Читать книгу Hoffnungsschimmer - Heidi Dahlsen - Страница 4
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Оглавление„Was ist nun schon wieder mit Jenny los?“, fragt Jutta kopfschüttelnd. „Wieso kommt sie nicht wie abgesprochen gleich nach der Schule nach Hause?“
„Sie hat einen neuen Freund“, antwortet Janek und ist augenblicklich sauer auf sich selbst, weil er wieder einmal den Mund nicht halten konnte.
„Was?!?“, ruft Jutta aus. „Das fehlt uns gerade noch. Wieso weiß ich wieder nichts davon? Weißt du schon Genaueres?“ Janek zuckt mit den Schultern. „Los, raus damit!“, fordert Jutta ihn auf weiterzusprechen.
Er schaut seinen Vater hilfesuchend an.
„Lass gut sein, Jutta“, antwortet Markus für seinen Sohn. „Vielleicht hat sich die Freundschaft mit diesem Jungen auch bald wieder erledigt. Also musst du dich gar nicht erst aufregen. Beruhige dich. Denk an das Baby.“
„An das denke ich unaufhörlich, weil es mich ständig mit kräftigen Fußtritten an seine Anwesenheit erinnert.“
„Ich würde dir die Schwangerschaft gern abnehmen“, bietet Markus lächelnd an und streichelt ihr sanft über den Bauch.
„Lenk nicht ab. Ich möchte endlich über meine Tochter und deren Umgang Bescheid wissen. Warum erfahre ich nie etwas?“ Erst jetzt bemerkt sie, dass Janek den Raum verlassen hat. Sie seufzt. „Warum kann meine Tochter nicht so vernünftig sein, wie dein Sohn? Immerhin sind sie gleichaltrig und beide in der Pubertät. Ich dachte, wenn wir zusammenwohnen, dann wirkt sich Janeks Vernunft wenigstens etwas auf Jenny aus. Aber Pusteblume.“
Bevor Markus etwas erwidern kann, wird die Haustür aufgerissen und Jenny kommt hereingestürmt. Im Schlepptau hat sie einen jungen Mann.
„Wir gehen in mein Zimmer.“ Sie hebt eine Hand und zeigt mit dem Daumen hinter sich. „Ach ja und der nette junge Mann hier ist Albert. Mein neuer Freund.“
Der Junge macht einen Schritt nach vorn, grinst Jutta und Markus verlegen an und nickt zur Begrüßung leicht mit dem Kopf. Da Jenny ihn unsanft zur Treppe zieht, kommt er etwas ins Straucheln und es bleibt ihm nichts weiter übrig, als hinter ihr her zu stolpern.
Jutta glaubt, ihren Augen nicht zu trauen. Bevor sie jedoch etwas äußern kann, sind die beiden verschwunden. Sie plustert ihre Wangen auf.
Markus grinst. „Schatz, reg dich bitte nicht auf. Gib ihm eine Chance. Das ist heute modern.“
„Hast du das gesehen? Er sieht aus, als wäre er eben einer Geisterbahn entsprungen. Was sollen die Leute sagen, wenn er öfter hier ein und aus geht?“
„Man sollte einen Menschen nie nach Äußerlichkeiten beurteilen“, sagt Markus.
„Das mache ich sonst nicht, aber hier ist es doch offensichtlich. Ein schwarzer Ledermantel, schwarze Stiefel mit Spinnennetzen darauf, eine Kopfseite geschoren, die andere zieren lange schwarze Haare, ganz abgesehen von dem vielen Metall im Gesicht und an den Ohren. Das färbt doch auf die Seele ab.“
„Gib ihm eine Chance.“
„Das wird mir schwer fallen.“
„Ich bin dann mal weg“, sagt Janek leise und hofft, dass ihn niemand hört, damit ihm weitere Fragen erspart bleiben.
„Janek!“, ruft Jutta. Sie geht zu ihm, damit er ihr nicht wieder entwischt. Er verdreht die Augen und schaut sie etwas genervt an. „Bitte erzähle mir, was mit diesem Albert los ist“, fordert sie ihn auf.
