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06 – Unruhe

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Später in der Nacht lag Ariana neben Fionn im Bett und starrte die Decke an. Der Schlaf wollte nicht kommen. Gleichzeitig war ihr bewusst, dass Fionn ebenso wenig schlief. Die Gespräche mit ihm gestalteten sich zunehmend schwierig. Sie zögerte immer häufiger, offen mit ihm umzugehen. Wann hatte sich ihre Beziehung derart ins Negative verkehrt? War es, als sie ihn um Unterstützung bat, weil sie die Hüter aufspüren wollte, um zu Kieran zurückzukehren? Oder war die Hochzeit der ausschlaggebende Punkt gewesen? Mit dem Verlust seiner Hand, nachdem er ihretwegen einen einfachen Bauern ermordet hatte? Oder waren es die Gefühle, die ihnen wie eine unüberwindbare Mauer im Weg standen? Sie hatte Fionn als ihren Freund betrachtet. Daran hatte auch die Hochzeit nicht viel geändert. Zwar wusste ihr Verstand sehr wohl, dass ihre platonische Beziehung mit dem bindenden Hochzeitsschwur für immer vorbei sein würde. Aber ihr Herz wollte nicht begreifen, dass sie fortan nur noch wegen einer Allianz aneinandergekettet waren, die viel mehr enthielt als sie oder Fionn.

Ihre Verbindung sollte ihre beiden Herrschaftszonen und deren Wirtschaft auf Basis der Kristallminen stärken. Ihr Bündnis sollte zu weniger Streitigkeiten im Land führen. Aber stattdessen gärte die Unzufriedenheit wie ein eitriges Geschwür vor sich hin. Nach außen hin schien alles friedlich. Unter der Oberfläche jedoch, in den Häusern der Menschen, da brodelte es.

»Du solltest schlafen«, durchbrach Fionn ihre Gedanken.

»Ich kann nicht.« Sie wollte fragen, was ihn am Einschlafen hinderte, aber sie konnte nicht. Denn er bewegte sich, ein Luftzug streifte ihren Arm auf der Decke und ihren Hals, als er sich ihr zuwandte.

»Du fühlst dich unwohl«, bemerkte er. »Ari, es tut mir leid, dass du den Spannungen in diesem Haus ausgesetzt bist. Es war nicht angemessen von mir, dir so spät das Vorhaben für die Zukunft zu offenbaren. Es ist nur ... ich bin wütend auf meinen Vater.«

»Ich weiß.«

»Dann ist dir klar, dass ich im Recht bin. Er beging Unrecht, indem er meine Mutter immer wieder mit Mätressen betrog.« Er berührte ihren Arm. Seine Fingerspitze strich über ihre Haut und hinterließ ein Kribbeln entlang der feinen Haare. »Ich würde dir nie etwas Derartiges antun, da kannst du dir sicher sein.«

Ariana war es einerlei, ob er mit anderen Frauen ins Bett stieg. Schließlich sehnte sie sich selbst nach einem anderen Mann. Dennoch zögerte sie, ihren Gedanken laut auszusprechen. Ein Teil von ihr fürchtete, er könnte sie beim Wort nehmen. Denn obwohl sie ihn weiterhin als Freund betrachtete, war in den vergangenen zwei Wochen ihrer Ehe eine irritierende Verbindung zu ihm entstanden, gegen die sie nicht völlig immun war.

Die Nächte, die sie mittlerweile dicht beieinander verbrachten, waren nicht alle von Kummer durchzogen. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er sich bemühte, sie für sich zu gewinnen. Dieser Konflikt zwischen ihren Gedanken und Gefühlen verunsicherte sie. Es fiel ihr immer schwerer, klare Grenzen zu definieren.

Fionn bot ihr Sicherheit, ein Heim, Zuneigung.

Sie dagegen klammerte sich an die abstrakte Hoffnung, einen Elfenkönig wiederzusehen.

Der Aufenthalt in Kierans Reich erschien ihr inzwischen mehr und mehr wie ein Traum. Um ihn nicht zu vergessen, rief sie sich Tag für Tag die Erinnerung zurück ins Gedächtnis.

Gereizt zuckte sie mit dem Arm, sodass Fionn seine Hand zurückzog.

»Ariana«, flüsterte er. »Was kann ich tun? Wie erweiche ich dein Herz für mich? Warum schottest du einen Teil deiner Seele von mir ab?«

»Ich kann nicht anders«, flüsterte sie zurück. »Ich will dich nicht verletzen, Fionn.«

»Du meinst, mehr als bisher?«

Wut schwelte in seinen Worten. Ariana verübelte es ihm nicht. Wer wäre unter solchen Bedingungen nicht aufgewühlt? Der Gedanke, Kieran könnte ihr gegenüber empfinden wie sie für Fionn, zerbrach ihr das Herz.

