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Tja –!

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Eine bunte Gesellschaft, wie sie die Sommerfrische zusammenführt, saß im Postgarten zu Binswang und freute sich des schönen Abends und führte kluge Gespräche über dies und das. Alle Anwesenden vorzustellen wäre ermüdend, denn es waren zwei lange Tische, an denen in dichter Folge Männer und Frauen saßen, und es genügt hier zu sagen, dass ein Kommerzienrat Distelkamp aus Barmen wie auch ein Landgerichtsdirektor Höfler aus Fürth und ein pensionierter Hauptmann darunter waren und dem Kreise das Gepräge der besseren Gesellschaft verliehen.

Auch das bedeutende oder interessante Element fehlte nicht, da am Vormittag der bekannte Schriftsteller Harry Mertens eingetroffen war, dessen lyrische Gedichte und Versdramen nicht erst hervorgehoben werden müssen.

Er saß neben seiner Frau, die ihn an Stattlichkeit bei weitem übertraf, denn er war eine kleine, semmelblonde Erscheinung mit kreisrunden blauen Augen und einem merkwürdig entsagungsvollen Lächeln um den süßen Dichtermund, während die einen heftig arbeitenden Busen, pralle Arme und ein Doppelkinn hatte.

Die Gesellschaft würdigte vollkommen die Ehre, mit einem gedruckten, besprochenen und aufgeführten Genius unseres Volkes an einem Tisch zu sitzen, und nicht nur waren es die Damen, welche mit leuchtenden Augen an ihm hingen, sondern auch die Herren Diestelkamp und Höfler legten eine mit Neugierde vermischter Ehrerbietung an den Tag.

Man hatte unmittelbar nach Mertens' Ankunft nicht geahnt, mit wem man es zu tun hatte, und Frau Mertens hatte nicht früher als beim ersten Mittagmahl Gelegenheit gefunden solche Bemerkungen einzustreuen, welche allgemeine Aufklärung verschafften, indem sie laut nach einer Zeitung rief und den Semmelblonden fragte, ob nichts von ihm oder über ihn darin stünde. Sie wiederholte die Frage, schlug die stark rauschenden Blätter hastig um, überflog das Gedruckte und sagte, dass zu ihrer Verwunderung keine Notiz zu finden sei.

Sie beruhigte sich erst, als die Pfeile saßen und von den Nebentischen forschende Blicke ihren Mann streiften, der seine Suppe aß und sich apathisch wie ein dem Publikum vorgezeigter Menagerielöwe verhielt.

Frau Mertens warf zwischen Rindfleisch und Mehlspeise und zwischen Mehlspeise und Kaffee noch mehrmals die Angel aus, und als man sich erhob, biss Frau Direktor Höfler an und erhielt auf schüchterne Fragen eine erschöpfende Belehrung über das Stück Literaturgeschichte, welches der Zufall in ihren Kreis geworfen hatte.

Am Abend war dann alle Welt so unterrichtet, dass sie dem Dichter Bewunderung zeigen und Kenntnis seiner Werke heucheln konnte.

»Woher nehmen Sie Ihre Stoffe«, fragte Landgerichtsdirektor Höfler, der hier zum ersten Mal einen Genius verhören konnte und entschlossen war das Wesen der Schriftstellerei zu zerlegen. »Bietet sich Ihnen der Stoff, wenn ich so sagen darf, zufällig dar oder erfassen Sie durch einen Willensakt die Materie, der Sie dann poetische Form verleihen?«

»Tja . . .«, sagte der Dichter.

»Ich meine, gehen Sie mit Überlegung und Absicht an das Objekt heran oder drängt es sich unabhängig und gewissermaßen fertig Ihrem subjektiven Empfinden auf oder…«

»Tja . . .«, sagte der Dichter.

