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1.3 Gegenstimmen: Skepsis und Befürchtungen

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Der Digitalisierungsdiskurs ist allerdings auch geprägt von einem hohen Maß an Skepsis im Hinblick auf die Realisierbarkeit der weitreichenden Erwartungen und von Befürchtungen hinsichtlich negativer sozialer Konsequenzen. Bezüglich der deutschen Debatte über Industrie 4.0 lässt sich festhalten, dass vielfach die Realisierbarkeit von einschlägigen Konzepten angezweifelt wird und die ökonomischen Erwartungen als überzogen angesehen oder in Frage gestellt werden. Mit zugespitzten Formulierungen wie »Industrie 4.0 – der große Selbstbetrug« wird auf den bislang weithin unkalkulierbaren Aufwand bei der Umsetzung von Industrie 4.0 vor allem für mittlere und kleinere Betriebe hingewiesen (vgl. Maier/Student 2015). Die Kritiker gehen davon aus, dass besonders kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) aufgrund ihrer knappen Ressourcen noch auf lange Sicht mit der Einführung digitaler Technologien überfordert sein werden ( Kap. 7). Vor allem wird das für digitale Technologien verfügbare Finanzierungsbudget in den allermeisten KMU als »überschaubar gering« angesehen, und es werde auch in den kommenden Jahren nur wenig ansteigen (vgl. agiplan et al. 2015, S. 133). Nicht zufällig gab daher bei einer Umfrage über die Bedeutung der Digitalisierung in mittleren Betrieben ein gutes Drittel an, das Thema sei für sie derzeit überhaupt nicht relevant; bei kleinen und mittleren Betrieben waren es sogar 70 Prozent (vgl. Maier/Student 2015). Kaum überraschen können empirische Befunde, wonach im Vergleich zur IKT-Branche, den Finanz- und Versicherungsdienstleistern, wissensintensiven Dienstleistern und dem Handel im industriellen Bereich eine große Zurückhaltung gegenüber den digitalen Technologien zu erkennen ist. Nach einer Erhebung des IAB/ZEW aus dem Jahr 2016 hat sich fast die Hälfte aller Produktionsbetriebe (46,5 %) noch nicht mit der Nutzung digitaler Technologien auseinandergesetzt, während knapp 37 % der befragten Betriebe diese Technologien allenfalls partiell einsetzen (Arntz 2016, S. 4) ( Kap. 3.1). Darüber hinaus wird von vielen Unternehmensvertretern auf das bislang bestenfalls in Ansätzen angegangene Problem der Datensicherheit verwiesen. Vielfach wird die Furcht vor unkontrollierbarem Missbrauch, Manipulation und Diebstahl von vernetzten Datenbeständen geäußert, und damit werden Skepsis und Aversionen gegenüber dem Technologieversprechen begründet.

