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Kapitel 5
ОглавлениеBarbara, 27. September
Pünktlich um acht stand eine Streife vor ihrer Tür. Barbara hatte sie extra früher bestellt, damit sie im Präsidium wenigstens noch einen Kaffee trinken konnte, bevor der Zeuge kam. Ihr eigener BMW befand sich immer noch zwei Parallelstraßen weiter. Das Parkplatzproblem war wirklich ein Ärgernis. Da musste sie sich noch etwas einfallen lassen.
Das Dortmunder Präsidium war ganz schön riesig. In Altena, wo sie angefangen hatte zu arbeiten, gab es nur eine Wache. Die letzten Jahre war sie in Iserlohn gewesen, dort befand sich das Polizeipräsidium für den Märkischen Kreis. Ein großes braunes Hochhaus. Dieses Dortmunder Gebäude hier schien sehr verwinkelt. Auf dem Hof vor dem gläsernen Eingangsbereich standen etliche Streifenwagen und zivile Fahrzeuge. Das Eingangspersonal ließ Barbara rechts durch die Sicherheitstür herein. Man kannte sie schon. Wie kam sie nochmal in ihre Abteilung? Barbara hatte es nicht so gut mit der Orientierung. Noch fand sie sich nicht richtig zurecht, aber sicherlich würde sie die Wege in ein paar Tagen automatisch laufen. Rechts die Tür. Hier ging es dann links, danach immer geradeaus bis zu den Fahrstühlen. Die Kriminalinspektion 1, zuständig für Mord, Raub, Sexual-delikte und Erpressung, befand sich in der fünften Etage. Der Fahrstuhl hielt. Nun erst mal geradeaus durch die Glastür und dann den linken Gang. Das zweite Büro auf der rechten Seite war ihres. Durch die geöffnete Tür des ersten Büros begrüßte ihr Kollege Markus sie nur flüchtig.
„Guten Morgen Markus. Sag mal, wo bekomme ich hier Kaffee?“
„Frag Tina, die holt dir einen. Ich bin jetzt gleich unterwegs. Hab noch nen anderen Fall. Komme gegen Mittag wieder. Und ach ja, die KTU schaut heute mal wegen dem Spind.“ Er knallte den Hörer auf die Telefonanlage, stand auf und verließ mürrisch das Büro. Was war mit dem denn los?
Sie betrat den Nebenraum. Dort saß eine Mittfünfzigerin an einem großen weißen, feinsäuberlich aufgeräumten Schreibtisch.
„Guten Morgen, ich bin Barbara Allenstein, die Neue. Markus, also Markus Beilage sagte mir, hier wäre eine Tina, die …“
„Jau, das bin ich. Herzlich willkommen, Frau Allenstein, kann ich was für Sie tun? Ich bin hier Ihre persönliche Assistentin. Und nennen Sie mich ruhig Tina, wir sind hier alle ganz locker.“
„Ja, Markus sagte auch schon sowas. Ein Kaffee wäre toll. Zuhause bin ich ja gerade erst eingezogen, da gibt es noch keinen. Hab’ die Kaffeemaschine noch nicht ausgepackt. Ging ja gestern gleich vorzeitig los mit dieser Leiche. Ich bin übrigens Barbara.“
„Null Problem, Barbara. Mit Milch?“ Tina lächelte freundlich. Sie machte einen herzlichen Eindruck.
„Schwarz bitte und wo ist das Verhörzimmer? Gleich kommt schon der erste Zeuge.“
„Das ist den Gang hier entlang links. Sag bitte Bescheid, ich bring dich hin.“
Eine viertel Stunde später stand auch schon Lucas von der Forst vor der Tür.
„Tina, wärst du so freundlich?“
Lucas und Barbara betraten das Verhörzimmer, das sich nicht sonderlich von denen unterschied, die sie aus ihrer Heimat kannte. Ein Tisch in der Mitte, vier Stühle, kahle Wände, eine Glasscheibe und keine Fenster. Sie schaute sich das Aufnahmegerät an. Es war fest montiert. Wer weiß, vielleicht hatte jemand mal versucht es als Waffe zu benutzen.
