Читать книгу Ben und Lasse - Agenten ohne heiße Spur - Harry Voß - Страница 6

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Mittwochmorgen, acht Uhr. 25 Schülerinnen und Schüler stehen mit 25 monstergroßen Koffern und Reisetaschen vor der Schule und schreien aufgeregt durcheinander. Ein Reisebus parkt am Straßenrand. Mehr als 25 Elternteile stehen zwischen den Koffern und Taschen und geben dem Busfahrer Anweisungen, der prustend und schwitzend eine Tasche nach der anderen in dem unteren Gepäckraum des Busses verstaut.

Meine neue, blaue Sporttasche halte ich noch in der Hand. Mama hat sie mir gestern gekauft, weil ich mich beschwert habe, dass das kleine Köfferchen aus der Grundschulzeit mit Olaf, dem Schneemann aus der „Eiskönigin“, drauf für einen Fünftklässler nicht mehr cool ist. Mein Kulturbeutel mit der Zahnbürste und so weiter hat aber noch einen „Bob der Baumeister“ aufgedruckt. „Den kann man noch nehmen“, hat Mama entschieden. Ich finde das auch nicht so schlimm. Wenn ich den Kulturbeutel so zum Waschraum trage, dass man den Aufdruck nicht sieht, werde ich auch nicht für ein Baby gehalten. Babyhaft ist eigentlich auch Roddy, der kleine Teddy, den ich immer noch in meinem Bett liegen habe. Den habe ich heimlich eingepackt und den muss ich heute Abend irgendwie unter mein Kopfkissen schmuggeln. Ist eigentlich peinlich, ich weiß. Passt nicht zu einem Fünftklässler. Aber ein Mann muss sich ja immer noch ein bisschen Kindheit bewahren, hab ich mal gehört. Und Roddy ist ein Geschenk von Oma Mechthild, den ich bekommen habe, kurz bevor sie gestorben ist. Das ist schon viele Jahre her, aber ohne Roddy kann ich nicht einschlafen.

Wie auch immer – in der Hand halte ich meine absolut moderne und neue Sporttasche. Die sieht richtig cool aus und die hat bestimmt sonst niemand.

„Hast du deine Reisetablette genommen?“, fragt Beas Mutter nun schon zum dritten Mal und überreicht ihrer Tochter eine Liste. „Hier hab ich dir aufgeschrieben, in welcher Reihenfolge du welche Medikamente einnehmen musst. Dieselbe Liste hab ich auch Herrn Jung geben. Und eine gebe ich gleich noch Frau Baumann. Hörst du mir zu, Beatrix?“

Bea hört nicht zu. Sie trägt ein Klemmbrett mit einer eigenen Liste in der Hand und geht von einem Schüler zum anderen. „Sondra, hast du an die Federballschläger gedacht?“

„Ach so. Nö.“

„Und du, Jonathan, hast du die UNO-Karten dabei?“

„Sollte ich das?“ Jonathan kratzt sich am Kopf. „Ich hab eine Tüte Chips mitgebracht.“

„Das hab ich auch“, fällt Sondra ein.

„Ich auch“, kommt es von Hilko.

„Du, Hilko, wolltest laut Liste ‚Mensch ärger dich nicht!‘ mitbringen.“

„Hab ich nicht.“

Bea rauft sich die Haare. „Hat hier denn überhaupt jemand etwas von den Sachen mitgenommen, die auf der Liste stehen?“

Beas Mutter tippt ihr auf die Schulter: „Hast du deine Reisetabletten genommen?“

Bea stöhnt auf: „Nein. Das stand nicht auf meiner Liste.“

Felix stößt mir in die Seite: „Schau mal, Ben, ich hab dieselbe Reisetasche wie du!“

Er zeigt mir seine neue blaue Sporttasche. Genauso eine trage ich auch in der Hand. Hoffentlich verwechseln wir die nicht.

