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Kapitel 2 Trostbonbons mit Himbeergeschmack

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Alexander

„Wie bitte?“

Ich kann kaum glauben, was ich gerade durchs Telefon gehört habe und frage sicherheitshalber noch einmal nach.

„Dieses Mal wirst du dich um den Haushalt und die Verpflegung kümmern müssen“, wiederholt meine Mutter bereitwillig, wobei sie erneut das Du im Satz überdeutlich betont. „Ich kann das ja schlecht selbst machen, und dein Vater hat genug mit Oma und mir zu tun.“

„Aber … aber …“ Ich weiß echt nicht, was ich sagen soll.

Im Laufe der letzten Minute wurde ich nicht nur mit der Neuigkeit konfrontiert, dass meine Mutter sich gestern beim Wandern den Fuß gebrochen hat, und dass das Rheuma bei meiner Oma immer schlimmer wird. Nein, ich musste auch noch zur Kenntnis nehmen, dass meine Mutter die gesamte Organisation unseres anstehenden Familientreffens mir überlassen will.

Mir!

„Was … was ist mit Nora und Tom?“ Gerade noch rechtzeitig fallen mir meine große Schwester und mein Schwager ein.

„Nora?“, wiederholt meine Mutter gedehnt. „Auf keinen Fall. Du weißt doch, dass das nicht geht. Sie hat gerade erst …“

„Warte mal!“, unterbreche ich sie, denn ich stehe in meiner Lieblingsbäckerei an der Theke und bin in diesem Moment an der Reihe. Hastig bestelle ich Kaffee, Muffin, Sandwich und Kuchen, bevor ich mich wieder dem Telefon zuwende. „Okay, ich kann wieder zuhören.“

„Wo bist du?“, will meine Mutter wissen.

„Im Bäckerladen.“

„Alexander! Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst mich nicht von unterwegs aus anrufen? Ich kann es nicht leiden, wenn ich nicht deine volle Aufmerksamkeit habe.“

„Du hast meine volle Aufmerksamkeit“, versichere ich ihr. „Ich rede nur mit dir.“

„Gerade hast du aber auch mit jemand anderem gesprochen.“

„Das war nur eine Verkäuferin, das zählt nicht.“

Ich werfe einen flüchtigen Blick hinter die Theke. Dort stehen, wie eigentlich jeden Morgen, zwei junge Frauen. Die eine ist klein, blond und ein wenig mollig. Ich glaube, das ist die Inhaberin. Die andere ist groß, mager, rothaarig und hat mindestens fünf silberne Ringe im Ohrläppchen.

In jedem.

„Neun Euro sechzig“, sagt die Blonde jetzt zu mir. Sie lächelt nicht ganz so freundlich wie sonst.

Ich schiebe einen Zehn-Euro-Schein über die Theke und signalisiere ihr, dass sie den Rest behalten kann. Sie bedankt sich mit einem geschäftsmäßigen Nicken, aber immer noch ohne Lächeln.

„Deine Schwester hat drei Kinder“, nimmt meine Mutter ihren ursprünglichen Gesprächsfaden wieder auf. „Darf ich dich daran erinnern, dass sie erst vor Kurzem Zwillinge bekommen hat? Sie und Tom sind wegen der Babys Tag und Nacht auf den Beinen und können sich unmöglich auch noch um sechs Erwachsene kümmern.“

„Sechs? Wieso sechs?“, hake ich nach und packe die Gebäcktüten in meine Tasche. Nicht ganz so einfach, wenn man nur eine Hand zur Verfügung hat.

„Du, ich, dein Vater, Oma, dein Bruder und seine Freundin“, zählt meine Mutter auf. „Wenn du auch noch jemanden mitbringst, sind wir sogar sieben.“

„Wie? Jonathan hat schon wieder eine Neue?“ Den letzten Teil ihrer Bemerkung ignoriere ich absichtlich.

Ich bringe bestimmt niemanden mit.

Die Sache zwischen Michelle und mir ist mein kleines Geheimnis, das niemanden etwas angeht. Und das soll auch noch eine Weile so bleiben.

Außerdem kann ich mir meine elegante, aber immer ein wenig unnahbar wirkende Freundin nur schwerlich im Kreis meiner lauten und chaotischen Familie vorstellen.

