Читать книгу Der Mann aus Samangan - Heidrun Wolkenstein - Страница 8

Оглавление

2

DIE ACHTERBAHN DES LEBENS

„Hallo, wie geht’s dir? Möchtest du mich heute um 20.00 Uhr wieder vom Bahnhof abholen?“ Ich war erstaunt und erfreut zugleich und natürlich enttäuscht, weil Farid sich mehr als drei Wochen lang nicht gemeldet hat und plötzlich so tat, als ob wir uns erst gestern gesehen hätten. Aber natürlich wollte ich ihn trotzdem abholen. Ich hatte große Sehnsucht nach ihm. Es war unheimlich, wie mich dieser Mensch nach nur zwei Begegnungen dermaßen in seinen Bann ziehen konnte. Deshalb sagte ich zu und machte mich auf den Weg, um pünktlich um 20.00 Uhr am Parkplatz des Bahnhofs zu warten. Es dauerte nicht lange, da kam er auch schon. Und sofort bemerkte ich in seinem Gesicht eine Traurigkeit, eine Verzweiflung, eine Angst. Er war noch nicht einmal in meinem Auto, trotzdem konnte ich in seinem Gesicht lesen, dass etwas nicht in Ordnung war. „Was ist passiert?“, fragte ich sofort, nachdem er sich ins Auto gesetzt hatte. „Ach, nichts“, antwortete er. „Doch, ich sehe es dir doch im Gesicht an, dass etwas passiert ist!“, bohrte ich weiter. „Was ist los?“ Schließlich erzählte er mir, dass er sich eigentlich heute von mir verabschieden wollte. Er wollte mich noch ein letztes Mal sehen. „Ich werde nächste Woche nach Frankreich fahren“, erklärte er mir traurig. „Ich kann hier nicht bleiben. Die Polizei hat mir eine Mahnung und eine Strafe geschickt und meine Rechtsanwältin hat mir geschrieben, dass ich bis zum 16. April das Land verlassen muss. Es ist aber so, dass die Polizei jederzeit kommen kann, um mich abzuschieben. Deshalb muss ich schnellstmöglich das Land verlassen.“ Ich war traurig und schockiert. Jetzt habe ich einen Menschen kennengelernt, der von Anfang an den Weg in mein Herz gefunden hat, auf eine Weise, wie es noch keiner vor ihm geschafft hat. Ich spürte, dass ich diesen Menschen liebe, dass er mein Seelenpartner ist, dass ich ihm von Anfang an vertraue und jetzt soll ich ihn einfach nach Frankreich aufbrechen lassen? Einfach so? Niemals! Ich wusste nicht, was ich sagen oder wie ich reagieren sollte. Ich war einfach nur verzweifelt. „Ich möchte dir nur sagen, bitte, bleib so, wie du bist!“, sagte er. „Du bist ein so lieber Mensch, mit so einem schönen Herzen! Ich werde nie vergessen, was du für mich und für meine Freunde getan hast. Ich hoffe, dass du nie enttäuscht wirst.“ Farid berührte mich tief in meinem Herzen mit seinen Worten. Ich wollte einfach nur schreien und darauf losheulen. Jetzt konnte ich ein schlimmes Problem in meinem Leben lösen und sogleich folgte das nächste? Wann hört das endlich auf? Wann wird das Leben denn mal wieder einfacher? Entspannter? Glücklicher? Was passiert denn noch alles? Warum gibt es so eine Ungerechtigkeit auf dieser Welt? Warum kann man sich nicht wehren und ist dieser Willkür einfach ausgeliefert? Wieder steckte dieser lähmende Knoten in meinem Hals. Meine Augen füllten sich mit Tränen, sodass ich die dunkle, nasse Straße vor mir nur noch verschwommen sehen konnte. Und so fuhren wir schweigend und traurig zu mir nach Hause.