Raul steht neben Felix und tippt ihn an: „Das heißt nicht dieselbe, sondern die gleiche.“

Felix schaut ihn erstaunt an. „Wieso? Es ist doch dieselbe Tasche.“

„Nein, die gleiche. Die gleichen sich ja nur. Wäre es dieselbe, dann wäre es genau dieselbe.“ Dann hält er seine eigene blaue Sporttasche in die Höhe und zeigt sie uns. „Ich hab übrigens auch die gleiche.“

„Cool“, sagt Felix, „dieselbe wie meine.“

„Nein, nicht dieselbe. Die gleiche.“

Felix schüttelt den Kopf. „Ist doch dasselbe.“

Plötzlich steht Torben neben uns und bohrt in der Nase. „Ist ja lustig, ihr habt dieselbe Tasche wie ich. Aber ich kann meine immer aus allen herausfinden. In unserem letzten Urlaub hatte ich den ganzen Flug über die Tasche auf dem Schoß. Da hab ich die ganze Zeit an dem Trageriemen gekaut. Jetzt ist der viel heller als die Griffe der anderen. Seht ihr?“ Er zeigt auf seine Tasche, die irgendwo mitten unter den anderen steht. Nicht nur der Griff – die ganze Tasche sieht aus, als hätte sie jemand im Mund gehabt und stundenlang gekaut. Blass, verknautscht und ausgelutscht. Richtig ekelhaft. Die könnte ich niemals mit meiner verwechseln.

„Es ist nicht dieselbe Tasche“, belehrt Raul ihn, „sondern die gleiche. Die gleichen sich nämlich nur.“

„Nee, die gleichen sich nicht“, sagt Torben und schaut sich den Popel an, den er gerade aus der Nase gezogen hat. „Meine sieht ganz anders aus.“

„Das stimmt“, sagen Felix und ich gleichzeitig.

Frau Schuldlos presst ihre Hände so auf die dicken Backen ihres Sohnes Mats, dass sein Gesicht aussieht wie ein Hamster. „Mach’s gut, mein Kleiner“, sagt sie. Mats ist weder klein noch dünn. Frau Schuldlos auch nicht. Sie knetet die Wangen von Mats, als wollte sie daraus Kuchen backen. „Pass auf dich auf.“

„Mach ich“, kommt es aus dem zu einer kleinen Schnute zusammengequetschten Mündchen von Mats.

„Hast du genug Süßigkeiten dabei?“, forscht die Mutter weiter.

„Ja. Die ganze Tasche voll.“

„Prima. Dann lass es dir gut gehen.“ Sie presst noch mal seine Backen zusammen und schüttelt den Kopf ein paarmal hin und her. „Und pass auf dich auf.“

„Mach ich.“

Frau Heberlein zieht einen Staubfussel von Sofies Schulter: „Und ruf an, wenn ihr angekommen seid.“

„Ja, Mama.“

„Und mach dich nicht schmutzig.“

„Nein, Mama.“

„Und hör auf das, was Herr Jung euch sagt.“

„Ja, Mama.“

„Und mach keinen Ärger.“

„Nein, Mama.“

Frau Siegreich hat nasse Wangen vom Heulen. Sie küsst ihre Tochter auf die linke Wange. „Tschüß, mein Schatz.“

Deborah weint auch. „Du sollst noch nicht gehen.“

Frau Siegreich küsst Deborah auf die rechte Wange. „Nein, nein. Ich bleibe, bis ihr gefahren seid.“

„Gut.“

Frau Siegreich küsst Deborah wieder auf die linke Wange. „Gottes Segen.“

„Euch auch.“

Kuss rechts. „Ihr sollt leuchten als Lichter inmitten einer dunklen Welt.“

„Ich weiß.“

Kuss links. „Sei ein Segen für deine Mitmenschen.“

„Ja.“

Sofie steht neben Deborah: „Sitzt du im Bus neben mir?“

Deborah nickt. Ihre Mutter hört auf zu küssen. „Tschüß, mein Schatz.“

Deborah geht mit Sofie auf den Bus zu: „Du sollst noch nicht gehen.“

„Nein, nein. Ich bleibe, bis ihr gefahren seid.“

„Gut.“

Deborah steigt hinter Sofie ein. Die Mutter winkt. „Gottes Segen!“

„Euch auch!“, kommt Deborahs Stimme aus dem Bus. Dann ist sie nicht mehr zu sehen.

