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Kapitel 3 Süßer Tee mit Kandis und Mandelgebäck
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„Bist du jetzt völlig übergeschnappt?“
Kaum ist Alexander verschwunden, steht Ellie vor mir, mit blitzenden Augen, geröteten Wangen und die Fäuste in die Hüften gestemmt.
So sieht sie immer aus, wenn sie sich aufregt – was normalerweise selten der Fall ist. Ellie ist eine Seele von Mensch, still, verlässlich und klug. Und nicht nur meine Kollegin, sondern auch meine beste Freundin.
Heute allerdings wirkt sie alles andere als ruhig.
„Du kannst dich doch nicht einfach so bei ihm einladen!“, schimpft sie.
„Warum nicht? Er braucht Hilfe.“
„Beim Kochen!“
„Na und?“
„Und das nutzt du sofort schamlos aus. Hast du gar kein schlechtes Gewissen, weil du ihm so viele Lügen auftischst? Sina Müllers Rundum-Sorglos-Paket. Ich fasse es nicht!“
„Aber Ellie! Verstehst du das denn nicht? Ich bekomme endlich die Chance, ihn näher kennenzulernen. Wer weiß, was sich daraus entwickelt?“
„Gar nichts. Beziehungen, die auf Lügen basieren, haben noch nie funktioniert.“
„Ich werde ihm schon noch die Wahrheit sagen.“
„Ach ja, und wann? Vor dem ersten Sex? So lüstern, wie du ihn angeschaut hast, kann das ja nicht mehr lange dauern.“
„Du spinnst!“
„Ich will doch nur dein Bestes.“ Versöhnlich legt Ellie eine Hand auf meine Schulter. „Meinst du, ich weiß nicht, wie viel er dir bedeutet?“
„Ist das so offensichtlich?“
„Für mich schon. Jeden Morgen, kurz bevor er kommt, rennst du zum Klo und bürstest deine Haare. Und dann, wenn er in der Schlange wartet, bist du genau so lang beschäftigt, bis er an der Reihe ist und du ihn bedienen kannst. Immer kriegt er die besten Kuchenstücke, die größten Brötchen und dein schönstes Lächeln. Das alles ist irgendwie süß und schadet keinem.“ Sie unterbricht sich, um Luft zu holen. „Aber das, was du gerade gemacht hast, ist eine ganz andere Nummer.“
„Ich bin endlich einen Schritt weiter gegangen.“
„Am Ende des Weges wartet aber nicht das Happy End auf dich, sondern eine riesige Enttäuschung. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du eine Chance bei ihm hast?“
„Warum nicht?“, erkundige ich mich, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich tatsächlich hören will, was Ellie zu sagen hat. Sie hat ein untrügliches Gespür dafür, die Wahrheit zu erkennen und laut auszusprechen.
Aber fragen muss ich trotzdem.
„Er ist Stammkunde bei uns“, entgegnet sie. „Dennoch hat er dich bis zum heutigen Morgen nicht ein einziges Mal richtig wahrgenommen. Das spricht nicht für echtes Interesse. Für ihn bist du nur eine gesichtslose Verkäuferin.“
„Das wird sich jetzt ändern.“
„Aber klar doch!“
„Natürlich“, beharre ich trotzig. „Sonst hätte er mich doch nicht engagiert.“
„Er hat dich engagiert, weil du ihm eine bequeme Lösung für sein Problem geboten hast. Du kochst, er zahlt. Mehr nicht.“
„Abwarten.“
„Ach, Sinalein“, seufzt Ellie und tätschelt noch einmal liebevoll meine Schulter. „Eine Frau, die sich mit Lügen die Aufmerksamkeit eines Mannes erschleicht, der sie vorher noch nie beachtet hat – das ist keine gute Kombination. Da kannst du noch so tolle Dinge in der Küche zaubern …“
Alexander
„Hallo, Mama!“
Ich habe mit diesem Anruf extra bis zum Mittag gewartet.
Zum einen, weil ich weiß, dass meine Mutter am Morgen immer sehr ausführlich Zeitung liest und dabei nicht gestört werden will. Zum anderen wollte ich mir aber auch bewusst ein wenig Zeit lassen, um meinen spontanen Beschluss im Bäckerladen noch einmal zu überdenken.
