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Käsebiers Italienreise

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Fabrikant Friedrich Wilhelm Käsebier aus Charlottenburg, seine Frau Mathilde und seine Tochter Lilly konnten endlich die längst ersehnte Reise nach dem sonnigen Süden antreten.

Sie fuhren über München und Innsbruck nach Verona und wir wollen sie ihre tiefen Eindrücke von hier ab selbst schildern lassen.

Frau Mathilde Käsebier an Frau Kommerzienrat Wilhelmine Liekefett in Neukölln.

Verona, 12 febbraio.

My Darling!

Italia! Fühlst du nicht auch den ganzen Zauber, den dieses Wort auf jeden Gebildeten ausübt? Ich kann dir nur sagen, dass ich es kaum erwarten konnte, bis sich endlich der ewig blaue Himmel über uns wölbte. Mein Mann, der doch gewiss nicht allzu sensibel ist, rief schon in Kufstein: »Kinder, ich rieche schon den Süden«.

Und Lilly machte so große Augen wie ein Kind und ich konnte kaum einschlafen.

Denke dir nur, vor Ala erwachte ich von einem melodischen Geräusch und ich weckte Fritz und wir glaubten beide, es sei eine Flöte. Ich sagte noch, es ist gewiss ein Hirte, der seine Ziegen zur Weide treibt und eine alte Weise dazu bläst. Und ich malte ihn mir aus mit einem spitzen Hut und roten Bändern, wie man es doch öfter auf Bildern sieht. Aber als Fritz den Vorhang hochzog, war es noch dunkel und der Ton kam von der Dachrinne auf unserem Waggon. Es regnete nämlich. Das war freilich eine Enttäuschung, aber es ist doch schön, wenn die Phantasie so frei zu schweifen vermag und wenn man sich eigentlich nur Poesievolles zu denken vermag.

In Verona kamen wir ziemlich früh an und es war ein schrecklicher Lärm auf dem Bahnhof. Ich dachte gleich an deine Mahnung und gab sehr Acht, dass der facchino unsere Gepäcke auch richtig an den Wagen brachte. Aber Fritz bekam zwei falsche Lire, als ihm der facchino herausgab.

Es ist doch zu traurig, dass ein so herrliches Land solche Zustände hat!

Addio für heute, Darling! Ich küsse dich tausendmal

als deine überglückliche Mathilde.

P. S. Im Tearoom unseres Hotels sah ich gestern eine englische Lady in einer Abendtoilette von rosa-gold gemustertem Brokat mit rosa Liberty und hellgrüner Tüllspitze. Das Kleid gefiel mir entschieden besser als das von Frau Thiedemann. Du weißt doch, der doppelt drapierte Rock mit Frackjacke und Kimonoärmeln.

Nochmals Grüße und Küsse!

Evviva la bella Italia!

Ansichtskarte. Amphitheater in Verona.

Fräulein Lilly Käsebier an Fräulein Lotti Jürgens, Berlin NW.

12 febbraio.

Hier ist alles wahnsinnig italienisch! Ach, wenn du doch hier wärst!!!

Warst du bei Moissi?? Bitte, bitte, schreib mir darüber!!

10 000 K. u. Gr. Sempre la tua

Lilly.

Frau W. Käsebier an Frau Kommerzienrat W. Liekefett in Neukölln.

Venezia, 14 febbraio.

My Darling!

Gestern noch in Verona und heute sind wir schon in der lagunenumrauschten Königin der Meere! Welch ungeheure Eindrücke ziehen hier doch in raschem Wechsel an uns vorüber! Hier spricht ja jeder Stein zu dem Gebildeten und man kommt aus der künstlerischen Erregung ja eigentlich nie heraus.

In Verona hat mich am meisten das Grab von Romeo und Julia interessiert. Zu denken, dass man hier an der Ruhestätte dieser beiden Unglücklichen steht, deren Schicksal uns so sehr gerührt hat, und dass vielleicht ganz in der Nähe jener Palazzo ist, auf dessen Balkon das liebeglühende Mädchen sprach: It was the nightingale and not the lark!

Gott, wie man hier diese Poesie erst so recht versteht! Eigentlich müsste man mit Moissi hier sein.

Findest du nicht auch, dass er in der letzten Zeit schlanker geworden ist? Thiedemanns erzählen, dass er müllert, aber Silberstein hat mir versichert, dass er die Fletcher-Kur gebraucht.

Jedenfalls, es wäre wundervoll, wenn er hier auf einer Strickleiter vom Balkon eines Palazzo herunterstiege.

So bevölkert unsere Phantasie auch die toten Gebäude mit den Gestalten der Dichtung.

Von Verona sind wir im direttissimo hierher gefahren.

Meyer hat es uns zwar zur Pflicht gemacht, dass wir in Vicenza aussteigen um die dortige Architektur zu sehen, aber Fritz sagte, wir hätten genug zu tun, wenn wir die eigentlichen Clous kennen lernen wollten.

Und Kunstgelehrte haben doch alle einen Vogel. Findest du nicht auch?

In Venezia sind wir am Bahnhof sogleich in eine gondola gestiegen und nach dem Hotel gefahren.

Gott, wie mir da zumute war! So romantisch!

Ich müsste immer an ein Lied denken, das man früher oft hörte, mit dem Refrain: »So singt der Gondoliere« oder so ähnlich. Aber eigentlich war es eine Enttäuschung, die Gondel nämlich und der Gondoliere. Ich dachte mir die Leute viel pittoresker, als schlanke Jünglinge mit silberbestickten violetten Schuhen usw. So sahen sie nun nicht aus.

Ach, Darling, unsere Phantasie spiegelt uns doch so manches viel malerischer vor!

Für heute Schluss! Wir sollen noch eine serenata auf dem Canal Grande hören.

Addio, carissima mia! Tanti saluti! Tausend Grüße und Küsse!

Deine Mathilde.

Was sagst du zu meinem Italienisch? Krauses haben uns geschrieben, dass der junge Silberstein allgemein als pervers gilt. Glaubst du es? Gott, wie schrecklich!

Friedrich Wilhelm Käsebier an Herrn Rentier Adolf Krickhan, Charlottenburg, Kantstraße.

