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Kapitel 3: Was für ein Empfang!
ОглавлениеJannik Cerný saß in der Schenke und sprach mit dem Bürgermeister des Ortes. Das heißt, der Bürgermeister redete und trank dabei sein Gambrinus, während Jannik zuhörte.
Oder zumindest so tat, als hörte er zu.
In Gedanken war Jannik bei der jungen Frau in Ostrava, mit der er in der vorherigen Nacht geschlafen und sich von ihr genährt hatte. Die Kleine war heiß, willig und sehr anziehend gewesen; blond, dunkelbraune Augen und Sommersprossen, ein kleiner Busen und wirklich gut schmeckendes Blut.
Aber sie war nichts, was er wiederholen wollte. Schon in wenigen Wochen würde ihr Gesicht im Strudel der Geschichte vor seinen Augen verblassen und irgendwann würde er sich gar nicht mehr an sie erinnern.
„Was meinen Sie denn, Herr Cerný? Glauben Sie, dass Ihr Cousin das vielleicht machen würde?“
Jannik zuckte kurz zusammen und blinzelte den Bürgermeister an. Dessen rote schwielige Nase war ein Zeugnis dafür, dass der Mann nicht nur dem Bier seinen Zuspruch gab, sondern auch stärkeren Alkoholika.
„Verzeihung, Herr Bürgermeister. Ich war eben kurz in Gedanken und habe Ihnen nicht folgen können. Was haben Sie gesagt?“ Jannik hatte eine ziemlich offene und direkte Art an sich, war dabei aber immer höflich, weshalb niemand ihm krumm nahm, wenn er mal unaufmerksam war.
„Ich fragte, ob der Herr Graf sich mit der Idee einer Bauchtanzgruppe zum Sommerfest anfreunden könnte. Das ist jetzt überall angesagt.“
„Nun, ich kann mich mal mit Adolar hinsetzen und ihn fragen. Ich finde die Idee sehr reizvoll, vielleicht kann ich ihn überreden.“ Jannik lächelte den Bürgermeister mit seinen strahlend weißen und geraden Zähnen gewinnend an. Dazu die blonden Locken und die warmen braunen Augen und jeder Mensch war ihm fast augenblicklich verfallen.
Jannik Cerný hatte das Gesicht eines Renaissance-Engels.
„Na da brat mir doch einer ´nen Storch!“, entfuhr es dem Mann, der neben dem Bürgermeister saß und die ganze Zeit die Eingangstür der Schenke im Blick hatte. Auch der Bürgermeister sah jetzt in die Richtung und Jannik erkannte an dem Blick, dass etwas Außergewöhnliches geschehen sein musste. Da er mit dem Rücken zur Tür saß, drehte er sich um.
Jannik lebte schon zu lange, um noch von irgendetwas oder irgendjemanden wirklich überrascht zu werden, aber auch er vergaß kurz das Atmen.
Eine junge Frau hatte die Schenke betreten und ging zielsicher und ohne zu zögern zu dem Tresen. Die Frau war eher durchschnittlich groß, etwa einen Meter siebzig. Flache weiße Sportschuhe von KangaROOS, eine weiße sieben-achtel Leinenhose mit Zierbändern an den Beinen, ein dunkelblaues, kurzärmeliges Poloshirt, welches den Busen vorteilhaft zur Geltung brachte. Die kastanienbraunen Haare waren lang und glatt und die Frau trug sie offen. Um den Hals hatte sie ein marinefarbenes Halstuch mit Motiven aus der Seefahrt.
Jannik machte diese Beobachtung innerhalb einer Sekunde. Allerdings konnte er seinen Blick nicht von dem Hintern der Frau abwenden. Die Frau war schlank, sportlich durchtrainiert, aber ihr Hintern war kurvig. Er mochte es nicht, wenn Frauen im heutigen Schönheitswahn auf einem flachen Hinterteil bestanden.
Diese Frau war definitiv einladend gebaut.
„Entschuldigen Sie bitte. Können Sie mir vielleicht weiterhelfen?“ Die Frau legte den linken Arm auf den Tresen und beugte sich ein wenig zum Wirt. Den rechten Fuß stellte sie leicht auf die Spitze.
Jannik hatte sehr gute Ohren und normalerweise hätte er in der vollen Schenke versucht, die Stimme der Frau aus der Geräuschkulisse um ihn herum herauszufiltern. Das war aber nicht nötig.