In meiner Wohnung angekommen, setzte er sich auf meine Couch. Auch Felix spürte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war und verzog sich unsicher auf seinen Platz. „Gibt es nicht doch noch irgendeine Möglichkeit?“, fragte ich ihn. „Frankreich“, antwortete er. „Bleib doch wenigstens noch bis zum 16. April. Vielleicht finden wir doch noch einen Weg?“, flehte ich ihn an. „Nein, es hat keinen Sinn“, entgegnete er. „Ich habe mich entschieden. Diese Woche bin ich noch da. Ich muss mich von so vielen Leuten verabschieden und so viel vorbereiten und am nächsten Freitag bin ich weg.“ Verzweifelt umarmte ich ihn. Wir waren beide verzweifelt und zutiefst traurig. Ich spürte, wie er seine Traurigkeit verbergen wollte und krampfhaft versuchte, stark zu sein. Traurig und enttäuscht von irgendwelchen Marionetten, die in den Gerichten und Behörden stumm und ohne Gedanken ausführten, was eine Regierung bestimmte. Die Regierung legte fest, wie viele Afghanen zurückgeschickt werden mussten. Es gab einen Deal der EU mit dem afghanischen Präsidenten. Er erhielt von der EU elf Millionen Euro, damit er seine Flüchtlinge zurücknahm. Es war völlig egal, ob die Afghanen integriert und arbeitswillig waren oder nicht. Es war auch egal, mit welchen Problemen und Todesängsten sie hierher nach Europa gekommen waren und unter welchen gefährlichen Bedingungen sie überhaupt die Reise angetreten haben. Das teuflische Kontingent, die Rückführung in ein zerstörtes Land, das sich seit Jahrzehnten im Krieg befand, musste wegen dem Blutgeld erfüllt werden. Die Richter bekamen eine klare Anweisung, wie viele Afghanen einen negativen Bescheid erhalten mussten. „In Afghanistan töten sie dich, wenn du Glück hast, durch eine Kugel oder durch eine Bombe. Aber hier in Europa töten sie dich mit dem Kugelschreiber“, erklärte er mir. „Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Ich glaube, der Mord mit dem Kugelschreiber ist schlimmer, weil der Mensch, der mit diesem Stift dein Schicksal besiegelt, weiß gar nicht, dass er dich damit eigentlich direkt getötet hat!“, sagte er traurig. Einmal erzählte mir eine Flüchtlingshelferin, dass sie bei einer Verhandlung dabei war. Ihr Schützling erzählte eine so ergreifende Geschichte aus seinem Leben, sodass alle Anwesenden, einschließlich der Richterin, weinten. Trotzdem hat er einen negativen Bescheid erhalten. Der Mensch – ein Leben - und was damit weiter passiert, ist völlig egal für diese dunklen Mächte, die uns befehlen, wie wir zu denken – und sogar zu fühlen haben. Es wurde mir an diesem Abend auf jeden Fall klar, dass ich nicht mehr länger zu diesem dunklen System gehören möchte. Mich nicht mehr von einem System schikanieren und ängstigen lassen möchte, das jeden Respekt vor dem Leben und vor wahren Werten verloren hat, oder vielleicht nie hatte. Ein System, das beherrscht wird von einer dunklen, machtgierigen Elite, die nur das Beste für sich selbst wollte und für die wir nicht mehr, als auszubeutende Nutztiere sind. Am besten wäre es, wenn wir gleich einen Monat nach Pensionsantritt sterben könnten, damit wir dem Staat nicht zu viel Geld kosten. Aber daran arbeiteten sie ohnehin schon die längste Zeit. An der gezielten Eliminierung von nutzlos gewordenen Menschen. Nein, ich wollte nicht mehr zu diesem System gehören! Der Wunsch, frei zu sein und das zu tun, was meine innere Stimme sagte, wurde an diesem Abend so laut wie noch nie zuvor. Ich habe in meinem, nicht ganz so leichten Leben immer wieder gelernt, dass diese innere Stimme der einzige richtige Vertraute ist, den ich habe und auf den ich bedingungslos hören sollte.