Diese kleine blonde Verkäuferin hat mich heute Morgen mit ihrem Vorschlag förmlich überrumpelt. Normalerweise lasse ich mich gar nicht so einfach überzeugen. Ich prüfe immer gerne alle möglichen Vor- und Nachteile einer Entscheidung.
Aber so sehr ich mir auch den Kopf zerbreche, ich finde keinen Haken an unserem Arrangement. Dass sie wunderbar backen kann, weiß ich seit Langem. Ihre Kochkünste sind vermutlich ähnlich gut. Meine Familie wird begeistert sein, und mir nimmt sie damit einen Haufen Arbeit ab.
Dass ich eine kleine Notlüge erfinden muss, damit sie zu uns in die Küche darf, ist auch okay. Solange sie mitspielt, wird niemand die Wahrheit erfahren.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass ich gute Freunde mit in den Odenwald bringe. Bislang hat meine Verwandtschaft diese Leute immer sehr herzlich aufgenommen. Die Kleine wird sich also wohlfühlen, ich muss kein schlechtes Gewissen haben.
Außerdem bezahle ich sie ja auch für ihre Leistungen …
„Alexander?“ Die Stimme meiner Mutter klingt überrascht. „Ist etwas passiert? Du rufst sonst nie zweimal am Tag an.“
„Nein, alles gut. Was machst du gerade?“
„Ich trinke Tee. Den guten Darjeeling, mit viel Kandis. Und dazu esse ich Mandelgebäck.“
Prima! Mit so viel Zucker im Blut hat sie sicherlich gute Laune.
„Ich muss etwas mit dir besprechen.“
„Was denn?“
„Du hast mich doch heute früh gefragt, ob ich zu unserem Familientreffen jemanden mitbringen will, und jetzt würde ich tatsächlich gern …“
„Endlich fasst du dir ein Herz!“, unterbricht sie mich. Sie klingt erleichtert und aufgeregt zugleich. „Ich vermute ja schon länger, dass du wieder verliebt bist. Aber du verstehst es wunderbar, daraus ein Geheimnis zu machen. Sie ist uns natürlich herzlich willkommen.“
„Nein, nein, du liegst völlig falsch. Es geht um jemanden, den ich kenne und der das Osterfest ansonsten allein verbringen müsste.“
„Oh, also reden wir hier von einem deiner Freunde?“
„Nicht ganz. Mehr so … von einer Freundin.“
Es bleibt still in der Leitung.
„Mama?“
„Eine Freundin?“, wiederholt sie gedehnt. „Aber nicht deine Freundin?“
„Richtig. Sie ist ein guter Kumpel von mir. Sozusagen meine beste Freundin.“
„Hm … seit wann hast du so etwas?“
„Schon länger.“
„Bislang hast du sie nie erwähnt.“
„Doch, das habe ich bestimmt.“
„Wie heißt sie denn?“
Verdammt! Das weiß ich nicht. Heute Morgen ging alles so schnell, wir haben uns nicht einmal richtig vorgestellt.
Aber zum Glück kann ich mich wenigstens an ihren Nachnamen erinnern. „Müller“, sage ich, während ich mir fieberhaft den Kopf zerbreche. Hat sie nicht ihren Vornamen genannt? Da war doch irgendetwas mit Müller … Müllers Rundum-Sorglos-Paket …
„Sina!“, rufe ich, erleichtert darüber, dass mir das noch rechtzeitig eingefallen ist.
„Also Sina Müller. Ich bin mir sicher, dass ich diesen Namen noch nie gehört habe. Wie lange kennt ihr euch schon?“
Glaubt sie mir nicht oder ist das nur ihre typische Neugier?