Als die Frau die Schenke betreten hatte, verstummten sämtliche Gespräche schlagartig und alle Gäste, überwiegend Männer, starrten die fremde Frau an.
„Das hoffe ich doch, gnädige Frau. Was kann ich für sie tun?“ Der Wirt, ein Mann Mitte fünfzig, schmiss sich regelrecht in die Brust und zog seinen Bauch ein. Er wollte der jungen Frau offensichtlich imponieren.
„Ich fürchte, ich habe mich ein wenig verfahren. Können Sie mir sagen, wie ich zur Burg der Cernýs komme?“
Nach dieser Frage verstummten auch die Fliegen, die die Lampen in der Schenke umflogen.
Jannik fiel die Kinnlade herunter. >Sie will zu uns?<
Bevor der Wirt sich wieder gefangen hatte oder Jannik hilfreich aufspringen und sich dazu gesellen konnte, war plötzlich ein hochfrequentes Gezeter aus dem hinteren Teil der Schenke zu hören. Agatha, eine über achtzigjährige Frau, kam an den Tresen. Jannik war erstaunt, dass die Alte immer noch so behände und flink war.
„Da wohnt der Teufel!“, sagte Agatha schrill. Ihr eisgraues Haar war zu einem Dutt geknotet und Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Die Haut im Gesicht und an den Händen erinnerte an vergilbtes Pergament und der Blick aus ehemals blauen Augen war glasig und irr.
„Du solltest da nicht hingehen, Weib. Niemand geht dorthin, wenn er einen klaren Verstand hat.“
Die junge Frau hatte der alten Agatha zugehört. Höflich antwortete sie nun: „Ich danke Ihnen herzlichst für die Warnung. Aber ich kann sehr gut auf mich aufpassen. Sie müssen sich keine Sorgen machen.“
Jannik fand die Stimme der fremden Frau aufregend. Rau, leicht heiser und warm. >Wow!<, dachte er. >Die ist es Wert, sich näher mit ihr zu beschäftigen.< Sein Blick landete wieder auf ihrem Hintern.
„Da leben Dämonen!“ Agatha kreischte jetzt regelrecht.
Die junge Frau hatte sich zwischenzeitlich wieder zu dem Wirt umgedreht. Als Agatha jedoch den Satz sagte, versteifte sich die junge Frau. Langsam nahm sie ihre Sonnenbrille ab und drehte sich zu Agatha um. Jannik, der eben erst bemerkt hatte, dass die Frau eine Sonnenbrille getragen hatte, klinkte sich rasch in die Gedanken des Wirtes ein.
>Wahnsinn!<, hörte er die Gedanken des Mannes. Mehr konnte er nicht in Erfahrung bringen, denn die Frau sagte etwas, das ihn überraschte.
„Lebt denn nicht jeder Mensch mit seinen Dämonen, gute Frau?“
Jannik wünschte sich sehr, die Augen der Fremden sehen zu können, denn Agathas Reaktion war erschütternd. Wie ein Fisch an trockenem Land japste die alte Frau nach Luft, wurde zuerst kalkweiß, dann aschfahl und schließlich grün im Gesicht. Merkwürdige Laute kamen aus ihrer Kehle, aber kein einziger zusammenhängender Satz.
Die junge Frau setzte ihre Brille wieder auf und drehte sich erneut dem Wirt zu. Agatha starrte fassungslos in den Rücken der Frau, dann verzerrte sich ihr Gesicht hasserfüllt. Mit einem Aufschrei riss sie dem Gast, der ihr am nächsten stand, den schweren Bierkrug aus der Hand und wollte damit auf die junge Frau einschlagen. Jannik, der kurz vorher Agathas Gedanken gesehen hatte, sprang hinter die alte Frau und versuchte sie aufzuhalten. Agatha hatte aber schon viel Schwung gehabt und der Krug machte sich auf dem Weg zum Hinterkopf der Fremden. Blitzschnell drehte diese sich um und fing Agathas Hand mit der linken Hand ab. Dabei musste sie reichlich Kraft aufwenden. Mit der rechten Hand nahm die Frau Agatha den Krug einfach ab und knallte ihn auf den Tresen. Jannik war über die Schnelligkeit und die Geschmeidigkeit der Bewegungen überrascht.
„Sind Sie irre, Frau?“, zischte die Fremde. Jannik hörte unterdrückte Wut, sah, wie die Nasenflügel der jungen Frau bebten. Jetzt hörte er auch erstmals einen leichten Akzent. Jannik tippte, dass die Frau aus Deutschland kommen musste. Dann fiel ihm ein, dass Adolar einen Gast aus Deutschland erwartete, der die Bibliothek auf Vordermann bringen sollte. Er erinnerte sich auch dunkel, dass Adolar sagte, es wäre eine Frau.