„Ja, Jonathan hat eine neue Partnerin. Letzte Woche hat er sie mitgebracht, als wir alle bei Nora zu Besuch waren. Schade, dass du da keine Zeit hattest! Sie heißt Kim und ist ein ganz besonders nettes Mädchen“, entgegnet meine Mutter. Ihr naiver Optimismus rührt mich. Mein Bruder hatte schon haufenweise nette Mädchen, die aber alle früher oder später das Weite gesucht haben. „Vielleicht ist sie endlich die Richtige.“

Das kann ich mir kaum vorstellen. Jonathan ist bequem, träge, gammelt am liebsten herum und hält sich mit irgendwelchen Aushilfsjobs über Wasser, während der Rest der Familie vergeblich darauf wartet, dass er endlich sein Studium abschließt. Also nicht gerade das, was man eine gute Partie nennen würde.

Aber ich behalte meine Zweifel für mich. „Vielleicht“, entgegne ich nur und wende mich zur Tür. Draußen regnet es mittlerweile in Strömen. Mist! Ich habe keinen Schirm dabei. „Kann sie kochen?“

„Alexander!“, schimpft meine Mutter. „Das werden wir ihr nicht zumuten.“

Ach ja? Aber mir anscheinend schon!

„Ehrlich gesagt sieht sie auch nicht so aus, als ob sie kochen könnte“, fährt meine Mutter bedauernd fort. „Nein, mein Lieber, du bist leider der Einzige, dem ich Haushalt und Küche anvertrauen kann.“

„Mama!“, protestiere ich und ahme dabei ihren entrüsteten Tonfall nach. „Weißt du eigentlich, was du von mir verlangst?“

„Natürlich weiß ich das, ich bin ja nicht senil.“

„Ich soll mich von Gründonnerstag bis Ostermontag um unsere ganze Familie kümmern. Und das erfahre ich erst jetzt, am Montag, drei Tage vorher. Das … das ist … das ist …“

Mir fehlen die Worte. Ächzend lasse ich mich auf das geblümte Sofa fallen, und es ist mir heute völlig egal, dass ich mitten im Schaufenster sitze. Solange es regnet, kann ich sowieso nicht raus. Und vorher will ich dieses Thema mit meiner Mutter ausdiskutiert haben.

Ihre Forderungen sind doch völlig absurd!

„Ich kümmere mich seit vierunddreißig Jahren um unsere Familie“, entgegnet sie schnippisch. „Da wirst du das ja wohl mal ein verlängertes Wochenende tun können.“

„Meine Koch- und Backkenntnisse halten sich in Grenzen.“

„Du kannst das, schließlich hast du bei mir gelernt.“

„Das ist schon zehn Jahre her“, sage ich und rücke ein wenig zur Seite, damit die blonde Verkäuferin einen großen Karton mit Süßigkeiten neben mir auf dem Sofa abstellen kann. Feine Himbeerbonbons steht auf der Verpackung. „Willst du nicht lieber alles absagen?“

„Nein. Warum sollte ich?“

„Immerhin hast du deinen Fuß gebrochen und sollst dich bestimmt noch schonen.“

„Ach, papperlapapp! Wo kann ich mich besser erholen als im Kreis meiner Familie?“

„Mir fallen auf Anhieb mindestens hundert andere Orte ein, die erholsamer sind.“

„Mir nicht. Ich brauche dieses Fest ganz dringend. Wir haben wegen Noras komplizierter Schwangerschaft schon Weihnachten nicht miteinander gefeiert. Und außerdem können wir so kurzfristig nicht einfach alles abblasen.“ Für meine Mutter scheint die Diskussion damit beendet zu sein.

Ich versuche trotzdem noch einmal, aus der Nummer rauszukommen. „Wie wäre es, wenn wir eine Küchenhilfe engagieren?“

„Wo willst du denn so schnell noch jemand Gutes finden? Und ein Fremder in unserer Küche? Vergiss es! Das ist …“ Sie bricht ab. „Was knistert denn da bei dir?“

„Bonbontüten.“

„Bist du immer noch in der Bäckerei?“

„Ja. Ich sitze hier fest. Draußen regnet es, und ich habe keinen Schirm dabei.“

„Du Armer!“

Ich fasse es nicht. Meine Mutter hat Mitleid mit mir, weil es regnet. Aber wenn es darum geht, dass ich fünf Tage lang in der Küche stehen soll, kennt sie kein Erbarmen.

