Читать книгу In 18 Morden um die Welt - Heidi Troi - Страница 18

Laura Gambrinus Wie Sokrates

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»Ich weiß, dass Sie mit meiner Vorgehensweise nicht einverstanden sind, Harsen«, werfe ich ihm über den Tisch und die Unterschriftenmappe hinweg zu.

»Nicht bedingungslos, Sir«, entgegnet er wahrheitsgemäß. »Obwohl …«

»Obwohl mir der Erfolg recht gibt, nicht wahr?«, beende ich seinen abgebrochenen Satz und unterdrücke ein siegessicheres Grinsen, als er meinen Blick meidet und zu Boden sieht.

Peter L. Harsen ist seit Jahren mein persönlicher Assistent. Und genauso lang schon ist er mein heimlicher Kritiker. Er denkt, ich wüsste das nicht, aber er irrt. Seine Grundhaltung ist mir bewusst.

»Noch können Sie abbrechen, Sir«, sagt er leise.

Ich habe ihn trotzdem verstanden und halte in meinem Unterschriftenmarathon inne, der eine neue Stufe klinischer Untersuchungen einläuten wird. »Warum sollte ich das tun? Nennen Sie mir einen triftigen Grund, weshalb ich jetzt und hier abbrechen sollte, Harsen.«

Nur diese Unterschriften fehlen noch, dann ist wieder eine Hürde auf dem Weg zu meinem Ziel genommen. Die größte bisher.

In seinem Kopf arbeitet es, ich sehe es deutlich. Könnte ich nicht so gut die versteckten Hinweise in der Mimik meiner Mitmenschen lesen, hätte ich sicher des Öfteren falsche Entscheidungen getroffen. Auch jetzt weiß ich, was der Mensch denkt, der mir gegenübersteht.

»Es ist nicht sicher. Es gibt noch viel zu viele Unsicherheitsfaktoren … Sir.«

Die höfliche Anrede kommt etwas verspätet und pointiert. Ich habe Geduld mit ihm, da er in den letzten Jahren trotz seiner Skepsis stets loyal und engagiert war. Sogar auf ein Privatleben hat er verzichtet, um seine Aufgabe zu erfüllen: mir und meinen Ideen, meinen Plänen zum Erfolg zu verhelfen.

Offensichtlich gegen seine eigene Überzeugung, wie sich herausstellt.

»Sie werden doch jetzt keine kalten Füße bekommen, Harsen?«, frage ich ihn und meine Stimme wird eine Nuance schärfer. Ich werde ihn beobachten müssen. Wenn sich seine Zweifel in Widerstand verwandeln und er dadurch zum Risikofaktor wird, muss ich mir für ihn eine entsprechende Lösung überlegen.

»Meine Warnungen sollen nur dazu dienen, Sie vor möglichen Problemen zu schützen.«

»Diese Absicht ehrt Sie, aber es ist nicht Ihre Aufgabe, Harsen. Und Sie glauben doch nicht, dass ich ernsthaft in Erwägung ziehen könnte, so kurz vor dem Ziel aufzugeben?«

»Nun ja, ich dachte, wegen der Folgen der letzten Versuche …«

»Ich kann nicht wegen ein paar kleiner Rückschläge alles aufs Spiel setzen, was wir bisher erreicht haben.«

»Vollkommen klar, Sir.«

»Aber?« Nach so einem Satz kommt immer eins. Das alte Spiel: Ja, aber …

»Aber diesmal könnten es mehr sein als beim ersten Mal.«

Ich lehne mich in meinem Sessel zurück. »Das Vakzin ist modifiziert worden. Die Schwächen sind eliminiert und wir werden testen, wie es wirkt. Punktum.«

»Sie sind also entschlossen, das zu Ende zu bringen.«

»Zu einem erfolgreichen, ja. Absolut.«

Nun nickt er endlich. Ein schmales Lächeln umspielt seinen Mund. »Gut. Das ist es, was Sie auszeichnet. Ich wusste, dass nichts Sie aufhalten kann.«

»So ist es. Und jetzt nehmen Sie die Unterlagen mit und gehen Sie.«

Zwei letzte Unterschriften, und mein Assistent nimmt wie angewiesen die dunkelblaue Mappe an sich, die die Zukunft von Millionen Menschen beeinflussen könnte.

