Читать книгу Hoffnungsschimmer - Heidi Dahlsen - Страница 8
6.
Оглавление„Lydia“, sagt Christine am Telefon. „Die Jungs möchten, dass du sie heute ins Bett bringst. Was meinst du, kannst du deine Schreiberei unterbrechen und zu uns kommen?“
„Eher gibst du ja doch keine Ruhe, oder?“
„Nein“, antwortet Christine. „Wir wollen ein Lagerfeuer machen, Würstchen grillen. Das mussten wir schon von gestern auf heute verschieben. Es ist nicht leicht, einen gemeinsamen Termin zu finden. Deshalb wäre es schön, wenn es bei dir klappen würde. Olli ist auch da.“
„Das ist okay. Ich habe vor ihm keine Geheimnisse. Du hast ihm doch sicher schon alles über mich und meine blöde Situation berichtet, oder?“
Christine bekommt ein schlechtes Gewissen und lenkt ab. „Ich habe mit ihm gesprochen und ihn informiert, dass es mit unserem Baby wahrscheinlich nicht klappen wird.“
„Und wie hat er reagiert?“
„So, wie du gesagt hast. Er meinte, dass meine Gesundheit am wichtigsten ist. Aber trotzdem tut es mir sehr leid.“
„Ich bin um 18 Uhr da und freue mich auf euch.“
„Das freut uns auch sehr. Bis dann.“
Endlich ist Ruhe in den Kinderzimmern. Lydia setzt sich zu Christine auf die Hollywoodschaukel. Olli legt noch einmal dicke Äste auf das prasselnde Feuer. Christine gießt Rotwein in die Gläser.
„Bei euch ist es so idyllisch“, sagt Lydia. „Hier lässt es sich wohnen.“
„Deine riesige Dachterrasse ist doch auch super. Die hat ebenfalls einen gewissen Erholungswert“, sagt Olli.
„Ja, aber die Wohnung ist sehr klein. Die Terrasse kann ich leider nur im Sommer nutzen. Und immerzu allein zu sein ist auch nicht berauschend. Das einzig Gute ist, dass ich mir meine Zeit einteilen und machen kann, was ich will. Ich muss auf niemanden Rücksicht nehmen.“
„Und was machen deine Buch-Projekte?“, will Olli wissen.
„Die Idee mit dem Veröffentlichen von Familienchroniken hat sich zerschlagen“, antwortet sie. „Meine Verlegerin meint, dass eine Serie davon auf dem Buchmarkt nicht bestehen wird.“
„Schade, dann gib die doch privat heraus, wenn Interesse von Leuten besteht.“
Lydia schüttelt den Kopf. „Der Aufwand wäre für mich viel zu hoch. Ich habe keine Ahnung von den dazugehörigen Tätigkeiten wie Buchsatz, Lektorat sowie Veröffentlichung. Außerdem müsste ich einen eigenen Verlag gründen und in Vorkasse gehen. Das will ich nicht.“
„Und woran schreibst du zurzeit?“, fragt er.
„Hat dir das Christine noch nicht erzählt?“ Ihre Wangen färben sich rot.
„Nein.“ Er tut unwissend und schaut Christine erstaunt an. „Du weißt mehr als ich?“ Als beide Frauen nicht antworten, fragt er grinsend: „Etwa was Erotisches?“
„Nein, einen ganz normalen Frauenroman“, antwortet Christine für Lydia.
„Und warum wird Lydia rot? Irgendwas kann doch da nicht stimmen?“
„Ach, es ist peinlich.“
„Es ist gar nicht peinlich“, kontert Christine. „Sie hat sich etwas verliebt, als sie mit Bertram beim Kinderarzt war.“
„Was? Das ist ja super“, sagt Olli. „Da war wohl ein schnuckeliger Papi mit seinem Kind anwesend?“
„Nein“, antwortet Christine nochmals für Lydia, „das hatte ich auch erst vermutet.“
„Mein Gott …“ Lydia überlegt krampfhaft, mit welcher plausiblen Begründung sie sich aus der Affäre ziehen könnte. „Ihr gebt ja doch keine Ruhe. Der Kinderarzt ist schnuckelig. So, nun wisst ihr es.“ Lydia weiß nicht, ob sie lachen oder wütend sein soll, weil sie zu einer Notlüge gegriffen hat und ergänzt: „Er weiß es nicht, weil es peinlich ist.“
Christine und Olli schauen sich fragend an.