„Vielleicht erkälte ich mich ja noch bis Donnerstag und werde krank.“

„Oh nein, das wirst du nicht. Du möchtest uns doch sicherlich nicht den Spaß verderben. Denk doch auch mal an Oma! Sie freut sich schon so.“

Wie unfair! Jetzt hat sie das Killer-Argument gebracht. Meine Großmutter ist nämlich mein schwacher Punkt, ich hänge sehr an ihr.

„Also gut“, seufze ich deshalb. „Du hast gewonnen. Notfalls müsst ihr mit Dosenravioli und Tiefkühlpizza leben.“

Meine Mutter lacht. „Ein bisschen mehr erwarte ich schon.“

Ich verkneife mir die Bemerkung, dass sie darauf lange warten kann, und beende unser Gespräch. Dann lasse ich mich nach hinten gegen die Sofakissen sinken und atme mehrere Male kräftig durch.

Angeblich vertreibt das negative Gedanken.

Funktioniert aber nicht, zumindest nicht bei mir.

Ich bin immer noch verärgert.

Die Aussicht auf die kommenden Feiertage gefällt mir ganz und gar nicht. Ich hatte mich auf ein paar nette Stunden im Kreis der Familie gefreut. Frühlingsstimmung, viel frische Luft und gutes Essen. Stattdessen werde ich für alles und jeden verantwortlich sein …

„Hier!“ Eine Knistertüte mit knallroten Süßigkeiten landet auf meiner Brust. „Trostbonbons.“

Sina

Eine blödere Einleitung für ein Gespräch ist mir wohl nicht eingefallen?

„Hier! Trostbonbons.“

Er muss ja denken, dass ich außer „Guten Morgen!“ und „Was darf’s denn sein?“ keinen zusammenhängenden Satz herausbringen kann. Außerdem weiß er jetzt mit Sicherheit, dass ich ihn belauscht habe.

Aber was soll’s?

Ich bin ihm doch sowieso egal, wie ich vorhin bei seiner abfälligen Bemerkung über Verkäuferinnen deutlich herausgehört habe.

Für ihn bin ich nur die Bäckerin.

Die Kucheneinpackerin.

Die Kaffeeköchin.

Erschütternd, aber wahr …

Ach, Mist! Jetzt brauche ich auch Trost!

Kurz entschlossen schnappe ich mir eine weitere Tüte mit Süßigkeiten, reiße die Verpackung auf und stopfe mir fünf Bonbons auf einmal in den Mund. Dann setze ich mich neben ihn. Ein bisschen zu dicht vielleicht, aber das macht jetzt auch nichts mehr.

„Ist … äh … alles in Ordnung bei Ihnen?“ Er richtet sich auf, stellt seine Tüte auf den Tisch und beobachtet mich stirnrunzelnd.

Ich schüttele den Kopf. Reden kann ich gerade nicht.

„Waren das nicht ein paar Bonbons zu viel?“, will er wissen.

Wieder schüttele ich den Kopf, während ich wie eine Verrückte an den Himbeerbonbons herumlutsche, um den Mund wieder frei zu bekommen.

Vergeblich.

Er bemerkt das zum Glück nicht, da er gerade einen Blick aus dem Fenster wirft. „Es regnet immer noch. Darf ich vielleicht noch ein bisschen hier sitzen bleiben und nachdenken?“

Sein Lächeln ist nur angedeutet, haut mich aber, wie üblich, völlig um. Und nach seinem „Übrigens dürfen Sie mir gern dabei Gesellschaft leisten“ vergesse ich sogar, dass ich eigentlich böse auf ihn bin.

Ich nicke und hoffe, dass er mir meine Verlegenheit nicht ansieht. Zum ersten Mal seit zwei Jahren, einem Monat und elf Tagen redet Alexander Goldstein nicht nur das Nötigste mit mir. Nein, er lächelt mich sogar an und fordert mich zum Bleiben auf – und ich sitze ihm gegenüber, mit dem Mund voller Bonbons und einem dümmlichen Grinsen im Gesicht.

Ich muss dringend etwas tun, sonst denkt er am Ende noch, ich wäre genauso albern und blöd, wie mein Gesichtsausdruck es gerade vermuten lässt. So eine günstige Gelegenheit auf ein Gespräch mit ihm bekomme ich bestimmt so schnell nicht wieder!