Als er endlich gegangen ist, trete ich ins Freie hinaus. Die aus massivem, grauem Stein erbaute Lodge grenzt fast unmittelbar ans Wasser. Nur ein schmaler Streifen Strand trennt das Gebäude vom See, die Terrasse thront hoch darüber und bietet einen unverbaubaren Ausblick auf die Landschaft. Das ist mir wichtig, denn wenn ich für äthiopische Verhältnisse schon ein Vermögen hinblättere, um die komplette Anlage für mich allein zu haben, dann möchte ich etwas geboten bekommen.

Vor mir liegt der Langanosee, der Himmel spiegelt sich in seiner Oberfläche und verbirgt die braungelbe Farbe des Wassers unter einem schillernden Schleier aus Pink- und Blautönen. Leise rauschen die Wellen des großen Sees ans Ufer; mit einem feinen Knirschen, das fast einem Knistern ähnelt, reiben sich die Kiesel aneinander.

Nicht, dass ich romantisch wäre, aber sogar ich muss zugeben, dass diese Atmosphäre etwas Magisches hat. Es zieht süßlich-seifiger Dunst zu mir herauf – der Geruch des sodahaltigen Wassers des Sees mischt sich mit dem von unzähligen roten Blüten, die an den Sträuchern hinter der Lodge blühen.

Der Lärmpegel ist das Einzige, was mich hier stört. Vogelstimmen steigern sich zu einer wahren Kakophonie. Es tschilpt, zirpt, piept, pfeift und kreischt, als gäbe es etwas zu gewinnen. Die luxuriöse Unterkunft war eine Weile unbewohnt, in der Zwischenzeit haben Webervögel zwei Sträucher neben dem Eingang in Besitz genommen und dort ganze Trauben von Nestern gewoben. Schon gestern bei meiner Ankunft fiel mir die lärmende Bande auf, in den nächsten Tagen werde ich die Kolonie entfernen lassen. Ich brauche Ruhe.

Ansonsten mag ich diesen Flecken Erde. Er ist so ursprünglich, so echt. Nicht umsonst habe ich Äthiopien als Basis für meine Arbeit gewählt. Hier stand die Wiege der Menschheit. Die Landschaft ist beeindruckend, die Menschen sind schön und stolz. Und arm. Zu allem bereit, ohne Bedingungen.

Und ich liebe den Kaffee des Landes. Beinahe bin ich süchtig danach. Ich genieße, wie die Menschen ihn zubereiten. Und wer ihn zubereitet.

Während ich langsam die Manschettenknöpfe öffne, rekapituliere ich Harsens Bedenken. Er ist nicht der Einzige, der meinem Zeitplan kritisch gegenübersteht. Er ist nur der Einzige, der es wagt, seine Zweifel mir gegenüber zu äußern. Als ob irgendetwas oder irgendjemand mich aufhalten könnte! Wie ich es ihm gegenüber schon sagte: Nichts kann mich jetzt noch bremsen.

Dass die ersten Testversuche nicht so ausfielen, wie sich das mein Forscherteam vorgestellt hatte, war Pech. Niemand hatte mit Toten gerechnet.

Oder doch. Vielleicht. Kollateralschäden sind manchmal nicht zu vermeiden, wenn man große Ziele im Auge hat. Das Gemeinwohl steht über dem Wohl Einzelner.

Auch bin ich nach wie vor der Meinung, dass die Todesfälle nicht unserem Impfstoff anzulasten sind. Meine Fachleute halten zwar eine überschießende Immunrektion für möglich, aber ich denke, dass diese Leute entweder schon unbekannte Vorerkrankungen hatten oder schlichtweg nach den Injektionen nicht auf genügend Hygiene geachtet haben. Mit Sauberkeit ist es auf diesem Kontinent ja bekanntlich nicht weit her.

