Читать книгу Ben und Lasse - Agenten ohne heiße Spur - Harry Voß - Страница 7

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Die Jugendherberge „Bodenwaldblick“ liegt wirklich mitten im Wald. Rundherum befinden sich eine große Wiese, ein Fußballfeld, eine Art Sportplatz, ein Grillplatz, ein großes aufgemaltes Schachbrett, ein gepflasterter Hof. Aber sonst Wald, wohin man nur schaut.

Sobald der Bus angehalten und die Türen geöffnet hat, strömen alle Schüler raus, als hätte es innen einen Feueralarm gegeben. Einige springen sofort über den Hof, andere klettern auf die Bäume, die dem Bus am nächsten stehen. Torben rennt zu dem Schachbrett, greift sich eine der Figuren, die wie ein Pferd aussieht, und versucht sich mit lautem Cowboygeschrei darauf zu setzen. Schon kommt ein bärtiger Mann aus dem Haus und ermahnt ihn: „Nicht draufsetzen! Davon gehen die Figuren kaputt!“

Der Busfahrer öffnet die Klappe unten am Bus und die ersten beginnen, ihre Taschen herauszuziehen. „Das mache ich!“, brüllt der Busfahrer mit hochrotem Kopf und holt schnaufend und schwitzend eine Tasche nach der anderen aus dem Gepäckraum. Mindestens vier Taschen, die so aussehen wie meine, liegen unten drin. Aber wenn ich vorhin beim Einräumen richtig aufgepasst habe, dann weiß ich, welche davon meine Tasche ist. Ich darf sie einfach nicht aus den Augen lassen, dann kann ich gleich nach ihr greifen. Auch bei den Mädchen sehen einige Taschen ähnlich aus. Sarah und Mimi streiten sich gerade um eine der Taschen und ziehen sie gleichzeitig jeweils an einem der Tragegriffe auseinander. „Das ist meine!“, schreit die eine. „Nein, meine!“, plärrt die andere. Mama steht mit Lasse bei Herrn Jung und unterhält sich mit ihm. Mama grinst dabei und hält ihre Hand vor den Mund, als sollte niemand sehen und hören, was sie da redet. Beide lachen manchmal. Machen die sich über uns lustig?

„Ben, kannst du mir bei meinem Koffer helfen?“, fragt mich Sofie, die direkt neben mir steht. Sie hat einen so großen Koffer auf Rollen, als wollte sie 14 Tage nach Australien reisen.

„Was hast du alles mitgenommen?“, frage ich erstaunt.

„Davon verstehen Jungen nichts“, zickt sie. „Hilfst du mir jetzt oder nicht?“

Wir fassen zu zweit den Griff ihres schweren Koffers und ziehen ihn bis zum Eingang des Hauses. Hier warten schon etliche von uns, die ihr Gepäck bereits gefunden haben. Als ich wieder zurück zum Bus komme, ist meine blaue Tasche von der Stelle, die ich mir gemerkt habe, verschwunden. Auf der Straße stehen noch viele weitere Koffer und Taschen. Eine davon sieht aus wie meine. Aber schon greift Raul zu und nimmt sie an sich.

„Bist du sicher, dass das deine ist?“, frage ich ihn.

„Ja“, antwortet er. „Das sehe ich an dem Schild.“ Er sucht ein Schild an der Seite, aber da ist keins. „Na sowas. Abgefallen. Es ist aber trotzdem meine. Das sehe ich.“ Damit verschwindet er. Dann sehe ich keine Tasche mehr, die aussieht wie meine.

Mama steht immer noch bei Herrn Jung, aber sie hat einen Koffer und eine blaue Sporttasche neben sich stehen. „Komm her, Ben!“, ruft sie. „Ich habe deine Tasche!“

Ich gehe zu ihr. Als ich die Tasche sehe, bekomme ich einen Schrecken. Es ist die abgelutschte, versiffte Tasche von Torben. „Mama, das ist nicht meine!“, entfährt es mir.