Barbara bat den Zeugen, Platz zu nehmen, und schaltete das Mitschneidegerät ein. Nach den Formalitäten legte sie los: „Herr von der Forst, ich will gleich sagen, wie es ist: Sie haben sich verdächtig gemacht. Das sieht nicht so gut aus für Sie. Sie haben die Leiche gefunden, und wie ich gleich gestern herausgefunden habe, hatten Sie erst kürzlich einen großen Streit mit der Ermordeten. Den haben Sie bei unserem gestrigen Gespräch mit keinem Wort erwähnt! Was sagen Sie dazu?“
„Stimmt. Was soll ich schon dazu sagen? An den Streit habe ich in dem Augenblick echt nicht gedacht. Ich war ganz schön durcheinander gestern. Warum wir gestritten haben? Kann ich Ihnen sagen! Die Wurzbach hat mich verleumdet. Sie war manchmal ein ganz schönes Biest, sag ich Ihnen. Hat überall rumerzählt, dass immer Geld und Schmuck weggekommen wären, wenn ich da war. Dabei würde ich so etwas nie machen. Niemals. Hab’ ich auch überhaupt nicht nötig, Frau Allenstein. Mein Geschäft läuft gut. Aber mein guter Ruf ist dabei enorm wichtig. Verliere ich den, kann ich einpacken.“
Barbara schrieb sich eine Notiz dazu auf ihr Blatt. „Das machte Sie natürlich wütend. Dann haben Sie auf die richtige Gelegenheit gewartet: Frau Wurzbach allein am Wasser. Keiner in der Nähe?“
„Wie kommen Sie denn auf sowas? Klar war ich wütend, als ich von ihren Lügen gehört habe. Ich habe sie zur Rede gestellt und wir haben uns laut gestritten. So bin ich eigentlich gar nicht. Aber die Wurzbach ist so eine Krähe! Als Frau Körner mich dann noch darauf aufmerksam gemacht hat, dass Herr Diedrich die Lügen von der Wurzbach auch noch breittritt, habe ich sofort ein klärendes Gespräch mit der Leitung gesucht. Ich hab’ Frau Sommerfeld gesagt, dass sie mich doch schon seit Jahren kennt und nie etwas weggekommen ist. Und ich hab’ gesagt, dass ich der Wurzbach eine Verleumdungsklage androhen werde, sollte sie mit den Lügen nicht aufhören.“
„Gibt es vielleicht Zeugen, die beobachtet haben, wie Sie gestern Mittag angekommen und zum Teich gegangen sind?“
„Ich hab’ Ihnen doch gestern schon gesagt, ich bin direkt von zu Hause gekommen und auf das Gelände gefahren. Da hab ich sie rechts im Wasser liegen sehen. Ich bin sofort hin und hab’ noch geschaut, ob sie lebt. Es war niemand weit und breit zu sehen. Außer Frau Körner. Sagen Sie, wäre es logisch, noch zu versuchen ihr Leben zu retten, wenn ich sie vorher erschlagen hätte?“
„Ja, das haben Sie behauptet, dass Sie sie retten wollten. Aber, wie Sie selbst sagen, dafür haben wir keine Zeugen, Herr von der Forst. Noch können Sie uns das Blaue vom Himmel erzählen und wir wissen nicht, was wirklich passiert ist.“
„Frau Allenstein, es ist so, wie ich Ihnen sagte. Fragen Sie mal Frau Körner. Falls sie sich erinnert. Sie ist ja leider nicht immer bei sich. Und – ich bitte Sie – natürlich war ich sauer. Stinksauer sogar. Aber deswegen ermorde ich doch niemanden.“
„Und wer ist dieser Herr Dietrich?“
„Ja, Herr Diedrich, der ist sowas wie die personifizierte Bildzeitung im Haus. Er weiß alles, kriegt angeblich alles mit, bauscht auch gerne schon mal auf. Kann nix für sich behalten und verdreht die Tatsachen, wie es ihm gerade passt. Fragen Sie den mal nach der Wurzbach.“
Barbara notierte unter der Notiz: „Konten überprüfen“
„Herr Diedrich – Bildzeitung“