In jedem Fall: Die nächste Testreihe wird stattfinden. Ich warte nicht länger. Ohnehin haben wir schon zu viel Zeit verloren. Nicht auszudenken! Am Ende hat noch ein anderer die Nase vorn … Meine Gedanken gehen auf Wanderschaft zu dem Tag, an dem ich mein Ziel erreiche und einen zuverlässigen und sicheren Impfstoff gegen das Dengue-Fieber auf den Markt bringe!

Ist es da vermessen, vom Nobelpreis zu träumen?

Sicher nicht!

Zuerst aber müssen die nächsten Versuche gelingen. Das können sie aber nur, wenn wir sie durchführen wie geplant. Morgen beginnt die nächste Studie mit einer großen Zahl von Probanden, die wir mit dem neuen Impfstoff behandeln und danach gezielt mit dem Fiebervirus infizieren werden. Und es wird keine oder kaum Erkrankte geben.

Das Eintreten des Butlers reißt mich aus meinen Überlegungen.

»Sir?«

»Was ist, Henry?«

»Die äthiopische Kaffeezeremonie, Sir.«

Ich hebe erstaunt die Brauen, kann mich nicht erinnern, für heute Abend eine bestellt zu haben. »Davon weiß ich nichts.«

»Soweit ich im Bilde bin, ist es eine Überraschung von Mr Harsen.«

»Die ist ihm gelungen.« Aha. Also bereut er seine Zweifel an meiner großen Leistung ja doch und will sich so bei mir entschuldigen.

»Darf ich die Dame hereinbitten?«

Einen Moment lang überlege ich, der Versuchung zu widerstehen. Eine klassische äthiopische Kaffeezeremonie dauert ihre Zeit, und ich hatte absichtlich darauf verzichtet, um früh am nächsten Morgen die ersten Impfungen persönlich zu überwachen, aber … das kann ich trotzdem tun. »Ja, lassen Sie sie ein.«

Hinter Henry tritt eine dunkelhäutige Frau durch die Tür. Auf eine derart atemberaubende Schönheit war ich nicht gefasst. Die junge Frau trägt nur ein schlichtes weißes Leinenkleid mit roter Stickerei am Oberteil. Der geflochtene Stoffgürtel betont eine schmale Taille und ansonsten feminine Formen. Ihre Haut ist wie Samt. Riesengroße dunkle Augen, tief wie der See vor meiner Tür, hohe Wangenknochen und ihre schlanke Figur lassen mir den Mund trocken werden.

Reglos steht sie vor mir und sieht mich fragend an, bis ich sie mit einer einladenden Handbewegung dazu auffordere, näherzutreten. Auf ein kurzes Kommando von ihr eilen vier Knaben zu einer Stelle in der Mitte der weitläufigen Terrasse, die sie offensichtlich als Platz für die Zeremonie erkoren hat.

Während die Jungen einen Teppich ausbreiten, Tischchen und Hocker darauf positionieren, einen kleinen Kohleofen davor, in dem es bereits hellrot glüht, sowie einen irdenen Wasserkrug und einen großen Korb, den sie neben dem Hocker abstellen, betrachten die Frau und ich schweigend die Vorbereitungen. Dann verschwinden die Kinder so schnell, wie sie gekommen sind.

»Sie können gehen und Feierabend machen, Henry«, weise ich meinen Butler an, der unauffällig, aber präsent in der Nähe der Terrassentür steht.

»Sind Sie sicher?« Er klingt pikiert.

Normalerweise bleibt er in meiner Nähe, bis ich mich zur Ruhe begebe. Aber heute Abend möchte ich ungestört sein. Ich habe selten genug ein paar Momente nur für mich. »Absolut sicher«, antworte ich, ohne die Augen von meiner Besucherin zu lassen.

»Aber Sir …«

Ein kurzer, scharfer Blick in seine Richtung, und er gibt nach.

»Dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Abend, Sir.«

»Danke, Henry. Ihnen auch.« Endlich verlässt er die Terrasse.