„Lass mich los, du Dämon!“, kreischte Agatha, als sie erkannte, wer sie festhielt. „Sei verflucht, du Missgeburt! Zur Hölle mit dir, Cerný!“
Jannik verzog sein Gesicht. Die hohe Stimme der alten Frau tat ihm in den Ohren weh. Drei Männer nahmen ihm die tobende und Geifer spuckende Agatha ab und schoben sie in den hinteren Bereich der Schenke.
„Tut mir leid, gnädige Frau. Die alte Agatha hat nicht mehr alle Tassen im Schrank!“ Der Wirt war wegen der Attacke blass geworden, fasste sich jetzt aber wieder. „Kann ich Ihnen vielleicht etwas zu trinken anbieten auf den Schreck?“
Die junge Frau starrte Jannik an. „Cerný? Sie sind Graf Cerný?“
„Nein, ich bin sein Cousin. Jannik Cerný.“ Jannik reichte ihr die Hand zur Begrüßung.
„Nicole Sanders. Ich bin auf dem Weg zur Burg.“
„Ja. Das hörte ich.“ Jannik machte der jungen Frau ein Zeichen, dass der Wirt immer noch auf eine Antwort wartete.
Stirn runzelnd drehte sich Nicole zu dem Wirt um. „Vielen Dank, aber ich möchte nichts. Es ist ja nichts passiert.“
„Vielleicht kann der junge Herr Cerný Sie ja zur Burg bringen, gnädige Frau.“
„Das wollte ich auch gerade vorschlagen, Frau Sanders. Möchten Sie mir hinterherfahren?“
Nicole lächelte dem Wirt dankend zu und drehte sich wieder zu Jannik um. Der machte ein Geste mit der Hand und sagte: „Bitte nach Ihnen!“ Sie nickte ihm kurz zu und verließ die Schenke, gefolgt von dem hübschen jungen Mann.
Es war Freitagabend, die Sonne würde bald untergehen und Nicole nahm ihre Sonnenbrille endgültig ab. Lässig klappte sie sie zusammen und steckte sie mit dem Bügel an die Knopfleiste ihres Poloshirts.
„Sie wollen also Licht ins Chaos unserer Bibliothek bringen?“ Jannik konnten den Blick von Nicoles Hinterteil einfach nicht losreißen.
„Ich werde es zumindest versuchen, Herr Cerný.“ Sie drehte sich lächelnd um und sah dem Mann in die braunen Augen. Dieser blickte in ihre Augen und erstarrte.
„Ach du Scheiße!“, rutschte es ihm raus.
„Wie bitte?“ Nicole war sichtlich irritiert. Das die Dorf-Alte ausgeflippt war, konnte sie gerade noch so verkraften. Aber der junge Mann? „Warum flippen hier alle aus, wenn sie in meine Augen sehen? Habe ich den bösen Blick oder so was?“
Jannik riss sich zusammen. „Tut mir furchtbar leid, Frau Sanders. Ich wollte nicht unhöflich sein. Es ist nur so, dass …. Diese Farbe ist absolut ungewöhnlich. Agatha sieht überall das Böse. Sie hat ja auch mich beschimpft. Wir haben uns hier alle schon daran gewöhnt. Aber Sie fallen auf!“
„Toll! Ich hätte mir einen Kartoffelsack anziehen und mein Gesicht schwärzen sollen. Wäre vielleicht besser gewesen“, zischte sie sarkastisch.
Jannik schmunzelte. Sie waren inzwischen an einem Volvo Kombi angelangt. Wie angewurzelt blieb er stehen und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Mit geweiteten Augen starrte er auf die Ladefläche und war heilfroh, dass die Heckklappe geschlossen war.
Ein riesiger Hund stand da und bellte sich die Kehle aus dem Leib.
„Sie haben einen Hund?“, krächzte Jannik.