„Was soll denn mit ihm los sein?“, fragt er scheinheilig.
„Du weißt genau, was ich meine.“
Markus stellt sich hinter Jutta, legt sein Kinn auf ihre Schulter und beide Hände auf ihren Bauch, um das Baby darin zu beruhigen. Er zwinkert seinem Sohn aufmunternd zu.
„Warum kannst du nicht einmal etwas mit Jenny allein klären?“, fragt Janek. „Sie erzählt mir in letzter Zeit fast gar nichts mehr, nur weil sie weiß, dass ich deiner Neugier immer wieder nachgebe.“
„Das ist keine Neugier“, sagt Jutta empört. „Das ist … äh … hmmm“, sie überlegt angestrengt, bevor sie weiterspricht. „Ich bin schließlich ihre Mutter und für sie verantwortlich.“
„Ich muss jetzt los“, sagt Janek. „Sonst komme ich zu spät zum Training.“
Markus signalisiert ihm mit einem leichten Kopfnicken, dass er gehen kann. Janek schnappt sich seine Tasche und ist umgehend verschwunden.
„Komm, Jutta. Du legst dich jetzt hin. Denk daran, was der Arzt gesagt hat“, erinnert Markus sie. „Du sollst die Aufregung in Grenzen halten, egal wie schlimm es kommt. Ich koche dir einen Tee.“
Er kann es kaum erwarten, dass seine Eltern aus dem Urlaub zurückkommen und seine Mutter Jenny wieder unter ihre Fittiche nimmt. Sie ist die einzige, die an das junge Mädchen herankommt. Dass Pubertät so schlimme Auswirkungen haben kann, hätte er nie gedacht, denn sein gleichaltriger Sohn ist im Gegensatz zu Jenny regelrecht friedlich und umgänglich.
„Na, was nicht ist kann noch kommen“, denkt er und schickt ein Stoßgebet in Richtung Himmel. „Hoffentlich nicht.“
Während er in der Küche hantiert denkt er wieder einmal über Jenny nach. Jutta hat ihren Mann vor einem Jahr verlassen und sich kurz darauf bereits in ihn verliebt. Jenny leidet unter der Trennung ihrer Eltern, zumal die kaum noch miteinander reden. Auch die Schwangerschaft ihrer Mutter macht ihr zu schaffen. Bisher hatte sie in Janek einen Verbündeten. Seitdem sie feststellen musste, dass ihre Mutter ihn über sie unermüdlich ausfragt, spricht sie fast gar nicht mehr mit ihm.
Weihnachten hat sie Markus‘ Eltern kennengelernt und ziemlich schnell Vertrauen zu ihnen gefasst. Denn Oma Anni geht auf ihre eigene liebevolle Art mit dem jungen Mädchen um. Sie sagt, dass das darauf zurückzuführen ist, dass sie Jenny nicht erziehen muss, sondern nach Strich und Faden verwöhnen kann, so wie es sich für eine Oma gehört. Von Vorteil ist auch, dass alle zusammen in ein Zweifamilienhaus gezogen sind, sodass Jenny sich mehr bei Markus‘ Eltern aufhält. Oma Anni hört ihr unermüdlich zu und macht Vorschläge zur Lösung ihrer Probleme. Jenny fühlt sich ernst genommen und gar nicht bevormundet oder gar kontrolliert. Und Opa Wolfgang trägt ebenfalls zu Jennys Wohlergehen bei, denn er bezieht sie in die Planung des Grundstückes, vor allem des Pools, mit ein und spielt unermüdlich ihren Chauffeur, wenn sie wieder mal spät dran ist oder zu erschöpft, um mit dem Rad zu fahren.