„Seit ich in Frankfurt arbeite. Wir sind uns praktisch an meinem ersten Arbeitstag über den Weg gelaufen.“
„Ist sie eine Kollegin?“
„Nein.“ Bei der Vorstellung von Sina, dieser kleinen, rosigen und immer etwas zerzaust wirkenden Person, zwischen meinen geschäftsmäßig-unterkühlten Kollegen muss ich plötzlich grinsen. „Sie hat ein eigenes Geschäft.“
„Du klingst plötzlich so fröhlich. Bist du sicher, dass sie nur eine Freundin ist?“
„Mama!“
„Jaja, schon gut. Bring sie mit! Platz haben wir ja genug. Allerdings bedeutet das einen Gast mehr, um den du dich kümmern musst.“
„Das macht nichts. Ich wette, Sina hilft mir gern. Sie ist ganz zufällig eine tolle Hobby-Köchin.“
„Hobby-Köchin? Ganz zufällig? Soso …“
Ein Soso meiner Mutter bedeutet normalerweise nichts Gutes, und ich bekomme sofort ein schlechtes Gefühl. Habe ich zu viel gesagt? Ist sie jetzt misstrauisch geworden?
„Sina und ich, wir kochen total viel zusammen“, versichere ich ihr. „Das ist sozusagen … äh … unser Freundschaftsding. Sie ist wirklich nett, du wirst sie mögen.“
„Warum hast du mir das nicht schon heute Morgen erzählt?“
„Weil ich gerade erst erfahren habe, dass sie Ostern allein sein wird. Das geht doch nicht, oder?“
„Nein, das geht nicht.“ Sie klingt noch nicht überzeugt, aber zumindest lässt sie das Thema fürs Erste auf sich beruhen. „Wann reist ihr an?“, will sie noch wissen.
Keine Ahnung.
Das muss ich erst noch mit Sina besprechen.
Wie so vieles …
„Am Gründonnerstag, denke ich.“
„Gut. Wir auch. Ich bin schon sehr gespannt darauf, diese Frau kennenzulernen.“
Kaum habe ich aufgelegt, kommt ein neuer Anruf.
Michelle.
Mein kleines Geheimnis.
„Hi!“, begrüßt sie mich mit ihrer dunklen, sexy Stimme. „Ich wollte mich nur mal schnell bei dir melden. Aber ich habe nicht viel Zeit, in fünf Minuten kommt schon mein nächster Interessent.“
Michelle arbeitet als Immobilienmaklerin.
Wir haben uns vor drei Monaten bei einem geschäftlichen Termin kennengelernt. Es ging um eine Luxusimmobilie, bei der ich die Inneneinrichtung übernehmen sollte. Nach einer langen Diskussion über geeignete Elemente, Materialien und Farben war uns beiden klar, dass wir nicht nur denselben schlichten Stil bevorzugen, sondern auch sonst noch viele andere gemeinsame Interessen haben.
Seitdem sehen wir uns regelmäßig.
Meistens treffen wir uns nach Büroschluss mit Kollegen und gehen eine Kleinigkeit essen. Danach besuchen wir noch eine Bar und landen irgendwann bei ihr oder bei mir.
Unser Verhältnis ist locker und ungezwungen.
„Mit wem hast du gerade gesprochen?“, will sie jetzt wissen.
„Mit meiner Mutter.“
„Gibt es Probleme?“
„Nein“, sage ich nach kurzem Zögern und verzichte auf weitere Erklärungen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Michelle sich für gebrochene Füße, Rheuma und die Organisation von Familienfeiern interessiert.
„Sehr schön“, meint sie, und damit ist das Thema für sie auch schon erledigt. „Sehen wir uns heute Abend in der Skybar? Ich bin mit einer wichtigen Kundin dort. Wir könnten ein wenig männliche Gesellschaft gebrauchen.“
„Heute Abend kann ich leider nicht.“
„Warum nicht? Was hast du vor?“
Komisch, das hat sie noch nie gefragt.
Normalerweise akzeptiert sie eine Absage, ohne sich nach den Gründen zu erkundigen. Umgekehrt verlangt sie natürlich dieselbe Toleranz. „Wir sollten uns nicht zu sehr aneinander binden. Ich liebe meine Unabhängigkeit“, hat sie gleich zu Anfang klargestellt.
Das ist mir ganz recht so. Ich will noch keine feste Beziehung, weder mit Michelle noch mit sonst jemandem.
