Читать книгу Ben und Lasse - Stille Nacht, unheimliche Nacht - Harry Voß - Страница 5
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1. Dezember
Eigentlich sollte das Ganze ja nur zehn Minuten dauern: rein ins Kaufhaus, Spielzeugabteilung aufsuchen, ein Geschenk für meinen Bruder Lasse aussuchen, eins für Mama, eins für Papa, bezahlen, raus. Aber dann wollte mein Bruder unbedingt mitkommen: „Oh, prima, Ben! Du fährst Weihnachtsgeschenke einkaufen? Darf ich mitkommen? Ich schau natürlich nicht hin, wenn du das Geschenk für mich kaufst. Versprochen. Ja, nimmst du mich mit, Ben? Ja, bitte, bitte!“
Und so ging das den ganzen Nachmittag. „Ich denke, du hast schon deine Weihnachtsgeschenke?“, hab ich zurückgefragt. „Das hast du mir in den letzten Tagen zumindest hundertmal erzählt!“
„Hab ich auch! Hab ich schon ganz lange! Aber ich bin so gern in der Spielzeugabteilung! Da könnte ich stundenlang stehen und schauen und mir vorstellen, wie das wäre, wenn das alles mir gehören würde.“
Ja, und seitdem stehen wir im Untergeschoss dieses riesigen Kaufhauses. Ich kenne mich hier ganz gut aus. Ich bin bereits elf Jahre alt, ich war schon mehrmals alleine einkaufen. Trotzdem ist das alles sehr, sehr groß. Ich bin immer froh, wenn ich die richtige Rolltreppe finde, die richtige Abteilung und vor allem nachher wieder den richtigen Ausgang. Mein Bruder Lasse ist erst sechs. Der war noch nie allein hier. Immer nur mit Mama. Oder eben jetzt mit mir.
„Boah, klasse, Ben! Wie du dich in dem Kaufhaus auskennst!“, hat er mich, seit wir hier sind, alle fünf Minuten gelobt. „Wie ein Erwachsener!“ Er kichert. „Na ja. Das bist du ja auch fast schon.“
Für Mama hab ich in der Schmuck-Abteilung eine Kette gefunden, die ich mir leisten kann. Eine Abteilung weiter hab ich Armbanduhren aus orangefarbenem Gummi gefunden. Für 4,50 Euro. Papa mag Armbanduhren, Mama mag Ketten. Das war zumindest bei den letzten Weihnachtsfesten so. Für Lasse finde ich beim besten Willen nichts. Was er sich wünscht, ist mir zu teuer. Und was ich bezahlen kann, wünscht er sich nicht.
Ich nehm einen Polizisten von Playmobil aus dem Regal in der Spielwaren-Abteilung und such das Preisschild. Mein Papa ist Polizist. Wenn ich groß bin, will ich auch Polizist werden. Ich bin sogar jetzt schon ein richtiger Agent! Agent Benjamin Baumann. Ich habe vor ein paar Tagen mitgeholfen, zwei Schwerverbrecher zu fangen. Das war super aufregend. Sogar ein bisschen zu aufregend, würde ich sagen. Mein Bruder Lasse hat mir dabei geholfen, obwohl er meinen Ermittlungen manchmal auch ein bisschen im Weg gestanden hat. Diese Aktion hat allerdings dazu geführt, dass ich bis jetzt noch nicht dazu gekommen bin, Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Der Polizist kostet 2,29 Euro. Das geht.
Schon wieder steht Lasse neben mir: „Cool, ein Polizist! Davon hab ich auch drei Stück zu Hause!“
„Oh, wirklich?“ Ich stelle ihn unauffällig wieder ins Regal.
„Ja, weißt du doch! Den einen hast du mir vorletztes Jahr geschenkt, den zweiten davor und den dritten letztes Jahr zum Geburtstag.“
„Ach so, ja …“
„Komm mal mit, Ben! Ich muss dir was zeigen!“ Lasse schleift mich durch die komplette Etage bis zu einer Stahltür irgendwo in der Ecke des Ladens. Die Tür steht auf. Dahinter befindet sich ein Lager mit riesigen Regalen bis unter die Decke. Auf den Regalen stehen große Kisten und Kartons. Viele davon sind offen. Heraus schauen Spielsachen so weit das Auge reicht.
„Schau mal, Ben!“ Lasse sieht sich mit großen Augen die Regale an, als stehe er mitten im Paradies. „Ist das nicht Wahnsinn?“ Er kriegt seinen Mund nicht zu. „Hier möchte ich wohnen!“
„Ja, ganz bestimmt.“ Typisch Lasse. Ich schüttle den Kopf. „Und wo willst du dann schlafen?“
„In dem Karton mit den Kuscheltieren.“ Lasse ist schon zwei Schritte in das Lager hineingegangen. „Oder dort in der Ecke neben den Handpuppen.“
„Lasse, komm sofort da raus!“, ermahne ich ihn streng und bleibe an der Tür stehen. „Wir dürfen da nicht rein!“
„Ich komm ja gleich. Warte nur noch kurz!“ Schon ist er hinter einem Regal verschwunden.
Ich überlege gerade, ob es besser ist, wenn ich ihn zurückhole oder ob ich hier warten soll. Da höre ich Schritte hinter mir. Schon legt sich eine Hand auf meine Schulter.