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2 Zum Verhältnis von Technik und Arbeit 2.1 Contra Technikdeterminismus

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Die meisten der optimistischen und pessimistischen Prognosen in der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte über die sozialen Folgen der digitalen Transformation argumentieren sehr verkürzt. Sie gehen davon aus, dass die neuen digitalen Technologien eindeutig bestimmbare und vor allem auch für die Zukunft voraussagbare soziale Konsequenzen nach sich ziehen. Mit dieser Sicht vernachlässigen sie Basiserkenntnisse sowohl der Innovationsforschung als auch der sozialwissenschaftlichen Technik- und Arbeitsforschung.

Demgegenüber ist Ausgangspunkt der folgenden Argumentation die in Kapitel 1.4 genannte erste Grundannahme, dass der Zusammenhang zwischen der Entwicklung neuer Technologien und ihren möglichen Anwendungspotenzialen, ihrer Verbreitung und Nutzung und schließlich ihren sozialen Konsequenzen keinesfalls eindeutiger Natur ist. Vielmehr handelt es sich dabei um einen komplexen und wechselseitigen Zusammenhang, der von einer Vielzahl nicht-technischer, ökonomischer, sozialer und arbeitspolitischer Faktoren geprägt wird. Deren Einfluss entscheidet darüber, in welcher Weise die Nutzungspotenziale der Technologien tatsächlich ausgeschöpft werden und welche Konsequenzen für Arbeit sich dabei einstellen. Mit Rückgriff auf den Stand der Forschung lässt sich diese These knapp wie folgt begründen:

Evolutionstheoretische Ansätze aus der Innovationsforschung zeigen, dass technologische Innovationen zwar stets zielgerichtet und dynamisch verlaufen, ihr Verlauf zugleich jedoch widersprüchlich und ihr Ausgang ungewiss ist. Entscheidend für die sich jeweils einstellenden Verlaufsmuster von Innovationen und die dadurch angestoßenen sozialen und ökonomischen Veränderungen sind danach zum einen die Erarbeitung und Variation technologisch möglicher Entwicklungspotenziale, zum anderen ihre Selektion im Lichte konkreter Anwendungserfordernisse und ihrer Vermarktungschancen (vgl. z. B. Fagerberg 2005). Grundsätzlich stehen daher der technische Wandel und die Verbreitung neuer Technologien in enger Wechselwirkung mit den jeweils gegebenen ökonomischen und sozialen Strukturen der Nutzer und der Anwender.

Dieser Zusammenhang lässt sich konzeptionell verdeutlichen, wenn man Joseph Schumpeters begriffliche Differenzierung von Innovationen aufgreift. Danach umfasst ein Innovationsprozess vier Stufen: Invention, d. h. die Erfindung einer neuen Technologie, Innovation, die Weiterentwicklung der Technologie hin zu ihrer Marktgängigkeit, Diffusion, d. h. ihre Verbreitung, Implementation, also die konkrete Adaption in gegebene betriebliche Strukturen, und schließlich ihre mögliche Imitation (vgl. Schumpeter 2013 [1942]). Der aktuelle Digitalisierungsdiskurs fokussiert sich zumeist auf die Phasen Invention und Innovation. Entscheidend für die Form der Nutzung neuer Technologien und den Wandel von Arbeit ist jedoch die Frage, wie Diffusions- und Implementationsprozesse neuer Technologien und ihre Adaption in je gegebenen sozialen und ökonomischen Realitäten verläuft und welche Konsequenzen sich aus diesem Prozess ergeben (vgl. zusammenfassend Rogers 2003). Es sind daher nicht die technologischen Eigenschaften und Anwendungspotenziale einer Innovation, die soziale und ökonomische Auswirkungen erzeugen. Vielmehr gilt: »the really interesting aspect of new technologies is whether they prompt investors, companies, labor, and markets to change, or whether these factors and organizations of production resist the absorption of new technologies.« (Erixon/Weigel 2016, S. 13)