Ähnlich kritisch äußern sich Experten im Hinblick auf den Innovationsgrad des Konzepts Industrie 4.0. So fragt mancher Beobachter, ob mit der gegenwärtigen Debatte nicht »Alter Wein in neuen Schläuchen« angepriesen werde (vgl. Jasperneite 2012). Begründet wird diese Frage mit dem Hinweis, dass sich Industrie 4.0 nur schwer von Vorläuferkonzepten IT-gestützter Produktionstechnologien abgrenzen lasse und man daher aktuell kaum von einem Technologiesprung oder gar einer vierten industriellen Revolution sprechen könne. Industrie 4.0 knüpfe unübersehbar an Produktionskonzepte einer Vernetzung der Datenbestände aus den 1980er Jahren an. Diese wurden in den letzten Jahrzehnten unter dem bekannten Stichwort Computer Integrated Manufacturing (CIM) diskutiert und in den 1980er Jahren zumindest ansatzweise realisiert. Technologisch gesehen sind Gemeinsamkeiten zwischen dem CIM-Konzept und Industrie 4.0 in der Tat unübersehbar. Der Gedanke, eine informationstechnische Integration von Produktion und Logistik über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg und die Verknüpfung der virtuellen mit der realen Produktionsebene zu realisieren, wurde schon bei CIM vorweggenommen (vgl. Menez et al. 2016). Ebenso wurde schon damals das auch für Industrie 4.0 gültige ökonomische Ziel formuliert, Wertschöpfungsprozesse anpassungsfähig zu gestalten, Einzelleistungen rentabel zu produzieren und flexibel auf Störungen zu reagieren (vgl. Brödner 2018). Zwar wurde CIM aufgrund technologischer Barrieren (insbesondere der damaligen zentralistischen Rechnerstrukturen) kaum realisiert, jedoch wird nun davon ausgegangen, dass diese früheren Ideen auf Basis der neueren technologischen Entwicklung tatsächlich umgesetzt werden können. Nicht überraschend ist daher auch, dass gerade der frühere deutsche »CIM-Papst« und Informatiker August-Wilhelm Scheer eine Kontinuität technologischer Entwicklung betont (vgl. Scheer 2013).

Aus den gleichen Gründen wird von anderen Experten die Innovativität dessen, was unter Industrie 4.0 verstanden wird, als nicht sonderlich überzeugend angesehen. So seien nicht nur die Konzepte nicht neu, sondern man könne auch bis heute keine wirklich weitreichenden Fortschritte bei der industriellen Nutzung neuer intelligenter Systeme erkennen. Festgehalten wird daher: »So entpuppt sich die ›vierte industrielle Revolution‹ vor allem als eine Revolution der Worte (…), bei freilich enorm gesteigerter Leistung der Digitaltechnik, die früher außer Reichweite liegende Anwendungen möglich macht.« (Brödner 2018, S. 335) Folgt man diesen Argumenten, dann ist Industrie 4.0 weniger als treibendes Moment einer neuen industriellen Revolution denn als Ausdruck einer pfadabhängigen Weiterentwicklung früherer technologischer Konzepte zu verstehen. Die noch genauer zu skizzierenden Evidenzen hinsichtlich der digitalen Transformation von Arbeit belegen diese Perspektive ( Kap. 3.1).

Neben diesen technologisch begründeten Einwänden gewinnen im laufenden Diskurs über Industrie 4.0 auch zunehmend Fragen nach den Risiken für Arbeitsprozesse und nach möglichen negativen Konsequenzen für Tätigkeiten und Qualifikationen an Bedeutung. So werden beispielsweise Gefahren der Dequalifizierung, ein deutlich erhöhtes Kontrollpotenzial, eine forcierte Flexibilisierung und Prekarisierung von Arbeit, ein wachsendes Stresspotenzial und die Gefahr eines schnellen und hohen Arbeitsplatzabbaus thematisiert (vgl. z. B. IG Metall 2013; Kuhlmann/Schumann 2015; BMAS 2017a). Ganz im Gegensatz zu den erwähnten positiven ökonomischen Prognosen ist die Furcht vor weitreichenden Arbeitsplatzverlusten Gegenstand einer intensiven öffentlichen Debatte und einer zunehmenden Anzahl von Studien. Ein wichtiger Bezugspunkt dieser Debatte ist die international breit rezipierte Studie von Benedikt Frey und Michael Osborne (2017), in deren Zentrum die Aussage steht, dass perspektivisch rund die Hälfte aller Berufe (47 %) des US-amerikanischen Arbeitsmarkts in die »High Risk«-Kategorie fallen, d. h. zukünftig automatisiert werden könnten. Diese Studie bildet die Folie für viele weitere, zumeist digitalisierungskritische Analysen und Diskussionsbeiträge über die Perspektive anderer Länder und Regionen, und es werden zum Teil erhebliche Substitutionseffekte und Brüche auf dem Arbeitsmarkt prognostiziert. Daher nimmt die Frage nach möglichen Arbeitsplatzverlusten in der öffentlichen Debatte über Digitalisierung einen zunehmenden Stellenwert ein und konterkariert damit die skizierten technikutopischen Perspektiven.