»Oder«, wiederholte Höfler mit erhobener Stimme, denn er liebte es nicht, unterbrochen zu werden, »oder ist die Produktion in ihrem ersten Stadium ein von den den Willen bildenden Momenten unabhängiger Vorgang Ihrer Phantasie, welcher dann erst in seinem späteren Verlaufe in den Bereich Ihrer geistigen Machtsphäre gelangt und so Ihrem formenden Verstande unterworfen wird?«

»Er macht alles mit der Phantasie«, warf Frau Mertens ein, »er sitzt oft den ganzen Tag da und hat bloß Phantasie im Kopf; und dann kann man mit ihm reden, was man will – er hört einen nicht.«

»Das wäre also ein passiv empfangender Vorgang, der zeitlich dem aktiv gestaltenden vorausgeht«, bestätigte Direktor Höfler und sammelte zustimmendes Kopfnicken ein, indem er die Tafel entlangblickte.

»Ich denke es mir furchtbar interessant«, sagte Frau Kommerzienrat Diestelkamp, »wie so eine Dichtung entsteht; das muss zu spannend sein! Was hat man da nun eigentlich für ein Gefühl dabei?«

»Tja . . .«, sagte der Dichter.

»Das kann ich Ihnen ganz genau sagen, was wir da für ein Gefühl haben«, warf wiederum Frau Mertens ein. »Zuerst, wenn wir anfangen, ist es sehr nett, weil man sich darauf freut, und dann in der Mitte wird es traurig, weil es oft nicht geht, aber dann, wenn es heraußen ist, sind wir wieder froh.«

»Ich kann mir das sehr gut vorstellen«, meinte Frau Diestelkamp, »zuerst und dann…«

»So dass wir gewissermaßen drei Momente der aktiven Gestaltung unterscheiden«, warf der Direktor in erklärender Weise ein, »der von Hoffnungen getragene Beginn, das behinderte Werden und die Erleichterung der Vollendung.«

»Ja, ich bin immer erleichtert, wenn er es heraußen hat, denn Sie glauben nicht, was man als Frau dabei aussteht. Beim zweiten Akt ist es am ärgsten, weil man da immer stecken bleibt. Beim ersten hat er noch Appetit und schläft gut und hat auch seinen regelmäßigen Stuhlgang. Sie entschuldigen, wenn ich das erzähle…«

»Aber ich bitte Sie, es ist ja so interessant«, unterbrach hier Frau Diestelkamp die lebhafte Dichtersgattin, welche sogleich fortfuhr.

»Ja, beim ersten Akt ist alles in Ordnung, aber sowie der zweite angeht, isst er weniger und wacht mitten in der Nacht auf und verliert seine Regelmäßigkeit und verändert sich überhaupt. Ich kenne es sofort, wenn der zweite Akt angeht, und ich sage dann zu meiner Köchin, dass sie leicht verdauliche Speisen kocht und dass mir immer Kompott auf den Tisch kommt, und ich lasse ihn dann auch fleißig Hunyadywasser trinken, bis wir den zweiten Akt heraußen haben, denn der dritte geht schon wieder viel leichter. Er kriegt dann eine bessere Gesichtsfarbe und schwitzt auch nicht mehr so stark in der Nacht.«

»Also die Lösung des Knotens gestaltet sich weniger schwierig, Herr Mertens?«, wandte sich der Direktor an den Mann, der sich teilnahmslos erklären ließ.

»Tja . . .«, antwortete dieser und schnitt an seinem Rettich weiter.

Seine Frau aber ließ den Faden nicht aus der Hand gleiten.

»Der dritte Akt geht auch viel schneller. Wir haben höchstens vierzehn Tage Arbeit damit. Heuer beim ›Barbarossa‹ haben wir drei Wochen gebraucht, weil eine Szene vorkam, wo sich alles reimen musste. Ich habe es ihm gleich gesagt, dass wir stecken bleiben; aber es war eine Liebeserklärung und da hat er es so im Kopf gehabt. Ein paar Tage hat es gefährlich ausgesehen und meiner Köchin ist es auch aufgefallen. Sie hat mich gleich gefragt: ›Was hat denn der gnä' Herr? Es wird doch um Gottes willen nicht schon wieder einen zweiten Akt geben?‹ – ›Nein‹, sagte ich, ›Lina, den haben wir dieses Jahr glücklich hinter uns, aber es muss sich vier oder fünf Seiten voll reimen und Sie können ja für morgen eine Eierspeise mit Pflaumenmus richten, und wenn es dann noch nicht besser wird, wollen wir schon sehen.‹ Aber zum Glück waren dann am andern Tag die Verse heraußen und es ging wieder von selbst.«

Die Frauen der Tafelrunde hatten mit großem Ernst zugehört und nickten nun verständnisvoll mit den Köpfen.