Venedig, oder Venezia,wie meine Olle zu sagen pflegt, 15. Februar.

Oller Bouillonkopp!

Meine fidele Karte aus München wirst du erhalten haben. Ich war nämlich mit dem jungen Krause noch auf einer Karnevalsbierreise, nachdem ich die Damenwelt ins Bett geschickt hatte. Junge, ich sage dir!

Ein paar Nachtbetriebe mit Bier und Weißwürsten und Mädels!

Hollolo juhu! Wir zogen noch mit 'n paar Dominos und einer Sennerin los in so eine Kutscherbude am Marienplatz. Fein mit Ei!

Die Sennerin hatte 'n Ausschnitt und Vorjebirge! Ei wei, Backe!

Du kannst dir denken, wie ich da in meinem Element war, und die Kleine war direkt in mich verschossen. Nu lach nich so dreckig!

Sie sagte fortwährend: »Sie sin oder sein aber schlimm«, und Augen machte sie! Na, Junge, ich sage dir, nich zu knapp! Eigentlich schade, dass man weg musste und nu hier sitzt. Bleibe im Lande und nähre dich redlich – vastehste?

Die Reise war bis jetzt so lila. In Verona bekiekten wir eine olle Ruine, die früher mal ein Zirkus oder Theater war. Ich sagte, Theaterruinen haben wir nu auch in Berlin genug, wo jede Saison 'n paar verkrachen, aber da kriegte ich's nich schlecht ab. Bildung – Junge!

Hierzulande sin die ollen Klamotten Heiligtümer und meine Mathilde sieht fortwährend den Geist der Geschichte herumschweben.

Ich sage bloß, 'ne ordentliche Portlandzementfabrik her und rin mit die Ruinen. Dafor können se uns noch dienen, die ollen Ruinen.

Aber sag das mal zu diese Jüngerinnen Baedekers, und dann ein Blick, vastehste, der durch Weste und Hemd geht.

Am Grabe Romios bemühte sich die Gattin eine Träne rinnen zu lassen un natürlich hat sie's auch fertig gebracht. Dabei soll der Kerl schon über hundert Jahre tot sein! Haste Worte?

Nu sind wir also glücklich hier in der Stadt, wo man in Gondeln gondelt. Du sollst mal sehen, wie verzückt die Damenwelt ins Wasser kiekt, bloß weil's Lagune heißt. Es spiegelt sich aber nischt darin, dazu ist es viel zu dreckig.

Am Markusplatz erzählte uns der Fremdenführer, dass vor ein paar Jahren der Turm eingestürzt ist. Na, was ich sage! Die Trümmer haben sie wieder zusammengekleistert statt mal ordentlich mit Eisenbeton ranzugehen.

Alles wegen die Fremden un damit Baedeker Recht hat.

Sie leben hierzulande von der Vergangenheit un Jeschichte, damit sie nicht zu arbeiten brauchen. Das is die Jeschichte.

Eine Gesellschaft, sage ich dir! Schieba!

An der Grenze haben sie mir meine Kiste Bremer Zigarren gemaust oder konfisziert, wie man hier sagt. Und nu soll einer die Stinkadores italienos rauchen! Nee! Schön is anders.

Nu lebe wohl! Ihr sitzt wohl bei Stahlmann und spielt den deutschen Dreimännerskat? Der vierte Mann schwimmt in Wonne und Renässanxe und freut sich, wenn er wieder mal 'n ordentlichen Grand mit vieren aus der Hand kriegt.

Grüße Schmidtke und Krüger und sage ihnen, ich kann's nicht erwarten, dass ich wieder mal unter vernünftigen Menschen bin.

Was soll mir der Molo? Ich spiel lieber 'n Solo! Au!

Euer Fritze Käsebier.

Ansichtskarte. Markusplatz in Venedig.

Fräulein Lilly Käsebier an stud. jur. Max Krüger, Berlin.

Venezia, 15 febbraio.

Venedig ist wahnsinnig echt.

Lilly.

Ansichtskarte. Venezianische Gondel.

Fräulein Lilly Käsebier an Fräulein Lotti Jürgens, Berlin NW.

Um unser Schiff die Welle schäumt,Der Gondoliere steht und träumt, La luna blickt herunterUnd wir genießen's froh und munter.

A rivederci!! Tanti saluti!

Deine Lilly.

Warum seid ihr nicht bei uns um all dies Schöne mit zu genießen??!

Mama Käseb.

Gruß F. W. K.

Frau W. Käsebier an Frau Kommerzienrat W. Liekefett in Neukölln.

Firenze, 18 febbraio.

My Darling!

Was sagst du? Im Fluge von den blauen Wogen des Adriatischen Meeres hierher in das ewig schöne Firenze!

Ich bin so voll von übermächtigen Eindrücken, dass ich mich kaum zu sammeln weiß. Von der herrlichen Lagunenstadt riss ich mich nur mit blutendem Herzen los, denn was hier das Auge des Gebildeten erblickt und wovon hier die Seele zu träumen vermag, das ist unbeschreiblich!

Ja, du hast Recht in deinem lieben, herrlichen Brief, für den ich dir innigst danke, dass wir in Venezia gewissermaßen erst die Sehnsucht erkennen, die geheimnisvoll in uns schlummert.

Wenn man so in einer Gondel sitzt und lautlos durch die Lagunen gleitet, kommt man sich selbst vor wie eine Katharina Cornaro und man möchte an den Dogen, der hinter uns sitzt, ein Wort der Bewunderung richten.

Nur dass freilich mein husband die Illusion fortwährend durch seine Berliner Witze zerstörte.

Aber trotzdem, dieses Plätschern der Wellen, diese Palazzi mit ihren kühnen byzantinischen Formen, diese Rufe der Gondolieri wiegen uns immer wieder in Träume von der Vergangenheit.

Man denkt an den Kaufmann von Venedig und glaubt dem entsetzlichen Shylock begegnen zu müssen und man denkt an das entzückende Buch vom Tod in Venedig, von dem jetzt doch so viel geschrieben wird. Ach, Darling, wenn man mit Richard M.Meyer, der doch so unglaublich viel gelesen hat, über den Rialto wandeln dürfte und seinen Ausführungen lauschen könnte!