„Aber der ist doch schon über sechzig“, stellt Olli verwundert fest.
Lydia schüttelt den Kopf. „Das ist mir gar nicht aufgefallen. Eigentlich sieht der jünger aus.“
„Na, egal“, sagt Olli. „Wo die Liebe hin fällt, da kann man nichts machen. Wieso findest du das eigentlich peinlich, jemandem zu sagen, dass du ihn liebst?“
„Hallo?! Ich mache mich doch nicht zum Affen.“
„Wenn er nicht verheiratet ist, dann steht euch doch erst mal nichts im Weg.“ Olli denkt kurz nach. „Oder ist er verheiratet? Die Jungs haben bald einen Impftermin. Soll ich ihn fragen? Ich kläre das für dich.“
„Bist du wahnsinnig?“ Lydia wird blass. „Nichts klärst du. Ich gehe nie wieder da hin und schon ist alles gut.“
„Du darfst gerne mit den Jungs zum Impfen gehen. Ich kann keine Spritzen sehen. Wenn es blutet kippe ich aus den Latschen. Was sollen die Jungs dann von ihrem Papi halten? Nichts mehr mit mutiger starker Papi. Mein Ruf wäre ruiniert.“ Er blinzelt Lydia vergnügt an.
„Wie kannst du nur immer alles so leicht nehmen?“, fragt sie ihn.
„Das ist Übungssache. Falls du `Alles-leicht-nehmen´ üben möchtest, dann überlasse ich dir die Fahrt zum Kinderarzt.“
„Ich würde dort nur zittern und kein Wort mehr rausbekommen.“
„Deshalb sollst du doch üben“, sagt Olli.
„So sehr hat es dich erwischt?“, fragt Christine und schaut sie mitleidig an.
„Hi, hi, hi“, lacht Olli. „Dann würde der Doc denken, du hast auch Angst vor Spritzen. Nee, das geht nicht. Hier muss eine andere Strategie her. Lasst mich nur mal machen, ich kläre das.“
„Wehe“, rufen Lydia und Christine wie aus einem Mund.
„Lass das Lydia allein entscheiden“, sagt Christine. „Ich kann das nachvollziehen. Wenn man nicht weiß, wie der andere fühlt, dann kann man nicht einfach raus posaunen: `Ich liebe dich.´“
„Und was schlägst du stattdessen vor?“
„Ich weiß es auch nicht, aber so geht es nicht.“
„Soll Lydia etwa schmachten und bald verrückt werden vor unerfüllter Liebe? Ich weiß, wie sich das anfühlt, immerhin war ich fast Jahrzehnte unerwidert in dich verliebt, meine liebe Christine.“
„Vielleicht gehen wir gemeinsam zum Impftermin, dann ist sie nicht allein. Und so ganz nebenbei … Wer weiß?“ Christine lächelt und zuckt mit den Schultern.
„Das wäre eine super Idee“, sagt Olli.
„Apropos Ideen“, sagt Christine, um von dem für Lydia peinlichen Thema abzulenken. „Erzähl doch Lydia mal von deiner neuen Geschäftsidee.“
„Das kannst du auch tun“, antwortet Olli. „Ich muss mal kurz telefonieren, denn mich hat eben ein Geistesblitz getroffen.“ Er schaut verschmitzt vor sich hin und geht ins Haus.
„Männer“, sagt Christine gespielt abfällig und Lydia grinst.
Auf einmal wird Lydia ernst. „Ich hoffe, dass er nicht den Kinderarzt anruft. Olliii?!“
„Nein, bleib sitzen, das macht er nicht. Da hat er viel zu viel Angst vor meiner Reaktion.“
„Na, hoffentlich.“ Lydia ist trotzdem etwas beunruhigt und versucht zu lauschen, ob sie von dem Gespräch etwas aufschnappen kann. Aber Olli ist in der Küche und hat die Tür hinter sich geschlossen.