„Ganz ehrlich, man soll ja nicht schlecht über Tote sprechen, aber … wenn die mal nicht selbst hinter den Diebstählen gesteckt hat und den Verdacht auf mich lenken wollte!“
Barbara notierte sich:
„Nicht schlecht reden über Tote, aber … 2 x.“
„Nun gut, kann jemand bezeugen, wann Sie von zu Hause losgefahren sind? Ihre Frau? Kinder? Nachbarn? Wenn Sie es nicht waren, brauchen wir eine Entlastung und Beweise für Ihr Alibi. Wir werden ziemlich genau herausfinden können, wann Frau Wurzbach zuletzt gesehen wurde.“
„Leider nein. Frau und Kinder gibt es nicht. Und ob mich Nachbarn gesehen haben ... Darauf habe ich nicht geachtet. Aber ... Mir fällt ein, ich hab’ noch Brötchen geholt bei der Bäckerei Schuberts auf der Schüruferstraße. Möglicherweise kann sich da einer an mich erinnern. Die kennen mich. Fragen Sie da mal nach.“
Barbara notierte:
„Bäckerei Schuberts – Schürufer“
„Herr von der Forst, ich möchte Ihnen ja glauben. Überlegen Sie doch noch einmal genau. Ich weiß, dass ich Sie das gestern auch schon einmal gefragt habe, und ich wiederhole mich nochmal, aber manchmal fällt einem später doch noch etwas auf. Haben Sie wirklich niemand in Tatortnähe gesehen oder im etwas weiteren Umfeld? Ist Ihnen da noch irgendjemand eingefallen?“
„Nein, bis auf Hilde Körner niemand. Tut mir leid. Ich wünschte, es wäre anders.“
„Okay, dann war es das für heute. Zeugenbefragung beendet um 09.45 Uhr.“
Barbara schaltete das Gerät aus. „Ich bring Sie eben noch zur Tür.“
Lucas von der Forst reichte ihr die Hand: „Schade, ich hätte Sie gerne unter anderen Umständen kennengelernt.“
„Äh, mhm, also, äh, dann noch einen etwas angenehmeren Tag als gestern, äh, und heute. Herr van der … äh, von der …“ Jetzt kicherte sie schon wieder. Verflucht, war ihr das unangenehm.
Er lächelte sie freundlich an, drehte sich um und marschierte Richtung Tür. Dort winkte er ihr noch einmal zu. Sie winkte zurück. Sein letzter Satz hatte sie verwirrt. Sehr sogar. Was für ein peinliches Gestammel hatte sie bloß von sich gegeben?
Bevor Barbara in ihr Büro schlenderte, schaute sie bei Tina rein. Sie bot ihr sofort einen frischen Kaffee an und dann verbrachten beide den Vormittag mit Formalitäten, Einführung ins Team, ins Computersystem und in verschiedenste Interna.
„Nur mal unter uns Frauen, Barbara. Wenn der Markus mal ein bisschen komisch zu dir ist ... Der wollte eigentlich deinen Job und war total sauer, dass jemand »vom Land« und dann noch ne Schickse – O-Ton Markus – ihm den Job als Hauptkommissar weggeschnappt hat. Wenn du mich fragst, haben sie mit dir die richtige Wahl getroffen. Markus ist manchmal noch zu ungestüm. Er braucht noch ein paar Jahre. Du hast beste Referenzen, mehr Erfahrung. Ich meine, das PP MK ist ja auch fast so groß wie unseres hier. Und allein, dass du den Kindermörder aus Balve gefunden hast … Super Ding! Das hat dir hier viel Respekt eingebracht Barbara. Es war ja auch ein Dortmunder Kind unter den Opfern.“
„Danke Tina, ich weiß deine Offenheit zu schätzen. Den nächsten Kaffee, den bring ich dir! Ich weiß ja jetzt, wo die Küche ist.“
Gegen Mittag kam Markus zurück ins Büro. Barbara beschloss, weiterhin freundlich zu ihm zu sein. Es nützte nichts, Feinde im Büro zu haben. Sie nahm sich vor, ihn zu bestätigen. Ihm zu sagen, wie gut er war in dem, was er tat. Vorausgesetzt er war es auch.