An jenem Abend war er nicht gekommen, um mit mir zu schlafen. Wir saßen nur einfach auf der Couch und hielten uns fest. Es war einer der schlimmsten Abende meines Lebens. Nicht weniger schlimm als der Abend nach der Hiobsbotschaft meiner Ärztin. Kurz vor 22.00 Uhr wollte er dann plötzlich wieder zum Bahnhof. „Aber warum?“, fragte ich ihn enttäuscht. „Jetzt habe ich dich erst vor zwei Stunden abgeholt und jetzt willst du schon wieder weg? Bleib doch wenigstens diese Nacht bei mir!“ Ich war den Tränen nahe und es gelang mir kaum, sie zurückzuhalten. „Nein“, sagte er leise. „Ich muss morgen ganz früh raus und noch jemandem helfen.“ Ich konnte nicht verstehen, dass er wirklich einfach so gehen wollte. Alles in mir fühlte sich so hilflos und so schlecht an. „Okay, dann fahre ich dich morgen ganz bald in der Früh direkt nach Hause“, entgegnete ich ihm. Aber auch das wollte er nicht. „Komm, fahr mich jetzt bitte. Sonst gehe ich zu Fuß“, befahl er traurig. Seine Stimme klang so hoffnungslos, dass es mir fast das Herz zerriss. Also fuhr ich ihn zum Bahnhof und auf dem Weg dorthin, bettelte ich ihn immer wieder an, ihn direkt zu seiner Wohnung fahren zu dürfen. Aber er blieb stur. Er ließ sich nicht von seinem Plan abbringen. Mein Herz schmerzte so stark, als er sich nur mit einem Küsschen verabschiedete und aus meinem Wagen stieg. „Bitte!“, rief ich ihm nach. „Wenn du ohnehin nur noch eine Woche da bist! Dann lass uns doch wenigstens noch einmal treffen!“ Farid überlegte kurz und antwortete dann: „Vielleicht.“ Dann ging er und endlich durften sich meine Augen mit heißen Tränen füllen. Ich schluchzte laut auf und ließ die heißen Tränen einfach über meine Wange laufen. Während ich losfuhr, rief ich Sabrina an. Ich konnte unmöglich jetzt einfach nach Hause fahren! Ich war kaputt und der Schmerz war zu groß. Gottseidank! Sabrina hob ab. Sie war zu Hause. Ich fuhr zu ihr. Es war eine halbe Stunde Fahrt, in der ich Tausende von Tränen weinte. Sabrina war schon sehr müde, als ich bei ihr ankam. Sie öffnete mir im Bademantel. Ich erklärte ihr die ganze Situation und natürlich wusste auch sie keinen Rat. Aber es war gut, es einfach jemandem zu erzählen. Es war besser, als nach Hause zu fahren. Gegen Mitternacht war sie schließlich so müde, dass ich ihr meine Anwesenheit auf keinen Fall länger antun wollte. „Du, ich wünsche dir alles Gute“, sagte Sabrina zum Abschied und umarmte mich. Ich erkannte, dass mir das Gespräch mit ihr nicht geholfen hat. Ich fühlte mich um nichts besser als vorher. Was sollte sie schon sagen? Sie konnte mir doch auch nicht helfen! Auf dem Heimweg parkte ich mein Auto noch einmal kurz an den Rand. Es war mir immer noch nicht möglich, nach Hause zu fahren. Was sollte ich dort schon machen? Ich konnte heute sowieso nicht schlafen! Wen könnte ich kurz vor Mitternacht kontaktieren? Samir kam mir in den Sinn. Samir ist auch Afghane. Aber einer, der mehr Glück hatte, weil er schon länger in Österreich war. Damals gab es diese blutige Vereinbarung mit dem Präsidenten noch nicht. „Einen Afghanen kannst du immer anrufen, auch nachts! Wir sind immer wach!“, hat er einmal zu mir gesagt. Also kontaktierte ich ihn. Er hatte kein Problem damit, sich noch mit mir zu treffen. Wir trafen uns auf einem öffentlichen Parkplatz in der Stadt. Dort ließ ich mein Auto stehen und stieg in seinen weißen Audi. Der Glückliche hatte schon vor einigen Jahren einen positiven Bescheid mit Daueraufenthalt vom Staate Österreich bekommen. Ich erklärte Samir, warum ich so verzweifelt war und erwartete von ihm irgendeine Antwort – irgendeine Lösung. Aber er meinte nur, dass Farid keine andere Möglichkeit hat, außer nach Italien oder Frankreich zu fahren. Gemeinsam holten wir noch Ismat ab. Auch er war noch munter und quietschvergnügt. Ismat hatte einen Bruder in Frankreich. Er erzählte uns, dass es seinem Bruder in Frankreich überhaupt nicht gut ging, denn dieser hatte auch dort noch keinen Bescheid. Und so fuhren wir zu dritt durch die Stadt. Einfach ziellos durch die Straßen, weil Samir sowieso gerne mit seinem neuen Audi in der Gegend herum fuhr. Die beiden konnten mir weder helfen noch mich trösten. Trotzdem war es gut, mit jemandem zu reden und nicht alleine zu sein. Mit jemandem, der auch Ahnung von der Problematik hatte. Und außerdem würde ich ohnehin nicht schlafen können. Sabrina war meine Seelenschwester, meine beste Freundin, aber es hatte keinen Sinn, mit ihr darüber zu reden, weil sie keinen blassen Schimmer von Flüchtlingen und Asyl hatte. Sie konnte mir keinen Rat geben und stellenweise fehlte ihr auch das Verständnis für die Situation. Sie konnte sich nicht in die Lage eines Menschen versetzen, der aus seiner Heimat flüchtet, um zu überleben. Immer wieder suchte sie den Vergleich zu unseren Leuten. Ich möchte ihr das nicht zum Vorwurf machen, aber in Bereichen, wo ich keine Ahnung habe, fällt es mir ja auch schwer, jemandem etwas zu raten. Die Zeit verging schnell und dann war es plötzlich 4.00 Uhr morgens. Ismat war müde. Er wollte nach Hause und so trennten sich unsere Wege wieder.