Frau Siegreich steht mit verheultem Gesicht inmitten der Koffer und Reisetaschen und sagt ihren letzten Spruch viel zu leise, als dass Deborah ihn hören könnte: „Ihr sollt leuchten als Lichter mitten in einer dunklen Welt!“

„Platz da!“, brummt der Busfahrer und stößt Frau Siegreich zur Seite. „Wie soll man denn hier ordentlich einräumen können?“

„Alle einsteigen!“, ruft Herr Jung.

Das Chaos und Geschrei wird noch größer.

Lasse steht vor mir: „Ben, sitzt du neben mir?“

„Ich wollte eigentlich neben Julian sitzen.“

Schon ist Mama dazugekommen und nimmt Lasse an die Hand: „Komm, Lasse, wir setzen uns ganz vorne hin.“

„Sollen wir nicht neben Ben sitzen?“

Mama stupst ihm mit dem Zeigefinger an die Nase: „Wir hatten doch gesagt, Ben stärkt die Klassengemeinschaft, du löst die Kriminalfälle.“

„Ach ja, richtig!“ Lasse tippt sich wie ein Soldat an die Stirn. Dann greift er an ein kleines Täschchen, das an seinem Gürtel steckt. „Hab ich dir eigentlich schon meine Agententasche gezeigt, Ben? Die hab ich mir gestern von meinem Taschengeld gekauft!“

„Nein. Was ist das?“

„Agenten-Grundausrüstung!“ Er zieht das schwarze Täschchen von seinem Gürtel ab. „Alles, was ein Geheimagent braucht. Hier, schau selbst nach!“ Er hält mir das Päckchen hin.

Ich öffne den Reißverschluss. Heraus purzeln eine kleine Plastik-Lupe, ein Stift, ein Blöckchen, ein Mini-Pinsel und eine Mini-Taschenlampe, der ich schon auf den ersten Blick ansehe, dass nach fünf Minuten leuchten die Batterie leer sein wird. Außerdem sind da noch Plastikhandschuhe, ein Döschen mit Kohlestaub und ein kleiner Plastikbeutel mit Reißverschluss-Leiste. Ich halte den leeren Plastikbeutel in die Luft. „Wofür braucht man das?“

„Um die Beweisstücke hineinzulegen. Das weißt du doch.“

„Ach ja.“ Ich grinse und gebe ihm das Päckchen zurück. „Du bist ja gut ausgerüstet, Agent Lasse.“

„Muss ich doch auch, wenn ich die Kriminalfälle lösen will!“

Plötzlich stehen Torben, Tobias, Christina und Sarah um uns herum.

„Boah, cool, was hast du da?“, fragt Torben.

„Eine Agenten-Spezialausrüstung. Kann ich dir gleich im Bus mal zeigen!“

Torben schaut mich an: „Dein Bruder ist echt cool.“

„So süß!“, sagt Sarah und beugt sich wie eine Erzieherin zu Lasse nach unten. „Zeigst du sie mir auch gleich mal?“

„Klar! Und ich kann euch erzählen, welche Kriminalfälle Ben und ich schon alle gelöst haben!“

Ich schaue ihn streng an: „Brems dich, Lasse!“

„Okay.“ Lasse schaut Sarah an und zwinkert mit einem Auge. „Ich erzähle nur ein bisschen. Denn eigentlich bin ich ja nicht dafür zuständig, die Klassengemeinschaft zu stärken. Aber wenn es dir langweilig ist, fällt mir bestimmt was Lustiges ein.“

Endlich steigen wir alle in den Bus ein. Die Fahrt geht los. Ich bin Mama sehr dankbar, dass sie mir meinen Erstklässler-Bruder ein bisschen vom Leib hält.

Ben und Lasse - Agenten ohne heiße Spur

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