Markus versucht ebenfalls zwischen Jenny und Jutta zu vermitteln, was ihm manchmal sogar gelingt. Jutta macht sich jedoch immerzu Sorgen, weil sie das Gefühl hat, bei Jenny einiges gutmachen zu müssen, denn sie hat ständig ein schlechtes Gewissen, ihr wegen der Scheidung und des Umzugs zu viel zugemutet zu haben. Obwohl Jenny öfter bestätigt, dass das nicht der Fall ist, sie sich in der Kleinstadt sogar wohlfühlt, lässt sich Jutta von ihrem Standpunkt nicht abbringen.
Er wartet geduldig bis das Teewasser kocht und füllt es in die Kanne. Aus dem Schrank nimmt er zwei Tassen, Löffel und Zucker.
Als das Telefon im Wohnzimmer läutet, greift Jutta nach dem Hörer und nimmt das Gespräch entgegen.
„Ich glaube nicht, was ich gesehen habe!“, vernimmt sie sogleich die wütende Stimme ihrer Mutter.
Jutta stöhnt auf und ärgert sich, dass sie Markus nicht gerufen hat. Sie kommt aber gar nicht dazu, lange darüber nachzudenken, denn ihre Mutter lässt ihrem Unmut freien Lauf.
„Ich kann nicht nachvollziehen, dass du deine Tochter so rumlaufen lässt. Hast du unterdessen jeden Einfluss auf sie verloren? Was sollen nur die Leute denken? Ich traue mich schon gar nicht mehr auf die Straße, weil ich immerzu Angst haben muss, einem von euch zu begegnen. Meine Nachbarn reden hinter meinem Rücken und machen sich lustig. Was ist das für ein Kerl, mit dem sich Jenny eingelassen hat? Karneval ist längst vorbei. Oder sind die beiden schon von den Toten auferstanden? Was wollt ihr mir noch zumuten?“
Als sie kurz Luft holt, ergreift Jutta ihre Chance und erwidert: „Hallo Mutti, Jenny ist eben erst nach Hause gekommen. Ich konnte noch nicht mit ihr sprechen.“
„Pah! Das höre ich jedes Mal von dir. Du taugst wirklich nichts als Mutter und nun kommt noch das nächste Kind.“ Jutta kann sich vorstellen, wie ihre Mutter den Kopf schüttelt und ihre Lippen zusammenpresst, sodass nur noch ein dünner blasser Strich erkennbar ist. Genau so hat sie immer vor ihr gestanden, als sie ihr als Kind Vorwürfe gemacht hat. Und genau so eine Mutter wollte sie selbst nie für Jenny werden. Sie seufzt und denkt: „Wie man es macht …“
„Da fehlen dir wohl die Worte!“, wird sie angeblafft.
„Jenny hatte es in letzter Zeit nicht leicht“, versucht sie ihre Mutter zu beschwichtigen.
„Wie lange willst du noch darauf rumreiten? Wer hat es schon leicht im Leben? Ich habe dir bereits mehrmals gesagt, dass bei diesem Kind Hopfen und Malz verloren sind.“
„Ich weiß“, erwidert Jutta leise, um ihre Mutter nicht noch mehr aufzuregen und endlich ihre Ruhe zu haben.
„Und die Eltern von deinem Markus tun ihr gar nicht gut. Die verwöhnen sie nur. Wie oft sehe ich, dass Wolfgang sie durch die Stadt kutschiert. Pflichten braucht das Mädchen, Pflichten ohne Ende und kein Himmelschloss. Die wird doch bei euch allen wie eine Prinzessin gehalten. Na, wenn ich etwas zu sagen hätte … dann … Warum hast du dich nicht dafür eingesetzt, dass ich zu euch ziehen darf? Dann wäre Jenny schon längst ein wohlerzogenes Kind, das euch nicht auf der Nase rumtanzt und mit dem man sich nicht schämen muss …“
Markus kommt mit einem Tablett herein und sieht, dass Jutta Tränen über die Wangen laufen.
Leise fragt er sie: „Deine Mutter?“
Sie nickt.