Der arme Felix hat die ganze Zeit in meinem Auto geschlafen. Er schaute mich verdutzt und müde an, als ich die Autotür öffnete. „Entschuldige“, sagte ich zu ihm. „Danke, dass du so geduldig bist.“ Dann fuhren wir nach Hause. Ich fand kaum Schlaf. Wahrscheinlich bin ich irgendwann eingenickt und war trotzdem um 7.00 Uhr wieder wach. Glücklicherweise war Sonntag. Hellwach sprang ich aus dem Bett, machte mich im Bad frisch, um nicht wie ein Zombie auszusehen. Schnell trank ich noch eine Tasse Kaffee, schnappte Felix und fuhr mit ihm los, nachdem auch er seine Geschäfte verrichten konnte. Ich machte mich auf den Weg zu Farids Wohnung. Er hatte gesagt, dass er am frühen Morgen einem Freund helfen musste, also erwartete ich nicht, ihn dort zu treffen. Aber seine drei Freunde wollte ich treffen. Ich wollte wissen, was sie zu der Situation sagten und ich wollte ihnen erzählen, was mir Ismat und Samir in der Nacht erzählt haben. Fast eine Stunde entfernt, in einer kleinen Ortschaft, war die Wohnung der vier Jungs. Ich lief in den Innenhof – wieder ließ ich Felix im Auto zurück, schließlich hatte ich nicht vor, lange zu bleiben. Ich klopfte an die bescheidene Eingangstür und Hamid machte mir auf. Sie dachten, ich wäre Hamids und Arashs Chef, denn dieser wollte sie zum Arbeiten abholen. „Kann ich kurz mit euch reden?“, fragte ich. „Ja natürlich“, antwortete Hamid. „Aber Erich kommt gleich“. „Kein Problem“, entgegnete ich. „Ich will euch auch gar nicht lange aufhalten.“ Er ließ mich in die Wohnung hinein und da stand er plötzlich – in der Küche – ohne Shirt – Farid – mit seinem durchtrainierten Körper und nur mit einem weißen Badetuch um die Taille bekleidet. „Du bist hier?“, fragte ich überrascht. Schließlich hat er mir gestern gesagt, dass er früh weg musste. „Ja“, sagte er leise. „Ich habe bei meinem Freund die ganze Nacht gearbeitet und bin erst vor einer Stunde heimgekommen. Ich brauche doch Geld für meine Reise.“ Er kam zu mir und küsste mich sanft. Es war ihm egal, dass seine Freunde uns beim Küssen sehen konnten. Obwohl er mir einmal erklärt hat, dass man vor Afghanen nicht küsst. Wir setzten uns ins Wohnzimmer und wieder nahm ich auf der durchgesessenen, grünen Couch Platz. Aber diesmal war das Gefühl anders als beim letzten Mal. Nicht mehr so unbeschwert – im Gegenteil – es war diesmal sogar sehr schwer. Wir konnten nicht lange reden, weil Erich schon nach wenigen Minuten bei Hamid anrief, um ihm zu sagen, dass er vor der Tür wartete. „Komm einfach mit!“, meinte Hamid. „Heute ist Sonntag und wir haben nicht viel zu tun in dem Park. Die Saison hat noch nicht angefangen und die Leute kommen erst in ein paar Wochen.“