„Ich habe einen geschäftlichen Termin“, entgegne ich vage. Das ist nicht einmal gelogen, ich muss tatsächlich noch viele Einzelheiten mit meiner neuen Wochenend-Köchin klären.
Natürlich könnte ich Michelle auch die ganze Geschichte erzählen, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mein kleines Arrangement mit Sina Müller verstehen würde.
„Dann sehen wir uns wahrscheinlich vor den Feiertagen gar nicht mehr“, stellt Michelle bedauernd fest. „Denn morgen und übermorgen bin ich schon verplant.“
„Schade!“
„Bist du zu Ostern in der Stadt?“
„Nein. Ich fahre zu meiner Familie ins alte Forsthaus, davon habe ich dir doch erzählt. Und was machst du?“
„Ich bleibe hier. Am Samstag findet ein großer Antikmarkt am Mainufer statt, und am Sonntag bin ich zum Brunchen verabredet. Eigentlich hatte ich gehofft, wir könnten abends etwas zusammen unternehmen.“
„Das wird nicht klappen, ich komme erst am Montag zurück.“
„Wo genau liegt eigentlich dieses Forsthaus?“
Noch so eine Michelle-untypische Frage!
„In Heubach im Odenwald.“
„Nie gehört. Ist es schön dort?“
„Schön, aber verdammt einsam.“
„Du Armer! Soll ich dich besuchen kommen?“
„Was?“
„Ich könnte dich besuchen kommen“, wiederholt sie und fügt mit ungewohnt sehnsuchtsvoller Stimme hinzu: „Ich vermisse dich nämlich total.“
„Ich … äh … ich dich auch“, murmele ich.
Was ist denn heute mit Michelle los? So anhänglich kenne ich sie gar nicht, diese offen geäußerte Zuneigung behagt mir auch nicht. Es ist doch alles gut so, wie es ist. Und es besteht überhaupt kein Grund, daran etwas zu ändern.
Für mich jedenfalls.
Michelle aber sieht das plötzlich anders.
„Du könntest mich deiner Familie vorstellen“, schlägt sie vor und scheint das wirklich ernst zu meinen.
„Aber … aber nicht an Ostern“, entgegne ich hastig.
Das fehlte gerade noch!
Die Anwesenheit von gleich zwei Frauen, die meine Aufmerksamkeit verlangen, würde mich heillos überfordern: Auf der einen Seite Michelle, meine heimliche Geliebte, und auf der anderen Sina Müller, meine neue beste Fake-Freundin.
Nein, es geht nur eine nach der anderen. Nächste Woche wird Sina Müller hoffentlich Geschichte sein, und bis dahin muss Michelle sich gedulden.
Dummerweise will sie aber wohl nicht mehr länger warten.
„Warum nicht an Ostern? Irgendwann werden wir diesen nächsten Schritt gehen müssen.“
Auch jetzt könnte ich widersprechen. Tue ich aber nicht, denn sonst läuft das ziemlich sicher auf eine Grundsatzdiskussion zum Stand unserer Beziehung hinaus, zu der ich momentan weder Zeit noch Lust habe.
Also verdrehe ich die Tatsachen ein wenig. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag, so langsam bekomme ich Übung darin.
„Das ist gerade ganz schlecht. Wir haben ein halbes Lazarett im Haus. Meine Mutter hat sich den Fuß gebrochen. Sehr schmerzhaft, sie braucht rund um die Uhr Betreuung. Meine Oma ist schwer rheumakrank und kann sich kaum bewegen. Und meine Schwester leidet nach der Geburt ihrer Zwillinge unter heftigen Depressionen.“
„Du lieber Himmel! Das klingt gar nicht gut.“
„Ist es auch nicht. Mein Vater, mein Schwager und ich werden rund um die Uhr beschäftigt sein. Ich hätte gar keine Zeit für dich. Warum wartest du mit deinem Besuch nicht, bis es allen wieder bessergeht?“
„Okay.“
Sie scheint nicht restlos überzeugt zu sein, doch sie widerspricht auch nicht. Stattdessen verabschiedet sie sich jetzt sehr schnell. Ich vermute, sie ist ein bisschen eingeschnappt.
Aber um dieses Problem kann ich mich später, nach Ostern, immer noch kümmern …