„Markus, was hältst du davon, wenn wir zusammen in die Wohnung des Opfers gehen und mal schauen, was wir so finden? Und auf dem Weg dahin lad ich dich zum Essen ein, so quasi als Einstand.“
„Können wir machen. Gute Idee. Mir knurrt der Magen. Lass uns zum Laden von Kevin gehen. Du weißt ja, der Fußballer. Kennse doch? Oder kennt man den nicht auffem Land?“
„Meinste den Großkreutz? Ja klar kenne ich den. Schade, dass der jetzt in Darmstadt ist. Ich hab den ja immer gemocht. Auch wenn er kein Fettnäpfchen ausgelassen hat. Und Darmstadt steht jetzt auch noch kurz vor dem Abstieg in die Dritte.“
Barbara lachte innerlich über den verblüfften Gesichtsausdruck von Markus. Drei Brüder plus Vater, die den BVB liebten, prägen einen halt. Den Hinweis auf den Laden vom Kevin hatte sie auch schon von Brüderchen Daniel erhalten. Immerhin war das Dortmunder Präsidium nicht sehr weit davon entfernt. Richtige Fußballfans gingen vor dem Spiel dahin. Sie selbst war im Gegensatz zu ihren Brüdern noch nie im Stadion gewesen. Sie hielt es eher mit dem Tanzen. Hip-Hop, aber auch Salsa waren ihre Welt.
„Äh, ja, genau den meint’ ich. Echt? Darmstadt steigt ab? Hatte ich gar nicht so auffem Schirm. Also, der Laden ist sehr beliebt bei uns. Da gehen wir alle gerne hin, aber am liebsten ohne Uniform.“
„Muss ich das verstehen?“
„Naja, es verkehren auch gerne Ultras dort. Die haben es nicht so mit uns Bullen.“
„Ah, verstehe.“
Sie schlenderten über die Hohe Straße Richtung Restaurant. Ein Platz war schnell gefunden und als die Gerüche der Küche in ihre Nase drangen, merkte Barbara, dass ihr schon ordentlich der Magen knurrte.
Beide bestellten Schnitzel mit Pommes und danach fuhren sie in die Wohnung des Opfers. Doris Wurzbach hatte in der Nordstadt gewohnt. Von der Nordstadt hatte Barbara schon gehört und das war meist nichts Gutes.
„Höchste Kriminalitätsrate in Dortmund“, sagte Markus. „Wer bei uns Scheiße baut, wird strafversetzt in die Nordstadt.“ Er grinste. Dann wurde er ernster. „Hier werden wir sicherlich öfter mal hin müssen. Aber das ist ein anderes Thema.“
Nach ungefähr 15 Minuten hatten sie die Boldtstraße erreicht. Die Siedlung sah eigentlich sehr schön und ruhig aus. Gepflegte kleine Vorgärten, Häuser auf beiden Seiten, die im Karree gebaut waren. „Genossenschaft“, sagte Markus. „Die achten noch auf ihre Häuser.“
Als Barbara die Wohnungstür in der ersten Etage aufschloss, kamen ihnen gleich zwei miauende Katzen entgegen. Sie ärgerte sich, dass sie nicht gestern schon jemanden hingeschickt hatte. In der Küche suchte sie nach Dosenfutter und fand eine leere Doppelschüssel unterm Tisch, in die sicherlich das Wasser und Futter für die Katzen hineingehörte. Im Schrank entdeckte sie eine Dose mit Thunfisch und versorgte die beiden Tierchen, die sich hungrig auf das Fressen stürzten. Anschließend sah Barbara sich in der vollgestopften Wohnung um. Sie entdeckte eine Menge billigen und kitschigen Ramsch. Überall stand irgendwas herum. Kaum eine Fläche in den Schränken und Regalen, die frei war. Auf einem Sideboard entdeckte sie mehrere Zettel und Quittungen. Barbara las: Pfandverleih Göbel 30 €, Goldankauf. Pfandverleih Holthaus, 45 € Uhr. An- und Verkauf Müller: Bernsteinkette Silber 12 € ...
„Schau mal Markus. Ganz viele Quittungen von Pfandleihern und An- und Verkäufern. Irgendwie verdächtig. Dem müssen wir nachgehen. Vielleicht ist da ein Zusammenhang zwischen den gestohlenen Gegenständen im Altersheim und den Verkäufen.“
„Hier ist ein Laptop, den nehmen wir mal mit, Barbara. Und ich ruf den Tierschutzverein an, dass die sich um die Katzen kümmern.“
„Super Idee, Markus.“
Zum ersten Mal lächelte er sie an.