»So lebt man doch eigentlich als Frau die Werke seines Mannes mit!«, unterbrach Frau Direktor Höfler das kurze Schweigen.

»Ich kann es mir so gut vorstellen«, sagte Frau Kommerzienrat Diestelkamp.

»Sie dürfen mir glauben, dass ich als Frau meinen Kopf beisammen haben muss, wenn er dichtet.«

Frau Mertens zeigte bei diesen Worten auf ihren Gatten, der kindlich lächelnd seinen Rettich einsalzte. »Ich muss an alles denken und mich trifft es viel härter wie ihn. Er sitzt einfach in seinem Zimmer und schreibt, aber ich habe die Haushaltung und muss genau Acht geben, dass wir noch waschen und reinemachen, vor der zweite Akt angeht, denn dann ist keine Zeit mehr zu so was und es muss gut eingeteilt werden. Wie wir den ›Perikles‹ gedichtet haben, sind wir mit dem Stöbern gerade noch drei Tage in den zweiten Akt hineingekommen und ich kann Ihnen bloß sagen, ich möchte das nicht wieder erleben, und ich habe auch beim ›Theoderich‹ eine zweite Zugeherin genommen, dass wir nur ja schnell fertig geworden sind.«

»Wie interessant!«, rief Frau Diestelkamp aus, »es wird einem alles so näher gebracht. Ich habe bis jetzt gar keine rechte Vorstellung gehabt, wie es wohl in Dichterfamilien ist, und nun verstehe ich manches.«

»Sie müssen aber trotzdem sehr glücklich sein«, fügte Frau Höfler hinzu. »Als Gattin eines Dichters! Ich stelle mir das entzückend vor.«

»Ich möchte mit niemand tauschen«, erwiderte Frau Mertens, »obschon manches vorkommt, was einem Sorgen macht. Denken Sie sich, wir haben fünfzehn Jahre lang romantisch gedichtet und jetzt geht das nicht mehr und wir müssen modern schreiben oder realistisch, wie man auch sagt. Das ist ein Schlag, kann ich Sie versichern! Mein Mann wollte noch immer nicht, aber was kann man gegen die Kritiker machen?«

»Erlauben Sie mir die Bemerkung, gnädige Frau, dass ich da ganz auf Seite Ihres verehrten Gemahls stehe«, rief Herr Diestelkamp, »wir wollen gerade in unserer nüchternen Zeit die Romantik nicht missen und wir suchen bei unsern Dichtem die herrliche Quelle der . den . den Ritt in . ich wollte sagen, wir wollen immer noch einen Trunk aus der romantischen Quelle schlürfen.«

»Es geht nicht«, sagte Frau Mertens mit einer Schärfe, die erraten ließ, dass man hier auf ein eheliches Streitthema gekommen war. »Es geht durchaus nicht. Das nächste Stück muss er modern schreiben. Ich will nicht, dass die Zeitungen noch einmal von veralteter Manier schreiben oder dass die Frau Nathusius die Nase rümpft, wenn sie mir begegnet, weil ihr Mann schon dreimal hochmodern gedichtet hat.«

»Aber die romantische Muse Ihres Mannes wird sich dagegen sträuben«, sagte Direktor Höfler.

»Sie hat sich gesträubt«, rief die streitbare Frau und blickte dabei mit einiger Strenge auf ihren Mann, der den endlich weinenden Rettich aß; »sie hat sich allerdings gesträubt, aber das ist jetzt vorbei. Ich muss es auch aushalten, und wenn es noch schlimmer wird bei den zweiten Akten.«

»So geben also auch Sie den Ritt ins alte romantische Land auf?«, fragte Diestelkamp, der sich nun auf das vorher gesuchte Zitat besonnen hatte, mit starkem Pathos.

»Tja …«, antwortete der Dichter.

Mei Ruah möcht i'ham

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