Zurück bleibt sie. Eine kaffeebraune Göttin, die sich mit einer angedeuteten Verbeugung zu mir wendet und mir einen unergründlichen Blick schenkt.

Ob sie weiß, wer ich bin?

»Wie heißt du?«

»Ayana.«

Sie versteht also meine Sprache. Zumindest rudimentär. Das ist gut und erleichtert eine mögliche Planung des Abends über den Kaffee hinaus.

»Schön. Ich bin I.C.E. Stone von Stone Medical Enterprises.«

Sie nickt würdevoll. »Ich weiß.«

Ich setze mich ihrem Platz gegenüber. »Bitte, Ayana. Fang an.«

Ein zurückhaltendes Lächeln belohnt mich. Meine Entscheidung, sie hereinzulassen, bereue ich nicht. Allein ihr Anblick ist köstlich, was bedeuten da schon ein paar fehlende Stunden Schlaf?

Mit eleganten Bewegungen setzt sie sich ebenfalls, öffnet den Korb und entnimmt ihm die nötigen Utensilien, die sie um den Kohlebehälter herum aufreiht: eine Jabana, die traditionelle Kaffeekanne aus Ton mit langem schlankem Hals; einige kleine, bunte Kaffeetassen ohne Henkel, dazu ein Gefäß mit Zucker. Dann die flache Metallschale, deren geschwärzte Oberfläche von den vielen Zeremonien erzählt, die sie schon auf glühenden Kohlen hinter sich gebracht hat, und zwei Stoffsäckchen. In dem einen sind die grünen, frisch geernteten Kaffeebohnen und im anderen befindet sich Weihrauch. Die leichte Wolke des charakteristischen Dufts, die sie mitgebracht hat, verrät, dass sie die Zeremonie damit begleiten wird, um ihr noch mehr Bedeutung zu verleihen.

Ayana stellt die Metallschale auf den Kohlebehälter und breitet, als sie heiß genug ist, die grünen Kaffeebohnen darauf aus, um sie zu rösten. Es erfordert sowohl Aufmerksamkeit als auch Konzentration und ein gutes Auge, um die Bohnen nicht verbrennen zu lassen. Selbstvergessen wendet Ayana sie immer wieder mit einem kurzen hölzernen Stock, verteilt sie neu, schiebt sie von einer Seite der Schale auf die andere. Nebenbei entnimmt sie mit einer kleinen Zange dem Behältnis ein paar Kohlestücke, legt sie in eine kleine Tonschale und gibt einige Körner Weihrauch hinzu. Langsam erfüllt der schwere Geruch die Luft und vermischt sich mit dem allmählich stärker werdenden Aroma der Kaffeebohnen, die sich mehr und mehr zuerst ins Dunkelbraune, dann ins Schwarze färben.

Fasziniert beobachte ich die Frau, ihre sparsamen und doch fließenden Bewegungen, die eine Eleganz aufweisen, wie sie eine westliche Frau selbst in mehreren Leben nicht erlernen könnte. Das dicke, gelockte Haar, das meine Fantasie anregt und das ich später durch meine Finger gleiten lassen möchte. Die samtweiche Bräune ihrer Haut, die selbst an Kaffee erinnert und die ich mit meinen Händen und all meinen Sinnen spüren möchte.

Ich liebe diesen Hautton. Nach jeder Rückkehr aus diesem Land wundere ich mich aufs Neue, wie bleich meine Mitmenschen in Europa doch sind.

Die Bohnen haben die richtige Röstungsstufe erreicht. Ayana schüttet sie mit geübten Handbewegungen von der Schale in einen Mörser und stellt den Krug aufs Feuer, um das Wasser für den Kaffee zu erhitzen, während sie die Bohnen zerkleinert.

Stets hatte diese Prozedur etwas Meditatives für mich. Mit Ayana aber ist dieses Gefühl besonders intensiv und ich starre fasziniert auf ihre feingliedrigen Hände, mit denen sie den Stößel festhält und rhythmisch im Mörser auf und nieder bewegt.