»Ich kann nichts dafür«, brachte sie hervor.

Einen Moment zögerte er mit der Antwort. »Bist du sicher?«

»Was meinst du?«

»Vielleicht willst du nur nicht? Vielleicht sperrst du dich absichtlich gegen mich, weil ich seit unserer Kindheit dein Freund bin?«

»Warum sollte ich das tun?« Ariana verstand es nicht. Seit wann konnte man Gefühle steuern? »Du kennst mich. Ich habe dir erzählt, was passiert ist. Ich habe mich in einen anderen verliebt. Das lässt sich nicht lenken wie eines deiner Pferde. Wärst du wirklich mein Freund«, fuhr sie fort, »dann würdest du mich nicht unter Druck setzen. Du würdest mich freigeben, mich unterstüt-«

»Nein. Das habe ich dir bereits gesagt. Ich liebe dich, ob du willst oder nicht. Ich gebe dich nicht her. Jetzt nicht – und in Zukunft ebenso.«

Sie schlug die Decke beiseite. »Du sagst, du liebst mich. Aber deine Liebe zu mir ist egoistisch.« Ihr Blick streifte ihn. Sie griff nach dem Morgenmantel am Fußende. »Du bist egoistisch. Ich soll dir Liebe entgegenbringen, wie es eine brave Gattin tut. Aber was tust du für mich? Du willst, dass ich dich liebe, wie ich ihn liebe. Aber wie könnte ich? Wie soll ich dich mehr lieben als einen Freund aus Kindertagen, wenn du mich in deinem Bett haben willst, meine Gefühle übergehst und nur darauf bedacht bist, was für dich das Beste ist? WIE, Fionn?«

Er erhob sich ebenfalls. Dabei bewegte er sich langsam.

Lauernd.

Ariana klopfte das Herz bis zum Hals.

»Ich bin immer noch dein Freund.«

Sie schnaubte und verschränkte die Arme. Ihre Hände umklammerten die Oberarme, als wären sie in einem Schraubstock gefangen. Sie zitterte, doch ihr Griff war fest genug, um es zu verbergen. »Dann verhalte dich zur Abwechslung wie einer«, schimpfte sie.

Abrupt kehrte er ihr den Rücken zu. Die Emotionen kochten in ihnen beiden. Vielleicht mussten sie jetzt und hier endgültig klären, was das zwischen ihnen wirklich war.

»Ich war dir ein guter Freund, Ari. Das war ich«, sagte er und sah sie wieder an. »Ich habe dich zur Frau genommen, weil ich dich liebe. Ich gab nicht auf, obwohl du ein halbes Jahr lang spurlos verschwunden warst. Ich nahm dich mit dem sicheren Wissen, dass du Gefühle für irgendeinen dahergelaufenen Kerl hast. Trotz allem habe ich dich geheiratet. Würde das jemand machen, der dir kein Freund ist?«

»Du willst mich ja bloß, um Herrscher über die Länder sein zu können«, warf sie ihm vor. Er seufzte tief.

»Natürlich will ich das«, sagte er ein wenig sanfter und trat näher. »Damit du und unsere Kinder eine sichere Zukunft haben werden.«

Kinder. Den Gedanken an gemeinsamen Nachwuchs hatte Ariana konsequent vermieden. Sie sahen einander an. Die Gefühle hinterließen nichts als traurige, staubige Ödnis in ihrem Herzen. Fionn kam zu ihr, schlang seine Arme um sie und zog sie in eine enge Umarmung. Nur zögernd erwiderte sie die Geste. »Lass uns nicht weiter darüber sprechen«, meinte er. Ariana legte ihre Wange an seine Brust und hörte den Herzschlag in sich widerhallen, ein stetes, kräftiges Pulsieren hinter den Rippen. »Wir zanken und ich will mich nicht entzweien. Du bist meine Frau, ich bin dein Mann. Wir schworen uns, einander zu achten und zu ehren. Daran wollen wir uns halten.« Sie beide wünschten Frieden und Harmonie. Sicherheit in einer unsicheren Welt. Eine Gänsehaut kroch ihr über die Haut. Unsicher löste sie sich aus seiner Umarmung und sah ihm ins Gesicht. Seine Züge waren weicher geworden, er lächelte sogar. Neben ihrem Kindheitsfreund erkannte sie aber auch den Mann in ihm. Der, der sie beobachtete. Der besitzergreifend war. Und der einen finsteren Anteil in sich trug, der ihr eine Heidenangst einjagte. »Du solltest schlafen«, meinte sie nach einem kurzen Augenblick. »Du auch.« »Ich werde eine Weile hinausgehen.« Langsam löste er seine Arme von ihr und gab sie frei. »Soll ich mitkommen?« »Ich wäre jetzt lieber allein.« Sie schlüpfte in ihre weichen Pantoffeln und verließ rasch das Zimmer.