Dabei umfasst ein Implementationsprozess neuer Technologien verschiedene Phasen mit jeweils spezifischen Handlungslogiken und Dynamiken. Sie reichen von der Entscheidung über den Kauf und den Einsatz einer bestimmten Technologie über ihre konkrete Auslegung und Anpassung an die jeweiligen betrieblichen Bedingungen bis hin zur Klärung der Frage, wie sie organisatorisch und personell genutzt werden soll. Die verschiedensten betrieblichen Akteure müssen sich dabei in Aushandlungsprozessen über die je konkrete Systemauslegung, die Praxis ihrer Anwendung und den damit einhergehenden Wandel von Arbeitsnormen verständigen. Stets geht es dabei auch um alternative Systemauslegungen und oft um nicht endgültig geklärte Fragen der Wirtschaftlichkeit. Erst am Ende der unter Umständen langwierigen Aushandlungsprozesse wird eine neue Technologie praktisch angewendet und gewinnt Akzeptanz bei allen Beteiligten. Der Weg zu einer »technology-in-practice« ist – mit anderen Worten – aufwendig, unter Umständen konfliktär, mit vielfältigen Unwägbarkeiten sowie Störungen behaftet und steht in enger Wechselwirkung mit je gegebenen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen (vgl. Orlikowski 2000).

Mit grundlegenden Ergebnissen aus der sozialwissenschaftlichen Technik- und Arbeitsforschung kann dieser Zusammenhang präzisiert werden. Sie postuliert spätestens seit den 1980er die Abkehr von einer bis dahin verbreiteten, als »Technikdeterminismus« bezeichneten Auffassung, wonach eine eindeutige und festliegende Beziehung zwischen Technikauslegung und Wandel von Arbeit angenommen werden könne. Vielmehr bestehe zwischen der Implementation bestimmter technischer Systeme und den Konsequenzen für Arbeit eine von vielen nicht-technischen und sozialen Faktoren beeinflusste Beziehung (vgl. Lutz 1987). Grundlegende Annahme ist dabei, dass zwischen dem technisch möglichen Nutzungspotenzial einer neuen Technologie einerseits und den tatsächlich in betrieblichen Zusammenhängen zum Einsatz kommenden Techniken und deren Integration in betriebs- und arbeitsorganisatorische Strukturen andererseits eine grundlegende Diskrepanz existiere (vgl. Pfeiffer 2018, S. 331). Denn, so die zentrale Begründung, der Einsatz von Technik sowie die damit verknüpfte Entwicklung von Arbeit werden nicht durch die funktionale und zeitliche Eigenlogik einer technischen Innovation determiniert. Vielmehr müssen die Entwicklung von Arbeit und die Formen von Techniknutzung stets als das Ergebnis betrieblicher Rationalisierungspolitiken verstanden werden (vgl. Bechtle/Lutz 1989). Technisierungsprozesse und der Wandel von Arbeit werden primär von den jeweils beteiligten Akteuren, ihren Interessen und Strategien bestimmt, wobei Technik und Arbeit in je unterschiedlicher Weise voneinander unabhängige Gestaltungsobjekte sein können. Darüber hinaus verdeutlicht die arbeitssoziologische Forschung, dass jenseits betrieblicher, mikropolitischer Entscheidungsprozesse ebenso auch makrostrukturelle Faktoren wie Arbeitsmarkt, Bildungssystem, industrielle Beziehungen und politische Rahmensetzungen den Wandel von Arbeit beeinflussen.8