Ich wäre kein Mann, käme ich bei diesem Anblick nicht auf Gedanken. In meiner Hose regt es sich. Ich genieße meine aufsteigende Lust nur für ein paar Momente, dann konzentriere ich mich wieder auf die Zeremonie.

Noch ist es zu früh für mehr.

Mit gleichmäßigen Stößen zermahlt Ayana die Kaffeebohnen, bis sie die nötige Feinheit erreicht haben und zu dem Pulver geworden sind, aus dem sie bald das aromatische schwarze Getränk brauen wird.

Nach einer Zeit, die endlos und zu kurz zugleich ist, überprüft sie kritisch den Inhalt ihres Mörsers und befindet ihn für geeignet, denn sie zieht sich die Jabana heran, schüttet das Pulver auf ein Blatt Papier, das sie zu einem Röhrchen zusammendreht und damit den Kaffee wie mit einem Trichter in die schmale Öffnung des Kannenhalses befördert.

Wie schon so oft registriere ich, mit welch einfachen Dingen diese Menschen ihren Alltag und dessen Verrichtungen bewältigen müssen, und bewundere ihre Findigkeit. Auch mich bewegt dieser Geist, auch ich möchte Dinge erfinden und mit ihnen Probleme des alltäglichen Lebens lösen, um dieses besser und gesünder zu machen. Nur dass ich keinen Papiertrichter, sondern Injektionsnadeln benutze. Dafür ernte ich jede Menge Kritik, doch was soll daran verwerflich sein, Menschen wie Ayana ein lebenswerteres Dasein zu schenken?

Endlich. Bedächtig gießt Ayana das kochende Wasser in die Jabana und stellt diese auf das Gefäß mit den Kohlen. Mir entgeht keine ihrer anmutigen Bewegungen. Immer wieder sehe ich von ihren Händen auf und suche ihren Blick, den sie mir nur sporadisch zuwendet. Sie ist schüchtern und zurückhaltend. Jetzt gefällt mir das. Später, wenn sie unter mir liegt, wird sie das hoffentlich nicht mehr sein.

Mehrmals schwenkt sie die Kanne, dann stellt sie sie auf einen mit bunten Stickereien verzierten Stoffring, ein wenig schräg nach vorn geneigt, damit sich das Pulver darin vom Kaffee trennen und auf dem Grund absetzen kann. Gleich werde ich diesen einzigartigen Kaffee schlürfen. Ich spüre schon fast den aromatisch-bitteren Geschmack am Gaumen und schlucke.

Fragend hebt sie die Zuckerdose hoch, doch ich schüttle verneinend den Kopf. Ich will mir nicht den reinen Geschmack durch Süße trüben. Unsere Blicke begegnen sich und als ich in ihren Augen ein stummes Versprechen lese, kann ich ein Lächeln kaum unterdrücken.

Dieser Abend wird ein denkwürdiges Ende haben. Das wird süß genug sein.

Ayana löst ihren Blick von meinem und wendet sich der Jabana zu, die sie hochnimmt und nach vorn kippt. Es ist so weit. Ein dunkler, fast ölig anmutender Strahl pechschwarzer Flüssigkeit strömt aus dem langen dünnen Schnabel und schießt zielgenau in eins der kleinen Tässchen. Der Kaffee wirft kleine Bläschen, die sofort zerplatzen und verschwenderisch ihr Aroma freisetzen.

Aus mehr als zehn Zoll Höhe dieses kleine Behältnis zu treffen, ist ein echtes Kunststück. Ayana schenkt nur eine Tasse ein. Sie selbst wird selbstverständlich nichts davon trinken. Die Kaffeezubereitung wird für andere zelebriert, nicht für denjenigen, der sie ausführt.

Nun erhebt sie sich mit der ihr eigenen Grazie, kommt zu mir herüber und überreicht mir das Tässchen mit einer angedeuteten respektvollen Verbeugung.

»Arbol, Sir«, sagt sie mit sanfter, aber rauchiger Stimme – die Bezeichnung für den ersten Aufguss.