„Gestern“, beginnt Christine zu erzählen, „haben wir es uns mal richtig gemütlich gemacht. Endlich, nach den arbeitsintensiven Monaten. Olli hat wirklich vor, weniger zu arbeiten, sodass für unsere Familie Freizeit herausspringt.“
„Toll, dann klappt es vielleicht doch noch mit eurem gemeinsamen Baby“, sagt Lydia. „Das würde mich für euch freuen.“
„Wir werden sehen, wie alles wird, da machen wir uns keinen Stress vorläufig. Also, in der Werbe-Agentur wird es nun so weitergehen, dass Olli Menschen bei der Verwirklichung ihrer Träume helfen will. Ideen hat er ja genug, meistens sehr nützliche. Und Markus erledigt die ganze Werbung. Da kann eins ins andere übergehen. Zwei Klappen für eine Fliege sozusagen.“
„Ja, aber ...“ Lydia kommen Zweifel. „Die meisten haben doch am Anfang nicht viel Geld und werden Olli nicht genug zahlen können.“
„Das hat er einkalkuliert. Kennst doch Olli, der ist allen anderen meistens einen großen Schritt voraus. Er nimmt vorerst kein Geld, sondern arbeitet mit den Kunden einen tollen Plan aus und lässt sich am Gewinn beteiligen, auf Lebenszeit der jeweiligen neuen Firma. Selbst, wenn die Pleite gehen irgendwann, hat er bis dahin verdient. Olli weiß schon, was er macht, er überdenkt alles ganz genau. Ich bin überzeugt, dass sich das gut entwickeln wird.“
Lydia nickt. „Ja, das stimmt. Das könnte klappen.“
„Und das Beste daran ist, er muss nicht in der Agentur am Computer sitzen. Die Ideen kommen ihm so nebenbei, die übergibt er den Kunden und lässt diese dann weitestgehend selbstständig arbeiten. Menschen werden erfolgreicher, wenn sie sich alles selbst erarbeiten. Er gibt denen nur Denkanstöße.“
Lydia lacht. „Olli kommt wirklich auf die verrücktesten Ideen.“
„Markus ist auch begeistert. Die Agentur wird somit mehr Aufträge erhalten. Deshalb werden demnächst weitere Mitarbeiter eingestellt, sodass er nicht mehr alles allein machen muss und auch mehr Zeit für seine Familie hat.“
Lydia wird traurig.
„Was ist?“, fragt Christine.
„Alles ist wie immer. Bei euch geht es vorwärts und bei mir ist Stillstand“, antwortet sie.
„Ach, lass mal, es wird auch bei dir bald alles gut. Wir gehen gemeinsam mit den Jungs zum Impfen, fühlen dem Kinderarzt mal auf den Zahn und schauen, was wir erfahren können.“
„Ach, Christine, das ist nicht so …“
„… einfach, ja ich weiß, deshalb bin ich dann bei dir. Erzähle lieber mal, wie es beim Zahnarzt war.“
Lydias Gesichtsausdruck verändert sich abrupt.
„So schön?“ fragt Christine verwundert. „Oder war‘s schlimm? Ich kann mir gerade keinen Reim darauf machen, so komisch, wie du guckst.“
Lydia winkt ab. „Ich habe mich total blamiert, da geh ich so schnell nicht wieder hin.“
„Erzähle“, sagt Olli, der gerade zu ihnen kommt.
„Oh, nein, das ist so peinlich. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Wahrscheinlich will ich meine Nervosität und Unsicherheit mit humorvollem Geplauder überdecken. Das geht jedoch ständig in die Hose. Bereits als ich mir vergangene Woche nur einen Termin holen wollte, war ich so aufgeregt, dass ich schwungvoll eine Blumenvase vom Tresen fegte. Die Arzthelferin war empört … Aber was stellen die auch einen Strauß echter Blumen in meinen Schwenkbereich? Dann fragte sie mich, ob sie den Termin aufschreiben soll. In dem Moment, wo ich antworten wollte, kam der Arzt aus dem Sprechzimmer, schaute mich an. Ich bekam Panik, Schweißausbruch und sagte: `Nein, ich hab’s im Kopf.` Er grinste, ich drehte mich schnell um, eckte dabei an den Raumteiler mit Broschüren, konnte den eben noch festhalten und stürmte los. Jedoch hatte sich die Kordel meiner Jacke verhakt und ich riss das ganze Ding hinter mir her. Zum Glück war ein netter junger Mann im Wartezimmer, der aufsprang, mich erlöste und sagte: `Lassen Sie nur, ich räume das für Sie auf.´ So schnell war ich noch nirgends verschwunden.“
Olli und Christine halten sich ihre Bäuche vor Lachen.