„Empfulliung“, bringe ich deshalb mühsam heraus und springe auf. „Bin bleich pfurück.“

Rasch laufe ich auf die Personaltoilette und spucke die Bonbons in den Mülleimer. Danach spüle ich meinen Mund aus, wasche das Gesicht und werfe einen kritischen Blick in den Spiegel. Oh je! Warum habe ich mir heute Morgen nicht die Haare gewaschen? Ein wenig Puder hätte auch nicht geschadet, meine Stirn glänzt verschwitzt. Und erst diese abgetragene gelbe Bluse!

Aber es hilft jetzt nichts, ich muss schnell wieder zu ihm. Wer weiß, wie lange er noch dort sitzt? Irgendwann wird der Regen aufhören; im Radio war nur von kurzen Schauern die Rede.

„Hi!“, begrüßt er mich, als ich zurück zum Sofa komme. Inzwischen hat er seine Tüte mit Bonbons ebenfalls aufgerissen. „Die schmecken superfruchtig“, meint er. „Allerdings sollte man immer nur eins nehmen.“

„Ja, ich weiß.“ Dieses Mal bin ich wesentlich vorsichtiger, als ich mich zu ihm setze, und lasse auch genügend Abstand zwischen uns. „Das war dumm von mir.“

„Macht nichts. Es gibt Situationen im Leben, die schreien nach Trostbonbons, das haben Sie ganz richtig erkannt.“ Er deutet auf seine Tüte. „Übrigens vielen Dank für die Bonbons. Und dafür, dass Sie sich zu mir gesetzt haben.“

„Gern geschehen. Sie sehen aus, als könnten Sie gerade ein wenig Zuspruch brauchen.“

„Oh ja!“ Er runzelt die Stirn. „Wenn Sie wüssten!“

Ich könnte ihm jetzt gestehen, dass ich tatsächlich weiß, was für ein Problem er hat. Denn natürlich habe ich das ganze Telefongespräch mit seiner Mutter belauscht. Warum wohl sonst habe ich die Bonbontüten direkt neben ihm eingeräumt?

Aber ich bin lieber still, sonst hält er mich an Ende noch für eine durchgeknallte Stalkerin. Für eine Richtigstellung würde mir die Zeit fehlen.

Und die Argumente.

Denn im Grunde bespitzele ich ihn ja tatsächlich, auch wenn ich das nicht als Stalking bezeichnen würde, sondern eher als heftiges Interesse.

Außerdem weiß ich, dass die meisten Menschen, die eine Bemerkung wie „Wenn Sie wüssten!“ machen, sowieso von selbst zu reden beginnen.

Und richtig, auch Alexander fängt jetzt an zu erzählen. Seine erste Frage überrascht mich allerdings.

„Kennen Sie Heubach im Odenwald?“

Seitdem er es vor zwei Jahren mal am Telefon erwähnt hat, weiß ich natürlich, wo das liegt. Aber ich stelle mich ahnungslos. „Nein.“

„Das ist ein kleines Dorf bei Groß-Umstadt. Schön erhaltenes Fachwerk, ein paar grüne Hügel und viel Wald.“

„Ihre Heimat?“ Auch das weiß ich besser, aber ich will ja mit ihm im Gespräch bleiben.

„Nein. Aber dort, mitten im Wald, steht ein altes Forsthaus, das früher meinen Großeltern gehörte. Vor ein paar Jahren habe ich es zusammen mit meinem Vater von Grund auf renoviert und modernisiert. Seitdem trifft sich meine Familie regelmäßig dort.“

„Also so eine Art Ferienhaus?“

„Noch ist es tatsächlich nur ein Ferienhaus. Aber meine Eltern wollen einziehen, sobald mein Vater in Rente ist.“

„Das klingt doch alles sehr schön.“

Klingt es wirklich!

Ein altes Forsthaus im Grünen. Blühende Bäume. Vogelgezwitscher. Alexander in Jeans und engem T-Shirt.

Beim Holzhacken.

Und schon geht meine Fantasie mit mir durch!

„Na, jedenfalls …“ Geistesabwesend nimmt er sich noch ein Bonbon. „Dieses Jahr wollten wir alle gemeinsam Ostern feiern: Meine Eltern, meine Oma, meine Schwester mit Mann und Kindern und mein Bruder mit seiner neuen Flamme. Aber was passiert?“ Er macht eine kleine Pause und sieht mich erwartungsvoll an.

Ich muss mich echt beherrschen, jetzt nicht mit „Ihre Mutter bricht sich den Fuß“ herauszuplatzen.

„Meine Mutter bricht sich den Fuß“, spricht er genau das aus, was ich gerade gedacht habe.