Erstaunt blickte Nicole zu dem Mann auf. „Hat Ihnen Ihr Cousin nicht gesagt, dass ich Pumuckel mitbringen darf?“
„Pumuckel? Nein! Ich meine, ja! Er sagte mir, dass Sie einen Hund namens Pumuckel mitbringen würden. Ich dachte aber, dass wäre ein Yorkshire oder ein Pudel oder so etwas in der Art.“
„Ich habe dem Grafen aber gesagt, das es ein irischer Wolfshund ist.“
Jetzt erinnerte er sich, dass Adolar ihm das ebenfalls gesagt hatte. „Mein Fehler. Ich habe es manchmal nicht so mit dem Zuhören.“
„Tut mir leid, wenn Sie Angst vor ihm haben. Aber er ist wirklich ein liebes Tier. Ich verstehe nicht, warum er sich gerade aufregt!“ Nicole verstand es wirklich nicht. Pumuckel war vom Charakter eher träge. Neben ihm konnte ein Knallfrosch landen, er zuckte gerade mal mit den Ohren. Als aber sie und Jannik Cerný auf das Auto zugingen, sprang der Rüde plötzlich auf und gebar sich wie tollwütig.
>Ich verstehe schon, warum der Hund sich aufregt. Er erkennt, was ich bin!<
„Frau Sanders, eine Bitte. Wenn wir oben in der Burg sind sollten Sie den Hund vielleicht noch einen Moment im Wagen lassen bis Adolar Sie begrüßt hat.“ Er versuchte jetzt souverän zu klingen. „Und, ähm …. Angst habe ich nicht, nur großen Respekt.“
Sie zuckte kurz mit der linken Augenbraue. Eine kleine und stumme Geste. Jannik war sofort wieder von Nicole begeistert.
„Ich werde nicht so schnell wie sonst zur Burg hochfahren. Also lassen Sie sich Zeit und äh …. Ich rufe mal Adolar an, das wir gleich da sind. Autsch!“
Rückwärts gehend fischte Jannik sein Handy aus der Hosentasche und blickte dabei die ganze Zeit Nicole in die Augen. Dabei vergaß er völlig seine Umgebung und stieß mit den Kniekehlen in die Stoßstange seines Mercedes.
Nicole verkniff sich das breite Grinsen und stieg in ihr Auto. Als Jannik Cerný sich langsam vom Volvo entfernte, beruhigte sich Pumuckel wieder. „Ich möchte zu gerne wissen, was in dich gefahren ist, Muckel. Was sollte das eben, häh?“
Pumuckel winselte leise und spähte durch den Tierfänger nach vorn zu seinem Frauchen.
„Wir sind gleich da, mein Süßer. Dann kannst du dir bestimmt noch ein wenig die Beine vertreten.“
Jannik stieg in den Mercedes, während er Adolars Handynummer wählte. Er schnallte sich nicht an, sondern startete den Motor und schaltete das Licht an.
„Was gibt es, Jan?“
„Ich habe gerade unseren deutschen Gast kennen gelernt. Ich bringe sie mit, Addi.“
„Sehr schön. Und? Was macht sie für einen Eindruck? Wirkt sie kompetent?“
Jannik zog die Stirn kraus. „Das weiß ich doch nicht! Ich habe sie gebeten, erst einmal ihren Hund im Auto zu lassen, bis du sie begrüßt hast. Der Köter hat durch die Scheibe erkannt, was ich bin. Du musst dein ganzes Können anwenden den, um den Hund zu überzeugen, dass wir nette Vampire sind!“
Kurzes Schweigen. „Ich mache das schon, Jan. Was ist nun mit Frau Sanders? Welchen Eindruck hast du von ihr?“
„Ach, ich weiß nicht. Irgendwie …. Keine Ahnung.“
„Jannik, du hältst dich doch sonst nie mit Kommentaren zurück. Was ist los?“
Das Adolar seinen kompletten Vornamen aussprach, ließ Jannik die Stirn runzeln. Das tat der Ältere nur, wenn der Jüngere entweder wieder mal Mist gebaut hatte oder ein ernsthaftes Geschäftsgespräch anlag. Jetzt klang Adolars Stimme beunruhigt.
„Addi, Premiere! Das erste Mal, dass ich dir eine Frau nicht beschreiben kann. Sieh sie dir an und bilde dir dein eigenes Urteil.“
Er unterbrach das Gespräch und fuhr los. Im Rückspiegel konnte er sehen, dass Nicole Sanders ihm folgte. Kurz dachte er an den einladenden Po der Frau und fragte sich, wie sie wohl nackt aussehen würde. Energisch schüttelte er den Kopf.
Nicole kurbelte die Fensterscheibe ihres Kombis herunter und atmete tief die würzige Frühlingsluft ein. Pumuckel winselte leise.