Mama schaut genauer hin: „Hat denn jemand die gleiche Tasche wie du?“

„Ja, ganz viele!“ Ich nehme die Tasche in die Hand und eile auf den Hauseingang zu. „Und ich weiß auch genau, wem diese hier gehört.“

„Ich habe mich schon gefragt, warum sie so blass aussieht“, sagt Mama noch.

Vor dem Haus lehnen zwei Jugendliche von mindestens 19 Jahren an der Wand und rauchen. „Vorsicht“, ruft mir der eine zu. „Nicht stolpern. Da liegt ein Ameisenknochen!“

Ich schaue auf den Boden vor mir. Da liegt nichts. Die beiden Jungen lachen dreckig. Ach so. Ein Witz. Kleine Fünftklässler ärgern. Ha, ha. Ich bemühe mich, mir nichts anmerken zu lassen und schaue absichtlich nicht mehr auf den Boden. Prompt stolpere ich über die einzige Stufe vor der Haustür. Beinahe wäre ich hingefallen. Die Jugendlichen lachen sich halbtot. Sie sind beide dünn, haben aber kräftige Oberarme. Sicher verbringen sie den halben Tag im Fitnessstudio. Der eine hat braune Haare, die ihm seitlich so ins Gesicht wachsen, dass sein linkes Auge nicht zu sehen ist. Der andere hat blonde, nach oben gestylte kurze Haare und tausend Sommersprossen. Beide haben ihre Zigarettenstummel nicht aus dem Mund genommen, während sie mich lauthals auslachen. Blöde Affen. Wenn die die ganze Zeit hier herumlaufen, hab ich jetzt schon keine Lust mehr auf die Klassenfahrt. Die Glastür steht offen. Ich gehe ins Haus und passe gut auf, dass ich mich nicht noch mal vor den Großen blamiere.

Drinnen betrete ich als erstes einen großen Flur, von dem aus mehrere Türen in unterschiedliche Richtungen führen, außerdem eine Treppe nach oben. Der Mann mit dem Bart steht in der Mitte des großen Flurs und zeigt abwechselnd auf die Treppe und auf eine der Türen an der rechten Seite: „Mädchen nach rechts, Jungen nach oben! Mädchen nach rechts, Jungen nach oben!“

Sarah kommt aus dem Mädchenflur zurück und sieht mich: „Ben, dein Bruder schläft mit deiner Mutter bei uns im Flur. Lustig, was?“

„Ja, lustig“, murmle ich und gehe automatisch auf Sarah zu.

„Bist du ein Junge oder ein Mädchen?“, fragt mich der bärtige Mann laut.

Was soll denn diese doofe Frage? Will der mich auch reinlegen? So wie die Jungen vor der Tür? Weil er mich so streng dabei anschaut, antworte ich wie ein Kleinkind: „Ein Junge.“

„Na also. Die Mädchen nach rechts, die Jungen nach oben!“

„Ach so.“ Hab ich verstanden. Man wird sich in den ersten fünf Minuten ja wohl noch verlaufen dürfen.

Ich gehe die Treppe nach oben und sehe Felix mit der gleichen Tasche, wie ich sie habe. Ist das vielleicht meine? Die Jungen verteilen sich in zwei Sechserzimmer. Ich betrete das erste, in das ich Felix und Torben habe gehen sehen. Hier haben Felix, Raul, Torben und Julian bereits ihre Taschen auf die Betten gestellt und damit ihren Schlafplatz markiert. Es sind Stockbetten. Drei Leute müssen oben schlafen. Zwei Betten sind noch frei. Eins oben, eins unten. Torben ist schon dabei, die Tasche auf seinem Bett auszuräumen: „Boah, ich wusste gar nicht, dass ich so viele Süßigkeiten eingepackt habe!“

„Das ist meine!“, schimpfe ich ihn an, obwohl ich eigentlich weiß, dass mir die Süßigkeiten nicht gehören. Ich stelle die verblasste Tasche neben die andere aufs Bett. „Das hier ist deine!“

„Das sind aber meine Süßigkeiten!“, ruft Felix. Er kommt dazu und überprüft die Tüte mit den Gummibärchen.