Gerne wollte ich dieses Angebot annehmen, schließlich wusste ich sowieso nicht, wohin ich sonst gehen sollte. Und natürlich kam Farid auch mit. Und so fuhren wir gemeinsam in den Park. Farid fuhr mit mir und Felix im Auto mit. Im Park konnte Felix wenigstens ein bisschen ohne Aufsicht herumlaufen. Erich hat einen Frühstückstisch vorbereitet und freute sich sehr, mich zu sehen. Schließlich habe ich ihm zwei wunderbare Arbeiter verschafft. Mir war nicht nach frühstücken und lustig sein. „Erich, können wir am Donnerstag frei haben, weil wir machen eine Abschiedsparty für Farid?“, fragte Hamid. Mir war so, als müsste ich gleich tausend Tode sterben, als er das sagte. Eine Abschiedsparty? Für Farid? Und ich war da nicht eingeladen? Warum eigentlich nicht? Viele Fragen schossen mir durch den Kopf. Aber ich stellte diese Fragen nicht. Ich wollte mich nicht aufdrängen. Wenn er mich nicht bei der Party dabeihaben wollte, dann konnte ich auch nichts machen. Trotz aller Beherrschung, die ich von meinem Vater gelernt hatte, konnte ich mich an diesem Tag nicht mehr zurückhalten. Ich begann an diesem Frühstückstisch zu weinen. Mein Vater hat immer gesagt: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ Das sagte er immer, als ich noch klein war und meine Knie zerschunden waren, vom Sturz mit dem Fahrrad, oder weil ich über meine eigenen Beine gestolpert bin. Wenn mein Vater diesen Satz zu mir sagte, schluckte ich krampfhaft meine Tränen hinunter. Ich wollte meinen Vater nicht enttäuschen und unbedingt sein Indianer sein. Er sollte doch auf mich stolz sein! Vergebens dachte ich an diesen Satz, der meine Tränen früher immer ganz schnell zum Trocknen gebracht hat. Es gelang mir diesmal überhaupt nicht! Ich weinte und ließ alle Tränen los. Farid nahm mich in den Arm und Erich wusste nicht, was er sagen sollte. Niemand fand in dem Moment tröstende Worte für mich. Und plötzlich schämte ich mich auch nicht mehr für meine Tränen. Ich ließ sie einfach los. Alle waren ruhig an diesem Frühstückstisch. Niemand erklärte mir, dass es einen anderen Ausweg gab. Ich fühlte mich hoffnungslos verloren. Und obwohl ich Farid nicht lange kannte und auch noch nicht oft gesehen hatte, wusste ich, dass ich diesen Mann unendlich liebte. Ich spürte ganz tief in meinem Herzen, dass das mein Seelenverwandter war. Er war der Mann, den ich mir schon lange gewünscht und den ich oft in meinen Träumen gesehen habe. Er hatte alles – nicht nur sein gutes Aussehen – sondern auch seine Intelligenz, seinen Humor, seine Weisheit – ich liebte alles an ihm. Irgendwann an diesem Vormittag fuhr ich mit Felix nach Hause. Dunkle Augenringe, schmerzende Augen und zerzauste Haare ließen meinen Anblick sicher nicht gerade attraktiv erscheinen. Farid kam nicht mit mir mit. Ich wollte ihn auch nicht darum bitten. Den restlichen Tag verbrachte ich wie ferngesteuert und wie traumatisiert und ging früh schlafen. Was war das für ein schreckliches Jahr? Zuerst der Tumor, dann verliebe ich mich in jemanden, der nicht bleiben kann! Und von dem ich nicht einmal wusste, ob ich ihm überhaupt etwas bedeutete. Wie schlimm konnte dieses Jahr noch werden? Irgendwie spürte ich, dass mir dieses Jahr noch mehr Prüfungen auferlegen würde. Angst stieg in mir hoch. Die Angst, dass ich eventuell diese Prüfungen nicht bestehen konnte.

Der Mann aus Samangan

Подняться наверх