»Ameseginalew«, antworte ich und banne ihren Blick, als sie sich wieder aufrichtet. »Danke.«

»Minim ajdel. Bitte.«

Irre ich mich oder errötet sie? Ich schenke ihr ein Lächeln, das sie zaghaft erwidert, dann widme ich mich endlich meinem Kaffee und inhaliere mit geschlossenen Augen das Aroma.

Einzigartig.

Der erste Schluck überwältigt mich.

Der Kaffee ist stark und bitter und er hat eine Ahnung von Zimt. Es sind die Bohnen. Eine besondere Sorte, die diesen Hauch von Gewürz schon in sich trägt.

Mit geschlossenen Augen trinke ich langsam und in kleinen Schlucken meine Tasse leer.

Aus meinem Genuss erwacht, starre ich auf den verbliebenen Kaffeesatz in meiner Tasse, sehe dann hoch und begegne Ayanas Augen, die mit einem unergründlichen Ausdruck auf meinem Gesicht ruhen. Sie sitzt wieder auf ihrem Hocker hinter dem Kohlenofen und dem Tablett mit all den weiteren Tassen und sieht mich schweigend an.

Spürt Ayana die Spannung zwischen uns beiden? Weiß sie, was kommen wird? Sie ist sicher nicht so unschuldig, wie sie sich den Anschein gibt. Falls doch, werde ich das ändern.

Auffordernd strecke ich die Hand aus, um mir nachschenken zu lassen. Mit einem feinen Lächeln ignoriert sie meine Geste und befüllt eine weitere frische Tasse, die sie mir bringt.

Ich leere auch diese Schluck für Schluck. Allerdings lasse ich mir mit dieser Tasse etwas mehr Zeit als mit der vorherigen und nehme dann eine dritte.

Während der gesamten Zeit ruhen Ayanas Augen auf mir. Ich kann in ihnen nicht lesen und auch ihre Miene ist unbeweglich.

Es wird langsam Zeit, das Abendprogramm zu starten. Ich versuche ein Gespräch in Gang zu bringen. »Woher kommst du, Ayana?«

»Aus Addis Abeba. Ich lebe aber hier in der Nähe.«

Ihre Aussprache ist gut, sie scheint keine Verständigungsprobleme zu haben. Das ist vielversprechend.

Vom See her zieht kühle Luft hoch zu uns auf die Terrasse und umspielt meine Füße. Meine Zehen werden kalt. Ein wenig werde ich noch mit ihr plaudern, dann verlagern wir weitere Aktivitäten besser ins Innere der Lodge. Die Nächte hier können frisch werden.

»Hast du Familie?«

Sie antwortet nicht sofort, sondern presst die Lippen aufeinander. »Ich hatte Geschwister«, sagt sie dann. Ihr Gesicht verschließt sich und ich frage nicht weiter. Sie sagt ebenfalls nichts mehr und die Unterhaltung erstirbt. Schließlich hebt sie die Jabana ein viertes Mal, doch ich lehne ab. Mehr Koffein braucht es nicht, ich werde munter genug sein, wenn wir in den Nahkampf gehen.

Gedankenverloren reibe ich mir über die Schienbeine, um sie zu wärmen. Die Haut unter dem Stoff meiner Hose fühlt sich kalt an.

Wir sollten langsam hineingehen.

»Sie machen also Medizin«, stellt sie fest, als ich gerade einen entsprechenden Vorschlag machen will.

»Ja, das tue ich, Ayana«, bestätige ich. »Ich erfinde neue Medikamente, damit es Menschen wie dir und deinen Geschwistern und vielleicht einmal deinen Kindern gesundheitlich besser geht als jetzt und ihr nicht dieses scheußliche Fieber bekommt, an dem so viele sterben.«

Ich spreche langsam und verwende schlichte Worte, denn obwohl ihre Aussprache sicher klingt, weiß ich nicht, wie viel sie von dem versteht, was ich sage. Außerdem habe ich plötzlich ein Brennen am Gaumen und im Rachen, das mir das Sprechen etwas erschwert. War der Kaffee zu heiß?