Er nimmt ihr den Hörer aus der Hand und bevor er etwas sagen kann, hört er ihre Mutter wettern: „… immer höre ich nur Markus hier und Markus da und Oma Anni macht dies und Opa Wolfgang jenes. Du versteckst dich hinter denen. Bilde dir endlich mal eine eigene Meinung und steh dazu. Wenn ich bei euch wohnen würde, dann wäre …“, weiter kommt sie nicht, denn Markus unterbricht sie.
„Frau Schubert!“, sagt er laut und bestimmt. „Jutta kann Ihnen jetzt nicht weiter zuhören. Sie muss sich noch etwas ausruhen, denn wir haben nachher einen Arzttermin. Vielleicht versuchen Sie es später noch einmal, dann können wir Ihnen berichten, wie es Ihrem noch ungeborenen Enkelkind, auf das wir uns alle sehr freuen, geht.“ Er legt einfach auf und reicht Jutta ein Taschentuch.
„Danke“, sagt sie und schnäuzt kräftig.
Markus schüttelt den Kopf. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst das Telefon einfach klingeln lassen und nicht mehr rangehen.“
„Es hätte doch etwas passiert sein können … mit Jenny“, erwidert Jutta.
Markus atmet hörbar aus. „Sie ist kein kleines Kind mehr. Außerdem ist sie mit Albert oben in ihrem Zimmer.“
„Ach ja, das habe ich ganz vergessen. Es tut mir leid. Meine Mutter bringt nur Ärger und Unruhe in unsere Beziehung.“
„Wie wahr“, sagt Markus und lächelt versöhnlich. „Aber dafür kannst du nichts. Wir müssen eben Grenzen setzen und lernen, damit umzugehen. Als nächstes kaufe ich eine moderne Telefonanlage, damit wir im Display sehen, wer anruft. Dann werden wir eben vorerst für deine Mutter nicht erreichbar sein.“
„Eine gute Idee“, sagt Jutta und verzieht schmerzerfüllt ihr Gesicht.
„Was ist?“, fragt Markus besorgt. „Bitte beruhige dich.“ Sie stöhnt auf und hält sich den Bauch. „Komm, wir fahren gleich zum Arzt. Sicher ist sicher.“
Als sie an der Rezeption der Arztpraxis stehen, winkt ihnen Christine aus dem Wartezimmer zu. Markus ist sehr erfreut, sie zu sehen, denn nun kann sie Jutta etwas ablenken.
„Setz dich schon zu Christine“, fordert er Jutta auf. „Ich melde uns an.“
„Du siehst ja ziemlich erschöpft aus“, sagt Christine zu ihr. „Muss ich mir Sorgen machen?“
Jutta schüttelt den Kopf. „Nein. Es ist nur …“
„Lass mich raten“, wird sie von Christine unterbrochen. „Jenny? Deine Mutter?“
„Beide. Leider kann ich sie nicht einfach aus meinen Gedanken streichen. Es würde schon reichen, wenn sich meine Mutter etwas zurückhält, aber sie ruft ständig an und macht mir Vorwürfe.“
„Dann geh doch einfach nicht mehr ans Telefon.“
„Das habe ich auch schon vorgeschlagen“, meint Markus. Er umarmt Christine herzlich. „Schön, dich zu sehen. Ist bei euch alles in Ordnung?“
„Ja, das tägliche Chaos hält uns auf Trab.“ Sie schmunzelt und fragt Jutta: „Wie lange dauert es noch mit dem Baby?“
„Fünf Wochen. Ich hoffe, dass ich durchhalte und es nicht eher kommen muss, nur weil …“ Sie winkt ab und krümmt sich zusammen.
Die Sprechstundenhilfe schaut zu ihnen, springt auf und gibt Markus ein Zeichen, mit Jutta umgehend in einen Behandlungsraum zu gehen. Sie hält die Tür auf und gibt dann dem Arzt Bescheid.
Christine macht sich Sorgen, ist aber froh, wieder allein zu sein, um ihren Gedanken nachhängen zu können.