Zwar findet man ja alles im Baedeker, aber dennoch, weisst du, vom Standpunkt der höchsten Kultur aus den Geist der Geschichte beleuchtet zu sehen, das wäre der höchste Genuss und nirgends sehnt man sich mehr nach einer gleich gestimmten Seele als gerade hier.

Eigentlich sollte man glauben, dass die Leute, welche immer hier leben dürfen, von der alten Kultur vollkommen durchdrungen sein müssten, aber man erkennt nur zu bald, dass dieses Volk eigentlich so gar nichts weiß von dem hehren Geiste, der um diese Stadt gelagert ist, und dass es vollkommen stumpf im Schatten der wundervollen Palazzi seinem alltäglichen Leben frönt.

Du solltest unsern Richard M. Meyer einmal fragen, woher es kommt, dass ein Volk so gänzlich ohne höhere geistige Interessen zu leben vermag, welches doch früher auf einer ähnlichen Kulturstufe stand wie wir jetzt.

Es wäre doch sehr interessant, von ihm eine authentische Auskunft zu erlangen. Übrigens, Darling, sieht man hier sehr elegante Fremde und die neuen Frühjahrstoiletten sind direkt süß.

Die neue hohe Form der Hüte ist entzückend; viele sind aus schwarzem Moiré mit Phantasiegestecken. Und die Mäntel, Minchen!

Weißt du, futterlos mit breiten Vorderteilen, innen mit Leinenanlage, große, untergesteppte Taschen, und der Rücken nahtlos, oben mit schmaler, unten mit breiter Naht aufgesteppt!

Sie sind tipptopp und très, très chic!

Am 17. musste ich mich von Venedig losreißen.

Mit welchen Gefühlen, brauche ich dir nicht zu schildern.

Es war ein Traum!!!

Aber doch, wir gehen ja neuen Herrlichkeiten entgegen und hier in Firenze, in der Kapitale der Renaissance und Dantes, will ich erst recht in Kunst und Schönheit schwelgen.

Inviando a Lei una cordiale stretta di mano!

Was sagst du zu meinem Italienisch?

Tausend Grüße und Küsse

la tua, la tua!

Mathilde.

Der junge Silberstein soll doch ganz bestimmt pervers sein.

Jürgens haben es nun auch geschrieben. Und denke dir nur, wen sahen wir hier in Firenze als ersten Menschen? Ihn!! Den jungen Silberstein! Und Fritz sagt, nun sei es richtig.

Denn hier – Darling, man erzählt sich ganze Hardenbände von der deutschen Kolonie, und wenn wir erst mal wieder zusammen sind, geb ich dir Aufschlüsse – shocking – very – shocking!

Ansichtskarte. Florenz von San Miniato aus. Lilly Käsebier an Jenny Krause, Berlin NW, Lessingstraße.

Firenze, 18 febbraio.

Florenz ist wahnsinnig italienisch. Man begreift hier erst, was es ist!

Gr. u. K.

deine felicissima Lilly.

Nachschrift:

Warum seid ihr nicht mit uns um all dies Schöne mit zu genießen?!

Viele herzl. Grüße

Mathilde K.

Frau M. Käsebier an Frau Auguste Krause, Berlin NW, Lessingstraße.

Firenze, 19 febbraio.

Dearest Auguste! Sweetheart!

Schon längst wollte ich dir schreiben, aber die Flut dieser Eindrücke strömte so mächtig über mich herein, dass ich wirklich zu gar nichts kam.

Was soll ich dir schreiben? Wie soll ich es dir schildern, was ich im amfiteatro in Verona, vor dem Palazzo ducale in Venezia, vor dem herrlichen Colleoni empfand?!

Es ist unsagbar und Worte sind zu schwach um all das wiederzugeben, was sich angesichts solcher Wunder in uns vollzieht! Darüber einmal mündlich und ich werde dir dann mein Herz ausschütten.

Wir sind alle gesund und überglücklich.

Fritz natürlich in seiner Art. Du kennst ja deinen Bruder und weißt, dass er nun mal von einer gewissen Erdenschwere ist und wie er als echter Berliner keine Bewunderung nie zu erkennen gibt, sondern hinter schnoddrigen Bemerkungen versteckt.

Manchmal verletzt es einen sogar, aber man muss ihn eben nehmen, wie er ist. Ich bin überzeugt, dass er doch auch gegen die Sprache, welche all diese Herrlichkeiten reden, nicht taub ist. Wie geht es deinem Karl, oder Carlo? So werde ich ihn von jetzt ab nennen, denn ich werde mich nie mehr von dem Wohllaute dieser Sprache losreißen.

Grüße ihn und deine Kleine. Täglich sagen wir, wie schade es ist, dass ihr nicht mit uns sein könnt.

Saluta i tuoi cari! Addio con tutta l'anima!

Deine dich liebende Schwägerin Mathilde.

Gestern waren wir im Palazzo Vecchio, im Palazzo degli Uffizi und im Palazzo Pitti. Schon diese Namen!

Und eine Menge von Gemälden! Wenn man sie nur zählen wollte, würde man schon ermüden, und erst, wenn man sich in sie versenkt!

Addio carissima!

Friedrich Wilhelm Käsebier an Herrn Rentier Adolf Krickhan, Charlottenburg, Kantstraße.

Florenz, auch Firenze genannt, den 20. Februar.

Oller Demelack!

Deinen Brief habe ich hier im Hotel vorgefunden und es ist nur gut, dass ihn meine Lärmstange nicht in die Flossen kriegte, denn deine liebenswürdige Schilderung von mir und der kleinen Tirolerin war das Menschenmeechliche.

Wer kann for de Liebe, Adolf?

Und ich sage dir nur, du hättest deine Kulleroogen aufgerissen.

In Venedig waren wir drei Tage und du kannst dir wohl vorstellen, wie miesepetrig mir war, immer neben der Ollen in Ekstase und immer Vortrag über schweigende Lagunen und tote Königin der Meere und was sich die Frauenzimmer so zusammenlesen.

Ich sage bloß, was bietet mir als Mann von heute, der mitten im Leben steht und die Ellenbogen brauchen muss, so 'n Altertum?