»Und an Ihrer Medizin stirbt niemand?«

Die Frage macht mich stutzig. »Was meinst du damit?«

Ayana richtet sich auf. Die Ausdruckslosigkeit auf ihrem Gesicht schwindet und macht einer gequälten Miene Platz. Urplötzlich fühlt es sich an, als würde mir ein völlig anderer Mensch gegenübersitzen.

»Sie sind ein Mörder.«

»Was?« Verständnislos starre ich sie an.

Meine Zehen sind inzwischen taub geworden. Die Nachtkühle wird langsam unangenehm – auch meine Finger werden kalt und diese Kälte zieht bis zur Schulter hoch. Das Tässchen entgleitet meiner Hand und zerschellt auf dem Boden der Veranda.

Was ist hier los? Irgendetwas stimmt nicht mit mir, ich bin nie so ungeschickt. Bekomme ich einen Infarkt? Würde sich das nicht anders ankündigen als mit gefühllosen Beinen und Fingern?

»Ich sagte, Sie sind ein Mörder. Sie haben Ihre fragwürdigen Impfstoffe an den Menschen meines Volkes ausprobiert und dabei in Kauf genommen, dass Unschuldige sterben.«

Wie gewählt sie sich plötzlich ausdrückt! Höre ich richtig oder bilde ich mir das nur ein?

»Alles, was ich tue, geschieht im Namen der Wissenschaft und zum Wohle der Menschheit«, bringe ich hervor, doch es klingt merkwürdig unsicher. Ich hatte keinen Alkohol heute Abend – warum ist meine Zunge so schwer?

Und woher nimmt diese Frau ihre Anschuldigungen? Die Kollateralschäden wurden streng geheim gehalten!

»Wer sind Sie«, würge ich hervor.

Dass hier etwas nicht stimmt, geht mir spätestens auf, als in diesem Moment Peter L. Harsen auf der Terrasse erscheint. Er sollte längst meilenweit entfernt in seinem eigenen Quartier sein. Was will er hier?

»Glauben Sie eigentlich selbst, was Sie da sagen, Sir? – Nein, Sie brauchen nicht darauf zu antworten, aber ich werde Ihnen erzählen, wer Ayana ist.«

»Sie kennen sich? Woher? Was geht hier vor?«

Harsen kommt näher und lehnt sich lässig ans Rückenteil eines Loungesessels schräg vor mir, verschränkt die Arme vor der Brust und überkreuzt die Knöchel. So leger hat er sich nie zuvor gezeigt. Aber ich kenne durchaus Mittel und Wege, diesem offensichtlichen Mangel an Respekt mir gegenüber wieder auf die Sprünge zu helfen.

Ich sollte mich ein wenig bewegen, um die Steifheit zu vertreiben. Allerdings überfordert mich schon der bloße Gedanke ans Aufstehen. Mühsam schlage ich ein Bein über das andere und lasse mich schwer an meine Rückenlehne sinken. »Dann schießen Sie mal los.«

»Viel gibt es dazu nicht zu sagen, aber das Wenige reicht. Ayanas Familie ist ein Opfer Ihrer skrupellosen Geschäftspolitik, Sir. Sie hat bei einer der Testreihen unseres Unternehmens zwei ihrer drei Geschwister verloren.«

Ah – daher weht der Wind.

»Das ist sehr bedauerlich«, sage ich und lege Mitgefühl in meine Stimme.

»Sie hätten vor dem Hintergrund der ungeklärten Todesfälle im Zusammenhang mit unserem Impfstoff die nächste Teststufe absagen müssen.«

Groll steigt in mir auf. Und eine Welle der Übelkeit, die ich mühsam hinunterwürge. »Absagen? Es geht hier um Größeres als ein paar Menschenleben.«

»Ja, und zwar um Geld. Sehr viel Geld, nicht wahr?«

»Werden Sie mal nicht unverschämt, Harsen. Davon profitieren auch Sie.« Ich möchte aufspringen und ihm an die Kehle gehen, aber … mein Körper gehorcht mir nicht.

