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Prolog: Erste Begegnung

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„Das Kloster liegt ganz nah am Bahnhof“, hatte mich die warme, aber energische Stimme am Telefon wissen lassen, als wir uns für ein erstes Gespräch zur Vorbereitung dieses Buches verabredeten. Nun, ich würde nicht den Zug nehmen, sondern mit dem Auto anreisen.

Dreimal fahre ich an der angegebenen Adresse vorbei. Fast mitten auf der Straßenkreuzung, so kommt es mir vor, steht das alte, ein wenig verschachtelte und nicht sehr geräumig wirkende Fachwerkhaus. Es ist mit Baugerüsten umgeben, einige Fenster sind mit Plastik verkleidet. Auf dem Bürgersteig und dem kleinen Gartenstück liegen verstreut Bauschutt und auch neues Baumaterial, und auf dem Gerüst über der Haustür geht es geschäftig und recht laut zu. Ein Kloster? Ein Ort der Stille und Meditation? Ein Ort für ein Leben aus Gottesdienst und Gebet?

Aber es gibt keinen Zweifel: Die Hausnummer weist mich direkt zu dieser Baustelle. Und schließlich entdecke ich im Türglas auch das unauffällige Schild: Schwester Hatune Stiftung – Helfende Hände für die Armen. Ich parke den Wagen und bin gespannt, was mich hier erwartet.

Hinter der mit Sägespänen bedeckten, staubigen Glastür des Eingangs hat Schwester Hatune mich bereits entdeckt und begrüßt mich zum Lärm der Hammerschläge, mit denen über mir auf dem Gerüst die Zimmerleute gerade einen neuen Balken ins alte Gewerk einziehen. „Willkommen im Kloster! Komm herein!“

Mit einer herzlichen Umarmung werde ich in den Flur und von da direkt in die Küche gezogen. Die macht den Eindruck, als lebe hier tatsächlich nicht nur eine Schwester. Und so ist es auch: Im Wohnzimmer ist gerade Hatunes Vater eingezogen, der durch sein Alter und eine Erkrankung pflegebedürftig geworden ist. Ein Mitbruder von Schwester Hatune, Priester der syrisch-orthodoxen Gemeinde in Deutschland und selbst aus der Südosttürkei stammend, wird mir vorgestellt. Er scheint der gute Geist des Hauses mit den praktischen Händen zu sein und packt bei den Bauarbeiten tatkräftig mit an. Zum Beispiel, indem er beginnt, über dem Küchentisch, an dem wir sitzen, die Küchendecke einzuschlagen – auch hier muss ein Balken erneuert werden. Na ja, nicht ganz direkt über unserem Sitzplatz. Ich bin offensichtlich in ein Haus geraten, in dem man schlagkräftig zu handeln weiß. Und im Lauf der nächsten beiden Tage werden noch etliche weitere Gäste auftauchen. Das „Kloster“ erweist sich als Baustelle der besonderen Art.

Nach ein paar Worten, mit denen wir uns ein wenig näher bekannt machen, zeigt Schwester Hatune mir „ihr Reich“. Das alte Haus wurde vor zwei Jahren erworben und bezogen und ist seither eine Dauerbaustelle. Aber bevor ich die im Einzelnen zu sehen bekomme, geht es erst einmal nach draußen.