Alter Kese stinkt.

Aber die Olle tat natürlich immer jerührt wie Appelmus und spielte mir Bildung vor.

Da war auch so 'n Reiterdenkmal von Colleoni und du hättest mal hören sollen, was die Damenwelt da für einen Raptus kriegte oder wenigstens so tat, und die kleine Kröte fing mir zu himmeln an.

Na, so blau! Ich sagte »Ferd is Ferd«, und ob es mal das linke Bein oder das rechte Bein hochhebt, das macht doch wirklich nicht den Unterschied, dass sie tun müssen, als wären sie von der Stadtbahn überjefahren.

Na, da gab es wieder den Blick, als wenn sie Gott um Rechenschaft fragte, wie er so was wachsen lassen konnte.

Tut mal nich so, sagte ich, ich sage bloß ehrlich meine Meinung und ihr spielt Theater und das Textbuch ist der Baedeker.

Nu aber raus aus die Lagunen und rin ins Tschinquetschento!

Du sollst mal Mathilden hören, wie sie Tschinquetschento sagt, so als wenn sie's erfunden und ganz alleine hätte, und auch wieder mit 'n Vorwurf gegen mich.

Nu ja, ich sage doch nischt!

Ich bin auf den Leim gekrochen und habe diese Reise in die gebildeten Länder gemacht und muss sie aushalten und bezahlen und ich schwöre dir, Adolf, einmal und nicht wieder!

Hier ist nun ein ganzer Band Baedeker zu absolvieren und unter acht Tagen krieg ich die Olle nicht los, schon wegen die Briefe nicht, die sie schreiben muss, und weil man an ihrer Begeisterung zweifeln könnte, wenn sie zu kurz hier wäre, und so müssen wir eben unsere Zeit hier absitzen.

Hier gibt's noch mehr olle Häuser und Monumente und Kirchen und Klamotten und Kinkerlitzken und Hurrjott, erst die Bilder!

In den Restaurants sind wir nun schon ganz italienisch geworden und sie kommandiert die Ober herum, dass es ein Vergnügen is mit insalata verde und testina di vitello con salsa picante und tortellini al brodo, und sie sagt es so, als wenn sie mang die Renässanxe geboren wäre.

Und täglich seufzen sie über mir, weil ich die verfluchten Sparghetti noch nicht wie 'n italienischer Lord um den Löffel wickeln kann und weil sie mir immer links und rechts aus der Futterluke bammeln, und denn helfe ich mir, wie's jeht.

Jesus sprach zu seine Jünger, wer keen Löffel hat, esst mit de Finger.

Was mit die holde Weiblichkeit los war, fragst du mich, kleiner Schäfer?

Nischt. Und nischt is jut for de Dogen.

Ich musste doch in Venedig Mondnacht mit Familie genießen und Stimmungen empfangen. Da hatte ich keine Gelegenheit, mir die Hexen näher zu betrachten, die einem mit ihren kohlschwarzen Augen das Herz versengen.

Na, vielleicht können sie hier mal Renässanxe ohne Papa intus nehmen und denn zieh ich los und jebe meinem Herzen einen Stoß.

Grüße die Brüder von

euerm Fritze Käsebier.

Frau Mathilde Käsebier an Frau Kommerzienrat Wilhelmine Liekefett in Neukölln.

Firenze, 21 febbraio.

My Darling!

Nun sind wir schon den vierten Tag hier und ich kann mich nicht erholen vor Bewunderung über diese unsagbare Kunst und Kultur, welche hier einmal geherrscht hat.

Man fragt sich doch unwillkürlich, wie es möglich war, dass im finstern Mittelalter doch auch eine gewisse Bildung vorhanden war. Ich denke es mir so, dass sie damals natürlich selten war und nicht allgemein, wie jetzt unter uns, und dass sie dann aber sehr stark bei einzelnen Leuten war und sie zu solch herrlichen Leistungen befähigte.

Du siehst, Darling, man wird hier ganz von selbst auf Schritt und Tritt zum Nachdenken angeregt und man befasst sich hier mit Problemen, zu denen man daheim im Hasten und Treiben des gesellschaftlichen Lebens leider nur allzu selten kommt.

Freilich haben wir ja bei Schulte oder Cassierer häufig Anregung und wir können sogar, was mir hier sehr fehlt, durch Aussprache mit bedeutenden Geistern oder bekannten Kunstkritikern unser eigenes Fühlen und Denken ergänzen, aber ich fühle doch hier, dass uns auch die Vergangenheit unsagbar vieles zu bieten vermag.

Oft wünsche ich mir hier eine starke Hand, die mich durch die Renaissance hindurchleitet wie unsere Kritiker zu Hause durch die moderne Kunst, aber das ist nun mal ein unerfüllbarer Wunsch.

Ja, ich finde sogar für mein inneres Erleben so gar keine gleich gestimmte Seele, denn Lilly, so sehr sie sich bemüht, ist eben doch zu jung und mein Mann . . .

Dearest Wilhelmine, oft frage ich mich, wie eigentlich das Leben zwei so widerstrebende Naturen zusammenführen konnte und wie ich meine Ideale in einer solchen nüchternen Umgebung unberührt bewahren konnte. Zu Hause fühlte ich das ja nicht so sehr, wo ich dich und einen Kreis von Gebildeten habe, aber hier befällt mich doch oft die schreckliche Gewissheit, dass ich nie, nie verstanden worden bin!!

Doch ich will nicht klagen, sondern dankbar sein, dass ich wenigstens all dieses Schöne und Interessante in mich aufnehmen kann. Wir haben schon gleich in den ersten zwei Tagen die Gemäldesammlungen Uffizien, Pitti und Accademia und das Barcello und auch die wichtigsten Kirchen erledigt, aber ich sehe aus Baedeker, dass wir noch sehr viel zu absolvieren haben.

Da ist es doch auch wieder eine Erholung, dass ich mit Lilly zum Five o'clock gehe, wo wir entzückende Musik hören und die elegante Welt sehen können.