»Ich werde von meinem Geld versuchen, etwas Wiedergutmachung zu leisten an den Menschen, die für Sie nur namenlose Nummern in einer Statistik sind«, kontert mein persönlicher Assistent.

Ich möchte spöttisch loslachen, aber mir fehlt die Kraft dazu. Es fühlt sich an, als würde ich immer tiefer in die Kissen meines Loungesessels einsinken. Zugleich legt sich ein Gewicht auf meine Brust, das von Minute zu Minute an Intensität gewinnt und mir das Atmen erschwert.

Ein schrecklicher Verdacht keimt in mir auf. »Was … habt ihr mir gegeben … wie habt ihr es gemacht?«

Harsen kommt näher und geht vor mir in die Hocke. Sein Blick ist kalt. »Schierling«, sagt er. »Er war in der Kanne.«

Sokrates wurde mit Schierling hingerichtet, schießt es durch mein hellwaches Gehirn. Schierling ist absolut tödlich.

Plötzlich wird mir klar, warum mir so kalt ist. Warum ich meine Arme und Beine nicht mehr bewegen kann.

»Ihr habt mich … vergiftet?« Zumindest will ich das sagen, aber aus meinem Mund dringt nur schwer verständliches Gebrabbel ohne Sinn und Inhalt. Erneut steigt massive Übelkeit in mir hoch.

»Sie dachten wohl, nur weil Sie kein Gewissen haben, hätte in Ihrem Umkreis sonst auch niemand eins, nicht wahr?« Mühsam drehe ich den Kopf und sehe von Harsen zu Ayana. Sie hat sich erhoben und steht hochaufgerichtet und kerzengerade mit tödlichem Hass im Blick vor mir. »Ein fataler Irrtum. Peter hat seins entdeckt, als ich um meine Geschwister weinte. Wer aber wird um Sie weinen?«

Ich konnte stets in den Gesichtern der Menschen lesen wie in einem offenen Buch. Dachte ich. Aber Ayana und Harsen haben mich erfolgreich getäuscht.

Meine Lider werden schwer, mein Atem rasselt. Panik breitet sich in derselben Geschwindigkeit in mir aus wie das Gift.

Und wenn ich ihnen Geld anbiete im Tausch für mein Leben? Aber nein, das Gift ist schon zu lange in mir. Vielleicht, wenn ich mich rechtzeitig übergeben hätte … Hier sind wir fernab jeglicher medizinischen Infrastruktur. Bis ein Arzt hier wäre …

Ich will nicht sterben! Doch noch nicht jetzt, will ich schreien, aber kein Laut kommt mehr aus meiner Kehle.

»Sie hatten heute Abend Ihre Chance, Sir.« Wieder diese Betonung. Als würde er das Wort am liebsten ausspucken. »Ohne Ihre Unterschrift auf diesem Beschluss hätten Sie den Abend überlebt.«

»Sie werden keine unschuldigen Leben mehr auf Ihre schwarze Seele laden.« Ayana klingt so kalt, wie sich mein Körper anfühlt.

Aber die Impfungen. Mein Lebenswerk – meine Aufgabe!

Mir wird klar, dass die Unterlagen mit meiner Unterschrift ihr Ziel nie erreichen werden. Die beiden werden alles vernichten, was ich geschaffen habe.

»Es war so verdammt einfach, an Sie heranzukommen. Ein bisschen Kaffee und ein hübsches Gesicht waren genug«, resümiert Harsen voller Verachtung. Seine Stimme entfernt sich immer weiter, während ich spüre, wie meine Lunge ihren Dienst versagt. Was für ein Gefühl! Als wäre ich unter Wasser. Dabei ist alles um mich herum voller lebensrettendem Sauerstoff. Nur nicht mehr für mich.

Das Schlimmste ist – alles war umsonst.

Es wird keine weiteren Versuche geben. Keinen Impfstoff gegen das Dengue-Fieber.

Keinen Nobelpreis.

Mit diesem Gedanken versinke ich endgültig in einem dunklen Loch ohne Boden.

In 18 Morden um die Welt

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