***

»Ich gehe zum Markt«, eröffnete sie ihrem Schwiegervater und Fionn beim Frühstück. Beide Männer schauten auf.

»Allein?«, fragte Fionn.

»Warum nicht? Ich ging immer allein zum Markt. Wenn ich mir etwas Einfaches anziehe und einen Hut aufsetze, erkennt mich sicher niemand.«

Persàl schnaubte. »Als ob es am Hut liegt«, meinte er und lehnte sich zurück. »Ich lasse eine Magd und zwei Wachen mitgehen. Sie passen auf dich auf.«

Fionn nickte. »Es ist besser, du gehst nicht allein. In der Stadt ist es gefährlich.«

»Meinen Vater störte es nie und mir ist nie etwas geschehen.«

»Du bist hier nicht länger in Tarnàl«, sagte Fionn rau. Seine Kiefermuskeln zuckten angespannt und seine Hand lag geballt auf dem Tischtuch. »Ich sage, du gehst nicht allein«, fügte er hinzu. »Wenn du willst, begleite ich dich.«

»Das brauchst du nicht. Ich bin sicher, ihr habt hier eine Menge zu besprechen. Schließlich planst du, deinen eigenen Vater vom Thron zu stoßen.«

Stille breitete sich aus. Ihre Worte waren spitz gewählt. Doch sie lagen ihr auf der Zunge und waren längst gesprochen, noch ehe sie sie zurückzuhalten konnte. Beschämt senkte sie ihren Blick. »Verzeiht«, murmelte sie und betrachtete betreten ihren Teller und dessen goldenen Rand. »Es stand mir nicht zu, dies zu sagen.«

Kurz verharrten die Männer in Schweigen. Dann winkte der König ab. »Du hast das Herz am rechten Fleck, Mädchen, das habe ich gleich erkannt. Die Wahrheit sollte niemals verschleiert werden.«

Fionn schnaubte, was ihm einen kühlen Blick von Persàl einbrachte. Ariana stand auf.

Sie sehnte sich danach, die erdrückenden Mauern des Palastes hinter sich zu lassen. Die Sehnsucht nach Büchern brannte ebenso in ihr wie die Sehnsucht nach Kieran Maktùr. Das galt umso mehr, da Fionn das K-Wort ausgesprochen hatte.

Kinder. Der Gedanke schreckte sie. Er ließ sie umso deutlicher die Sehnsucht nach ihrem alten Zuhause spüren. Bevor sie den Raum verließ, wandte sie sich noch einmal um. »Ich werde den ganzen Tag fort sein, sorgt euch also nicht.« Fionn betrachtete sie ernst und für den König war ihre Abwesenheit ohnehin eine Nebensächlichkeit. Er hatte andere Sorgen. Als sie sich wenig später auf den Rücken des Pferdes hievte, wandte sie sich der Magd zu, die sie eigentlich begleiten sollte. »Hier hast du eine Liste mit den Dingen, die zu besorgen sind. Geh und erledige das.« »Aber, Prinzessin«, wandte das Mädchen ein. »Ich soll euch begleiten.« »Ich könnte dem König mitteilen, dass er eine ungehorsame Magd in seiner Dienerschaft beschäftigt.« Die Augen des Mädchens weiteten sich. »Bitte nicht«, lenkte sie ein. Ariana schickte sie daraufhin weg und warf den zwei Palastwachen einen Blick zu. »Ihr begleitet mich bis zur Grenze«, erklärte sie. »Ich werde in Tarnàl sicher sein. Mir droht dort keine Gefahr. Ihr wartet an der Grenze auf mich. Wir treffen uns am Nachmittag wieder.« »Aber, Prinzessin«, fing einer von ihnen an. »Kein aber«, entgegnete sie mit fester Stimme. »Ich reite allein. Ein Wort zum König und ich persönlich sorge dafür, dass man euch bestraft. Habt ihr das verstanden?« Die Wachen zögerten einen Augenblick. Dann nickten sie langsam, woraufhin Ariana sie anlächelte. »Dann können wir ja jetzt los«, sagte sie und ritt voraus.

Der Schatten Deiner Seele

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