Denke dir nur, ein sehr schicker Herr hat sich uns vorgestellt, ein Conte Bonciani, welcher dem italienischen Uradel angehört, so etwas ganz Vornehmes, weißt du, wie bei uns der schlesische Adel, den man in der Hedwigskirche sieht.

Er verwechselte mich mit einer Gräfin Schlieffen, die er in der deutschen Gesandtschaft kennen gelernt hat und der ich außerordentlich ähnlich sehe, wie er sagt. Er war Attaché in Wien und München und spricht sehr gut Deutsch, nur mit italienischem Akzent, was ganz entzückend ist.

Er macht mir ein bisschen den Hof, aber ganz in den Grenzen eines Grandseigneur von der alten Schule, und hat so chevalereske Manieren, wie man sie eben doch nur bei so echten, alten Familien findet. Wenn er hier von einem Palazzo Strozzi oder so spricht und so ganz nonchalant sagt, dass er seinem Onkel gehört, fühlt man doch, welcher vornehmen Tradition man hier begegnet, und ich sagte ihm auch, wenn er je einmal nach Berlin kommt, muss er uns besuchen und ich gebe dann einen großen Abend.

Morgen ist ein concours hippique in den Cascinen und Bonciani will mich und Lilly dorthin führen; Fritz wird uns nicht begleiten. Er hat hier ein Bierrestaurant gefunden und das, was er gemütlich nennt und er will sich in diesen Seligkeiten nicht stören lassen. Ich bin auch wirklich nicht unglücklich, wenn er wegbleibt, denn wenn wir voraussichtlich mit einigen ersten Familien von Florenz Bekanntschaft schließen – du verstehst mich.

Aber nun addio, Darling! Addio! Tausend Grüße und Küsse

von deinerdich liebenden Mathilde.

Ich habe mir hier ein Kostüm bestellt, da wir nun doch öfter mit dem Conte die passeggiata in den Cascinen mitmachen und mit der first class bekannt werden sollen. Es ist ein französisches Jackenkostüm mit Hüftgürtel. Weißt du, futterloser Dreibahnenrock zu Sackrockfalten gelegt, die Jacke seidengefüttert, an den vorderen Rändern zusammenhängend mit dem Kragen, mit dem gleichen Stoff besetzt.

Dazu ein Hütchen, Darling! Ein Gedicht! Schwarzen, gefalteten Samtkopf mit schwarzen Reihern. Er sieht fast so aus wie ein Samtbarett und man kann sich Michelangelo vorstellen, der, ein solches Barett keck aufgestülpt, durch die Straßen von Firenze wandelt.

Der Conte findet das auch.

Addio! Addio!

Lilly Käsebier an Lotti Jürgens, Berlin NW, Schleswiger Ufer.

Firenze, 23 febbraio.

Liebste, süße Lotti!

Endlich kann ich dir den versprochenen Brief schreiben, aber du glaubst ja gar nicht, wie wahnsinnig man hier in Anspruch genommen ist von allem Neuen, was man sieht und hört.

Vormittags muss man sich bilden und in Begeisterung schwelgen, aber nach Tisch, Lotti! Lotti! Du ahnst es nicht.

Nein, die Italiener sind wirklich süß!

Du, die können einen ansehen mit ihren runden schwarzen Augen, dass einem ganz schummerig wird, und frech wie Oskar!

Und Leutnants sieht man hier, Li-La-Lotti, weißt du, mit himmelblauen Breeches und breiten, amarantfarbenen Streifen und kurzen, ganz, ganz engen Uniformröcken. Ich finde sie einfach süß.

Der grässliche Professor Hänisch, den Papa hier in einer Pilsnerbierhalle getroffen hat, sagt, die italienischen Offiziere hätten nicht den wuchtigen, kriegerischen Ernst wie die preußischen, aber ich bin überzeugt, dass sie viel, viel besser flirten können.

Ach, Süßing, warum spreche ich nicht Italienisch?

Da sieht man doch erst, wie gut es ist, wenn man die Sprache eines Landes kennt, und ich habe mir auch fest vorgenommen, dass ich zu Hause italienische Stunden nehme. Und dann reisen wir aber auch ganz gewiss mitsammen hierher, Li-La-Lotti, und ich mache dir den Cicerone und übersetze dir, was so ein Gentiluomo – Gott, wie das klingt! – uns ins Ohr flüstert.

Du!!!

Denke dir, wir haben einen echten Conte kennen gelernt bei Donnay, einen wahnsinnig schicken Attaché, der in Wien bei Hof war und sehr gut Deutsch spricht! Conte Bonciani. Er hat sich uns beim Five o'clock vorgestellt und wir fuhren gestern mit ihm in einer Carozza zum Rennen.

Mama ist ganz begeistert von ihm, weil er zur Crème de la crème gehört, und er hätte uns auch den besten Familien vorgestellt, aber Mama wollte nicht, weil sie ihr Kostüm noch nicht bekommen hatte, und da zeigte er uns nur die Strozzi, Ricci und Aldobrandini usw., mit denen er doch meistens verwandt ist.

Ich finde ihn todschick, aber er flirtet auch kein bisschen mit mir und macht nur Mama respektvoll den Hof.

Ich muss aber jetzt schließen, Süßing. Mama ruft mir schon ungeduldig, weil wir zum Five o'clock gehen.

Tanti saluti e baci (Küsse!!) von deiner

Lilly.

Grüße auch Krügers vielmals und Mäuschen und Jenny und den verrückten Max und alle, alle Bekannte und sage ihnen, es ist noch schöner, als man sich das ausmalt.

Du!! – Hast du Moissi nicht mehr gesehen? Ach erzähle doch, bitte! bitte! Wie war es denn in der Philharmonie? In Venedig haben wir immer von ihm geschwärmt und ich habe ihn mir vorgestellt im Romeokostüm in einer Gondel!

Adieu! Adieu! Mama ruft schon wieder.

Du! Etwas muss ich dir noch rasch erzählen. Man legt doch seine Visitenkarten auf das Grab von Romeo und Julia und ich habe auf ein Kärtchen »Moissi« geschrieben und habe es auf den Sarg der Liebenden gelegt. Was sagst du??

Addio, carissimia!!

Du! Von dem jungen Silberstein habe ich was erfahren!! Du auch? Bitte, bitte, schreib mir! Ja??

