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Kapitel 4 Blechkuchen mit Marzipanstreuseln

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Sina

Pünktlich um neunzehn Uhr steht Alexander wieder vor meinem Laden.

Ich habe schon abgeschlossen und rechne gerade die Tageseinnahmen zusammen, als er an der Tür klopft – immer noch in Anzug und Krawatte, anscheinend ist er direkt vom Büro aus hergekommen.

Das bedeutet, dass er Hunger und Durst hat.

Perfekt!

Ich habe nämlich einen kleinen Imbiss für uns vorbereitet.

Frisch gebackenes Brötchenkonfekt, pikante Käsecreme und Oliven vom Griechen gleich nebenan, eine Flasche Wein aus dem italienischen Supermarkt, und zum Nachtisch gibt es Blechkuchen mit Marzipanstreuseln – seinen Lieblingskuchen, der montags eigentlich gar nicht auf meinem Programm steht. Doch ihm zuliebe habe ich mich vorhin noch einmal in die Backstube gestellt.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Kuchen ist erst seit einer Stunde aus dem Ofen und verströmt den typisch warmen und süßen Duft von frisch gebackenem Teig.

Auch an mir selbst habe ich gearbeitet, um mich etwas ansehnlicher zu machen. In der Mittagspause bin ich sogar extra nach Hause gelaufen, habe die Haare gewaschen und meine schönste Arbeitsbluse angezogen. So ein kurzärmliges Teil mit blauen und roten Streifen in Längsrichtung, die mich hoffentlich ein wenig schlanker erscheinen lassen.

„Kommen Sie rein!“ Ich verschließe die Tür wieder und deute auf das Sofa. „Setzen Sie sich doch!“

Er nimmt Platz, zieht sein Jackett aus und schaut sich interessiert um. „Ohne Kuchen und Brötchen wirkt das Geschäft irgendwie unheimlich. So leer.“

„Ja, ich weiß.“

Ich habe bereits alle Deckenlichter gelöscht, nur die alte Stehlampe neben dem Sofa brennt noch und verbreitet eine angenehm gemütliche Stimmung. Um für ein wenig mehr Privatsphäre zu sorgen, habe ich auch die Verdunkelungsrollos am Schaufenster heruntergezogen. Das mache ich oft, wenn ich abends noch im Laden zu tun habe.

„Tja, also …“ Er räuspert sich ein paarmal und mustert mich abschätzend.

Prompt erröte ich. An diesen ständigen Blickkontakt werde ich mich erst noch gewöhnen müssen. „Ja?“

„Das kam heute Morgen alles ein wenig plötzlich.“

Oh nein! Er wird unser Vorhaben doch wohl hoffentlich nicht wieder abblasen wollen? „Möchten Sie … möchten Sie lieber doch nicht, dass ich … äh …?“

„Natürlich will ich! Sie sind das Beste, was mir in dieser blöden Situation passieren konnte.“ Jetzt wechselt meine Gesichtsfarbe sicherlich von Rot auf Pink. „Aber was ist mit Ihnen? Vielleicht sind Ihnen mittlerweile Bedenken gekommen?“

Soll das ein Witz sein? „Nein.“

„Dann halten Sie unsere Vereinbarung immer noch für eine tolle Idee?“

„Ja. Ich kann das Geld nämlich gut gebrauchen. Und ich bin neugierig auf den Odenwald.“

Das war jetzt nicht einmal gelogen, jedenfalls nicht sehr.

„Von wie viel Geld reden wir eigentlich?“

Ich nenne ihm eine Summe, über die ich den ganzen Tag nachgedacht habe. Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Es soll schließlich echt wirken.

Er nickt. „Das ist ein fairer Preis.“

„Von wann bis wann werden wir weg sein?“

„Von Donnerstag bis Montag. Ist das okay?“

„Ja, das kann ich einrichten.“

„Also sind wir uns einig.“

Er klingt erleichtert, und wir schütteln uns etwas förmlich die Hand. Meine Finger zittern ein wenig. Ich hoffe, er bemerkt das nicht. Außerdem verspüre ich plötzlich so eine Art Kribbeln zwischen uns – was mich nur noch nervöser macht, als ich ohnehin schon bin. Rasch ziehe ich meine Hand zurück.

Alexander scheint meine Unsicherheit nicht zu spüren. Das Kribbeln hat er vermutlich auch nicht bemerkt, denn er sitzt immer noch vollkommen entspannt da. „Wir sollten Du zueinander sagen“, schlägt er vor. „Gute Freunde siezen sich nicht.“

Wo er recht hat, hat er recht. „Ich bin Sina. Sina Müller.“

„Alexander Goldstein.“

„Alexander“, wiederhole ich und lasse mir für jeden Buchstaben extra viel Zeit. Es ist schließlich das erste Mal, dass ich ihn so nennen darf.

„Also, Sina …“, beginnt er. „Wir haben noch ein bisschen Arbeit vor uns. Wir müssen Speisepläne entwerfen und Einkaufslisten schreiben. Und dann sollten wir auch noch ein paar Informationen übereinander austauschen. Es wäre auffällig, wenn wir gar nichts voneinander wüssten.“

„Gute Idee!“

Dieser Informationsfluss wird einseitig ausfallen, denn ich weiß ja schon viel über ihn. Aber egal – solange das bedeutet, dass er neben mir auf dem Sofa sitzt und sich mit mir unterhält, höre ich mir das gern alles noch einmal an.