Torben greift noch einmal in dieselbe Tasche und holt ein verwaschenes Schlafkissen heraus mit aufgemalter Laura aus „Lauras Stern“ darauf. „Ist das auch von dir?“

Felix wird rot. „Äääh … ich glaube nicht …“

„Die Tasche ist bestimmt von einem Mädchen!“, vermutet Raul und zieht den Reißverschluss an seiner eigenen blauen Tasche auf. „Hey! Das ist nicht meine! Hier ist eine Zahnputztasche mit ‚Bob der Baumeister‘ drauf!“ Er schaut sich im Zimmer um. „Haben wir hier auch Kindergartenkinder?“

Jetzt werde ich rot. Aber ich sage nichts. Zumindest weiß ich jetzt, wer meine Tasche hat.

„Was ist in der Tasche, die du mitgebracht hast?“, frage ich Felix. „Ist das deine?“

„Nein, ich glaube nicht.“ Er geht zu seinem Bett und öffnet die Tasche. Heraus kommen teure schwarze T-Shirts und ein Adidas-Kulturbeutel.

„Das ist meiner“, weiß Raul.

Felix greift noch einmal in die Tasche und holt eine Stoff-Ente heraus. „Gehört die auch dir?“, fragt er. Er drückt die Ente am Bauch. Sie quakt laut. Die anderen im Zimmer lachen.

Raul fletscht peinlich berührt die Zähne. „Nein, ich glaube … ähm … die gehört … jemand anderem …“

„Darf ich auch mal quietschen?“, ruft Torben und reißt Felix die Ente aus der Hand. Er drückt die Ente, sie quakt. Wieder lachen alle.

Samir, der Junge aus Syrien, kommt ins Zimmer: „Bett frei?“

„Ja“, sagt Raul. „Die beiden da.“

Samir geht auf das obere der beiden freien Betten zu, klettert hoch und setzt sich darauf. Seine Tasche ist so klein, dass ich mich frage, ob er überhaupt Bettwäsche mitgebracht hat. Er schaut uns zu, wie wir in unseren blauen Taschen wühlen und verschiedene Sachen herausholen.

„Geringelte Söckchen“, lacht Torben und hält ein Paar Socken mit rot-gelben Streifen in die Luft.

„Bayern-München-Unterhosen“, sagt Felix und zeigt, was er gefunden hat.

„Ein kleiner, süßer Teddybär!“ Raul hält Roddy hoch.

Julian ist bereits dabei, sein Bett zu beziehen. Er hat nicht so eine blaue Tasche wie wir. Auf seiner Bettwäsche ist der Sandmann abgebildet.

Torben lacht ihn aus: „Das ist ja Baby-Bettwäsche!“

Julian lässt sich nicht stören. „Mir gefällt sie.“ Während er in aller Ruhe das Kissen in seinen Bezug steckt, sagt er: „Mir gefallen noch ganz viele Sachen, die ich früher gut fand. Manchmal höre ich noch die alten CDs von ‚Thomas die Eisenbahn‘ oder schaue mit meiner jüngeren Schwester Sandmann an. Ich finde das nicht schlimm.“

Keiner lacht mehr. Einer sieht den anderen an.

„Ich find das eigentlich auch nicht schlimm“, sagt Felix vorsichtig. „Manchmal mag ich auch … ähm … ‚Lauras Stern‘.“

„Und ich mag meine Ente Quak“, grinst Raul.

„Dann kann ich ja auch zugeben, dass mir der kleine Teddy gehört“, sage ich erleichtert und muss lachen. „Er heißt Roddy.“

„Roddy!“ Torben lacht so laut, dass er sich aufs Bett setzen muss.

„Und ich“, Samir öffnet seinen kleinen Rucksack und holt einen großen schwarzen Panther aus Plüsch heraus, „Radschan.“ Der Panther hat den ganzen Rucksack ausgefüllt. Hat er etwa sonst nichts mitgebracht?

Endlich kann jeder seine eigene Tasche in Besitz nehmen. Ich beschließe, das letzte freie Bett in diesem Zimmer zu beziehen, und hole meine Bettwäsche raus. Wenn alle noch ein bisschen Kindergarten im Kopf haben, dann kann es hier ja vielleicht doch ganz schön werden.

Ben und Lasse - Agenten ohne heiße Spur

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