Die Gartenfläche, die zum Grundstück gehört, ist gar nicht sehr groß und der Boden sieht mir auch nicht so aus, als zeichne er sich durch besondere Fruchtbarkeit aus. Rissig und hart ist die Erde an etlichen Stellen. Die meisten Menschen würden so einen kleinen Streifen Land rund ums Haus wohl mit etwas dekorativem Rasen einsäen oder mit „sauberen“ Steinen belegen und einen Sonnenschirm und Gartenmöbel daraufstellen. Schwester Hatune dagegen hat dem widerspenstigen Land eine beträchtliche Menge an Blumen und Nutzpflanzen abgetrotzt. Ich sehe Rucola, Petersilie, Pfefferminze und Sauerampfer. Kürbis, Porree, Radieschen, Kohlrabi, Zucchini und Mangold sind hier auf kleinster Fläche angebaut und es gibt ein großes Zwiebelbeet, das, wie ich erfahre, in acht Stufen bebaut wird. Die Tomaten sind noch grün, aber die Erdbeeren leuchten schon rot zwischen den Blättern hervor, dahinter Mango, Paprika, weiße Gurken und Kapioka aus Indien. Auch die Anzahl der Obstsorten ist beachtlich: Da gibt es Johannisbeeren, Stachelbeeren, Weintrauben. Neben älteren Apfel- und Pflaumenbäumen behaupten sich tapfer ein Mandelbäumchen und ein Granatapfelbaum – Grüße aus und lebendige Erinnerung an die nie vergessene Heimat in der Osttürkei und an ein Leben, das ganz vom Land und seinen Früchten abhängig war. Ein kleines Fleckchen Zuhause. Sogar der „Schuttstreifen“ zwischen Zaun und Straßenrand ist vom Unkraut befreit und mit Zucchini bepflanzt. Überall leuchten farbenfroh die Blüten der Sommerblumen und Rosenduft steigt mir in die Nase. „Ohne Erde halte ich es nicht aus“, lächelt Schwester Hatune. „Ich bin eine echte Bauerntochter.“

Nach dem Garten, sichtlich Schwester Hatunes Stolz, geht die Führung weiter, durch die Räume des Hauses. Was mir von außen für ein Kloster als recht klein erschien, erweist sich, wie das Gartenland drum herum, als ein Ort ungeahnter Möglichkeiten. Schwester Hatune bereitet das Haus dafür vor, hier einen eigenen kleinen Konvent zu gründen. Einige Schwestern werden bald einziehen und Raum für Gäste soll es auch geben. Und natürlich eine Kapelle, Bibliothek und Seminarraum. Ich bin überrascht zu sehen, wie viele Zimmer sie dem von außen bescheiden erscheinenden Bau abgerungen hat: Immer geht es noch eine Treppe hinauf und noch eine Tür weiter zum nächsten Raum und wieder zum nächsten. Die Zimmer sind meist klein, bieten nur Platz für das Nötigste: Bett, Stuhl, vielleicht einen kleinen Tisch oder ein Regal. „Aber jeder soll die Möglichkeit haben, sich zurückzuziehen“, erklärt Schwester Hatune.

Viele Stunden mit Gesprächen und zahlreiche Geschichten und Erlebnisse später erscheinen mir Haus und Garten wie ein Schlüssel zu dieser Frau, die mir in den vergangenen Tagen so viel aus ihrem Leben und dem Leben der Menschen erzählt hat, für die sie sich einsetzt. Ganz besonders sind das zurzeit die Christen, die im Nahen Osten, in Syrien und im Irak Verfolgung oder Unterdrückung und Benachteiligung erfahren, und darüber hinaus alle Flüchtlinge, die dort Heimat und Besitz verlassen mussten, um ihr bloßes Leben zu retten.

Klosterleben, das ist für Schwester Hatune nicht der Rückzug aus einer zu lauten und zu hektischen Welt in ein beschauliches Innenleben. Wie ihr Haus beinahe mitten auf der Straße steht, so steht auch sie immer wieder mitten in dieser Welt, da, wo die Not am größten ist. Und es scheint, als sei in ihrem Herzen immer noch ein Raum mehr verfügbar für ein weiteres Menschenschicksal, als trotze sie jeder kleinen Chance auf Leben und Wachstum das nur irgend Mögliche ab.

„Ich glaube an die Tat“, sagt sie irgendwann in unseren Gesprächen. „Und daran, dass Gott immer noch eine Möglichkeit mehr hat, als wir sehen können. Solange es etwas zu tun gibt, packe ich an.“

Dies ist ihre Geschichte.

Tonia Riedl

Ich glaube an die Tat

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