Friedrich Wilhelm Käsebier an Herrn Rentier Adolf Krickhan, Charlottenburg, Kantstraße.

Florenz, 24. Februar.

Olle Meppelnese!

Uff! Mir jeht de Puste aus. Kinderkens, habt Ihr 'ne Ahnung, was ein Mensch für seine Bildung tun muss? Ihr habt sie nich!

Ihr sitzt bei Mutter Böhme und spielt eine Ehrenrunde nach der andern und jießt immer noch 'ne Nullweiße uff de Lampe und – ich! Heiliger Bimbam!

Ich muss uffziehn in den Uffizien, ich muss mit – i – in Palazzo Pitti – ich muss – o weh o! ins Museo!

Aber ihr Keseköppe kennt ja nich mal die Namen, und von dem, was es ist, habt ihr noch nich 'ne Ahnung jejessen!

Stell dir mal vor eenen Korridor – vom Brandenburger Tor – ich bin heute poetisch, was, Adolfken? – also vom Brandenburger Tor bis zum Schloss, denn rechts um die Ecke rum een langer Korridor und denn links herum eener vom Schloss bis Brandenburger Tor. Das sind die Uffizien. Und pass mal Acht, ein Zimmer am andern und hinterm Zimmer wieder 'n Zimmer und daneben 'n Zimmer und allens voll Bilder und Jemälde und Jemälde und Bilder, und nu setz dich mal in Trab neben meiner Mathilde und schese mal durch Saal Nummer 1 bis 99 und denn kajole von 99 bis 222, immer mit 'n Lötkolben im Baedeker!

Madonna mit 'n Kanarienvogel, Madonna mit dem Zeisich, Madonna mit was weiß ich und Lippo Lippi und Lippino Lippi und Botticelli und noch neunhunderneunundneunzig Tschelli und Tschello und Knaatsch und Kuddel und 'n steifes Jenick und de Hühnerkieke – siehste, Junge, das ist Kunst und muss jenossen werden.

Hurrjott, wo sie nur alle die Bilder herhaben! Wir Berliner haben doch auch mächtig ville Maler, die en orntliches Ende wegschmieren, aber ganze Stadtteile mit verkleckster Leinewand, halt mal 'n Hut uf – ick will ausspucken.

Un Mathilde!!

Sie hat 'n runden Flunsch gekriegt mit lauter italienische Namens, und wenn sie so 'n Happenpappen mit Tschelli und Tschello hat, denn kaut sie 'n paar Stunden dran und en Augenaufschlag hat sie sich angewöhnt von wegen meinem Mangel an Kultur, mit dem kann sie sich für Jeld sehen lassen.

Nee, Junge, nu hab ich genug vons Tschinquetschento.

Ich habe der Damenwelt erklärt, dass ich nicht mehr mitspiele, und meinetwegen können sie die Baedekerkur so lange mitmachen, wie se wollen, mich kriegen sie an die Lippo und Lippi nicht mehr ran.

Von die vielen Heilijen is mir schwach jeworden und ich werde mir jetzt mal ordentlich Pilsner in de Jacke schwenken.

Menschenskind, was sagst du?

Begegne ich nicht vorgestern dem Oberlehrer Hänisch, der hier auch noch was zulernen soll, und führt er mich nicht in die allergemütlichste Pilsnerbierstube?

Stahlmann in Florenz!

Nu glaube ich wieder, dass ich in Europa bin, und Bismarckheringe und Rollmops und 'n großes Pils, da fordere ich das Jahrhundert in die Schranken und Mathilden ihr fünfzehntes ooch.

Nee, das is merkwürdig, Adolfken, hier ist jeder Schluck Bier eine vaterländische Festfeier und es singt in einem wie die Wacht am Rhein und Deutschland, Deutschland über alles, wenn man erst wieder mal das richtige Getränke hat.

Hänisch ist ganz der richtige Mann für so was und det kannste glauben, es werden uns nich bloß de Dogen nass vor Vaterlandsliebe.

Mathilde hat die Hoffnung aufgegeben, dass ich mir noch mal die Beene in Leib stehen werde vor ihre Baedekerbekanntschaften, und sie lässt mir auch alle Tage an ihrem Mitleid über meine Unbildung riechen. Aber ich glaube, der Tschinquetschento stoßt ihr selbst 'n bisschen sauer uff und sie begibt sich mit ihrem Wissensdurst mehr in die Ruhe.

Sie hat's nun wieder mit Eleganz und Gegenwart und schlabbert Tee mit Musikbegleitung und vorgestern ist sie mit Lilly zum Rennen gefahren.

Sie quasselt jetzt viel von Legationen und Gesandten und erste Florentiner Familien, weil sie janz was Vornehmes kennen gelernt hat, so 'n Windbeutel, der mal Attaché in Wien gewesen ist, sagt er.

Ich habe auch schon die Ehre jenossen und ich muss sagen, der Kerl mit seinem gefärbten Schnurrbart sieht aus wie 'n Mausfallenhändler mit gepumpter Kledage und Jeld is bei dem det Wenigste. Der richtig gehende Nassauer.

Er hat die große Klappe und is ein Herz und eine Seele mit allens, was adelig ist.

Ich trau dem Kerl nicht über den Weg, aber die Damenwelt verliert den ganzen Glauben an mir, wenn ich davon anfange.

Na, lange bleiben wir ja nich mehr und übermorjen oder in drei Tagen fahren wir nach Rom, wo es, wie Hänisch sagt, auch Pilsnerhallen gibt.

Auf die Weise ertrage ich noch 'n paar Wochen Italien, aber hernach, Hurrjott, gibt's eine dolle Skatsitzung.

Grüß die Brüder

von euerm Rennässanxmenschen

Fritze Käsebier.

Telegramm.

Frau M. Käsebier an Frau Auguste Krause, Berlin NW, Lessingstr.

Florenz, 24. Febr., 10 h vorm.

Absendet sofort eingeschrieben meinen Schmuck nach hier. Brief unterwegs.

Mathilde

Frau M. Käsebier an Frau Auguste Krause, Berlin NW, Lessingstr.

Firenze, 24 febbraio.

Dearest Auguste!