Ich versuche, ein überraschtes Gesicht zu machen.

„Und jetzt soll ich mich um alles kümmern“, seufzt er.

„Kann das denn niemand anderer übernehmen? Oder zumindest mithelfen?“

„Nein. Mein Vater muss sich um meine Mutter kümmern. Und um meine Oma. Meine Schwester und mein Schwager scheiden auch aus, die haben genug mit ihren Kindern zu tun. Mein Bruder ist … äh … eher … unfähig, und seine neue Freundin anscheinend auch. Meine Mutter will sie auf keinen Fall an den Herd lassen. Genauso wenig übrigens wie eine Küchenhilfe, die ich am liebsten engagieren würde.“

„Dann bleiben also tatsächlich nur Sie“, stelle ich fest.

Er nickt. „Es sei denn, der Himmel weht mir noch eine gute Fee vor die Füße.“

„Das soll vorkommen“, murmele ich zerstreut, denn ich bin abgelenkt. In meinem Kopf entsteht gerade eine Idee. Eine sehr spontane und ziemlich blöde Idee. Am besten sollte ich sie für mich behalten.

Doch das kann ich nicht. Das konnte ich noch nie, ich war schon immer sehr mitteilsam. Außerdem: es wäre dumm und geradezu fahrlässig von mir, wenn ich diese Super-Mega-Chance nicht nutzen würde!

„Ich könnte Ihnen helfen“, platze ich deshalb heraus.

„Wobei?“ Offenbar kann er meinen Gedankengängen nicht so schnell folgen.

„Beim Kochen und Backen.“

„Wie? … Wo?“ Er scheint immer noch nicht verstanden zu haben, was ich ihm gerade vorschlage.

„In Heubach“, erkläre ich ihm geduldig. „Bei Ihrer Familienfeier. Ich könnte Ihnen beim Kochen und Backen helfen.“

„Aber …“

„Gegen Bezahlung natürlich“, ergänze ich hastig, obwohl es mir eigentlich gar nicht auf das Geld ankommt. Im Gegenteil, ich würde alles dafür geben, ein wenig mehr Zeit mit Alexander Goldstein zu verbringen. Aber das kann ich ihm gegenüber natürlich nicht als Begründung angeben. Also tue ich so, als ob es mir lediglich um ein geschäftliches Angebot geht.

„Ich biete diesen Service schon seit einigen Jahren erfolgreich an“, improvisiere ich drauflos und hoffe, dass ich glaubhaft klinge.

Und dass Ellie nicht ausgerechnet jetzt zuhört.

Im Laden ist es ruhig geworden, sie steht mit dem Rücken zu uns an der Kaffeemaschine und hat gerade das Reinigungsprogramm gestartet.

„Einkaufen, Vorbereiten, Kochen, Backen, Tischdecken und Abspülen, alles aus einer Hand“, fahre ich fort. „Sina Müllers Rundum-Sorglos-Paket. Haben Sie das nicht gewusst?“

„Nein.“ Er schaut mich mit großen Augen an.

„Na ja, ich mache ja auch keine Werbung damit. Habe ich nicht nötig, es ist ein Selbstläufer.“

Ellie dreht sich um und runzelt die Stirn.

Wusste ich es doch! Sie lauscht.

„Aber … aber … wie kriegen Sie das denn neben der Bäckerei noch geregelt?“, erkundigt sich Alexander erstaunt.

„Ach, das geht spielend leicht“, behaupte ich und wische seine Bedenken mit einem gekünstelten Lachen weg.

Hoffentlich kauft er mir meine Lügen ab!

Und hoffentlich hält Ellie weiterhin die Klappe!

„Diese Bäckerei ist ja nur von Montag bis Freitag geöffnet, am Samstag und am Sonntag lohnt sich das Geschäft wegen der fehlenden Bahnpendler nicht.“ Wenigstens diese Tatsachen entsprechen der Wahrheit. „Deshalb springe ich am Wochenende gern bei Familienfesten oder Partys ein.“

„Hm.“ Er lehnt sich zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und runzelt die Stirn. Anscheinend muss er diese Informationen erst einmal verarbeiten.

Ich nutze die Zeit und schicke einen bösen Blick zu Ellie. „Wehe, du sagst einen Ton!“, signalisiere ich ihr mit meinen Augen. Sie versteht das sofort und deutet ein unschuldiges Nicken an.

