn König und fragen ihn, was das zu bedeuten hat!“
„Wir müssen zur Schule!“, drängte Lisa. „Wir sind sowieso schon viel zu spät dran! Lasst uns heute Mittag auf dem Rückweg fragen!“