In aller Eile möchte ich dir auch brieflich mitteilen, dass und warum ich dich um sofortige Sendung meines Schmuckes ersuchen musste. Am 27 febbraio ist eine Gesellschaft beim Principe Orsini und ich soll durch Conte Bonciani dort eingeführt werden!

Welch ein Glück, dass ich wenigstens eine Gesellschaftstoilette mitgenommen habe! Du hast hoffentlich den Schmuck sofort abgeschickt, damit er noch rechtzeitig eintrifft, denn Bonciani sagt, dass es florentinische Sitte ist, bei so einer Gesellschaft Schmuck zu tragen, und dass die Crème de la crème von Firenze an diesem Abend im höchsten Glanze erscheinen wird. Es ist die denkbar größte Ausnahme, wenn forestieri – Ausländer – zu solch intimem Abend eingeladen werden, und nur dem kolossalen Einfluss des Conte ist es gelungen, diese hohe Ehre für mich zu erreichen. Bonciani sagt, dass die großen Familien der Colonna und Orsini viel, viel exklusiver sind als die deutschen Fürstenhöfe und dass es viel leichter ist, in der Wiener Hofburg Eingang zu finden als bei der altissima nobiltà hierzulande.

Verzeih, dass ich dir die Mühe machte, aber du verstehst doch, wie viel mir daran liegt, bei diesem Abend repräsentativ zu erscheinen!

Viele, viele Grüße an dich und alle Lieben von

eurer felicissima Mathilde.

Frau Mathilde Käsebier an Frau Kommerzienrat Wilhelmine Liekefett in Neukölln.

Firenze, 25 febbraio.

Sweet Darling!

Heute schreibe ich dir, so beseligt und glücklich wie noch nie. Denke dir nur, Bonciani hat es durchgesetzt, dass ich zur Abendgesellschaft beim Principe Orsini eingeladen wurde, eine Ehre, nach der die vornehmsten Mitglieder der deutschen Kolonie vergeblich schmachten!

Ach! Wie vollkommen wäre erst mein Glück, wenn ich mit dir an der Seite unseres Gentiluomo in den hohen Saal eintreten dürfte! Ich habe meine absinthfarbene Charmeuse mit Perlstickerei mitgenommen. Du kennst ja das Kleid und kannst dir denken, wie froh ich bin, dass ich diese Eingebung hatte, und meine Schwägerin wird mir auch meinen Schmuck schicken, den ich ihr zum Aufheben gab. Ich wollte ihn ja unbedingt mitnehmen, aber Fritz widersprach so heftig, dass ich nachgab. Nun muss ich ihn nachkommen lassen. Darling, ich kann dir gar nicht beschreiben, wie ich mich freue, dass ich durch eine Fügung des Himmels Eingang in diese exklusivsten Kreise gefunden habe.

Wir bleiben nun auf jeden Fall noch länger hier, obwohl Fritz sehr drängt, dass wir so bald als möglich über Rom und Neapel nach Hause fahren; aber ich lasse mir unter keinen Umständen diese wundervolle Gelegenheit rauben, mit der altissima nobiltà Verbindungen anzuknüpfen, die doch nur ganz, ganz wenige Menschenkinder finden.

Mit den Sehenswürdigkeiten bin ich ohnehin so ziemlich fertig und ich kann mich vollkommen dem gesellschaftlichen Leben hier widmen und Bonciani sagt, dass eine Einladung bei Orsini mir die Tore aller Palazzi öffnet und dass ich mich darauf gefasst machen muss, die begehrteste Persönlichkeit zu werden. Es sei nur schade, sagt er, dass die Saison bereits zu Ende geht. Aber die Gesellschaft bei Orsini gilt immer noch als Clou und jedenfalls lasse ich mir hier noch eine Gesellschaftstoilette anfertigen. Was sagst du zu schwarzem Samt und Goldbrokat? Mein französisches Jackenkostüm ist todschick geworden und hat gestern in den Cascinen Aufsehen erregt.

Zwei Damen in einem eleganten offenen Wagen haben sich nach mir umgedreht und Bonciani sagte mir, es sei eine Principessa Colonna mit ihrer Schwester gewesen und er hätte mich sogleich vorgestellt, aber leider fuhren sie schon in die Stadt zurück und wir konnten doch auch nicht umkehren und sie einholen.

Ach, Darling, das Leben ist doch schön!

Wenn ich nun ein bisschen in den Strudel des Highlife untertauche, muss Lilly eben allein die Museen besuchen und ich finde es sogar sehr gut, wenn sie selbstständig an ihrer künstlerischen Bildung weiterarbeitet.

Sie hat an meiner Seite alles Wesentliche gesehen und kann nun noch etwas mehr ins Detail gehen.

Fritz nimmt mich – gottlob – gar nicht in Anspruch. Er sitzt Tag – und Nacht! – mit einem Berliner Professor zusammen und ist selig, dass er hier deutsche Kneiper gefunden hat.

Nun – chacun à son goût!

Übermorgen – Darling!

Es klingt fast wie ein Märchen, dass man bei der uralten Familie Orsini zu Gast sein soll, in einem salone , in dem schon die berühmtesten Leute des Cinquecento mit ihren grandes dames geweilt haben.

Der Principe Strozzi wird, wie Bonciani sagt, ganz bestimmt auch dort sein, und da er ein Vetter von ihm ist, werde ich mit ihn in nahe Fühlung kommen.

Che combinazione grandiosa!

Good by, sweet darling! Voglimi bene! Addio con tutta anima.

La tua

Mathilde.

Friedrich Wilhelm Käsebier an Frau Auguste Krause in Berlin NW, Lessingstraße.

Florenz, 27. Februar.

Liebe Juste!

Du hast wohln Keber gehabt, dass du meiner Droomsuse ihre ganze Brillantinenausstattung geschickt hast, und wenn se dir auch telegrafisch darum gebeten hat, denn hättest du doch bei mir anfragen können, ob sie nich 'n bisschen schwach im Koppe jeworden ist. Und ich hätte dir dann schon uffgeklärt.