Vorher jedoch sollte er noch von den guten Sachen probieren, die ich vorbereitet habe. „Wollen wir nicht zuerst etwas essen? Sie müssen … ich meine … du musst hungrig sein.“

„Das bin ich.“ Erfreut lässt er seinen Blick über die Köstlichkeiten auf dem Tisch wandern. „Sehr sogar.“

„Na dann, guten Appetit!“

Alexander

Diese Frau kann hellsehen.

Anders kann ich mir das nicht erklären. Sie hat mit sicherem Instinkt genau meine Lieblingsspeisen erwischt: schwarze Oliven zum Beispiel, lecker eingelegt in Thymian und Rosmarin. Frische Mini-Brötchen. Und Käsecreme, die mit Paprika, Knoblauch und Kräutern pikant gewürzt ist.

„Oliven und Käse sind vom Griechen nebenan“, sagt sie, als ich mir zum dritten Mal nehme.

„Das dachte ich mir. Da hole ich hin und wieder mein Abendessen.“

„Wirklich?“ Sie lächelt in sich hinein und nippt an ihrem Rotweinglas.

Auch beim Wein hat sie genau meine Lieblingssorte erwischt: einen Barolo, ein verteufelt gutes Zeug. Nach dem zweiten Glas wird mir warm, und ich ziehe meine Krawatte aus.

„Mach es dir ruhig bequem!“, kommentiert sie das mit einem weiteren Lächeln. „Und dann erzählst du mir alles, was ich über deine Familie wissen muss.“

„Wir sind ein ziemlich bunter Haufen.“

Normalerweise bin ich nicht sehr mitteilsam, was mein Privatleben betrifft. Aber Sina muss ja schließlich wissen, mit wen sie es zu tun kriegt. Außerdem hat sie irgendetwas an sich, das mich zum Reden bringt.

Das … oder der Wein.

„Meine Oma Trudi ist schon siebenundachtzig Jahre alt und wegen ihres Gelenkrheumas in ihren Bewegungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Aber ansonsten ist sie topfit.“

„Lebt sie allein?“

„Sie wohnt in einer kleinen Einliegerwohnung bei meinen Eltern in Aschaffenburg.“

„Sind die beiden noch berufstätig?“

„Ja. Mein Vater hat eine eigene Schreinerei, und meine Mutter ist Lehrerin. Jörg und Renate, ihre Namen solltest du kennen. Und dann gibt es noch meine große Schwester Nora und ihren Mann Tom, die gemeinsam eine Anwaltskanzlei führen. Sie haben inzwischen drei Kinder: die vierjährige Leonie und die beiden Babys Oskar und Paul.“

„Zwillinge?“

„Ja. Vor zweieinhalb Monaten auf die Welt gekommen.“

„Wohnen sie auch in Aschaffenburg?“

„Nein, im Umland, aber nicht weit von der Stadt entfernt.“ Ich gieße uns noch ein Glas Wein ein.

„Lass dir bitte noch ein wenig Platz für den Nachtisch!“, sagt Sina und deutet auf den Streuselkuchen.

„Der hat immer Platz“, behaupte ich und nehme mir gleich mal ein Stück.

Wie lecker! Der goldgelbe Boden schmeckt weich und saftig, die Streusel süß und knusprig. Genießerisch verdrehe ich die Augen. „Ich glaube, ich bin im Paradies gelandet“, murmele ich mit vollem Mund.

Sie lacht.

Jetzt, wo sie ihre anfängliche Schüchternheit abgelegt hat, tut sie das häufiger, und es gefällt mir. Bislang habe ich sie ja kaum wahrgenommen. Für mich war sie lediglich einer von vielen Menschen, die mir den Alltag erleichtern.

Aber nun stelle ich überrascht fest, wie klug, humorvoll und warmherzig sie ist. Ich fühle mich wohl in ihrer Nähe.

Und auch ihr Äußeres kann sich durchaus sehen lassen. Natürlich nur, wenn man auf kleine blonde Frauen in gestreiften Blusen steht …

Ich bin so vertieft in meine neuen Erkenntnisse, dass ich ihre nächste Frage überhöre.

„Hast du noch mehr Geschwister?“, wiederholt sie, als sie meinen fragenden Blick bemerkt.

„Es gibt noch Jonathan, meinen jüngeren Bruder. Der ist das schwarze Schaf in unserer Familie.“

„Warum?“

„Zweimal sitzengeblieben, einmal vorbestraft und mehrere Studiengänge abgebrochen. Er mogelt sich mehr schlecht als recht durchs Leben.“

„Manche Menschen brauchen länger, um ihren Weg zu finden.“

Ich winke ab. „Mein Bruder will seinen Weg gar nicht finden, der irrt gerne planlos umher. Hin und wieder gabelt er am Wegesrand ein Mädchen auf. Seine derzeitige Flamme heißt Kim und wird auch im Forsthaus sein.“

Sie runzelt die Stirn. „Das sind jetzt, uns und die Kinder mitgerechnet, zwölf Personen.“

„Sind das zu viele? Willst du es dir noch mal überlegen?“ Auch ich bekomme plötzlich Angst vor so viel Verantwortung.

„Nein, nein, schon okay. Ich stehe zu meinem Wort.“

„Super!“ Erleichtert nehme ich mir noch ein Stück Streuselkuchen. „Du wirst schon sehen, mit der richtigen Planung wird das alles perfekt klappen.“

Schokohasenküsse

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