„Haben Sie denn so kurzfristig Zeit?“, fragt Alexander. „Immerhin ist Ostern, Sie wollen doch bestimmt mit Ihrer Familie feiern.“

Ich kann es kaum glauben. Er hat angebissen!

„Das würde ich wirklich gern“, versichere ich ihm. „Aber meine Eltern sind … äh … verreist.“ Dass die beiden seit ein paar Jahren tot sind, muss er nicht wissen. Noch nicht. Schließlich ist das keine Information, die man gleich beim ersten Kennenlernen erzählt. „Und meine Schwester lebt in San Francisco“, fahre ich fort. „Ich werde an den Feiertagen also völlig allein sein.“

Okay, auch das stimmt jetzt nicht so ganz.

Zwar ist meine Schwester tatsächlich mit einem Amerikaner verheiratet und lebt in San Francisco, aber ich habe ja noch mehr Verwandtschaft. Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen, die mich alle pflichtbewusst zu Ostern eingeladen haben. Außerdem bin ich am Ostersonntag mit Ellie abends zu Sauna und Wellness im Freizeitbad verabredet.

Genau genommen ist es also eine weitere dicke Lüge, die ich ihm da gerade auftische. Prompt erleidet Ellie einen theatralischen Hustenanfall hinter der Theke.

„Geh mal lieber in die Küche und trink etwas!“, rate ich ihr und atme auf, als sie tatsächlich ohne zu protestieren nach hinten verschwindet.

Jetzt habe ich Alexander für mich. Ohne Zeugen lügt es sich ein bisschen leichter.

Er scheint sich unterdessen für meine Idee erwärmt zu haben. „Sie hätten also wirklich Zeit für mich und meine Familie?“, will er wissen.

Ich kann mein Glück kaum fassen und nicke wie wild.

„Ich bezahle Sie natürlich gut.“

Wieder nicke ich.

Er kratzt sich am Kopf, dann seufzt er resigniert. „Es geht trotzdem nicht.“

Was? So kurz vor dem Ziel kann doch mein schöner Traum nicht zerplatzen!

„W-w-warum nicht?“

„Meine Mutter hat gesagt, sie will niemand Fremdes in der Küche. Sie würde mir die Hölle heiß machen.“

„Dann … dann sagen wir einfach, ich sei eine Freundin von Ihnen. Eine … äh … gute Freundin, die Sie schon länger kennen. Und mit der Sie … öfters kochen“, stammele ich mir mit dem Mut der Verzweiflung zusammen. „Und zufällig wäre ich zu Ostern ganz allein, was Sie natürlich auf keinen Fall wollen. Rein … äh … freundschaftlich natürlich.“

Er nickt zerstreut und kaut auf seiner Unterlippe herum. „Dass wir uns schon länger kennen, wäre nicht einmal gelogen“, murmelt er dann. „Und auch nicht, dass Sie ansonsten allein wären.“

„Genau!“

„Meine Mutter hat ein weiches Herz. Wenn wir zu zweit in der Küche stehen und so tun, als ob wir gute Freunde sind, wird sie nichts dagegen haben.“

„Fein!“ Ich strahle ihn an.

„Außerdem verdienen Sie bei dieser Sache noch etwas.“

„Wir profitieren also beide davon.“

„Na dann …“ Er gibt sich einen Ruck. „Dann sind wir uns einig. Sie sind engagiert. Aber diese Abmachung muss unser Geheimnis bleiben. Für meine Familie sind Sie ab heute offiziell meine neue beste Freundin.“

Ellie, die in diesem Moment zur Tür hereinkommt, gibt einen erstickten Laut von sich und verschwindet gleich wieder in der Küche. Ich achte nicht auf sie. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, nicht laut herauszujubeln.

„Danke für den Auftrag“, sage ich stattdessen nur und versuche, gelassen zu klingen.

„Ich muss jetzt leider los, der Regen hat aufgehört. Aber ich komme heute Abend noch einmal vorbei, dann klären wir die Einzelheiten.“

Ich nicke glücklich. Noch einmal vorbeikommen, um Einzelheiten zu klären – das klingt doch fast schon nach einem Date.

Einem Date mit meinem Märchenprinzen!

Und es kommt noch besser. Ich werde das nächste Wochenende mit Alexander Goldstein in einem alten Forsthaus mitten im Odenwald verbringen.

Egal, was passiert, eines weiß ich jetzt schon ganz genau: Das wird das beste Osterfest meines Lebens!

Schokohasenküsse

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