Welche Gestaltungsoptionen dabei für das Verhältnis zwischen Technik und Arbeit tatsächlich gegeben sind und welche genutzt werden, ist allerdings eine empirisch-konkrete Frage und wird in hohem Maße von einem durch Technologie je gegebenen Gestaltungskorridor bestimmt. Dieser kann sehr unterschiedlich sein. Wie die Arbeitsforschung schon in den 1970er Jahren instruktiv gezeigt hat, beeinflusst beispielsweise das jeweilige Automatisierungsniveau einer technischen Anlage die Art und den Umfang menschlicher Arbeitsleistungen, d. h. die Frage, welche Arbeitsfunktionen in funktionaler und zeitlicher Hinsicht zum Betrieb der Anlage erforderlich sind, um ihren störungsfreien Betrieb zu gewährleisten. Freilich bleibt dabei technologisch unbestimmt, in welcher Weise die notwendigen Arbeitsfunktionen zu konkreten Arbeitsplätzen und einer bestimmten Arbeitsorganisation konfiguriert werden können. Der technischen Wandel mit seiner fortschreitenden Automatisierung hat nun in dieser Perspektive zwei in enger Wechselwirkung stehende Konsequenzen für Arbeit: Einerseits werden Arbeitsaufgaben durch die Technik substituiert, andererseits aber werden die Beziehungen zwischen der automatisierten Technik und den verbleibenden Arbeitsfunktionen zunehmend gelockert, sodass Spielräume für die Gestaltung von Arbeit entstehen. Die Arbeitssoziologie spricht von einer zunehmenden Entkopplung von Arbeit und Technik (vgl. Springer 1987).

Diese arbeitssoziologische Diskussion weist bis heute freilich ein Defizit auf, dessen Behebung verschiedentlich angemahnt worden ist. Entwicklungsalternativen und verschiedene Designmöglichkeiten von Technik selbst geraten nämlich dabei nicht in das Blickfeld, ja Technik wird als neutrale Größe in einen nicht weiter relevanten Datenkranz der Analyse verbannt (vgl. Böhle 1998; Pfeiffer 2018). Zwar ist die Form der organisatorischen und personellen Nutzung der neuen Systeme Gegenstand vieler Untersuchungen, jedoch bleibt die Frage nach der Genese technologisch gegebener Gestaltungspotenziale für Arbeitsorganisation weitgehend ausgeklammert. Der Frage, ob es Alternativen der Technikauslegung gibt, mit denen sich möglicherweise sehr unterschiedliche Optionen der Arbeitsgestaltung verbinden, wurde bislang allenfalls vereinzelt nachgegangen. So wurde diese Frage im Hinblick auf die Entwicklung von computergestützten Steuerungen (NC- und CNC-Steuerungen) für Werkzeugmaschinen thematisiert. Gezeigt wird, dass je nach konkreter Auslegung der Steuerungssysteme sich sehr unterschiedlich weite Gestaltungsspielräume für Arbeit im Hinblick auf Möglichkeiten einer zentralen oder auch dezentralen Programmierung ergeben. Diese Gestaltungsoptionen lassen sich zugespitzt mit Alternativen wie Büroprogrammierung versus Werkstattprogrammierung fassen, wobei es für dezentrale Formen der Werkstattprogrammierung im Einzelnen sehr unterschiedliche personelle Nutzungsformen durch die konkrete Technikgestaltung gibt (vgl. Noble 1979; Böhle/Rose 1992; Hirsch-Kreinsen 1993). Ähnliche technische und damit zusammenhängende arbeitsorganisatorische Gestaltungs- und Nutzungsalternativen können auch am Beispiel früherer Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme (PPS-Systeme) gezeigt werden (vgl. Manske et al. 1994).

Einige Autoren betonen daher immer wieder, dass die arbeitssoziologische Debatte um Technik und Arbeit in der Vergangenheit zwar technikdeterministische Auffassungen aufgegeben und instruktiv arbeitsorganisatorische Gestaltungsmöglichkeiten herausgearbeitet hat. Jedoch wurde (von den skizzierten Ausnahmen abgesehen) die Frage übergangen, inwieweit sich mit der Technikentwicklung selbst alternative Gestaltungsoptionen verbinden. Unterschiedliche Konnotationen – etwa Technik als Automatisierungsmittel einerseits und als Arbeitsmittel andererseits – deuten auf eine bislang weitgehend vernachlässigte technologische Dimension der Frage nach dem Verhältnis von Technik und Arbeit hin (vgl. Böhle 1998; Windelband/Dworschak 2018). Genereller formuliert: Eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Technik und Arbeit muss sowohl eine technische als auch eine arbeitsorganisatorische Dimension berücksichtigen.

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