Читать книгу Ben und Lasse - Stille Nacht, unheimliche Nacht - Harry Voß - Страница 8
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4. Dezember
Ich schaue meinen Bruder an: „Lasse, welchen Knopf hast du gedrückt?“
„Den mit der 6 natürlich“, sagt er und merkt sofort, dass ich laut die Luft einsauge, „denn ich bin doch sechs Jahre alt!“
„Du Vollprofi!“, schimpfe ich. „Und welchen Knopf, bitte schön, soll ich drücken? Einen Knopf mit der 11 gibt es hier nicht! Und die Erwachsenen? Sollen die den Knopf mit der 50 drücken?“
Lasse zieht den Kopf ein. „Nein, ich weiß es doch nicht. Ich hab nur früher, als ich noch fünf war, gedacht: Ich freu mich schon, wenn ich sechs bin, dann kann ich auch auf den Knopf mit der 6 drücken.“
Ich stöhne und fasse mir an den Kopf. Aber dann bin ich zu müde zum Schimpfen. Irgendwie ist er ja auch süß, mein kleiner Bruder. „Komm wieder rein“, sage ich und gehe selbst in den Aufzug, dessen Tür zum Glück noch offen steht. Ich zeige auf die Knöpfe: „Das hier sind die Stockwerke. 6 heißt sechster Stock. Wir wollen aber ins Erdgeschoss, also drücken wir E.“ Ich drücke, die Tür schließt sich. „Siehst du?“ Ich drehe mich um, außer mir ist niemand im Fahrstuhl. „Lasse?“ Der Fahrstuhl rast nach unten. „Lasse?“
Das darf nicht wahr sein. Ich bin einfach in den Aufzug gegangen, habe auf den Abwärts-Knopf gedrückt und nicht darauf geachtet, ob Lasse mit eingestiegen ist! Ich bin ja wirklich ein ganz toller großer Bruder!
„Lasse!“, brülle ich durch den Aufzug, als könnte der mich hier irgendwo hören. Der Aufzug fährt nach unten. In wilder Panik drücke ich sämtliche Knöpfe. Im Erdgeschoss hält der Fahrstuhl an. Die Tür öffnet sich. Ein Verkäufer mit einem Schlüsselbund am Gürtel steht mit dem Rücken zur Aufzugstür. Wenn er sich jetzt umdreht und mich sieht, wird er mir sofort befehlen auszusteigen, da der Laden ja jetzt schließt. Ich kann aber nicht aussteigen, weil ich meinen Bruder noch holen muss! Ich presse mich so nah wie möglich an die Wand. Der Verkäufer dreht sich nicht um. Die Tür schließt sich wieder. Der Aufzug fährt nach oben. Puh!
Die Tür öffnet sich. Hier ist aber kein Gang. Hier ist die Damenabteilung. Vor der Tür klebt ein Schild auf dem Boden: „Erster Stock.“ Ich steige nicht aus. Einige Verkäuferinnen räumen Jacken und Hosen an die richtigen Ständer. Die Tür schließt, der Aufzug fährt weiter nach oben, bleibt stehen, Tür auf: „Zweiter Stock.“
Ach so, jetzt wird es mir klar. Weil ich eben verzweifelt alle Knöpfe gedrückt habe, hält er jetzt natürlich in jedem Stockwerk an. Toll gemacht, Ben!
Weiterfahren, anhalten, Tür auf: „Dritter Stock.“ Mäntel und Unterhosen für Männer. Tür zu.
Vierter Stock. Tür auf: Babykleidung.
Fünfter Stock. Tür auf: Ein Gang wie im sechsten Stock. Das sind wohl die Büroräume. Während die Tür offen steht und ich nur darauf warte, dass sie sich wieder schließt und ich endlich zu Lasse in den sechsten Stock fahre, höre ich Schritte auf einer Treppe. Dann sehe ich Lasse, wie er in den Aufzug schaut: „Ach, hier bist du, Ben!“ Er kommt auf die Tür zu. „Ich hab schon gedacht …“ Die Tür schließt sich vor seiner Nase, der Aufzug fährt weiter.
„Lasse!“, rufe ich durch die Tür. „Lasse, hörst du mich?“
Das darf ja wohl nicht wahr sein! Jetzt bin ich ihn schon wieder los! Ich drücke erschrocken alle Knöpfe. Der Aufzug bleibt erst oben im sechsten Stock stehen. Die Tür öffnet sich. Ich schaue vorsichtig raus. Ist Lasse zu sehen? Nein. Schnell wieder rein, bevor der Aufzug weiterfährt und ich diesmal draußen bin. Die Tür schließt sich und hätte fast meinen Kopf eingeklemmt. Der Aufzug fährt abwärts. Bleibt stehen. Fünfter Stock. Tür auf. Ich schaue raus. Niemand da.