Читать книгу Revolverhelden auf Klassenfahrt - Hartmut El Kurdi - Страница 8

Gott ist Zigaretten holen

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WENN DIE EIGENE MUTTER in die Demenz abrutscht und ins Heim muss, hält sich die Komik dieses Vorgangs, gelinde gesagt, in Grenzen und ist daher vielleicht auch nur bedingt kolumnentauglich. Zumindest wenn man davon ausgeht, dass eine solche Kolumne nicht ernst gemeint ist. Nur weil sie überwiegend humoristisch daherkommt. Da ich aber schon immer der Meinung war, dass man die wichtigen Themen, egal ob sie politisch, kulturell oder einfach nur menschlich sind, nicht den literarischen Bedeutungshubern und Stirninfaltenlegern, also den allseits bekannten Ernsthaftigkeits-Darstellern überlassen darf, muss man auch über ein solch persönliches Ereignis schreiben. Sicher bin ich mir da allerdings nicht, aber wie sollte man das auch sein?

Mal abgesehen davon, dass es die kleinen überraschend komischen und absurden Momente tatsächlich ja auch gibt, wenn Muttchen zum Beispiel berichtet, dass sie am Vormittag »weg« gewesen sei. »Wo warst du denn?«, fragt man interessiert nach und erwartet eine Antwort wie »Bei der Krankengymnastik« oder »Beim Kartenspielen im Speisesaal«. Sie aber denkt kurz nach und sagt dann bestimmt: »In Palästina!«

»Aha«, nickt man und versucht, sich nichts anmerken zu lassen. »Und was hast du in Palästina gemacht?«

Sie überlegt wieder einen Augenblick. »Nix, ich war da so. Mit ein paar Leuten.«

»Und zum Mittagessen warst du wieder hier?«

»Klar, was denn sonst? Es gab doch Würstchen!«

Und obwohl man es erst nicht will, muss man dann doch lachen. Und vermutlich ist das in Ordnung, aber auch dabei fühlt man sich wackelig auf den Beinen ...

Ansonsten ist man vor allem verblüfft, dass im mensch­lichen Gehirn bestimmt Areale genauso gelöscht werden können wie auf einer Computerfestplatte. So erinnert sich meine Mutter an ihre Kindheit in Oberhessen, an ihre Jahre in Jordanien – und das war’s. Sowohl ihr Leben im 60er-Jahre-England wie auch ihre letzten Jahrzehnte in Kassel – im Nebel eines Schlaganfalls verschwunden. Was vor allem verschwunden ist – und das hat bei aller Tragik doch etwas mild ironisches – ist die Erinnerung an die von ihr in den letzten vierzig Jahren gnadenlos ausgeübte Hardcore-Religion.

Meine Mutter trat nämlich Anfang der 70er Jahre den Zeugen Jehovas bei. Und ich wurde mitbeigetreten. Fortan feierten wir weder Geburtstag noch irgendeins der anderen üblichen, im Verständnis der Sekte nur pseudochristlichen, eigentlich ja durch und durch »heidnischen« Feste wie Weihnachten oder Ostern. Es gab keine Blutwurst mehr zu essen, meine Mutter hörte mit dem Rauchen auf, entließ ihren ungläubigen Freund – und selbst ich als kleiner Junge musste von Tür zu Tür gehen und die frohe Botschaft eines bald drohenden Weltuntergangs verkünden. Und ich durfte keinen engeren Kontakt zu Menschen aus der sogenannten »Welt« pflegen, keine dämonische Rockmusik hören und musste aus dem Fußballverein austreten.

Als ich schließlich pubertierte und sich damit ein weiteres Verbotsfeld auftat, ging ich zunächst kurz in die innere Emigration und desertierte dann endgültig aus der Sekte. Aber meine Mutter blieb beinhart dabei. Bis vor einem Jahr. Seitdem ist alles weg. Deleted. Zum Geburtstag wünschte sie sich Käsekuchen und ein gesungenes »Happy Birthday« und genoss sichtlich unser stolperiges Gratulationsgesummse. Beim Anblick der Schokohäschen und gefärbten Eier im Osternest lächelte sie, als begegnete sie lang vermissten alten Bekannten. Und der zu Weihnachten im Heim aufgestellte Tannenbaum erzeugte bei ihr kein angewidertes Kopfschütteln, sondern nur ungetrübte Freude und die Bemerkung: »Ja, ja, ein Weihnachtsbaum muss sein, sonst ist es ja kein richtiges Weihnachten!«

Überraschenderweise aber empfindet meine aus einsichtigen Gründen agnostische Seele keinerlei Triumph. Nur echte Verwunderung darüber, wie schnell eine solch fundamentale Veränderung passieren kann. Ein wenig erinnert mich das religiöse Reset meiner Mutter an den Fall des eisernenen Vorhangs. Gestern noch Maiparaden und Trabbis, heute schon Aldi-Nord und Toyota-Vertre­tungen.

Das einzige, was mich nervös macht, ist die Vorstellung, dass bei mir – sollte ich später mal dement werden – der ganze Zeugen-Jehovas-Schmodder aus meiner Kind­heit quasi im Gegenzug wieder hochkommen könnte. Sollte ich dann mit dem Wachtturm vor Ihrer Tür stehen, denken Sie dran: Ich war zwischendurch auch mal anders.

Revolverhelden auf Klassenfahrt

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