„Was ist denn, Muckel. Musst du Gassi?“ Nicole rechnete kurz nach. Vor drei Stunden hatte sie eine größere Pause gemacht, damit der Hund etwas Auslauf hatte. Pumuckel war sehr geduldig, konnte lange still an einem Ort liegen.
„Daran kann es also nicht liegen“, schloss Nicole und grübelte. Dabei tauchte immer wieder das hübsche Gesicht von Jannik Cerný vor ihrem inneren Auge auf. Die braunen Augen, die blonden Locken, die unglaublich weißen und geraden Zähne. Und das kleine Grübchen im linken Mundwinkel, wenn er lächelte.
„Ich muss zugeben, der Kerl sieht gut aus. Aber ich glaube, das weiß er auch. Oder was meinst du, Muckel?“
Der Hund schnaubte verächtlich und winselte dann wieder leise.
Sie folgte dem Mercedes auf einer beidseitig dicht bewaldeten Straße, auf der gerade mal zwei Autos nebeneinander Platz hatten, wenn sie vorsichtig aneinander vorbeifuhren. Nicole wollte sich lieber nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ein Lastwagen oder Reisebus entgegenkommen würde.
Plötzlich hörte der Wald auf und auf einer Anhöhe lag die Burg.
Nicole Unterkiefer klappte herunter. „Wow! In Natura ist sie viel schöner als auf den Bildern!“
Massive Mauern umschlossen mehrere Türme und Gebäude. Ein großes offenes Tor mit Zugbrücke, deren Ketten in einwandfreiem Zustand waren, lud zum Näherkommen ein. Teilweise rankten Efeu und Knöterich an der Mauer entlang.
Als Nicole über die Zugbrücke fuhr sah sie, dass der Graben um die Burg herum mit fließendem Gewässer gefüllt war.
„Offensichtlich muss es hier eine Quelle oder so etwas geben“, murmelte sie.
Im Torbogen entfuhr ihr der nächste anerkennende Laut. Die Torwand war so dick, dass ihr Volvo anderthalb mal hintereinander reingepasst hätte.
>Kein Wunder, das die Burg in eintausend Jahren von niemanden erobert wurde!<
Der Mercedes vor ihr fuhr leicht nach links, als sie den Innenhof erreichten, also folgte Nicole ihm.
„Noch mal Wow!“
Der Innenhof war riesig. Modern gepflastert und mit Blumenkübel arrangiert, die ein harmonisches Gesamtbild verströmten. Der Mercedes hielt jetzt vor den ehemaligen Stallungen, die längst zu einer riesigen Garage umgebaut worden waren. Das Tor zu der Garage war offen und Nicole erkannte kurz einen Maybach.
„Wie reich ist der Typ?“, fragte sie und merkte, wie Komplexe in ihr hochstiegen. „Ach, verdammt. Was soll’s? Beim Essen und auf Klo sind alle Menschen gleich!“ Nicole hielt den Volvo einige Meter hinter Jannik Cernýs Wagen an und machte ihn aus.
Pumuckel fing zu knurren an. „Sei still!“ Ihre Stimme war schärfer als sonst und der Wolfshund verstummte. Nicole kurbelte das Fenster hoch und stieg aus. In dem Dämmerlicht war nicht mehr all zu viel zu erkennen, aber das was sie sah, imponierte ihr ungemein.
Die Mauern der Gebäude und die Fenster waren in sehr gutem und gepflegtem Zustand. Gegenüber der Garage am anderen Ende des Innenhofs stand ein alter, großer Brunnen mit einem Holzgiebeldach über dem Gewinde. Dahinter befand sich der größte und dickste Turm des ganzen Komplexes, ein wehrhaftes Bauwerk, dick mit Efeu überwuchert. Die Dächer der Gebäude waren noch nicht alt und leuchteten in der Abendsonne rötlich.
„Und? Wie finden Sie unser bescheidenes Zuhause?“ Jannik war leise hinter sie getreten. Seine leise und warme Stimme verursachte bei Nicole eine kleine Gänsehaut am Rücken.
„Bescheiden, häh? Wie sieht dann dekadent aus?“ Der Satz war raus, bevor sie es verhindern konnte. Rasch schlug sie ihre Hand vor den Mund und blickte den Tschechen erschrocken an.