Seit ein paar Tagen war sie reineweg voller Grandezza, ich war ihr schon zu jemischt und sie quasselte bloß mehr von Strozzi und Orsini und Einladungen und Gesellschaften und habte sich so und tat sich dicke, als wenn sie 'ne geborne Hohenzollern wäre und mal ein bisschen die italienischen Fürstens bemuttern müsste. Na, ich dachte mir, sie war ja immer nich janz unwohl und hat mal wieder 'n jroßen Traller, aber das dicke Ende kam nach und wäre nachgekommen, wenn nich gerade noch die Polizei Vorsehung gespielt hätte.

Gestern ufn Abend geht in unserm Hotel ein Mordsradau los, denn im Zimmer von 'ner Amerikanerin war 'ne Tasche mit Schmuck un Jeld jemaust worden und er kam gerade dazu, wie der Kerl aus dem Zimmer flitzte, und nu scheste er los, ein, zwei Treppen runter, den Korridor lang und rin ins Klosett, aber mein Amerikaner immer hinterher, und wie er'n hatte im Doppelnull, schreit er nach Kellner und Hausknecht und denn is auch gleich das halbe Hotel vor dem Geheimkabinett, und wie sie die Türe aufbrechen wollen, kommt der Kerl heraus, als wenn nischt wäre, und wer is es? Der elegante, todschicke verflossene Attaché, Conte Bonciani! Hat sich aber was mit dem Conte weil ihn die Polizei schon kannte, und er is bloß von der serbischen Hautevolee, 'n geprüfter und approbierter Hoteldieb aus Belgrad, so 'n Petrowitsch Gregorowitsch Lumpowitsch.

Er hatte doch die liebe Mathilde so schön betimpelt, und wenn er man bloß bis heute hätte warten wollen, denn konnte er mit Brillanten beladen abschwimmen und deine seelensgute Schwägerin hätte keinen Ton gesagt, weil se doch viel zu vornehm is und von wejen der hohen Verwandtschaft, die der Mussiö Lumpowitsch mit die Orsinis hat.

Nee! Ich denke, der Affe laust mir, wie sie mir im ersten Schrecken das Geständnis machte, dass sie heute bei Fürstens Tee schlabbern wollte und sich den Schmuck bestellte, den ihr det Aas dann geklaut hätte.

Ich habe ihr aber 'n Licht uffjesteckt. Mathilde, sagte ich, so Leute wie dein verewigter Conte sind Menschenkenner und nun kannst du dir an die Finger abklawieren, warum er gerade dir seine Vornehmigkeit präsentiert hat. Der kennt dem lieben Jott sein Reitpferd und weiß Bescheid und so was kommt immer von so was.

Nun tu mir den einzigsten Gefallen, Auguste, und schicke uns nicht 'n ganzen Möbelwagen nach, wenn wir vielleicht noch näher mit dem italienischen Adel bekannt werden, und grüße mir deinen Karl, der sich 'n Ast lachen wird.

Herzlich

dein Bruder Fritze.

Frau M. Käsebier an Frau Kommerzienrat Wilhelmine Liekefett in Neukölln,

Firenze, 1 marzo.

Darling!

Gestern noch wollte ich dir auf deinen Brief antworten, in dem du mir Glück wünschtest zu meinen Erfolgen in der Florentiner Gesellschaft, aber deine Worte rührten aufs Neue meinen Schmerz auf und ich brachte es nicht über mich, dir das Schrecklichste mitzuteilen.

Was ist das Leben? Was ist unser Glaube an alles Gute und Schöne?

Ich bin so grausam enttäuscht, dass ich den Glauben an die Menschheit definitiv verloren habe, und nie, nie mehr werde ich jenes harmlose Vertrauen auf die edlen Seiten der menschlichen Natur zurückgewinnen.

Denke dir – nein, die Feder sträubt sich es hinzuschreiben – dieser Bonciani – oder nein, er heißt ja nicht so, er ist aus Belgrad und soll sich Gregorowitsch nennen – jedenfalls ist er Dieb und Hochstapler in einer Person.

Wie kann man sich so täuschen! Allerdings, er hatte Manieren, wie sie nur bei den upper ten thousand vorkommen, und er soll ja auch aus einer serbischen Adelsfamilie stammen, aber dennoch–!

Er hatte es auf meinen Schmuck abgesehen, der ja nicht in seine Hände gefallen ist, aber das Erwachen aus diesem Traum war doch fürchterlich!

Erlasse mir die ausführliche Schilderung, Darling, meine Seele ist wund und du kennst ja Fritz und weißt darum, dass er nicht das Zartgefühl hat meine Empfindungen zu schonen!

Ach!

Kurz und gut, am Tage vor der Gesellschaft bei Orsini, oder richtiger vor dem Feste, das der Nichtswürdige mir vorgetäuscht hatte, wurde er als Dieb entlarvt und festgenommen und ich muss noch froh sein, dass der Hotelier von der fälschlichen Einladung bei Orsini nichts sagte und dass er auf meine Bitte hin darüber Schweigen bewahren will, sonst würde ich – es ist fürchterlich auszudenken – als Zeugin vor Gericht kommen.

Dieses Schrecklichste wenigstens scheint mir erspart zu bleiben. Es ist ja genug, dass Fritz mit einer wahren Freude in meiner Wunde wühlt und diese willkommene Gelegenheit benützt um seine wirklich niedrigen Ansichten triumphierend zu verkünden.

Es soll uns nun einmal nicht beschieden sein, die Ideale hochzuhalten und alles Erhabene muss in den Kot gezogen werden.

Lass mich schließen, Darling. Du verstehst mich und meinen Schmerz und das ist mir eine Beruhigung in diesen trüben Tagen. Wir reisen morgen nach Roma und vielleicht lässt mich der Anblick der Ewigen Stadt diese Erlebnisse vergessen.

Die Kunst ist doch die einzige, nie versiegende Quelle der reinen Freuden und meine Begeisterung für sie wird trotz aller hämischen Bemerkungen erst recht wieder emporlodern.

Ich nehme Abschied von Florenz, an das sich für mich eine so unsäglich bittere Erinnerung knüpft, und schicke dir tausend, tausend Grüße und Küsse.

Deine tieftraurige Mathilde.

Mei Ruah möcht i'ham

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