„Nein! Das ist zum Totlachen“, sagt Olli und fängt sich einen bösen Blick von Christine ein. Er räuspert sich. „Also … na ja … das kann ja mal passieren.“
„HA, HA, HA“, macht Lydia. „Ich kann nicht darüber lachen, denn die Reihe der Missgeschicke setzte sich fort. Gestern war ich ja eigentlich nur zur Kontrolle da. Kaum hatte ich die Praxis betreten, bewegte ich mich extra langsam und umsichtig. Die Schwester war so nett und ließ sich nicht anmerken, ob sie sich noch an mich erinnern konnte. Ich öffnete meinen Mund und der Zahnarzt klopfte und schabte, na eben was ein solcher, der von seinem Handwerk etwas versteht, so macht. Er fand ein Löchlein, das er gleich reparieren wollte und stopfte mir eine Watterolle zwischen Kiefer und Wange, sodass ich wie ein Hamster aussah. Ich schloss meine Augen und ließ ihn gewähren. Zwischen zwei Zähne wollte er einen Plastik-Streifen schieben. Weil das nicht so einfach war, drückte, ruckelte und schob er. Dann sagte er: `Das ist aber straff bei Ihnen.´ Und ich nuschelte: `Na, wenigstens etwas, das an mir noch straff ist.´“ Olli und Christine lachen. „Schön für euch, dass euch meine Geschichte so erheitert. Mir ist das Lachen vergangen. Die unterdessen feuchte Watterolle ist beim Sprechen aus dem Mund geflutscht und schwungvoll auf seinem Schoß gelandet. Der Zahnarzt stutzte erst und grinste dann. Mann, wie blöd bin ich, kann nicht mal mehr meine Gedanken für mich behalten?“
„Ach, Lydia, das war doch lustig“, sagt Christine. „Bei ihm sitzen sicher nur ängstliche Menschen auf dem Stuhl. Er wird froh gewesen sein, dass mal jemand einen Spaß macht.“
„Das ist ja noch nicht alles.“
„Was???“ Olli wischt sich eine Träne aus dem Auge. „Oh, Mann, Lydia, was kommt denn nun noch? Wenn ich beim Zahnarzt bin, kriege ich die ganze Zeit kaum die Zähne auseinander vor lauter Unwohlsein und du unterhältst die ganze Praxis. Dazu gehört Mut.“
Lydias Wangen haben sich vor lauter Aufregung rot gefärbt. Sie erzählt weiter. „Das Loch im Zahn war bald darauf zugeschmiert. Ich dachte, bloß schnell weg hier und sprang auf. Nachdem ich mit den Knien schwungvoll an das Tablett mit den Instrumenten stieß, flog alles mit Getöse durch den Raum. War mir das peinlich! Ich dachte nur noch an Flucht. Der Zahnarzt hielt mich jedoch fest und sagte, dass das nicht schlimm wäre und ich bleiben soll, weil er gleich noch ein paar Verfärbungen entfernen würde. Am liebsten hätte ich meinen Modus auf unsichtbar gestellt, aber auch das ging nicht. Also legte ich mich vorsichtig wieder hin.
`Ich bin gleich fertig´, meinte er. `Es geht wirklich ganz schnell. Dann blitzen Ihre Zähne wie neu.´
`Geblitzt wurde ich heute schon´, sagte ich, natürlich wieder ungewollt laut und wurde dunkelrot.
`Sie kommen um die Behandlung nicht drum rum´, sagte er lachend. `Da helfen keine Ausreden.´
`Das sind keine Ausreden´, erwiderte ich. `Die Verfärbungen kommen sicher vom Kaffee und Rotwein.´
Er nickte und sagte: `Ich trinke auch gern mal ein Glas Rotwein nach meiner Joggingrunde.´
Natürlich konnte ich meinen Mund wieder nicht halten und erwiderte: `Mir schmeckt der Rotwein auch wenn ich bloß auf der Couch liege. Vorher ausgiebig Sport zu machen, ist bei mir nicht zwingend nötig.´ Ich wollte lässig abwinken und kam dabei schon wieder an diese blöde Ablage, die die Schwester Gott sei Dank geistesgegenwärtig mit einem schnellen Griff festhielt. Nie wieder lasse ich mich dort blicken.“
„Warte nur ab“, sagt Olli, „wenn du heftige Zahnschmerzen bekommst, dann gehst du freiwillig.“
„Er hat alles kontrolliert und meinte, dass ich erst in einem Jahr wiederkommen soll. Bis dahin kann ich mir einen anderen suchen.“