Jannik sah verblüfft zu Nicole, dann fing er an zu lachen. „Sie sagen wohl immer, was Sie denken, oder?“
„Tut mir leid, Herr Cerný“, sagte sie zerknirscht. „Ich kann meine Zunge manchmal nicht im Zaum halten. Es war nicht so gemeint, wie es vielleicht geklungen hat. Entschuldigung.“
Er lachte noch immer. „Ich finde Ihre Offenheit erfrischend. Die meisten überlegen sich erstmal minutenlang was sie sagen sollen. Was dann heraus kommt, ist bestenfalls geschmeichelt, aber selten die Wahrheit. Wahrheit wiederum kann unbequem sein. Deswegen vermeiden die meisten Menschen die Konfrontation und verstecken sich hinter Höflichkeiten.“
Nicole hätte von dem jungen Mann nicht erwartet, dass er eine philosophische Weisheit besitzt und sie auch noch äußert.
„Ich bin beeindruckt“, sagte sie und lächelte Jannik an.
„Vielen Dank.“ Er lächelte charmant zurück.
Pumuckel knurrte wieder im Auto. „Ich möchte wirklich wissen, was in ihm gefahren ist. Ich werde nachher erstmal mit ihm eine Runde um die Burg machen.“
„Tun Sie das, Nicole. Aber warten Sie, bis Adolar sein Mojo angewendet hat, um Pumuckel willkommen zu heißen.“
Nicole starrte Jannik an. „Sein was?“
„Sein Mojo! Sie wissen schon. So eine Gabe, die ihn befähigt, Einfluss zu haben auf einfache Gemüter wie bei Hunden und Katzen.“
Um Nicoles Mundwinkel zuckte es, aber sie beherrschte sich. „Mojo!“
„Ja.“
„Sie meinen also, Graf Cerný hat telepathische oder empathische Fähigkeiten, die Anderen in gewisser Weise seinen Willen aufzwingen?“
Jannik wurde plötzlich nervös. Die Frau war wirklich klug. Er musste zukünftig aufpassen, was er in ihrer Gegenwart sagte. „Ja.“
„Und Sie nennen das Mojo?“ Die Mundwinkel zuckten wieder und erste Lachfältchen bildeten sich neben ihren Augen.
„Ja“, sagte er jetzt zögernd. „Warum?“
Nicole kicherte jetzt. „Weil Mojo eine ganz andere Bedeutung hat.“
Verzweifelt sah Jannik die Frau an. „Welche?“, fragte er dummerweise.
Lachend brach Nicole zusammen. Sie hielt sich mit einer Hand am Dach des Volvos fest, die andere Hand hatte sie auf ihren Bauch gelegt. „Es tut mir leid!“ Sie konnte kaum sprechen vor Lachen, und das zutiefst erschütterte Gesicht Jannik Cernýs trug kaum zur Beruhigung ihres Lachanfalls bei. „Wirklich! Es tut mir sehr leid. Aber ….“
„Nicole, bitte!“
In diesem Moment trat Adolar Cerný aus dem Portal in den Innenhof. Das Lachen der Frau verwunderte ihn, aber das zutiefst betroffene Gesicht von Jannik verblüffte ihn geradezu. Das Gesicht der Frau konnte Adolar nicht sehen, da sie mit dem Rücken zu ihm stand. Das Lachen klang herzhaft, nicht künstlich und mädchenhaft. Eine leichte Heiserkeit schwang mit, was er sehr anziehend fand.
„Nicole, würden Sie mich jetzt bitte aufklären!“ Janniks Stimme klang verzweifelt.
>Ich glaube, ich werde mir den Tag rot im Kalender markieren. Eine Frau, die es schafft, dich durcheinander zu bringen.< Adolar musste diesen Gedanken einfach an seinen Blutsverwandten weitergeben und schmunzelte.
>Halt die Klappe!<, antwortete der Jüngere.
Adolar grinste breit. Er war jetzt bei Jannik und der jungen Frau. Rasch nahm er ihre Rückenpartie in Augenschein und zuckte kurz anerkennend mit der Augenbraue. „Darf ich mitlachen?“, fragte er. Jannik war jetzt hochrot und sah noch verzweifelter aus.
Nicole holte ein paar Mal tief Luft. „Es tut mir leid, Herr Cerný, aber nach der langen Autofahrt und dem Zwischenfall in der Schenke ….“ Sie unterbrach sich selbst, als sie in die vor Schreck geweiteten Augen des Grafen sah.
Als Nicole Sanders zu sprechen begonnen hatte, drehte sie sich zu Graf Adolar Cerný um und sah ihm direkt in die Augen.
Adolar hatte das Gefühl, von einer Eisenfaust in den Magen geboxt worden zu sein.
Augen aus Lapislazuli!
Mit einer golden umrandeten Pupille!