Mit der fortschreitenden Nutzung von Plattformen zur Organisation global verteilter Arbeit steht zudem zu befürchten, dass feste Arbeitsverhältnisse zunehmend und unkontrollierbar durch prekäre Beschäftigung ersetzt werden ( Kap. 3.3). Als gesellschaftspolitisch nicht akzeptable Konsequenzen werden nicht nur der Verlust eines stabilen Einkommens und der sozialen Absicherung der Beschäftigten gesehen. Diese mögliche Entwicklung wird darüber hinaus auch als Bedrohung für den Sozialstaat und seiner auf dauerhaften Arbeitsverhältnissen beruhenden Finanzierungsbasis aufgefasst (z. B. BMAS 2017a; Hill 2017).

Mit weiteren kritischen Argumenten werden die Entwicklung und Diffusion von Systemen der Künstlichen Intelligenz und die damit verbundenen rechtlichen und vor allem ethischen Herausforderungen thematisiert, deren Regelung nach Ansicht vieler Kritiker der weiteren technologischen Entwicklung durchaus Grenzen setzen sollten ( Kap. 8.3). Die rechtlichen Herausforderungen der Digitalisierung werden seit längerem intensiv diskutiert, und als zentrale, vielfach ungelöste Probleme werden die Themen Datenschutz und Datensicherheit angesehen (vgl. z. B. Forschungsbeirat Industrie 4.0 2019). So sind trotz existierender rechtlicher Rahmenregelungen wie die Datenschutz-Grundverordnung der EU die neuen Potenziale, Folgen und Grenzen der Datennutzung etwa zur Verbesserung der Betriebsabläufe sowie die Möglichkeiten der Leistungskontrolle bislang wenig geklärt. Experten konstatieren beispielsweise eine hohe Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Anwendbarkeit des Datenschutzrechts und der Interpretation existierender Generalklauseln. Zudem wird kritisch angemerkt, dass Kriterien für die rechtsgemäße und rechtsverträgliche Gestaltung der neuen Technologien und der technikadäquaten Fortbildung des Rechts weitgehend fehlen. Des Weiteren müssten wirksame Regeln für die Erfassung und Weitergabe personenbezogener Daten und die individuelle Leistungsüberwachung unter Wahrung der Datensouveränität und Identifizierung von ethischen und rechtlichen Grenzen entwickelt werden (vgl. Abel et al. 2019).

Schließlich sind in diesem Kontext auch ausgesprochen kritische Positionen über die vermuteten gesellschaftspolitischen Konsequenzen der Digitalisierung und der Vision einer »instrumentarian society« (vgl. Zuboff 2019) unüberhörbar. Ein zentrales Thema ist hier die Befürchtung, dass Vernetzung, Big Data und Plattformtechnologien nicht nur zu einer massiven Steigerung der wirtschaftlichen Macht der bekannten Internetkonzerne führen, sondern dass sie politisch völlig unkontrollierbar für Überwachungsmaßnahmen genutzt werden können. Bedroht seien damit nicht nur die Freiheit des Einzelnen, sondern letztlich auch die ganzer Gesellschaften (vgl. z. B. Hofstetter 2014). Gewarnt wird auch von einem drohenden technologischen Totalitarismus6 und einer aufkommenden Gesellschaftsformation, die als »surveillance capitalism« bezeichnet wird (vgl. Zuboff 2019). In scharfem Widerspruch zu den oben zusammengefassten technikutopischen Argumenten wird von manchen Kritikern mit der Digitalisierung daher auch die Gefahr einer generell dystopischen gesellschaftlichen Zukunft verbunden (vgl. z. B. Butollo/Engel 2015).

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